Vom Saulus zum Paulus: Der ehemalige Premier Luxemburgs blockierte die Steuerharmonisierung in der EU während Jahrzehnten. Nun will er als Kommissionspräsident die Einstimmigkeit in Steuerfragen abschaffen. Luxemburg sollte seiner Wandlung folgen. Ein Kommentar.

26 Jahre lang stritt die EU über die Zinsrichtlinie. 1989 legte Brüssel den ersten Vorschlag vor und in Luxemburg wurde ein gewisser Jean-Claude Juncker Finanzminister. 2014: Die neue blau-rot-grüne Regierung opfert das Bankgeheimnis und hebt die Blockade gegen Steuertransparenz auf. Quasi zeitgleich wird ein gewisser früherer Premierminister zum Kommissionspräsidenten.

Es ist die Ironie des Schicksals: Gerade das politische Meisterstück Junckers illustriert perfekt, warum seine Kommission die Einstimmigkeit in Steuerfragen abschaffen will. Das Vetorecht jedes einzelnen Mitgliedsstaats verzögert wichtige Vorhaben und führt zu verwässerten Regeln, argumentiert Steuerkommissar Pierre Moscovici.

Eine Hinhaltetaktik, die Luxemburgs Reichtum schaffte

Es war Junckers Verhandlungsgeschick, das zu Luxemburgs heutigem Reichtum beitrug. Zwischen 1985 und 2007 wuchs die Wirtschaft im Schnitt über fünf Prozent pro Jahr – doppelt so schnell wie in den Nachbarländern. Der Finanzplatz trug wesentlich dazu bei.

Diese Verteidigungshaltung ist allerdings überholt: Die Festung ist geschleift, das Bankgeheimnis gelüftet, Luxleaks überwunden. »

Doch was war der politische Preis für Junckers Strategie? Mehr als einmal musste er sein gesamtes politisches Kapital in Brüssel in die Waagschale werfen, um nicht zurückweichen zu müssen. Mit jedem belgischen Zahnarzt, der sein Schwarzgeld nach Luxemburg brachte, festigte sich im Ausland der Ruf Luxemburgs als Steuerparadies.

Auch die Bürger opferten dafür ihren Glauben an die europäische Integration: 1998 waren noch über zwei Drittel der Meinung, die Regierung solle zusammen mit Brüssel in Steuerfragen bestimmen. 2005 waren es nur noch zwölf Prozent, die Mehrheit sah in der Steuerpolitik eine exklusiv nationale Kompetenz. Das zeigen Daten des Eurobarometers.

Eine überholte Festungsmentalität

Der Kurs des „Luxembourg First“ bleibt heute selbst für eine Mitte-Links-Partei akzeptabel. „Ich [wurde] auch oft von LSAP-Mitgliedern darauf angesprochen, dass wir aufpassen müssen, welche Positionen wir in Steuerfragen einnehmen“, sagte der sozialistische Fraktionschef Alex Bodry im Interview mit REPORTER.

Diese Verteidigungshaltung ist allerdings überholt: Die Festung ist geschleift, das Bankgeheimnis gelüftet, Luxleaks überwunden. Der Status quo ist Geschichte, weil gerade Blau-Rot-Grün entscheidende Schritte in Richtung Transparenz gemacht hat.

Wir sollten an das glauben, wovon wir überzeugt sind, wenn es gerade nicht um Steuern geht: Die europäische Zusammenarbeit ermöglicht Antworten auf die Fragen unserer Zeit. »

Trotzdem stellt sich die Regierung gegen den Wunsch Brüssels und will an der Einstimmigkeit festhalten. Bei Bedarf möchte Luxemburg die Bollwerke wieder besetzen – etwa in Sachen Finanztransaktionssteuer. Doch eine solche Blockadehaltung ist heute genauso aus der Zeit gefallen, wie Festungsstädte Ende des 19. Jahrhunderts.

Neue Herausforderungen erfordern gemeinsame Antworten

„Es ist ein historischer Fehler, die Gewinne multinationaler Konzerne nicht angemessen besteuern zu wollen“, kritisierte Jean-Claude Juncker 2017 die Luxemburger Regierung im Gespräch mit „Paperjam“. Es ging um ihre zögerliche Haltung in Sachen Digitalsteuer, die etwa Google und Facebook treffen soll.

Wenn selbst Luxemburg sich weiteren Integrationsschritten verweigert, dann wird es düster. »

Tatsächlich sind die Herausforderungen heute andere als etwa 1989. Die monopolistischen Internetkonzerne haben eine schier unglaubliche Marktmacht, aber wenig Lust Steuern zu zahlen. Selbst Luxemburg wird es sich nicht leisten können, dass immer größere Teile der wirtschaftlichen Aktivität unbesteuert bleiben. Und nur auf EU-Ebene kann es dafür eine Lösung geben.

Ähnlich verhält es sich mit dem Kampf gegen Klimawandel: Eine Lösung für dieses globale Problem ist die intelligente Besteuerung von Energie. Doch auch hier bremst die Einstimmigkeitsregel neue Maßnahmen aus, wie die Kommission betont. In diesem Kontext ist der Tanktourismus ein Relikt, den wir uns nicht mehr leisten können.

Und schließlich steht das Überleben der Europäischen Union auf dem Spiel. Wenn selbst Luxemburg sich weiteren Integrationsschritten verweigert, dann wird es düster. Der Erhalt einer funktionierenden EU ist für Luxemburg wichtiger als die Einnahmen aus bald versiegenden Steuerquellen.

Die Moral der Geschichte? Wir sollten endlich aufhören, die Decken anderer zu uns zu ziehen. Wir sollten an das glauben, wovon wir überzeugt sind, wenn es gerade nicht um Steuern geht: Die europäische Zusammenarbeit ermöglicht Antworten auf die Fragen unserer Zeit. Und das geht nur mit Mehrheitsentscheidungen.