Wie erleben Patienten, Ärzte und Pfleger die Mehrsprachigkeit im Gesundheitswesen? Mit dieser Frage hat sich Martina Christen in ihrer Masterarbeit im Fach multilinguale Kommunikation an der Universität Luxemburg auseinandergesetzt. In ihren Augen ist das Problem zwar schwer zu lösen – aber nicht unmöglich. Ein Gespräch über Sprachbarrieren und darüber, wie diese aufgebrochen werden können.
Frau Christen, Sie sind Schweizerin und leben seit vier Jahren in Luxemburg. Wie suchen sich Zugezogene hierzulande ihren Arzt aus?
Das ist gar nicht so einfach. Es gibt keine vollständige Datenbank, in der man nachschauen könnte, welcher Arzt welche Qualifikation hat und wer welche Sprache spricht. Weil sie keine andere Möglichkeit haben, fragen viele Expats in Facebook-Gruppen nach, fragen Bekannte oder buchen ihren Arzttermin über Onlinebuchungssysteme wie Doctena. Doctena ist allerdings nicht staatlich und deshalb sind dort auch nicht alle Ärzte vertreten. Dadurch ist die Auswahl für die Patienten automatisch begrenzt.
Wie sind Sie auf das Thema Ihrer Arbeit gekommen?
Es sind eigentlich persönliche Erlebnisse, die mich auf das Thema meiner Arbeit gebracht haben. Ich selbst spreche zwar Deutsch, Französisch, Englisch, verstehe ein bisschen Luxemburgisch und schlage mich sprachlich ganz gut in Luxemburg. Mein Freund ist aber Amerikaner und hat keinerlei Fremdsprachenkenntnisse. Weil er eine chronische Hautkrankheit hat, muss er regelmäßig zum Arzt – und ich muss ihn immer begleiten, um für ihn zu übersetzen. Auf Dauer ist das anstrengend. Damit ich ihm helfen kann, stimmen wir unsere Arzttermine so gut wie möglich aufeinander ab. Und das verlangt einiges an Organisation – vor allem, wenn man wegen einer Krankheit regelmäßig zum Arzt muss.
Es gibt sicherlich politische Strömungen, die denken, dass man Menschen am einfachsten durch die Sprache integriert und dadurch viele Probleme abschafft. Doch so einfach funktioniert das nicht – vor allem in der Medizin. »
Werden Menschen mit weniger Sprachkenntnissen bei der medizinischen Versorgung automatisch benachteiligt?
Menschen, die hierzulande vielleicht von vorneherein nicht richtig integriert sind, können auch bei der medizinischen Betreuung schnell in eine Ecke gedrängt werden. Bei ihrer Suche steht die Sprach- und nicht die Fachkompetenz eines Arztes im Vordergrund. Sie suchen jemanden, der sie versteht. Die medizinische Qualifikation des Mediziners spielt dabei häufig nur eine Nebenrolle.
Viele Parteien wollen jetzt vor allem Luxemburgisch im Gesundheitsbereich verstärkt fördern. Kann das eine Lösung für das Problem sein?
Da stehen wir vor der Frage: Wie wichtig ist Luxemburgisch als Integrationssprache? Es gibt sicherlich politische Strömungen, die denken, dass man Menschen am einfachsten durch die Sprache integriert und dadurch viele Probleme abschafft. Doch so einfach funktioniert das nicht – vor allem in der Medizin.
Warum ist Mehrsprachigkeit in der Medizin ein so viel größeres Problem als im Alltag?
Luxemburgisch ist nicht die Sprache, die mir hilft, administrative Abläufe und Systeme im Gesundheitsbereich zu verstehen. Es ist nicht die Sprache, die mir hilft, wenn ich einen Antrag stellen muss oder die mir hilft, wenn ich erfahren will, was zu tun ist, wenn ich ein Kind bekomme und es anmelden will. Alle offiziellen Dokumente und Prozeduren sind auf Französisch – auch im Krankenhaus. Jede Rechnung, jede Überweisung, jedes Rezept wird auf Französisch verfasst. Dass man sich mit dem Personal auf Luxemburgisch unterhalten kann, mag für einige Patienten sicher von Vorteil sein, löst aber nur einen Teil des Sprachproblems. Hinzu kommt, dass viele Menschen hierzulande weder Luxemburgisch noch Französisch sprechen oder verstehen. Für sie ist es besonders schwierig, sich im System zurecht zu finden.
Wenn der Patient nicht versteht, warum er etwas machen soll, dann macht er es wahrscheinlich auch nicht. »
In ihrer Arbeit schreiben Sie, dass die « Patientenzentriertheit » für die Beziehung zwischen Arzt und Patient besonders wichtig und dass diese bei multilingualen Gesprächen nur schwer aufrecht zu erhalten ist. Was genau meinen Sie damit?
Der Begriff „patientenzentriert“ bedeutet, dass der Arzt dem Patienten richtig zuhört, Empathie aufweist, sich auf das konzentriert, was der Patient sagt, ihn ernst nimmt und ein Informationsfluss zwischen beiden entsteht. Sprechen Arzt und Patient aber unterschiedliche Sprachen, kommt diese Patientenzentriertheit automatisch zu kurz. Arzt und Patient können nur schwer eine aufrichtige Beziehung oder Vertrauen aufbauen. Dabei ist genau das besonders wichtig, wenn es Menschen nicht gut geht und sie Hilfe suchen.
Welche Folgen hat das für den Patienten?
Die Wahrscheinlichkeit ist viel größer, dass er nicht das macht, was der Arzt im sagt und als Hilfe mit auf den Weg gibt. Wie lange er seine Medizin nehmen, welchen Spezialisten er aufsuchen, wie er sich mit einem bestimmten Krankheitsbild verhalten soll. Wenn der Patient nicht versteht, warum er etwas machen soll, dann macht er es wahrscheinlich auch nicht. Und damit setzt er im schlimmsten Fall seine Gesundheit aufs Spiel.

Wenn das Sprachproblem in der Luxemburger Medizin so komplex ist, kann man es dann überhaupt lösen?
Man könnte es zumindest verbessern. Ideal wäre es, wenn mehr Übersetzer in den unterschiedlichen Strukturen und bei den Pflegedienstleistern eingesetzt würden. Das Rote Kreuz bietet einen solchen Übersetzungsdienst bereits heute an. Rund 100 Übersetzer arbeiten für diesen Dienst, 45 Sprachen werden für die medizinischen Übersetzungen angeboten. Das Problem ist aber, dass der Arzt oder das Krankenhaus den Dienst anfragen und die Kosten dafür übernehmen muss. Ideal wäre es natürlich, wenn solche Dienstleistungen von der Krankenkasse übernommen würden. Dann könnte man jedem Patienten eine bessere medizinische Versorgung ohne Sprachbarrieren garantieren.
Hilft es denn überhaupt, wenn Ärzte und Patienten ihre Sprachkenntnisse verbessern?
Natürlich könnte man sagen: Alle, die nach Luxemburg kommen, müssen alle drei Amtssprachen lernen. Denn je mehr Sprachen man spricht, desto weniger Probleme hat man in einem multilingualen Umfeld. Ein gemeinsamer sprachlicher Nenner ist dann zwischen zwei Gesprächspartnern schnell gefunden. In einem Land wie Luxemburg wird Mehrsprachigkeit aber immer eine Herausforderung bleiben – auch, wenn alle Zugezogenen ihre sprachlichen Kompetenzen ausbauen. Es werden weiterhin Menschen nach Luxemburg ziehen, die neu im Land sind und die Sprache nicht beherrschen und sicherlich trotzdem medizinische Hilfe beanspruchen. Zu glauben, dass in einem Land jeder die gleichen mehrsprachigen Fähigkeiten besitzt, ist unrealistisch.
Die Problematik betrifft vor allem größere Strukturen, wie Krankenhäuser. Um dort Dolmetscher dort einzustellen, bräuchte es wohl ein bestimmtes Budget, es müsste ein Gremium darüber entscheiden. Gibt es auch kurzfristigere Lösungen?
In Krankenhäusern könnte man leicht sogenannte Sprachbanken einrichten und schauen, welche Sprachen im Krankenhaus gesprochen werden, welche Ressourcen zur Verfügung stehen. Wer spricht Englisch? Spricht jemand Portugiesisch? Oder vielleicht Hindu? Meiner Meinung nach würde es schon helfen herauszufinden, wer vom Personal welche Sprache spricht und gegebenenfalls in Notsituationen auch als Übersetzer einspringen könnte. Meiner Meinung nach sind aber professionelle Übersetzer die beste Lösung.
Sprachbarrieren im Gesundheitswesen sind seit Jahren Thema in Luxemburg. Gab es auch Reaktionen auf Ihre Analyse?
Ich habe meine Arbeit dem Gesundheitsministerium geschickt und sie wurde im Sommer letzten Jahres einer Arbeitsgruppe der „Fédération des hôpitaux luxembourgeois“ (FHL) vorgelegt. Seitdem habe ich aber nichts mehr gehört. Sollte nach den Wahlen ein Wechsel im Ministerium stattfinden, ist die Frage, ob das Thema dann noch einmal aufgegriffen wird. Es handelt sich zwar nur um eine Masterarbeit, das Thema ist aber wichtig. Da sollte eigentlich mehr geschehen.
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