Serge Wilmes betont seit Monaten: „Die Stadt ist nicht tot.“ In der Hauptstadt ist der Erste Schöffe für den Handel zuständig. Ein Interview über Verantwortung, Schuldzuweisungen und Lösungsansätze rund um die zahlreichen Ladenschließungen.

Interview: Laurence Bervard

Serge Wilmes, Sie bemühen sich stets darum, hervorzuheben, was die Stadt Luxemburg alles macht, um die Luxemburger Geschäftsleute zu unterstützen. Ist es nicht an der Zeit, dass die Politik eingesteht, dass ihre Bemühungen nicht ausreichen?

Sie haben jüngst in einem Artikel von über 30 Läden gesprochen, die neue Mieter suchen, dabei gibt es in einigen dieser Läden bereits neue Projekte …

Zählt man alle leeren Geschäftsflächen, kam man vor Kurzem sogar auf rund 40 Geschäfte, die im Stadt-Zentrum und am Bahnhof leer standen. Viele davon in der Nähe von Baustellen. Sehen Sie da keinen Zusammenhang?

Prozentual gesehen, ist der Leerstand in der Innenstadt im Vergleich zur Anzahl von Geschäftsflächen oder im Vergleich zu Esch/Alzette oder dem Ausland niedrig. Natürlich darf man das Problem der schließenden Geschäfte nicht kleinreden. Baustellen können eine Auswirkung auf die Laufkundschaft haben. Allerdings gibt es keinen empirischen Beweis dafür, dass die Ladenschließungen mit den Baustellen zusammenhängen. Die Ursachen für das Scheitern eines Geschäftes sind vielfältig. Ich kenne die Geschäftsbilanz der einzelnen Händler zwar nicht. Möglicherweise hatten sie aber auch in den vergangenen Jahren bereits Schwierigkeiten …

Die Geschäftszahlen einer Firma sind im Handelsregister auffindbar …

Es ist nicht unsere Aufgabe, die Geschäftszahlen nachzuschlagen. Unsere Aufgabe ist es, einen Rahmen zu schaffen, für einen sauberen öffentlichen Raum zu sorgen und ihm moderne Infrastrukturen zu geben. Um es konkret zu machen: Wenn Wasserkanäle und Stromkabel veraltet oder in schlechtem Zustand sind, ist es unsere Verantwortung, diese zu erneuern. Wir sind dabei, Daten zu sammeln, um uns ein genaues Bild über den Kundenfluss in einzelnen Straßen zu machen. Dann lässt sicher erst besser erkennen, wie wir einzelne Ecken attraktiver gestalten können. Es ist bereits ein Projekt in Ausarbeitung, um die Altstadt aufzuwerten und mehr Leute dorthin zu ziehen.

Diese Datensammlung wurde bereits 2016 angekündigt. Kommen diese Daten angesichts der zahlreichen Schließungen nicht zu spät?

Nein, solche Daten kommen nie zu spät. Sie werden es uns ermöglichen, handfeste Daten zu haben und auch zu wissen, welche Geschäftsleute am meisten leiden. Sind das nur die der Altstadt oder auch schon die am oberen Ende der « Groussgaass »?

Geschäfte können eine Entschädigung bei Luxtram beantragen, wenn sie sich an der Tram-Trasse befinden. Für alle anderen, gibt es keine Entschädigungen. Obwohl auch sie unter Baustellen leiden, auch wenn diese nicht auf die Tram zurückzuführen sind. Hat sich die Stadt Luxemburg eigentlich je überlegt, diese Geschäftsleute zu entschädigen?

Nein. Die Möglichkeit, andere Geschäftsleute zu entschädigen, wurde nicht besprochen. Jedenfalls nicht seitdem ich im Schöffenrat bin. Und das wäre auch sehr kompliziert. Nach welchen Kriterien würden wir denn entscheiden, welche Geschäftsleute entschädigt werden können?

Luxtram hat auch Kriterien für die Entschädigung festgelegt. Könnte sich die Stadt Luxemburg nicht an diesen Kriterien orientieren?

Luxtram hat selbst lange gebraucht, um sich Richtlinien für die Entschädigung zu geben und konnte sich erst vor zwei, drei Monaten auf die Kriterien einigen. Sie haben sich entschieden, nur jene Geschäfte zu entschädigen, die sich genau auf der Tram-Trasse befinden. Geschäfte in den Nebenstraßen einer Baustelle werden nicht entschädigt. Irgendwie muss man einen Perimeter festlegen und irgendwo muss man auch die Grenze ziehen.

Wenn es jemandem nicht gut geht, wird die Schuld immer schnell den Politikern zugeschoben. »

Ich rate den Geschäftsleuten, sich in Vereinigungen zusammenzutun. Es gibt bereits die „Association RuePhilippe II“, die Events in der Straße organisiert, die „Association Downtown“, rund um die Rue Louvigny und die Rue Chimey. Ich weiß, dass auch eine „Association Altstadt“ in Planung war. Diese können dann in ihren Straßen zum Beispill Modedefilés oder Ausstellungen organisieren, bei der die Gemeinde sie logistisch unterstützen kann. Und vielleicht wäre sogar eine finanzielle Unterstützung möglich.

Hat die Stadt Luxemburg die Situation um die zahlreichen Baustellen nicht möglicherweise unterschätzt?

Wenn es jemandem nicht gut geht, wird die Schuld immer schnell den Politikern zugeschoben. Wir übernehmen unsere Verantwortung gerne, wenn es unsere Schuld ist. Es wurde wohl unterschätzt, dass lange nicht ausführlich genug über die Baustellen kommuniziert wurde. Das betrifft nicht nur die Gemeinde, sondern auch Luxtram. Etwa bei der Beschilderung der Baustellen. Ich habe mich mit den zuständigen Personen von Luxtram auf eine Tour durch das Bahnhofviertel begeben. Zusammen haben wir entlang der Baugräben bestimmte Stellen identifiziert, wo wir sagen konnten: « Das geht so nicht, das ist nicht gut beschildert, das ist für Fußgänger nicht logisch. »

Das ist etwas, was wir auf unsere Kappe nehmen und sagen können: Das haben wir unterschätzt. Die Stadt ist aber weiterhin zugänglich, man kann in die Stadt kommen, und das machen auch weiterhin viele Menschen. Doch auch wir als Gemeinde sind nicht perfekt. Wir müssen weiterhin daran arbeiten, Dinge zu verbessern. Und das werden wir tun.

« Wir sind uns bewusst, dass es momentan viele Baustellen gibt », sagt der CSV-Schöffe Serge Wilmes.

Ein weiteres Problem sind die Parkhäuser: In der Tiefgarage Royal-Hamilius, die vor wenigen Monaten ihre Türen öffnete, stehen auch außerhalb der Schulferien samstags oft über 200 Parkplätze leer. Wie ist das möglich, wenn sich die Leute dann doch derart über mangelnde Parkplätze in der Innenstadt beklagen?

Es gibt in der Innenstadt genügend Parkplätze. Es gibt aber immer wieder Parkhäuser, an die die Menschen nicht denken, wenn sie in die Stadt wollen. Die Royal-Hamilius-Tiefgarage ist eine davon. Sie ist in dieser Form neu, die Leute kennen sie noch nicht, oder aber, sie finden den Eingang nicht. Ich gebe zu, dass die Beschilderung hier nicht sehr gut ist. Sie wurde bereits verbessert aber wir werden den Eingang und die Straßen, die dorthin führen, noch besser beschildern.

Geschäftsleute werfen der Stadt vor, zu viele Baustellen auf einmal in Angriff zu nehmen. War die Baustelle rund um die Rue de la Boucherie, in deren Umgebung jüngst zwölf leere Geschäftsflächen gezählt wurden, jetzt absolut notwendig? Wissend dass diese Geschäftsleute auch schon seit 2016 über die Baustelle am Knuedler klagen …

Diese Baustelle ist die Fortsetzung des Renovationsprojektes hinter dem großherzoglichen Palast und diese Baustelle musste irgendwann weitergeführt werden. Wir sind uns aber bewusst, dass es momentan viele Baustellen gibt. Wir haben bereits einige Baustellen rund um die Stadt auf ein späteres Datum verschoben. Wir müssen und wollen uns auch nicht später den Vorwurf gefallen lassen, dass wir die Stadt nicht modernisiert hätten oder nicht genug investieren würden.

In anderen Städten gibt es einen City Manager, der bei der Koordination der Baustellen auch die Interessen der Geschäftsleute berücksichtigt. Hat die Stadt Luxemburg einen solchen City Manager?

Nein, wir haben keinen City Manager. Dieser wurde vom vorherigen Schöffenrat abgeschafft. Wir sind aber in der Gemeinde heute nicht schlecht aufgestellt. Wir haben eine Abteilung „Coordination de chantiers“ oder „Développement économique et commerce“, „espaces publics et fête», und eine Abteilung „Urbanisation“.

Wir wollen uns natürlich nicht bei der Spekulation um Gewerbeflächen beteiligen, und so die Preise in die Höhe treiben. »

Luxemburg unterstützt multinationale Firmen, indem sie ihnen Steuervorteilen anbietet. Wenn die Stadt Luxemburg den Geschäftsleuten keine Entschädigungen auszahlt, wäre es dann nicht etwa denkbar, die Steuern der Geschäftsleute zu senken? Sei es jenen Geschäftsleuten, die von Baustellen betroffen sind oder jungen Geschäftsleuten, die es besonders schwer haben, sich im Stadtzentrum niederzulassen?

Es ist so, dass die Gemeinde gar nicht einmal so viele Taxen von den Geschäftsleuten bekommt. Die Steuern werden vor allem vom Staat bezogen und nicht von der Stadt. Wir versuchen aber, junge Geschäftsleute zu unterstützen, beispielsweise über die Ausschreibungen für Gewerbeflächen, die der Stadt Luxemburg gehören, und wo wir immer versuchen, neue Konzepte zu unterstützen, die ein komplementäres Angebot in der Stadt anbieten. Ich weiß, das klappt nicht immer. Ladurée hatte sich bekanntlich auch einmal in einem solchen Lokal niedergelassen. Aber die sind ja heute nicht mehr dort. Dann wollen wir noch die Pop-Up Stores fördern, die für drei, sechs oder zwölf Monate vermietet werden können. Zwei davon sollen bald in der Rue Philippe II eröffnen.

Wem gehören diese Geschäfte in der Rue Philippe II eigentlich, sind das Gewerbeflächen der Gemeinde?

Nein, es handelt sich dabei um Gewerbeflächen des Staates, die sich hinter dem Bildungsministerium befinden, aber eben auf der Seite der Rue Philippe II. Dafür könnte man mit dem städtischen Geschäftsverband UCVL zusammenarbeiten und nachfragen, ob sie beispielsweise Geschäftsleute kennen, die gegenwärtig wegen der Baustelle am Bahnhof Schwierigkeiten haben, und die daran interessiert wären, für kurze Zeit in diese Läden in der Stadt zu ziehen. Sie könnte man dann prioritär behandeln. So kann man dann Geschäftsleuten helfen, die es sich sonst nicht leisten können, einen Laden in der Innenstadt zu eröffnen.

Könnte die Gemeinde in Anbetracht des Leerstandes nicht auch zunehmend Gewerbeflächen aufkaufen?

Das ist nicht unser oberstes Ziel, aber wir strecken unsere Fühler aus, wenn sich eine gute Gelegenheit bietet. Wenn sich eine Gewerbefläche in einer guten Lage und zu einem vernünftigen Preis befindet, dann ist das durchaus eine Überlegung wert. Die Preise sind natürlich oft hoch. Man muss bedenken, dass wir eine öffentliche Hand sind und unser Geld aus Steuergeldern beziehen. Wir wollen uns natürlich nicht bei der Spekulation um Gewerbeflächen beteiligen, und so die Preise in die Höhe treiben.


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