Finanzkrisen verhindern: Das verspricht eine Initiative über die die Schweizer am Sonntag per Referendum entscheiden. Doch selbst Kritiker des aktuellen Finanzsystems sind skeptisch, ob diese Versprechen realistisch sind.
Es sind manchmal die alltäglichsten Dinge, die uns das größte Rätsel sind. Wussten Sie etwa, dass es einen grundsätzlichen Unterschied gibt, zwischen dem Bargeld, das sie im Portemonnaie haben und dem Geld, das auf ihrem Bankkonto steht? Wenn ja, dann wird Ihnen dieser Artikel wenig Neues bringen, Sie Finanzgenie. Wenn nein: Keine Sorge, Sie sind nicht allein.
Das zentrale Konzept ist dabei die Geldschöpfung durch Banken. Banken gewähren Kredite in einer Höhe, die weder von den Einlagen ihrer Kunden noch von ihrem Eigenkapital gedeckt sind. Konkret: Vergibt eine Bank einen Kredit, dann schafft sie Geld buchstäblich aus dem Nichts – das sogenannte Buchgeld. Es existiert erstmals nur in den Bilanzen der Bank. In der Schweiz macht das Buchgeld insgesamt 90 Prozent des gesamten Geldes aus.
Das Problem: Geht die Bank pleite, ist das Geld weg. Der Grund liegt darin, dass der Kontostand erst einmal nur eine Forderung des Kunden gegenüber seiner Bank ist. Die Bank verspricht zwar, dass man das Geld jederzeit abheben kann. Doch wollen das zu viele Kunden gleichzeitig, dann reichen die Mittel der Bank nicht. Das ist etwa 2015 zum Teil in Griechenland passiert: Lange Schlangen vor den leeren Bankautomaten. Experten sprechen von einem „bank run“.
Sicheres Geld und ein Mittel gegen Schuldspiralen
Dieses Szenario soll das sogenannte Vollgeld verhindern. Stimmen die Schweizer am 10. Juni mehrheitlich mit Ja, dann darf nur noch die Schweizer Nationalbank (SNB) Geld schaffen. Zusätzlich zum Bargeld, das die Zentralbank bereits heute exklusiv drucken lässt, käme ein Art Geld hinzu, die am besten mit elektronischen Bargeld-Chips zu vergleichen ist. Diese Chips wären im Falle einer Finanzkrise so sicher wie die Scheine unter der Matratze.
Der zweite Vorwurf gegen den Status quo: Die Banken würden immer weiter Kredite vergeben, ohne die Risiken korrekt einzuschätzen. „Das jetzige System ist auf Schulden gebaut, die sich immer weiter vermehren“, sagte der Vertreter der Initiative Raffael Wüthrich dem Schweizer Fernsehen. Die Folge: Immer neue Crashs.
Dadurch, dass die Macht der Banken bei der Geldschöpfung und damit auch bei der Kreditvergabe eingeschränkt würde, sinke das Risiko für Finanzkrisen. Es wäre allein die SNB, die über die Geldmasse entscheiden würde. Allerdings betonen die Kritiker der Initiative, dass die Schaffung von Buchgeld durch die Banken bereits heute eingeschränkt ist. Die Grenzen bilden die Liquidität, die die Zentralbank zur Verfügung stellt, und die Eigenkapitalanforderungen. Letzteres heißt, dass das Eigenkapital der Bank zwischen fünf und zehn Prozent der Vermögenswerte entspricht, mit denen sie arbeitet.
Finanzkrisen wären weiterhin möglich
Die Vertreter der Ja-Kampagne versprechen quasi das Ende von Bankencrashs. Doch daran bestehen Zweifel. Eine Finanzkrise wie 2007 sei auch mit Vollgeld möglich, sagte der Professor für Nationalökonomie Peter Bernholz. „Auch in einem Vollgeldsystem können Risiken unter- und künftige Erträge überschätzt werden“, sagt der SNB-Präsident Thomas Jordan.
„Ein zentrales Problem in der Finanzkrise war zudem, dass sich Banken im großen Stil kurzfristig über den Geldmarkt finanziert hatten“, so Jordan. Diese Kredite zwischen Banken würde das Vollgeld-System ebenfalls nicht verhindern.
Unterstützung erhalten die Vertreter des „Ja“ von überraschender Seite: dem einflussreichen Kolumnisten der „Financial Times“ Martin Wolf. Er argumentiert, dass die Beweislast nicht bei jenen liege, die das Finanzsystem verändern wollen. Zwischen 1970 und 2011 habe es 147 nationale Bankenkrisen gegeben – mit enormen Kosten. „Das Finanzsystem muss verändert werden und dazu braucht es Experimente“, so Wolf.
Regulierung statt Vollgeld
Das Problem: Der Umbau des Finanzsystems auf das Vollgeld ist voller Unwägbarkeiten. Laut dem Onlinemagazin „Republik“ ist das auch der Grund, warum die überwältigende Mehrheit der Schweizer Politiker sich gegen das Vollgeld ausgesprochen hat. Und warum das Ja nur sehr geringe Chancen hat, sich durchzusetzen.
Dass die Schweizer Lobby das Vollgeld als gefährliches Experiment sieht, überrascht niemanden. Doch auch die französische Bankenkritikerin Jézabel Couppey-Soubeyran sagte „Médiapart“: „Die Bankenregulierung ist ein wirksameres Mittel als das Vollgeld“.
Damit meint die Ökonomin, dass die Regeln für Eigenkapitalquote und Liquidität ein geeignetes Mittel sind, die Aktivität der Banken in richtige Bahnen zu lenken. Allerdings bleibe die Frage, wie die Banken dazu gebracht werden, auch tatsächlich in die Realwirtschaft zu investieren und nicht in Finanzprodukte.
Eine fehlende Debatte
In Luxemburg fand die Vollgeld-Initiative bisher wenig Widerhall, bis auf die Ausnahme eines „Land“-Artikels. Das hat einen einfachen Grund, meint Jean-Sébastien Zippert, der sich als Koordinator von Etika für Alternativen im Finanzsystem interessiert. Aufgrund der Währungsunion müsste der gesamte Euroraum das Vollgeld einführen, Luxemburg könne das nicht allein entscheiden.
Doch eine solch europäische Debatte ist längst nicht in Sicht. Und letztlich haben die Schweizer es am Sonntag in der Hand, ob das Experiment Vollgeld Realität wird.