Ein anderer Wochenrückblick ist möglich: Pünktlich zum Wochenende blickt die REPORTER-Redaktion mit einem Augenzwinkern auf jene Themen zurück, die uns und die Medien insgesamt beschäftigt haben. Diese Woche: Ein sozial-mediales Comeback und ein überfälliges Jubiläum.

Was macht eigentlich … Xavier Bettel? Lange wurde der Chef der Regierung nicht mehr gesehen. Rein physisch, aber auch bei « RTL » und nicht zuletzt sozial-medial machte der Premier sich sehr rar. Weilte er etwa in der « Vakanz doheem »? Brauchte er nur etwas Auszeit vom Dauerkrisenmanagement?

Beim letzten Mal, als wir von ihm hörten, hatte Bettel noch die demokratisch gewählten Volksvertreter etwas eingeschüchtert (Retrospect berichtete). Wie wir heute wissen: Völlig, also wirklich absolut, ohne jeglichen, auch nur ansatzweisen Grund. Denn ebenjener Premier, der gestern noch mit einem neuen « Etat de crise » drohte, verabschiedete sich bald schon in eine selbstgewählte politische Quarantäne. Keine Maßnahmen beschließen und kommunizieren, das kann ja jeder. Dennoch dem Parlament drohen, trauen sich nur die wenigsten. Als Regierungschef dann komplett vom politischen Radar zu verschwinden, das ist wahrlich etwas für fortgeschrittene Krisenmanager.

Finde den Premier

Doch dann, quasi aus dem Nichts, kam die Wende. Nahezu zwei Wochen nach seinem Demokratie-Proseminar, Dutzende Covid-Tote und spannende Tage mit gutbesuchten Krankenhäusern später, meldet sich der vermisste Premier wieder zurück. Nicht per Pressebriefing, RTL-Primetime-Interview oder im lässigen DP-Podcast. Nein, wie es sich für einen Endvierziger gehört, machte Xavier Bettel sein Politik-Comeback auf Facebook.

In einem langen Beitrag teilte der Premier seinen Landsleuten wahrlich bahnbrechende Neuigkeiten mit: Die aktuelle Zeit ist nicht einfach. Die Pandemie begleitet uns jetzt schon seit März und man würde sie am liebsten hinter sich lassen. Um das zu schaffen, muss jeder Einzelne sich an die Regeln halten. Und so weiter.

Ganz nebenbei deutet der Regierungschef aber auch etwas Selbstkritik an. Die Regierung sei sich bewusst, dass die Pandemie-Regeln nicht immer gerecht scheinen und dass es auch, man lese und staune, « punktuell Unklarheiten » gebe. Wir sind an dieser Stelle etwas verwirrt. Kaum haben wir die Leitlinie der Regierung verinnerlicht, wonach wir nicht nur Test-Weltmeister, sondern im Vergleich mit dem Lockdown-Ausland auch sonst absolut awesome sind, machen die Regierenden plötzlich einen auf reumütigen Dialektiker. Aber gut, wie der Premier es selbst auf Facebook formulierte, gebe es eben auch bei der Regierungspolitik keine « 100 Prozent Kohärenz ».

Wie lautet denn nun die Strategie der Regierung? Eine argumentierte Antwort auf diese ketzerische Frage zu geben, das wäre ja zu einfach, denkt sich Xavier Bettel auf Facebook. Stattdessen bleibt der bekennende Floskel-Fan sich auch hier treu und bemüht eine seiner bedeutungsarmen Lieblingsmetaphern: « Déi Lutte géint de Virus ass kee Sprint, mee e Marathon. »

Dieses Mal zieht er die Metapher jedoch durch, bis zum bitteren Ende. « (…) an elo, wou mer nees an engem géie Bierg sinn, kann een entweder stoe bleiwe fir sech ze erblosen an da weider lafe bis un de Schluss oder ebe probéiere ganz lues weider ze lafen ouni musse komplett ze stoppen. Mir hunn eis derfir decidéiert lues weider ze lafen a mir wëllen et packen ouni musse stoen ze bleiwen. »

Herdenimmun an Weihnachten

In einem Punkt lässt das Facebook-Kommuniqué des Premiers aber durchaus aufhorchen. Die Pandemie sei erst überstanden, « wann eng grouss Majoritéit vun der Populatioun Anti-Corpsen huet », sprich, wenn wir alle gegen das Virus immun sind. In der Tat: Die gute alte Herdenimmunität, wie sie am Anfang der Pandemie von Virologen noch gepredigt wurde, hat im Laufe der Corona-Zeit etwas an Attraktivität eingebüßt. Und wir merken: Jetzt ergibt alles, ja selbst die neue Strategie der Regierung absolut Sinn.

Doch einfach darauf zu setzen, dass sich die ganze Bevölkerung einmal durchinfiziert, ist zum Glück doch nur ein Teil des liberalen Hoffnungsprinzips. Denn so ein bisschen Immunität ließe sich prinzipiell auch durch einen Impfstoff erreichen. Hier gebe es « erste Neuigkeiten », denn die Forschung mache große Fortschritte, schreibt Xavier Bettel auf Facebook. Man solle sich zur Sicherheit aber nicht zu früh freuen und weiter wachsam bleiben.

Wir halten es an dieser Stelle aber lieber mit dem Old School Bettel, also dem Premier, der vor rund einem Monat bei seiner « Rede zur Lage der Nation » höchst verantwortungsvoll anmerkte, dass « éischt Vaccin’en schonn am Dezember kéinten disponibel sinn ». Egal, was ein gewisser Xavier Bettel gestern auf Facebook schreibt – wir vertrauen lieber den Worten des Premierministers vor der souveränen Volksvertretung. Kein Lockdown, keine 100-Prozent-Kohärenz, dafür aber reichlich Impfstoff unter dem Weihnachtsbaum.

So geht Luxemburg also schon bald als allererstes durchs Marathon-Ziel und kann ab dann wieder gratis mit dem Bus weiterfahren. #Weltklasse – Die anderen Länder hängen dagegen noch immer an irgendeinem Berg und müssen immer wieder Luft holen… Pfff…

Das große Neun-Monate-Jubiläum

Ach was war das noch für eine schöne Zeit vor neun Monaten: Keine Masken, keine Ausgangsperre, kein Marathon-Laufen gegen ein Virus. Dafür ein Minister und Vizepremier, der die Wirtschaft und Gesundheit gleichzeitig diversifizierte, dann aber auf einmal, wenige Wochen vor einer globalen Pandemie « sein Leben zurück » wollte.

Man kann Etienne Schneider wohl vieles vorwerfen, aber nicht, dass er kein Händchen für politisches Timing hätte. So feierte der Ex-Klartext-Beauftragte der Regierung denn in dieser Woche auch sein Neun-Monate-Without-Politics-Jubiläum auf Instagram. Dabei wird klar: Macht, Verantwortung und politische Gestaltung lassen sich ohne Weiteres aufgeben. Nur der Chauffeur-Verzicht schmerzt dann doch enorm …

Der hellste Stern der Sozialisten

Nicht erst seit dem Aufstieg und (freiwilligen) Fall von Etienne Schneider ist die LSAP eine Partei der Widersprüche. Manche feiern nach neun Monaten das Ende ihrer politischen Karriere, andere können auch nach bald vier Jahrzehnten nicht so einfach loslassen. „Das ist für ihn wirklich wenig“, kommentiert Mariette Zenners das Ergebnis von Jean Asselborn im Politmonitor bei « RTL ». Dabei läuft es für die Partei insgesamt ziemlich gut. Alle profitieren von „Paulette nationale“, außer dem früheren Überflieger „Jang“. Oder wie Kollegin Caroline Mart es lyrisch ausdrückt: „Der hellste Stern in der Politik verblasst, wenn neue leuchten.“

Man merke: Etienne Schneiders größter Dienst an seiner Partei war es wohl, seine politische Karriere aufzugeben. Wo würde die LSAP heute wohl ohne die allseits beliebte und respektierte Gesundheitsministerin stehen? Ja, sie wurde schon „fast totgesagt“, so Caroline Mart. Nun sei sie „mehr als auferstanden.“ Mit anderen Worten: Luxemburgs ewige Regierungspartei hält sich gut im Beliebtheitsrennen. Bleibt in diesem Sinne nur zu hoffen, dass der Pandemie-Marathon dann doch noch bis zu den nächsten Wahlen anhält, dann klappt das ja vielleicht endlich mit dem Premierministerposten für die Sozialisten.

Doch auch andere haben verstanden, worum es in der Politik wirklich geht. Ganz genau: um Verteilungskämpfe. Also darum, wer in der Regierung am meisten Geld verteilen darf. Niemand kann das so gut oder auffällig wie Lex Delles. Damit auch niemand vergisst, wer einem die schönste « Vakanz Doheem » mit 50 Euro schmackhaft gemacht hat, hat der Tourismusminister alle Briefe an seine Mitbürger höchstpersönlich unterschrieben. Und siehe da, es zahlte sich aus! Satte acht Prozentpunkte mehr gab es für « Lexi », wie ihn der Premier im vergangenen Wahlkampf nannte. Manchmal ist Politik dann doch sehr einfach.


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