Ein anderer Wochenrückblick ist möglich: Pünktlich zum Wochenende blickt die REPORTER-Redaktion mit einem Augenzwinkern auf jene Themen zurück, die uns und die Medien insgesamt beschäftigt haben. Diese Woche: ein gestresster Außenminister und liberal-selektive Wahrnehmung.

« Madamm » Maischberger ist out, Interviews in « Deutschlandfunk » und « Spiegel » werden auf Dauer auch irgendwie langweilig. Jean Asselborn hat jetzt eine neue Lieblingsjournalistin. Dem Provinzmuff deutscher Talkshows entkommen, lässt er sich nun von der intellektuellen Ikone des US-Journalismus Anne Applebaum interviewen. Da erklärt der « amusing polyglot » der amerikanischen « Modi » mal was Sache ist. Nachzulesen in « The Atlantic ».

Donald Trump sei ein « Krimineller », ein « Brandstifter » (das englische Wort fällt ihm nicht auf Anhieb ein), der Mob im Kapitol sei ein « 9/11 » für die Demokratie, diktiert Asselborn ihr ins Aufnahmegerät. Alles Dinge, die er « RTL » bereits gesagt hatte und die ganz Luxemburg mit Schulterzucken aufnahm. Jang being Jang eben.

« Edited for clarity »

Dann hatte der US-Außenminister jedoch keine Lust auf seinen Besuch in Brüssel und Luxemburg und nahm Asselborns Tirade als willkommene Ausrede an, um zu canceln. Damit wurde das Ganze dann doch größer als gedacht. Dass seine kantigen Aussagen auch jenseits des großen Teichs jemanden interessieren, konnte unser Außenminister nun wirklich nicht ahnen.

Das Leben und Wirken als Weltfriedensretter ist aber auch anstrengend. Selbst das latente Beherrschen von vier Sprachen, worauf jeder Durchschnittsluxemburger bekanntlich stolz ist, scheint für « The Jang » ein ständiger Kraftakt, wie er der Pulitzer-Preisträgerin anvertraute: « I have to speak Luxembourgish in the morning, read the papers in German, talk to diplomats in French and now to you in English. It’s a lot. »

Das mit dem English speaken war dann aber doch rather easy. Vor allem weil die Journalistin den Jang-Sprech für den Durchschnittsamerikaner in ungewöhnlich klare, leserliche Prosa übersetzte: « The following transcript has been condensed and edited for clarity. »

Kondensierte Interviews: Das wäre doch auch eine Idee für die einheimische Presse. Denn so ein bisschen « clarity » könnte auch Jean Asselborns Krisenmanager-Kollegen nicht schaden. Dann schaffen es Paulette und Xavier vielleicht auch mal in die große, weite Medienwelt.

Meischs Relativitätstheorie

So und jetzt: Hefte und Stifte raus! Es gibt eine « Blitz ». Vergleichen Sie folgende Aussagen: 1. « In der Regel steckt man sich nicht in der Schule an » (Claude Meisch). 2. « Ëm déi 20% vun de positive Fäll sinn Schüler an Enseignanten an dat ka ganz gutt och an der Schoul geschitt sinn » (Claude Meisch).

Wer jetzt schreibt, dass der Bildungsminister sich widerspricht, bekommt null Punkte. Denn die Prämisse stimmt schon nicht. Der Minister kann sich nicht irren. Vielmehr sind es zwei Paralleluniversen, zwischen denen der Liberale einfach hin und her wechseln kann. Richtig und falsch, Wahrheit und Lüge sind in diesen Sphären laut der Meisch’schen Relativitätstheorie völlig überflüssige Kategorien.

Auch die Idee, dass die Regierung die Lage in den Schulen lange unterschätzt hat, ist komplett abwegig. Denn bereits knapp ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie werden die Schulen jetzt mit (etwas) Schutzmaterial und Sensoren ausgestattet. Puh, bei dem Tempo wird einem schwindelig!

Corinne im Break

Aber DP-Politiker sind bekanntlich gut im Fach selektiver Wahrnehmung. Die beste und mitfühlendste Bürgermeisterin, die Luxemburg-Stadt seit 1980 hatte, findet etwa: Drogenabhängige haben nichts mit ihrer geliebten Festung und « dem ganzen Land » zu tun. Also wohlgemerkt jene, die in der « Fixerstuff » ausharren müssen, meinte Lydie Polfer. Nicht die edlen Koks-Käufer in den Luxusschlitten, die sind ok. Wenn Sie sich jetzt fragen, ob Sie dazu gehören oder nicht: Im Zweifel entscheidet die « Iron Lady » der Hauptstadt.

Corinne Cahen blendet dagegen fast ihr gesamtes Ressort aus ihrer gefühlten Zuständigkeit aus. Alte Menschen sterben in großer Zahl in Heimen? Da ist die Familienministerin nicht verantwortlich: Das sind ja keine Familien. Eine diplomatisch gereizte Stimmung in der Großregion? Corinne Cahen ist nur eine fidele Beamtin im Dienste aller (also fast aller), sagte sie dem « Land ».

Wir finden auch: Nur weil sie Ministerin für die Großregion ist, heißt das noch lange nicht, dass sie für die Großregion zuständig ist. Soll doch der Jang sich mit grantigen Ministerpräsidenten herumschlagen. Corinne Cahen muss einen Premier und eine ganze Partei bei Laune halten, das reicht völlig. Und dazu gilt, was Xavier sagt: Jede und jeder hat das Recht auf einen Break (Retrospect berichtete).

Schleck Protection Plan

Und zum Schluss noch einen Rat fürs Leben: Sie sind ein Unternehmer « alter Schule », der zwischen seiner privaten und dem Dutzend Kreditkarten seiner Firmen nicht unterscheiden kann? Der sich gerne an schönen Dingen erfreut – in Knokke, Paris und anderswo? Dann gründen Sie doch ein Radrennteam, stellen zwei Mondorfer Jungs ein und besuchen den Premier. Und schwupps, werden peinliche Hausdurchsuchungen verschoben – bis nach der Tour de France. Sonst wäre ja selbst der joviale Jang traurig.

Leider hat dieser « Schleck Protection Plan » nur eine zeitlich begrenzte Wirkung. Am Ende müssen Sie sich dann doch mit Journalisten und Richtern plagen. Schrecklich. Die sind dann dennoch mächtig beeindruckt von Ihrem Argument « Uhren als Investment ». Bis zu 300 Prozent Wertsteigerung seien drin. Da werden selbst die blassen Bitcoin-Nerds neidisch. Und man muss sagen: Eine Rolex ist hübscher als ein Bitcoin. Und man kann sie fast ohne Spuren verschenken – also die Uhren. Praktisch.


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