Ein anderer Wochenrückblick ist möglich: Pünktlich zum Wochenende blickt die REPORTER-Redaktion mit einem Augenzwinkern auf jene Themen zurück, die uns und die Medien insgesamt beschäftigt haben. Diese Woche: Das Einmaleins der Politik und Solidarität auf Luxemburgisch.

Wir wussten es ja schon immer: Politik ist ein Kinderspiel. Noch besser: Selbst wenn man verloren hat, kann man unter Umständen immer noch mitspielen. Letzteres gilt zumindest für den Mann mit dem besten « Plang fir Lëtzebuerg » seit es CSV-Wahlprogramme gibt. Nein, wir meinen nicht den erfolgreichsten Parteichef aller Zeiten Frank Engel und auch nicht den mehrfach ausgezeichneten Kommunikationsprofi Marc Glesener, sondern « the man » schlechthin, Claude Wiseler.

« Claude Wiseler: Back in the game » titelte nämlich das Magazin, dem nicht nur die Expat-Community vertraut (« Delano »). Auf dem Cover prangt ein halbschattiger CSV-Parteipräsident, der etwas mystisch in die Kamera schaut und zu sagen scheint: Hier stehe ich und kann nicht anders. Ein Mann, dem alles zuzutrauen ist, selbst die Mission, eine hoffnungslos überforderte Oppositionspartei in das nächste Wahldesaster zu führen.

Im Inneren des Magazins kommt dann aber schnell die Auflösung: Wiseler bleibt sich treu, immer nett, höflich und politisch korrekt. Er kritisiert zwar die Regierung, will aber eigentlich nur spielen. Dabei hat die smarte Allzweckwaffe der CSV auch eine glasklare Diagnose parat, warum das mit seinem Wahlkampf 2018 leider in die Hose ging. Der « Plang fir Lëtzebuerg » war einfach zu viel des Guten, also « too complex », wie er « Delano » explizierte.

Seine Partei müsse sich auf eine klare Botschaft konzentrieren, am besten eine « message in four or five points », die die Bürger auch verstehen können, fordert der neue Chef. Auch das « Luxemburger Wort » teilt übrigens die schonungslose christlich-soziale Selbstkritik: Das Wahlprogramm 2018 war einfach « zu umfangreich, zu detailliert und daher nicht griffig genug, um die Wähler zu überzeugen », heißt es in der Analyse der einstigen « presse amie ».

Wir finden diese Analyse an sich auch schon etwas zu komplex und übersetzen an dieser Stelle gerne: Das Wahlvolk war einfach zu dumm, um das ausgeklügelt-geniale Programm der CSV zu verstehen. Oder wie es erfahrene Politik-Spieler formulieren würden: Wir haben nichts falsch gemacht, außer vielleicht, den Leuten unsere Politik besser zu erklären…

Knéckjangen unter sich

Man lernt aber eben nie aus: So wie sich Claude Wiseler bei Wählern anbiedert, die schwer von Begriff sind, erklärte uns Xavier Bettel diese Woche, was Solidarität bedeutet. Solidarisch ist man, wenn man zuerst an sich denkt. Ist ja auch logisch, dann gibt es insgesamt weniger Menschen, denen geholfen werden muss. Zweite Bedingung: Hilfe muss einem selbst auch etwas bringen. Zur Aufklärung: Es geht um die Aufteilung von Impfstoffen.

Klar, Entwicklungsländer brauchen welche, um ihre Bürger zu schützen und das Aufkommen von Mutationen zu verhindern. Das schützt uns auch – ein klassisches Win-Win wie der Neoliberale zu sagen pflegt. Und Luxemburg ist natürlich solidarisch – also im Bettel’schen Sinn: « Mir hu Sue ginn, ech si ganz éierlech, mir hunn nach keng Impfstoffer ginn », sagte er « Radio 100,7 ». Die brauchen wir schließlich selbst. Aber man soll das bitte so nicht sagen: « Et soll een ophalen ze soen, d’EU wiere Knéckjang, déi näischt deele wëllen, an alles fir sech halen ».

Der Premier kennt eben die Klassiker der PR-Theorie: Tue Schlechtes und rede lieber nicht darüber, lautet das neue Motto. Und wie jeder Heeschert aus der Groussgaass aus persönlicher Erfahrung weiß, sorgt sich der Premier immer um die Armen der Gesellschaft und schenkt ihnen bei Bedarf ein Trampolin. Denn Bettel weiß schon lange, dass man nur so die Armut im Land bekämpfen kann, wie er einst vor dem liberalen Prekariat aka DP-Kongress dozierte: « Ech wëll net de Premierminister si vun engem Land, wou mer de Leit eng Matt ginn a hinne soen: hei leet iech drop a pennt. Ech wëll de Premierminister si vun engem Land, wou mer de Leit soen: hei ass en Trampolin, an elo spréngs de nees, an elo spréngs de méi héich! »

Hangry Mars

Aber auch Mars di Bartolomeo, der beste Covid-Berichterstatter, den dieses Land je gesehen hat, lehrte uns eine weitere Facette von Solidarität. In der Pandemie müssen wir zusammenhalten, sagte er diese Woche « RTL ». Für ihn bedeutet das vor allem: Man darf alles, nur nicht Politiker kritisieren. Die EU setze eine tolle Idee mit dem Impfpass um, der kein Impfpass ist. Mars nennt das den 3G-Nachweis: geimpft – genesen – getestet. Weil der Journalist aber partout nicht die Genialität von Mars’ geklauter Erklärung anerkennen wollte, artete das Interview in ein anderes 3G aus: « Gegranzt, gemeckert a gemotzt ».

Aber man muss « hangry Mars » verstehen. Ohne Crémant am Morgen ist schließlich jeder eine Diva, wie uns diese überaus geglückte Werbung lehrt. Und schließlich fuhr Mars, wie seine exklusiven Facebook-Freunde wissen, den Giro d’Italia mit – auf den Spuren von Charly Gaul. Also ganz virtuell und mit suboptimaler Kameraeinstellung, die wir Ihnen an dieser Stelle lieber ersparen.

Business is business

Mars ist aber nicht der einzige Fahrrad-Freak und Patex-Sozialist, der diese Woche mal so richtig austeilte. Die Entführung einer Ryanair-Maschine durch den letzten Diktator Europas verhalf Jean Asselborn zu seinem neuesten, von ihm so geliebten Auftritt in deutschen Fernsehnachrichten. Da kann er Klartext reden und – das ist der Clou an dieser Übung – anders als alle anderen Außenminister der Welt bleibt sein Klartext ohne jegliche politische Konsequenzen.

„Das sind Banditenstreiche, die dort verübt werden“, sagte Jang im besten Asselborn-Deutsch. „Da müssen wir wirtschaftliche Interessen hintendran setzen.“ Prinzipien kosten eben Opfer. Damit war der Außenminister nahezu, also wirklich fast auf der Linie seines Chefs. Der Premier betonte Anfang der Woche nämlich noch, dass eine Sanktionsspirale mit Russland vermieden werden müsste. Oligarchen sind natürlich weiterhin in Luxemburg willkommen. Und ihr Geld, versteht sich. Solidarität ist, wenn man trotzdem Business macht.

Jang being Jang

Aber Lukaschenko war nicht der einzige, der sein Fett abkriegt. Ilham Aliyev, der Präsident von Aserbaidschan, lästerte vor einigen Wochen gegen Luxemburg ab – wegen Asselborns Kritik am Krieg um Bergkarabach. « Nur unser Außenminister hat auf diese Worte reagiert, denn wir haben große Angst vor diesem Land. Ich rate Ihnen auch, Angst vor diesem Land zu haben, das uns brutal angegriffen hat. Ich habe allen Beamten des Landes gesagt, dass sie nicht reagieren sollen, weil sie sonst kommen und uns besetzen werden », sagte Aliyev.

Und Asselborn so: « Le Gouvernement ne voit pas la nécessité de commenter. » Wir sind uns an dieser Stelle des Ernstes der Lage bewusst. Damit Jean Asselborn etwas unkommentiert im Raum stehen lässt, muss es nämlich schon sehr weit kommen.

Im Übrigen sind natürlich auch Vermögen aus Aserbaidschan in Luxemburg jederzeit willkommen. Denn wie der Langzeit-Chefdiplomat seit jeher weiß, auch wenn er diese Weisheit den treuen Deutschlandfunk-Zuhörern regelmäßig vorenthält: Die hohe Kunst Luxemburger Außenpolitik besteht darin, Journalisten per Whatsapp zu bezirzen, die halbe Welt zu belehren und stets den Anschein einer radikal humanitären Friedenspolitik zu erwecken, ohne aber das scheue Reh des internationalen Kapitals zu verschrecken.

Ob Russland, Aserbaidschan oder sonst eine lupenreine Demokratie: Alles läuft eben auf die Asselborn’sche Doktrin hinaus: « Als kleines Land haben wir keinen Platz für so viele Häuser, deshalb haben wir so viele Briefkästen. » Oder wie es Chef-Sozialist Dan Kersch gerne etwas gehobelter formuliert: « Wir sind die Partei, ohne die unser Land viel ärmer wäre. »


Mehr Retrospect