Stéphanie Empain wurde vergangenen Sommer Spitzenkandidatin der Grünen im Norden. Im Oktober wurde sie prompt ins Parlament gewählt. Seitdem hat das Leben der zweifachen Mutter sich grundlegend verändert. Eine Porträtreportage.
Stéphanie Empain schmiert Honig aufs Pausenbrot. Um 7 Uhr 27 fährt der Schulbus ihres Sohnes los. Ihr Mann ist auf Geschäftsreise, sie mit den Kindern alleine. Den Kopf hebt sie nur kurz, schaut auf die Uhr: 7 Uhr 14. Und macht weiter.
Als Sohn Felix vor fünf Jahren auf die Welt kam, hat sie zu Hause ihren kleinen Stoffwindel-Vertrieb gestartet und Eltern Beratungstermine angeboten. Überhose, Einlagen aus Stoff (die gewaschen werden), Vlieseinlagen (die weggeworfen werden) – Stéphanie Empain verkauft, was Eltern brauchen, wenn sie auf Plastikwindeln verzichten wollen. Sie wollte etwas machen, das ihr wichtig ist und für die Familie da sein. Heute liegen die bunten Windeln immer noch zu Hause im Regal. Das Business hat sie zurückgefahren. Der Politik wegen.
Im Oktober wurde Stéphanie Empain ins Parlament gewählt. Sie war Kandidatin im Norden, als sie im vergangenen Sommer plötzlich Spitzenkandidatin wurde. Kollegin Françoise Folmer schmiss hin, der Platz ging an sie.
Alles, außer Zufälle
Die 35-Jährige schnibbelt Gurkenstücke und einen Apfel klein und legt alles zum Brot in Felix‘ Pausenbox. Sie macht sich einen Coffee-to-Go, zieht Schuhe an, hebt Tochter Julie aus dem Kindersitz, stellt sie im Hausflur bereit, gibt Hund Wenzel Futter und Wasser, schnappt sich Jacken und Kinder. Im Auto werden alle angeschnallt. Kann losgehen. 7 Uhr 22.
Schon in ihrer Studienzeit wurde Stéphanie Empain Mitglied der jungen Grünen, hat in der Fraktion ein Praktikum absolviert und war seitdem politisch aktiv. Den verstorbenen Grünen-Politiker Camille Gira kannte sie – er kam aus Beckerich, sie aus Niederpallen. Man sah sich auf Festen, bei Veranstaltungen.
Andere arbeiten schließlich auch. »
Sie sagt, dass ein Leben manchmal eine Aneinanderreihung von Zufällen ist. Viele Zufälle waren es aber nicht. Im Jahr 2017 versuchte sie für die Kommunalwahlen zum ersten Mal eine Grünen-Liste in der tiefroten Gemeinde Wiltz auf die Beine zu stellen. Geklappt hat es nicht. Es fehlten genügend Kandidaten, um eine Liste zusammen zu bekommen.
François Bausch fragte sie schließlich, ob sie sich nicht für die Nationalwahlen aufstellen will. Sie wollte. „Nach den Wahlen ist vor den Wahlen“, sagt sie heute.

Nicht vor zehn zu Hause, nicht vor 12 im Bett
Ihr Mann hat sie dazu bewegt, es zu versuchen. So begeistert waren nicht alle. Mit ihrer Mutter redet sie wenig über Politik. Lieber über die Kinder oder den Garten. Ihr sei Politik suspekt, befremdlich.
Parlamentssitzungen, Fraktionsgespräche, Veranstaltungen, Vor- und Nachbearbeitung der Dossiers. Vor 22, vielleicht 23 Uhr ist sie selten zu Hause. Vor 12, vielleicht 1 Uhr selten im Bett.
Die Kommissionssitzungen gehen pünktlich um 9 Uhr los. Stéphanie Empain braucht von Erpeldingen bei Wiltz bis in die Stadt etwa anderthalb Stunden. Wenn sie um 7 Uhr 20 (oder 7 Uhr 22) losfährt, schafft sie das normalerweise.
Heute fährt sie von einem Stau in den nächsten. Im Radio läuft plötzlich „Side“ von Travis – ihr Lieblingssong. Sie dreht auf, singt mit, schaut wieder auf die Uhr, die auf dem Armaturenbrett ihres Nissan Leaf leuchtet. 8 Uhr 57 – noch drei Minuten bis Sitzungsbeginn.
Heute auf dem Programm: Waffengesetz in der Justizkommission und Reform des Lehrerexamens in der Kommission für öffentliche Behörden.
#wominpolitics #longwaytogo
Stéphanie Empain ist erst in Höhe Kirchberg. „Man, was ist denn heute los? Warum fahren die denn nicht?“ Vor ihr ein dunkler BMW. Offenes Fenster, eine Kippe fliegt raus. „Hey, du Ferkel!“
Die Verspätung nervt sie. „Sie hat das Mandat angenommen, dann soll sie gefälligst auch da sein“ – hat sie schon gehört. Von wem, sagt sie nicht. Es sei aber eben nicht immer so einfach mit zwei kleinen Kindern. Viel Planung, viel Hektik, manchmal Verspätungen. Alltag eben.
Deshalb sei aber auch wichtig, dass junge Familien und junge Frauen mit Kindern im Parlament repräsentiert werden. Alles andere entspreche nicht der Realität, sagt sie.
„Viele haben eben keine Kleinkinder, um die sie sich kümmern müssen. Die wissen nicht, wie das ist, wenn morgens früh schon viel los ist. Sie müssen nur Zähne putzen und Haare kämmen.“

« Viele » im Parlament sind tatsächlich männlich und älter. 16 Abgeordnete sind über 60, aber nur sieben unter 40 Jahren. Der Großteil ist schon länger in der Politik. Aber auch sie haben vielleicht Kinder, Enkelkinder, Familie.
Unter 60 Parlamentariern sind 15 Frauen. Das sind mehr als früher. Für Empain sind es zu wenige. Sie postet auf Instagram ein Foto der Verteidigungskommission auf Visite bei der Luxemburger Armee. Darauf zu sehen: Acht Männer und sie. Darunter die Hashtags: #womeninpolitics und #longwaytogo.
Von Politik zu Paw Patrol
Das Thema junge Frauen in der Politik – wie vereinbar Familie und politisches Engagement sind, wurde viel im Parlament und in den Medien diskutiert. „Andere arbeiten auch“, sagt Stéphanie Empain.
Wie sie das schafft? Alte Klischee-Fragen will sie gar nicht erst hören. Eine Antwort gibt sie nicht. Und sagt, dass auch männliche Kollegen in einer ähnlichen Situation seien. Vor kurzem Vater geworden, beide Elternteile arbeiten, beide müssen sich organisieren.
12 Uhr, Mittagspause. Kurzes Essen in der Fraktion, dann zu C&A. Ein Freund von Sohn Felix feiert Geburtstag und wünscht etwas von Paw Patrol. Sie läuft in die Kinderabteilung, geht Kleiderstangen und Auslagen durch. Batman, Nemo, aber kein Paw Patrol. Sie fragt eine Verkäuferin, die zieht ein T-Shirt mit passenden Shorts raus. Das Shirt: Gelb mit zwei Hunden in Uniform und Pfoten-Abdruck. Die Shorts: Schwarz mit Pfoten und Knochen. Stephanie Empain hält beides vor sich. Findet es gut. Gekauft.
Weiter ins Kulturministerium. Sie braucht ein Kleid zum Nationalfeiertag. Extra eins kaufen will sie nicht. Kulturministerin Sam Tanson leiht ihr etwas und hat eine Auswahl im Ministerium bereitgehängt. Stéphanie Empain probiert drei Kleider im Bad neben Tansons Büro an. Das erste: Dunkelblau, leichter Stoff, schöner Schwung. Hat aber Flecken. Das zweite: oben weiß, unten schwarz. Zu groß, zu weit, zu unförmig. Das dritte: Schwarz, schlicht, vorne mit Schleife. Passt.
Noch ein Zwischenstopp in der Fraktion. Sie zeigt der Sekretärin ein Foto des Kleides, checkt ein paar Emails, isst ein Stück Kuchen.
Ohne Nanny geht es nicht
Unter der Woche sieht Stéphanie Empain ihre Kinder meist nur morgens. Und freitags. Da macht sie Home Office – und versucht nicht für Termine in die Stadt zu fahren. Zweimal die Woche bekommen sie und ihr Mann Hilfe vom Kindermädchen. Dienstags und donnerstags holt sie die Kinder aus der Schule und der Kita ab.
Viele von Stéphanie Empains Terminen dauern länger als erwartet, fangen später an als geplant oder kommen spontan dazu. Die Kinder sollen aber nicht zu lange warten müssen. Da bekomme sie ein schlechtes Gewissen, sagt sie. Die Nanny hilft, wenn sie nicht können.

Heute soll es ohne Hilfe gehen. Erst aber noch ein Treffen mit Minister Claude Turmes. Der Termin ist für 14 Uhr 30 angesetzt. Stéphanie Empain sitzt vor seinem Büro, wartet, schaut immer wieder aufs Handy. Um 14 Uhr 52 kommt er endlich.
Weniger Verkehr auf dem Nachhause-Weg. Stéphanie Empain spricht über ihr neues E-Auto. Ein zweiter Wagen musste her – wegen der vielen Termine. Aber ein Elektroauto sollte es sein. „Wer kritisiert, dass für E-Autos Kobalt genutzt wird, der muss sich fragen, aus welchen Materialien sein Smartphone hergestellt wird“, sagt sie. Darüber, wo Diesel und Benzin herkommen, würde seltsamerweise kaum diskutiert.
Sie weiß, dass sie es als Grüne nicht jedem recht macht. „Diejenigen, die die Grünen für zu streng halten, werden wohl nie grün wählen.“
« Best wife ever »
Zu Hause fliegen ihre Ballerinas aus der Küche in den Gang. Erst Abendessen, dann bindet sie sich Tochter Julie im Tragetuch auf den Rücken, räumt den Tisch ab, geht in den Garten, gießt die Tomaten.
Natürlich wäre es einfacher, wenn sie nur nach sich schauen müsste, sagt sie. Weniger anstrengend.
Anstrengend wird es, wenn Julie weint, weil sie ihr Bio-Müsli nicht aufessen will. Wenn Felix im Wohnzimmer darauf wartet, dass sie aus dem Garten kommt und den Fernseher einschaltet. Wenn ihr Mann vor seinem Flug versucht, sie anzurufen und sie den Anruf verpasst – obwohl sie das so abgemacht hatten. Dann holt sie tief Luft, seufzt, verdreht die Augen. „Best wife ever“, sagt sie.
Dann schaltet sie den Fernseher ein, schreibt dem Mann eine Nachricht, macht eine Wäsche, stellt den Glascontainer vor die Haustür, verfrachtet Julie aus dem Tragetuch ins Bett und liest ihr ein Buch vor. Ein bisschen Zeit ist eben doch immer. Bis zur nächsten Sitzung am Morgen.