Bildungsminister Claude Meisch wollte die digitalen Kompetenzen der Schüler fördern. Doch er versäumte es, den Zusammenhang zwischen Digitalisierung und politischer Bildung herzustellen. Es fehlt ein kohärentes Gesamtkonzept für die Medienerziehung in den Schulen.

In Zeiten von Desinformation und „Fake News“ sind die Übergänge zwischen Online-Konsum und Politik fließend. Auch hierzulande werden politische Debatten und Querelen vermehrt in den sozialen Medien ausgefochten. Im Wahlkampf konzentrieren sich alle politischen Parteien ganz besonders auf Online- und Social-Media-Inhalte. Die Wähler wühlen sich geradezu durch einen digitalen Informationsdschungel. Immer wieder wird dabei der Hashtag #FakeNews verwendet – auch von Politikern. Er soll suggerieren, dass Inhalte nicht der Wahrheit entsprechen und im schlimmsten Fall dazu dienen, die Bürger zu manipulieren.

Inwiefern die Wähler mit Hilfe von sozialen Medien instrumentalisiert werden können, zeigt nicht zuletzt das Beispiel der US-Präsidentschaftswahlen 2016. Russische Hacker hatten sich in die Wahlen eingemischt und über die sozialen Medien Falschnachrichten verbreitet, wie die US-Geheimdienste mittlerweile einhellig bestätigen. Infolgedessen forderte auch die Europäische Kommission die EU-Staaten im Rahmen ihrer Desinformations-Strategie dazu auf, die Bürger vermehrt für Falschnachrichten und Online-Manipulation zu sensibilisieren.

Vor diesem Hintergrund drängt sich auch die Frage nach der Medienkompetenz in den Schulen auf. Sind die Wähler von Morgen darauf vorbereitet, dass Politik mehr und mehr auf Online-Plattformen stattfindet? Wo lernen sie zwischen irreführenden, manipulierenden und wahrheitsgetreuen Inhalten zu unterscheiden?

Parteien pochen auf Medienerziehung in den Schulen

Dass es dafür großen Bedarf gibt, zeigt nicht zuletzt die Petition 1118, die am 8. Oktober bei der Abgeordnetenkammer eingereicht wurde. Sie fordert eine bessere Medienerziehung zur Sensibilisierung und zum Umgang mit « Fake News ». Dass diese Erziehung vor allem in den Schulen stattfinden muss, darüber sind sich auch die meisten Parteien einig. Quer durch die Wahlprogramme finden sich entsprechende Forderungen.

Wir sind uns der Lücke bewusst. Wir haben es nicht und wir wissen, dass es gemacht werden muss. »Michèle Schilt, Zentrum fir politesch Bildung

Déi Gréng etwa betonen, „im Zeitalter von ‘fake news’ und ‘hate speech’ muss der Umgang mit diesen Medien erlernt und kritisch hinterfragt werden. » Die DP wünscht sich, dass Schüler « einen kritischen Blick behalten » und Quellen bewusst hinterfragen. Die CSV plädiert für ein « verantwortungsvolles Handeln in der digitalen Welt. » Die ADR geht sogar soweit, eine staatliche Instanz zu fordern, die entscheiden soll was « Fake News » ist und was nicht – gewollt oder nicht werden dabei Erinnerungen an das « Wahrheitsministerium » in George Orwells Dystopie « 1984 » wach.

Konkrete Vorschläge und klare Strategien sucht man aber vergebens. Lediglich die LSAP hat sich schon länger mit dem Thema auseinandergesetzt. Sie hat bereits im Februar ein Positionspapier vorgelegt in dem sie ein pädagogisches Gesamtkonzept zum Umgang mit Onlinemedien ausführt. Bei diesem « enseignement de la pratique citoyenne des médias » ist ein fundiertes Journalismusverständnis der Schlüssel zur besseren Einschätzung von Online-Inhalten.

Bisher nur vereinzelte Angebote

Doch erlernen die Schüler im Zuge von Claude Meischs Strategie der digitalen Bildung, die der DP-Minister im Mai 2015 vorgestellt hat, nicht schon jetzt die geforderten Kompetenzen?

Der Bildungsminister hat es sich über die letzten Jahre zur Aufgabe gemacht, die digitalen Fähigkeiten der Schüler zu stärken. Ein Tablet für alle, Programmieren lernen ab der Troisième, Office 365 fürs Bildungspersonal oder die Online-Mathematikplattform MathemaTIC … das sind nur einige der vielen Projekte, die Meisch in den letzten fünf Jahren angestoßen hat. Doch ein Ipad macht noch lange keinen aufgeklärten Schüler.

Gleichzeitig wollte der liberale Minister auch die politischen Kompetenzen der Schüler stärken. Der Umgang mit politischen Fragen und Inhalten wird zum Beispiel im neu geschaffenen Fach „Vie et société“ gelehrt. Auch in der « Education à la citoyenneté » im Sekundarunterricht wird das Thema kurz angeschnitten. Ferner hat die Regierungskoalition die Stiftung „Zentrum fir politesch Bildung » (ZpB) ins Leben gerufen.

„Wir sind uns der Lücke bewusst“

Was jedoch ins Auge fällt: Die beiden Sphären der medialen und politischen Erziehung existieren eher nebeneinander, als dass es entscheidende Überlappungen gibt. Das bedauert auch die stellvertretende Direktorin des Zentrum fir politesch Bildung Michèle Schilt.

Medienerziehung sei kein Schwerpunkt des Zentrums, dessen Auftrag es laut Grundsatzerklärung ist, „auf gesellschaftliche und politische Entwicklungen und Trends einzugehen.“ „Wir sind uns der Lücke bewusst. Wir haben es nicht und wir wissen, dass es gemacht werden muss“, wiederholt Michèle Schilt gleich mehrmals Gespräch mit REPORTER.

Das Erlernen von Medienkompetenzen sei ein wichtiger Teil der politischen Erziehung, betont Schilt. „Deswegen müssen wir uns für 2019 etwas Gutes überlegen.“ Zur Zeit begnügt sich das Zentrum damit auf externe Angebote zu verweisen. Darunter auch die der Initiative der Luxemburger Familien-, Wirtschafts- und Bildungsministerien BEE SECURE.

Politische Bildung ist kein Schwerpunkt von BEE SECURE

Tatsächlich hat BEE SECURE zum Ziel die sicherere Nutzung des Internets und der neuen Kommunikationstechnologien insbesondere durch junge Menschen zu garantieren und zu fördern.

Neben den allgemeinen Sensibilisierungs-Schulungen, die für alle 7. Klassen obligatorisch ist, bietet BEE SECURE Lehrern, Eltern und sonstigen Organisatoren auf Anfrage Schulungen zu bestimmten Themenschwerpunkten an.

Es ist sicher kein Problem, Lehrer zu finden die sagen, das machen wir nicht mehr mit. »Claude Meisch

Das Konzept der Fortbildungen würde jedes Jahr angepasst werden, erklärt Debora Plein von BEE SECURE. Generell sollen die jungen Leute für einen verantwortungsvollen und positiven Umgang mit dem Internet sensibilisiert werden. Sie sollen verstehen was das Internet eigentlich ist, wie es funktioniert, welche Sicherheitsvorkehrungen wichtig sind und was es zum Beispiel mit « Hate Speech » auf sich hat. Darüber hinaus sollen die Schüler lernen mit digitalen Inhalten kritisch umzugehen. „Auch Pornografie, Gewalt, Darknet oder die Selbstdarstellung auf Youtube und co. können dabei thematisiert werden“, ergänzt Debora Plein. Sie betont, die jungen Leute könnten ihre Erfahrungen, Vorwissen und Fragen aktiv in die Schulung einbringen.

Debora Plein sagt aber auch klar, die politische Bildungsarbeit sei kein Schwerpunkt von BEE SECURE – und verweist wiederum auf das Zentrum fir politesch Bildung.

Genug Kenntnisse bei den Lehrern?

Dass die Trennungslinien so deutlich verlaufen erklärt Bildungsminister Claude Meisch damit, dass es eine „gut gelebte Komplementarität“ zwischen den verschiedenen Akteuren gebe. Zu « den Akteuren » gehören neben dem ZpB und BEE SECURE zum Beispiel auch das nationale Fortbildungsinstitut für Lehrer IFEN und das Pädagogik-Rechercheinstitut SCRIPT.

Das IFEN bietet Weiterbildungen für das hiesige Lehrpersonal an – auch im Bereich Digitalisierung. Die sogenannten TICE-Fortbildungen sollen den Lehrern helfen, besser mit den neuen Technologien umzugehen und die Tablets zu bedienen, die jeder Schüler im Rahmen von Meischs Strategie haben soll. Ferner können sie lernen, wie sie Medienkompetenzen am besten an ihre Schüler vermitteln.

Im letzten Schuljahr wurden 385 solcher TICE Schulungen angeboten. Für manche davon arbeiten verschiedene Akteure zusammen. So bietet das IFEN dieses Jahr etwa in Zusammenarbeit mit BEE SECURE eine Schulung zur Desinformation an – diese hat aber bis jetzt nur elf Einschreibungen.

Besonders beliebt sind hingegen die Fortbildungen, die den Lehrern helfen, die neuen Office-365-Programme zu benutzen. Über 150 Fortbildungen wurden alleine 2017/18 eigens hierzu angeboten. Dies wirft die Frage auf, wie es denn eigentlich um die Medienkompetenz der Lehrer steht. Haben sie überhaupt das nötige Wissen, um ihre Schüler aufzuklären?

Et muss ee vläicht di Jonk guidéieren.“Claude Meisch

Das variiert, antwortet Claude Meisch, aber sie würden ja bei der Rekrutierung auch nicht danach gefragt werden. „Es ist sicher kein Problem, Lehrer zu finden, die sagen ‚das machen wir nicht mehr mit’“, so Meisch. Doch der Bildungsminister relativiert. Die größte Nachfrage für Fortbildungen läge schließlich im Bereich Digitalisierung.

Aufsätze sollen kritisches Denken fördern

Meisch spricht sich ganz klar gegen ein eigenes Fach für Medienerziehung aus. Er verweist auf die vielen einzelnen Initiativen, die es bereits gibt.

Doch wie sieht es mit dem Zusammenhang zwischen Medien und Politik aus? Meisch, der gerne mal selbst den Hashtag #FakeNews twittert, weicht aus. « Den kritischen Umgang mit Quellen lernen die Schüler bereits in den Sprachen, wenn sie Bücher analysieren und kritische Aufsätze schreiben. »

Themen wie Online-Desinformation oder der Wandel der politischen Kommunikation sieht Meisch eher als gesellschaftsübergreifende Probleme. « Die Frage wie wir damit umgehen, müssen wir uns als Gesellschaft stellen. » Doch, auf die Frage, ob ein Schüler denn Online-Inhalte kritisch einschätzen kann, weil er einen Aufsatz schreiben kann, fügt Meisch hinzu: „Et muss ee vläicht di Jonk guidéieren.“

Wie man die „Jonk guidéiert“ und für die Probleme von politischen Inhalten auf Online-Plattformen sensibilisiert, steht weiterhin offen. Während die jetzigen Maßnahmen recht verstreut und ohne fundiertes Gesamtkonzept daherkommen, bleiben die Vorschläge der Parteien größtenteils vage und unausgereift. Reif für die Wahlen sind die Wähler von Morgen in diesem Punkt jedenfalls noch nicht.