Eine neue Agentur soll Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit von Medikamenten und medizinischen Produkten kontrollieren. Dadurch will Luxemburg nicht zuletzt seine Abhängigkeit vom Ausland verringern. Ein Anliegen, das durch die Erfahrungen der aktuellen Krise noch an Dringlichkeit gewinnt.
Als einziges Land in der EU hat Luxemburg keine Agentur für die Überwachung und Kontrolle von Medikamenten – das soll sich nun ändern. Voraussichtlich ab Januar 2021 soll die neue « Agence luxembourgeoise des médicaments et produits de santé » (ALMPS) den Zugang zu Arzneimitteln verbessern und die Qualität der Produkte sicherstellen.
Mit dem neuen Gesetzestext, der noch Anfang Februar von Ex-Minister Etienne Schneider ins Parlament eingebracht wurde, versucht das Gesundheitsministerium aus fragmentierten Abteilungen ein Ganzes zu schaffen. Die Regierung reagiert damit auf europäische Verordnungen und versucht zugleich, die Abhängigkeit von den Nachbarstaaten im Bereich der Arzneimittel-Kontrolle zu reduzieren.
Eine Agentur für fast alles
Laut bestehendem Gesetz ist die „Division de la pharmacie et des médicaments“ des Ministeriums für alle Fragen zuständig, welche die Ausübung des Berufs des Apothekers und die Herstellung, Kontrolle, Lizenzierung, Werbung sowie den Verkauf, Import und Export von Medikamenten betreffen. Zudem soll die Abteilung diese Aufgaben auch für Kosmetik und Medikamente, die als Droge missbraucht werden könnten, übernehmen. Kurzum: eine Mammutaufgabe.
Der Kompetenzbereich der Agentur könnte kaum größer sein. Er reicht von Aspirin und einer Grippeimpfung, bis zu Brustimplantaten, IRM-Scannern oder Covid-19-Tests. „Alle Produkte, die am oder im Menschen zum Einsatz kommen, können als medizinische Produkte bezeichnet werden“, fasst Camille Groos, ehemaliger Apotheker der „Hôpitaux Robert Schumann“ zusammen.
Die Notwendigkeit einer funktionellen Pharmaabteilung des Ministeriums zeigte sich in den letzten Monaten deutlich. Recherchen von REPORTER hatten etwa ergeben, dass das Personal des „Large Scale Testing“ minderwertige Masken trug – die Produktkontrollen blieben aus. Dennoch werden auch in Zukunft Atemschutzmasken oder anderes medizinisches Schutzmaterial nur bedingt in den Zuständigkeitsbereich der Agentur fallen. Während chirurgische Masken klar für den Gebrauch im Krankenhaus gekennzeichnet sind, werden FFP2-Masken als Schutzausrüstung betrachtet. Sprich, die Zuständigkeit ist unklar.
Die Überwachung der Medikamente haben wir zurzeit teilweise outgesourct. »
Jean-Claude Schmit, Direktor der « Santé »
Die neue Agentur wird mit der Kontrolle von Arzneimitteln und medizinischen Produkten beauftragt. Schutzmasken gehören per Definition zu keiner der beiden Kategorien. „Schutzmasken sind sogenannte Borderline-Produkte“, sagt Anna Chioti. „Es ist allerdings auch eine Frage, zu welchem Zweck sie benutzt werden. Wenn sie in den Krankenhäusern zum Einsatz kommen, teilen wir uns die Zuständigkeit mit der Ilnas“, so die Abteilungsleiterin der „Division de la pharmacie et des médicaments“.
Allerdings kann zurzeit weder die für Produktsicherheit zuständige Behörde Ilnas noch das Ministerium dieser Aufgabe gerecht werden. Die Mittel sind dafür schlicht zu gering. In vielen Bereichen des Gesundheitsministeriums setzt man zudem auf internationale Kooperationen, um die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen.
Hoffen auf Kooperationsbereitschaft
„Bis jetzt verließen wir uns vor allem auf Belgien“, sagt Dr. Jean-Claude Schmit im Gespräch mit REPORTER. Der Direktor des Gesundheitsamtes bezieht sich auf eine Kooperation mit den belgischen Behörden, um die Zulieferung von Medikamenten und medizinischem Material zu sichern. Auch wenn die Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren gut verlief, kam es mehrmals zu Versorgungsengpässen, zum Beispiel bei Impfstoffen. Das Ministerium habe Schwierigkeiten, vorausschauend gegen diese Engpässe vorzugehen, so Dr. Jean-Claude Schmit. Ein Problem, was künftig auch bei einem Impfstoff gegen Covid-19 auftreten könnte. Zwar soll die Kooperation mit dem Nachbarland weiter bestehen. Langfristig erhofft sich die Regierung durch die Agentur aber einen eigenen, kontrollierten Zugang zum Arzneimittelmarkt.
Laut dem Ministerium importiert Luxemburg aktuell etwa 90 Prozent der Medikamente über Belgien. „Die Pharmakonzerne vermarkten ihre Produkte gar nicht erst in Luxemburg, weil der Markt schlicht zu klein ist“, sagt Anna Chioti. Die starke Verbundenheit mit Belgien zeigte sich auch in der Coronakrise. Bei den Bestellungen berücksichtigten die belgischen Behörden die Bettkapazitäten der luxemburgischen Krankenhäuser. Nach einem Verteilungsschlüssel wurden die Medikamente dann den verschiedenen Antragstellern zugeteilt – und damit auch den luxemburgischen Krankenhäusern.
„Mit einer Agentur hätten wir einen direkteren Draht zur Pharmaindustrie“, sagt Dr. Jean-Claude Schmit. Die Agentur wäre jedoch nicht für den Einkauf zuständig, in Krisensituationen würde dieser etwa weiterhin über die „Direction de la Santé“ laufen. „Als Kontrollinstanz kann die Agentur lediglich die Verhandlungen mit Pharmakonzernen vereinfachen, aber nicht die Verhandlungen leiten“, so Anna Chioti. Zurzeit hätte ihre Abteilung des Ministeriums allerdings nicht das nötige Gewicht, um für Konzerne von Bedeutung zu sein, so die Leiterin der „Division de la pharmacie et des médicaments“.
Neue Agentur im europäischen Gefüge
Die Abhängigkeit vom Ausland zeigt sich allerdings nicht nur beim Kauf, sondern auch bei der Kontrolle von Medikamenten. „Die Überwachung der Medikamente haben wir zurzeit teilweise outgesourct“, sagt Dr. Jean-Claude Schmit. Das „Centre Régional de Pharmacovigilance“ im französischen Nancy übernimmt diese Arbeit für Luxemburg. Sollte bei einem Medikament ein Verdacht auf unbekannte Nebenwirkungen auftreten, melden die Krankenhäuser diesen in der Regel gleich dem Regionalzentrum in Nancy. Dieses sammelt die Beschwerden und überprüft, ob andere Zentren ähnliche Vorfälle registriert haben. Auf der Webseite des Gesundheitsministeriums stehen die Kontaktdaten der zuständigen Abteilung erst an zweiter Stelle – hinter dem französischen Regionalzentrum. „Wir hoffen, dass wir in zwei bis drei Jahren unsere eigene Abteilung für Arzneimittelsicherheit aufbauen können“, sagt Anna Chioti.
Mit einer Agentur hätten wir einen direkteren Draht zur Pharmaindustrie. »
Jean-Claude Schmit, Direktor der « Santé »
Da die Beschwerden gesammelt und mit anderen Zentren verglichen werden, stellt sich allerdings die Frage der Notwendigkeit einer eigenen Abteilung. „Dafür haben wir schlicht zu wenig Fälle“, befindet Camille Groos. Das Ministerium sieht es deswegen eher als Möglichkeit, einen eigenen Beitrag leisten zu können, denn die zwischenstaatliche Kooperation wird trotz eigener Agentur auch in Zukunft unumgänglich sein.
„Es kann nicht darum gehen, die gleiche Arbeit wie alle anderen zu machen“, sagt Camille Groos. Die Agentur müsse komplementär zu den ausländischen Behörden sein. « Wir müssen nicht mit den Belgiern in Konkurrenz stehen », so der Apotheker. Das Ministerium teilt diese Einschätzung und versucht künftig eigene Fachkenntnisse aufzubauen, um den europäischen Partnern diese zur Verfügung stellen zu können. Anna Chioti könnte sich vorstellen, etwa im Bereich der „Healthtech“ Kompetenzen zu fördern. Die Regierung erhofft sich davon auch langfristig Vorteile, um die Attraktivität des Standorts Luxemburgs für Pharmakonzerne zu verbessern.
Unterbesetze Abteilung im Ministerium
Die Hoffnungen, die auf der Agentur ruhen, sind groß. Dennoch soll in erster Linie sichergestellt werden, dass die bereits bestehenden Aufgaben erfüllt werden können. „In unserer Abteilung arbeiten zurzeit 20 Personen, allerdings haben nicht alle eine Vollzeitstelle“, erklärt Anna Chioti. Da noch vieles nicht digitalisiert wurde, seien zudem mehrere Mitarbeiter für rein administrative Tätigkeiten zuständig. An der Überprüfung der Konformität von medizinischen Produkten arbeiten lediglich drei Personen.
Mit der Gründung der Agentur will das Ministerium den Aufgabenbereich nun noch weiter ausdehnen. Sie soll unter anderem die Arzneimittelforschung stärken und als nationale Vertretung gegenüber europäischen oder internationalen Behörden tätig sein. Anna Chioti erhofft sich deshalb einen angemessenen Personalschlüssel. Während bei der Ausarbeitung eines Konzepts vor zwei Jahren noch von 50 Mitarbeitern die Rede war, müsse die Zahl wohl noch weiter nach oben geschraubt werden, so die Abteilungsleiterin. Zum Vergleich: Die maltesische Agentur zählt 100 Angestellte.
Druck der EU zwang Regierung zum Handeln
Allerdings war die Überforderung der Abteilung im Gesundheitsministerium nur bedingt Grund für die Schaffung einer Agentur. „Die Debatte läuft bereits seit Jahren“, so Anna Chioti. Ausschlaggebend waren mehrere EU-Verordnungen. Im Mai 2021 tritt etwa die europäische Verordnung über medizinische Produkte in Kraft. Ein Jahr später folgen drei weitere über Arzneimittel für Tiere, medizinische Laboruntersuchungen und medizinische Studien. Für das Ministerium wird der Aufwand enorm.
„Das wird für uns genau so viel Arbeit wie für einen größeren Staat“, sagt Dr. Jean-Claude Schmit. Man erhoffe sich deshalb, die Agentur noch vor dem Inkrafttreten der neuen Regelungen zu gründen. Das Gesundheitsministerium hatte in der Covid-Krise somit Glück im Unglück. Denn eigentlich sollte die Verordnung über medizinische Produkte bereits dieses Jahr in Kraft treten. Durch die Pandemie einigte man sich jedoch darauf, das Datum um ein Jahr zu verschieben.
Das Gesundheitsministerium rechnet damit, dass das Parlament den Text in den kommenden Monaten verabschieden wird. Für die Agentur würde dann laut Plan am 1. Januar 2021 die Arbeit beginnen.