Gesetzlich sind die Mieten in Luxemburg gedeckelt. Das ist die Theorie seit 2006. In der Praxis greift die Maßnahme nicht und die zuständigen Mietkommissionen befinden sich im Leerlauf. Doch Minister Marc Hansen vertagt die nötige Reform.
In einer Hitliste der Gesetze mit der geringsten Wirkung würde der Text über Wohnungsmieten von 2006 in der Top Ten landen. Kaum jemand weiß, dass darin die Mieten auf jährlich maximal fünf Prozent des investierten Kapitals begrenzt sind. „Wir haben im Prinzip eine Mietpreisbremse wie in Deutschland. Doch die Frage ist, wie die Realität aussieht“, sagte der LSAP-Abgeordnete Yves Cruchten anlässlich einer Konsultationsdebatte in der Chamber.
Die Lage zu beschreiben ist einfach: Die Wohnungsmieten waren 2017 anderthalbmal höher als noch 2005, wie die Auswertung von Anzeigen durch das Observatoire de l’Habitat zeigt. Und heute sind 3.000 Menschen auf der Warteliste des Fonds du logement eingeschrieben, weil sie nach einer bezahlbaren Wohnung suchen. „Das Problem beim Wohnungsbau hat auch diese Regierung nicht in den Griff bekommen“, gibt der LSAP-Veteran Jean Asselborn unumwunden zu.
Neue Mietwohnungen erwirtschaften vier Prozent pro Jahr
Die Gründe für die desolate Lage sind schwieriger zu fassen, da es – wie so oft – keine Zahlen gibt. „Wie sich die 5-Prozent-Grenze auswirkt, haben wir bisher nicht untersucht“, erklärt Julien Licheron, der die Arbeiten des Observatoire de l’Habitat koordiniert.
„Bei neugebauten Wohnungen liegt der jährliche Ertrag heute eher bei vier Prozent“, berichtet der Präsident der Chambre immobilière, Jean-Paul Scheuren, aus der Praxis. Im Fall von älteren Wohnhäusern liegen die Mieten jedoch nicht immer unter der gesetzlichen Grenze von fünf Prozent des investierten Kapitals, so der Vertreter der Immobilienbranche.
Das Gesetz von 2006 erlaube es den Gemeinden ein Mietkadaster zu erstellen, erklärte Yves Cruchten in der Chamber. Nur setzt das keine Gemeinde um. Deshalb fehlen Zahlen über Durchschnittsmieten. Eine Mietpreisbremse nach deutschem Vorbild ist deshalb unmöglich, so Cruchten. In Deutschland können die Bundesländer Gebiete mit einem angespannten Wohnungsmarkt ausweisen. Dann darf dort die Miete nur maximal zehn Prozent über dem ortsüblichen Preis liegen.
Die fünf Prozent kommen daher, dass irgendwann einmal dieser Wert festgesetzt wurde.“Henri Grethen, früherer DP-Abgeordneter
Geht es um neue Wohnungen, sei die Luxemburger Grenze von fünf Prozent sehr hoch angesetzt, meinte der DP-Abgeordnete Max Hahn kürzlich in der Chamber. Für eine Wohnung von 50 Quadratmeter, die der Vermieter für 500.000 Euro kauft, dürfte er 2.080 Euro monatlich verlangen, rechnete Hahn vor. Solche Mieten gibt selbst der überhitzte Wohnungsmarkt unabhängig des Ortes nicht her.
Eine willkürliche Grenze
Entsprechend absurd ist diese Grenze heute. Schuld daran hat der Gesetzgeber, der 2006 nachlässig war. „Die fünf Prozent kommen daher, dass irgendwann einmal dieser Wert festgesetzt wurde“, erklärte der damalige DP-Abgeordnete Henri Grethen als das Gesetz verabschiedet wurde. Zu diesem Zeitpunkt passte die Zahl, denn Immobilienkäufer bekamen einen Kredit zu einem Zins von etwa vier Prozent.
Doch er warnte auch: „Sinken die Kreditzinsen dramatisch, dann ist dieser maximale Ertrag eventuell nicht mehr angepasst.“ Tatsächlich blieben die Zinsen 2007 und 2008 mit jeweils 4,96 und 4,36 Prozent sehr hoch.
Doch dann schlug die Finanzkrise ein und Kredite wurden schnell deutlich billiger. 2009 lagen die Zinsen nur noch bei 2,33 Prozent und vergangenes Jahr gar nur bei 1,87 Prozent. Die Politik beließ es bei den fünf Prozent, obwohl damit der gesetzlich erlaubte Ertrag die Investitionskosten bei weitem übersteigt.
Jeder Verkauf erhöht die Deckelung der Mieten
Henri Grethen schlug 2006 vor, die Mietpreisbremse an die Entwicklung der Kreditzinsen zu koppeln. Sein Parteikollege Max Hahn will dagegen eher die Preisbremse je nach Alter der Wohnung staffeln, wie er in der Konsultationsdebatte erklärte.
Allerdings besteht bereits eine solche Unterscheidung: Ist das Gebäude älter als 15 Jahre, wird alle zwei Jahre vom investierten Kapital zwei Prozent abgeschlagen, erklärt der Jurist Marc Thewes in seinem Standardwerk Le nouveau droit du bail. Führt der Vermieter Renovierungsarbeiten durch, steigt das investierte Kapital wieder und er darf die Miete erhöhen.
Jeder Verkauf der Wohnung setzt die Zähler jedoch wieder auf Null, erklärt Thewes. Der Verkaufspreis gilt nun als investiertes Kapital – egal wie die Wohnung aussieht. In einem überhitzten Markt verliert die Mietpreisbremse so endgültig jede Wirkung. Allein zwischen 2016 und 2017 stieg die Zahl der Verkäufe von bestehenden Wohnungen um 12 Prozent. Das Volumen der Transaktionen legte gar um 16 Prozent zu.
Es gebe keine Pläne die 5-Prozent-Grenze anzupassen, sagt Wohnungsbauminister Marc Hansen (DP) im Gespräch mit REPORTER. Er verweist dagegen auf Änderungen bei den Mietkommissionen – die „Commissions des loyers“. An sie müssen sich Mieter und Vermieter wenden, wenn sie sich nicht über die Höhe der Miete einigen können.
Diese Kommissionen bestehen in jeder Gemeinde mit über 6.000 Einwohnern. Für die restlichen Gemeinden gibt es jeweils Kommissionen auf kantonaler Ebene. Letztere werden nun von einem Beamten des Wohnungsministerium präsidiert, betont Hansen. Es gebe weitere Überlegungen, aber davon sei nichts spruchreif, so der Minister.
Mietkommissionen behandeln sehr wenig Fälle
Fragt man bei den Mietkommissionen nach, zeigt sich, dass sie selbst in bevölkerungsreichen Gemeinden fast im Leerlauf sind. „Seit 2018 besteht nur noch eine Mietkommission, da es nicht ausreichend Fälle gab, um weiterhin zwei Kommissionen zu behalten“, heißt es von der Stadt Luxemburg. Nach den Gemeindewahlen von Oktober wurden die Kommissionen neu besetzt.
Zwischen 2013 und 2017 behandelten die Mietkommissionen der Stadt Luxemburg jährlich zwischen 13 und 22 Fälle. Das ist absurd wenig, da knapp die Hälfte der Haushalte in der Stadt Luxemburg zur Miete wohnen, wie Zahlen des Statec von 2013 zeigen.
In Esch/Alzette behandelt die Mietkommission im Schnitt fünf Fälle pro Jahr, sagt der Generalsekretär der Stadt Esch, Jean-Paul Espen. Ähnlich sieht es in Differdingen aus. Dort sind es jährlich etwa fünf bis sieben Dossiers, betont der Präsident der dortigen Mietkommission, Gary Diderich.
Eingeschränkte Möglichkeiten
Der Gemeinderat von Déi Lénk kritisiert, dass kaum jemand das Gesetz von 2006 und seine Möglichkeiten kennt. „Selbst die Vermieter sind nicht informiert“, so Diderich. Der Konsumentenschutz informiert über die Existenz der Mietkommissionen, hilft aber nicht bei der Prozedur, heißt es von der ULC. Doch gerade dazu fehlen die Informationen über das recht komplizierte Verfahren, erklärt Espen.
80 Prozent der Bürger, die mich kontaktieren, kann die Mietkommission nicht helfen“Jean-Paul Espen, Stadt Esch
Beschwerden von Mietern muss der Generalsekretär der Stadt Esch häufig erst einmal abweisen, weil sie ihrem Vermieter zuvor keinen Einspruch per Einschreiben geschickt haben. Das ist aber eine Vorbedingung, damit sich die Mietkommission mit einem Fall befasst.
Dazu kommt, dass das Gesetz die Zuständigkeit der Mietkommissionen sehr eng fasst. „80 Prozent der Bürger, die mich kontaktieren, kann die Mietkommission nicht helfen, weil ihr Problem nicht die Miete ist“, erzählt der Generalsekretär. „Häufig geht es um Reparaturen, die ausbleiben oder Schimmelbefall, um den sich niemand kümmert“, so Espen weiter.
Die Kommission kann in solchen Fällen beschließen, die Miete um zehn Prozent zu kürzen, bis der Vermieter die nötigen Arbeiten durchführen lässt, sagt Espen. Doch damit bewegt sie sich in einer juristischen Grauzone. Die Rechtssprechung zeigt, dass die Gerichte das Gesetz von 2006 äußerst eng auslegen: Die Mietkommission muss sich darauf beschränken, festzustellen ob die Miete die Grenze von fünf Prozent des investierten Kapitals einhält oder nicht. Unabhängig davon, ob der Mieter in der Wohnung leben kann oder nicht.
Anders als in Esch sind es in der Stadt Luxemburg öfters Vermieter, die klagen, um die Mieten erhöhen zu können.
Ungleiche Konfrontation
Gerade weil es in Esch meist um ältere Wohnungen mit vergleichsweise niedrigen Mieten geht, haben die Betroffenen oft nicht die Mittel, sich erfolgreich zu wehren. Lädt die Kommission beide Parteien zu einer Sitzung ein, dann sitzt der Mieter seinem Vermieter gegenüber – eine Konfrontation, die viele scheuen, erzählt Espen. „Viele Mieter wissen nicht, welche Argumente zählen und schütten ihr Herz aus.“ Die Gegenpartei lässt sich oft von einem Anwalt beraten, so Espen weiter.
Doch auch die Mitglieder der Mietkommission stoßen manchmal an ihre Grenzen: „Die Kommission kann mit Laien besetzt sein. Es braucht keine Erfahrung oder Qualifikation, um Mitglied zu werden“, erklärt Espen. „Sind beide Seiten von Anwälten vertreten, dann geraten die Mitglieder der Mietkommission manchmal in eine bizarre Lage“, so Espen weiter. Die aktuelle Escher Kommission hat jedoch einen Präsidenten und eine Vizepräsidentin, die beide Juristen sind.
Ministerium zeigt wenig Interesse
Die schwierige Berechnung des investierten Kapitals birgt ebenfalls Fallstricke. Eigentlich müsste in vielen Fällen ein Experte damit beauftragt werden, den Wert einer Wohnung fachgerecht zu schätzen, meint Espen. Doch die Kosten von oft mehreren Tausend Euro müsste der Kläger tragen, also meist der Mieter. Das übersteige aber in vielen Fällen deren finanzielle Möglichkeiten. Auch Gary Diderich betont diese ungleiche Konstellation: „Die Miete muss während des Verfahrens weiter gezahlt werden.“
Die Erfahrungen vor Ort in den Mietkommissionen zeichnen ein deutliches Bild. Einen Austausch zwischen den Gemeinden gibt es selten. Déi Lénk fordern deshalb eine nationale Mietkommission, damit nicht jede Gemeinde die gleichen Fehler macht, so Diderich.
Im Ministerium scheint sich das Interesse gegenüber diesen Erfahrungen allerdings in Grenzen zu halten, wie Jean-Paul Espen erzählt: „Vor etwa einem Jahr rief mich ein Beamter des Wohnungsbauministerium an und sagte, sie würden sich tiefgründig Gedanken machen, um das komplette System zu ändern. Seitdem habe ich nichts mehr gehört.“