Für die US-Demokraten geht es bei den Kongresswahlen um mehr als nur ein Zeichen des Widerstands gegen die Politik von Donald Trump. Manche in der Partei erhoffen sich eine Machtverschiebung und einen Linksruck in der eigenen Partei. Ein Bericht von unserem Korrespondenten Max Tholl.
Für die Demokraten wird der 6. November zum Schicksalstag. Nicht nur weil sich dann entscheidet, ob die Partei das amerikanische Repräsentantenhaus und den Senat zurückerobern kann, sondern auch als Vorzeichen und Signal für die Präsidentschaftswahl in zwei Jahren. Die Demokraten liegen in vielen Bundesstaaten und Bezirken derzeit gut im Rennen. Ein Machtwechsel im Repräsentantenhaus wird immer wahrscheinlicher. Eine « blaue Welle », also ein Kantersieg der Demokraten, wird von vielen erwartet.
Doch die Partei ist gespalten zwischen Progressiven und Zentristen. Bevor die Demokraten die Seele Amerikas zurückgewinnen können, müssen sie erst ihre eigene finden.
Der ehemalige demokratische Kongressabgeordnete Steve Israel schrieb jüngst in einem Gastbeitrag im Magazin « The Atlantic », dass die Demokraten immer noch nach einem Einheit stiftenden Kampfspruch gegen die Republikaner suchen. Für die anstehende Wahl haben sie sich zu dem eher wenig aussagenden Slogan « For the people » – für die Bürger – entschieden. Der Grund: Die vielen Positionen innerhalb der Partei sind nur schwer auf einen Punkt zu bringen.
Progressive Hoffnungsträger
Die Euphorie, die derzeit durch das demokratische Lager weht, geht von Überraschungskandidaten wie Alexandria Ocasio-Cortez in New York, Beto O’Rourke in Texas oder Sharice Davids in Kansas aus. Sie alle galten als Underdogs, haben sich aber längst als Hoffnungsträger der Demokraten etabliert. Sie sind die Galionsfiguren der « blauen Welle », die im November in Washington ankommen soll. Diese Welle soll auch nach den Kongresswahlen weiterrollen.
Auf den ersten Blick könnte man glauben, ein Linksruck sei aufgrund der Kandidaten und deren Ausrichtungen klar vorgegeben. Die Niederlage der Konsenskandidatin Hillary Clinton hat das Land und die Partei 2016 in eine tiefe politische Krise gestürzt. Viele Demokraten krallen sich seitdem neurotisch an das « Bernie-hätte-gewonnen »- Argument und forderten die Parteibasis auf, bei der nächsten Wahl mutiger zu sein und einen progressiven und linken Kandidaten wie Sanders ins Rennen zu schicken.
Progressive wie Alexandria Ocasio-Cortez, die in New Yorks 14. Wahlbezirk den favorisierten Joe Crowley besiegen konnte, scheinen der Partei neues Leben einzuhauchen. Doch die Frage, wer eigentlich als progressiv und wer als moderat gilt, bleibt weitgehend ungeklärt. Die Grenze zwischen der Mitte und dem linken Flügel ist meist mehr persönliche Ansichtssache als Fakt.
Die Nuancen des « Linksrucks »
Sharice Davids ist lesbisch, uramerikanischer Abstammung und tritt in Kansas, einem traditionell eher republikanischen Staat, mit einer für das Wahlkampfgebiet äußerst progressiven Agenda an. Sie fordert eine Verbesserung des Gesundheitssystems, will schärfere Waffengesetze und liberale Immigrationsrichtlinien. Sie setzt sich für Minderheiten- und Abtreibungsrechte ein und erklärt den Klimawandel zu einer nationalen Priorität.
Man sollte glauben, Davids stehe an der Speerspitze der progressiven Bewegung innerhalb der Partei. Doch am Tag ihrer Nomination, nannten Zeitungen wie die « Washington Post » ihren Sieg einen Erfiolg der Zentristen. Davids hatte sich gegen Brent Welder durchgesetzt, dem designierten Kandidaten der Bernie-Sanders-Revolution. Ähnlich sah es in Michigan aus, wo der Sanders-Kandidat Abdul El-Sayed an Gretchen Whitmer scheiterte. Sowohl Davids als auch Whitmer werden nun von Sanders im Wahlkampf unterstützt. Nicht nur um den Zusammenhalt innerhalb der Partei zu stärken, sondern auch weil das vermeintliche Zentrum der Partei und ihr linker Rand in vielen Fällen nahtlos ineinander übergehen.
Rückeroberung des « Midwest »
Es sind Details, die in vielen Fällen über die Zuordnung der Kandidaten entscheiden. Davids will beispielsweise eine Ausweitung des Krankenschutz, aber schreckt davor zurück ein universales und bedingungsloses Medicare zu fordern. Sie will eine humanere Immigrationspolitik aber will nicht gleich die Einwanderungsbehörde ICE abschaffen. Auch der Shootingstar der Demokraten, Beto O’Rourke, der bei der Senatswahl im tiefroten Texas für eine Sensation sorgen könnte, gilt als progressiver Messias, obwohl er in Bereichen wie Waffenbesitz oder Wirtschaft ein ganzes Stück gemäßigter auftritt, als einige seiner ParteikollegInnen.

Trotzdem, sollten Kandidaten wie O’Rourke oder Davids in ihren Wahlkreisen verlieren, was durchaus wahrscheinlich ist, wird es für viele in der Partei ein Beleg dafür sein, dass die progressive Politik der Partei noch nicht in der Mitte der amerikanischen Gesellschaft angekommen ist. Und an dieser führt 2020 kein Weg vorbei. 2016 verloren die Demokraten bis auf Illinois und Minnesota alle Staaten im sogenannten Midwest an die Republikaner. Gerade diese Region, in der die klassische amerikanische Arbeiter- und Mittelschicht die Wählerlandschaft dominiert, wird für die Demokraten bei den anstehenden Kongresswahlen zum Prüfstein ihrer Politik.
Überraschungen nicht ausgeschlossen
Etwas weiter südlich setzen zwei demokratische Senatskandidaten auf eine andere Strategie. Joe Manchin, Senator aus West Virginia, und Phil Bredesen, ehemaliger Gouverneur und derzeitiger Senatskandidat aus Tennessee, verkörpern den rechten Flügel der Demokraten. Beide unterstützten die Nominierung von Richter Brett Kavanaugh und versuchen die weiße Mittelschicht in den ärmeren und konservativeren Staaten wieder enger an die Partei zu binden. Phil Bredesen betonte im Wahlkampf immer wieder, er trete im Gegensatz zum Rest seiner Partei nicht explizit gegen Trump und dessen Agenda an, um die Anhänger des Präsidenten nicht abzuschrecken.
Beide Kandidaten kommen den Republikaner näher als es vielen Demokraten lieb ist. Gegenüber dem « Guardian », betonte Manchin, die Washingtoner Demokraten seien eine Elite, die ihre Wähler auf dem Land und in ärmeren Staaten wie West Virginia vernachlässigt hätten. Mit einer patriotischen und wertkonservativen Haltung, will Manchin sie nun wieder ins Boot holen.
Dass die Demokraten bei den Midterms eine krachende Niederlage hinnehmen müssen, gilt derzeit als unwahrscheinlich, aber die amerikanische Politik hat uns in den vergangenen zwei Jahren gelehrt, dass sie mittlerweile nicht mehr viel mit Wahrscheinlichkeit zu tun hat. Auch wenn die blaue Welle im November in Washington anrollt – um eine interne Grundsatzdebatte wird die Partei nicht umher kommen. Die ruhigen Gewässer hat sie längst verlassen.