Auch in Luxemburg gibt es Fälle von Zwangsarbeit und Menschen, die regelrecht wie Sklaven behandelt werden. Ein rezenter Fall im Restaurant-Milieu deckt Versäumnisse im Kampf gegen Menschenhandel auf. Ein Opfer berichtet über seinen jahrelangen Leidensweg.
Eine Recherche von Luc Caregari und Namrata Sharma *
„Die ersten sechs Monate verliefen friedlich.“ Shyam P.** fällt es schwer, über seine Erlebnisse in den vergangenen sechs Jahren zu sprechen. Noch immer verfolgt ihn das Trauma der jahrelangen Ausbeutung und der körperlichen Misshandlungen. Sein Fall, der diesen Sommer in einem Restaurant in Luxemburg aufgedeckt wurde, zog wie Schockwellen durch die ganze nepalesische Gemeinschaft.
Shyam P. ist kein Einzelfall. Mit ihm verließen noch zwei weitere Angestellte den Arbeitgeber und erstatteten Anzeige bei der Polizei. Ihre Vorwürfe: Körperverletzung und Menschenhandel. Die Aussagen mehrerer Opfer lassen wenig Raum für Interpretation. Das Opfer, mit dem Reporter.lu sich mehrfach unterhalten hat, war der Willkür des Restaurantbesitzers am längsten ausgesetzt. Shyam hat seine Erfahrungen dokumentiert.
Eine Mauer des Schweigens
Anfang Oktober 2015 kam Shyam P. nach Luxemburg. Angezogen von der Perspektive, in einem der reichsten Länder Europas zu leben und seiner Familie einen sozialen Aufstieg zu ermöglichen, ließ er sich von einem Verwandten anheuern. Die Abmachung mit dem neuen Arbeitgeber, dass dieser die Kosten für das Arbeitsvisum übernehmen würde, war sogleich der erste Schritt in die Abhängigkeit. Shyam musste ganze 16 Monate ohne Bezahlung arbeiten, nur um die Kosten zurückzuerstatten – dabei hatte er seine Anreise selbst finanziert.
Was an sich schon illegal war, wurde durch die Arbeitsbedingungen noch verschlimmert: „Ich musste von morgens 7 bis abends 11 Uhr durcharbeiten. Jede Pause war verboten und auf Toilette konnte das Personal auch nur, wenn der Chef gerade nicht in der Gegend war“, berichtet der Nepalese im Gespräch mit Reporter.lu.
Auch die Unterkunft direkt über dem Restaurant entsprach nicht den legalen Standards: „Zu dritt mussten wir uns zwei Zimmer teilen, ohne Badezimmer und richtige Toilette. Waschen durften wir uns nur einmal die Woche und auch das war schwierig. Zu essen bekamen wir nur eine wässrige Suppe mit ein paar Gewürzen und Reis.“ Als die Angestellten versuchten, der Suppe ein paar übrig gebliebene Knochen hinzuzufügen, kam es zu einem Gewaltausbruch des Besitzers: „Er nannte uns Diebe und prügelte auf uns ein“, erzählt Shyam.

Es sollte nicht bei diesem physischen Übergriff bleiben. Körperliche Gewalt war Teil der totalen Kontrolle, die der Besitzer über seine Angestellten ausübte. Die Beweisfotos, die Reporter.lu vorliegen, zeigen das Ausmaß der Gewalt. Um den Missbrauch zu verheimlichen, verhinderte der Restaurantbetreiber, dass die verletzten Angestellten ein Krankenhaus aufsuchten.
Eine Mauer des Schweigens baute sich um die Opfer auf. Es sei die Angst vor dem Ausschluss aus der nepalesischen Community gewesen, sagt Shyam. Zudem befürchtete er, dass seine Familie in Nepal Konsequenzen ertragen müsste, wenn er gegen ein Mitglied der Gemeinschaft vorgehen würde. Dies hielt ihn davon ab, Hilfe zu suchen.
Nach außen unauffällig und legal
Hinzu kommt, dass sich der Besitzer seinerseits auch absicherte. Kontoauszüge, die Reporter.lu einsehen konnte, legen nahe, dass Zahlungen an das Opfer am Tag darauf von ihm mit dem Vermerk „Argent Retour“ auf ein Konto des Besitzers bei einer anderen Bank zurück überwiesen wurden – unter Zwang, wie Shyam betont. Das erlaubte dem Betreiber, einer etwaigen Kontrolle der „Inspection du Travail et des Mines“ (ITM) zuvorzukommen. Die Arbeitsverträge, die Reporter.lu einsehen konnte, entsprechen auch den legalen Standards. Formal gesehen war das Arbeitsverhältnis von Shyam P. also unauffällig.

Auch die Geschäftsberichte des Restaurants lassen keine Schlüsse auf Menschenhandel oder sonstige illegale Aktivitäten zu. 2008 gründete der Schwiegervater des Betreibers das Restaurant, vier Jahre später übernimmt letzterer den Betrieb ganz. 2017 verkauft er wiederum 75 Prozent der Anteile an seine Frau. Richtig profitabel wurde der Betrieb in den Geschäftsjahren 2019 und 2020, als sich die Besitzer gemeinsam Dividenden von 50.000 bzw. 49.000 Euro ausschütteten.
Shyam brauchte schließlich die Überzeugungskraft von Bekannten aus der luxemburgischen Community und aus Nepal, um mit den anderen beiden Betroffenen zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten. Mittlerweile ermittelt die Luxemburger Kriminalpolizei. Anhand von deren Berichten wird die Staatsanwaltschaft entscheiden, ob genug Hinweise auf Menschenhandel vorliegen, um eine entsprechende Anklage erheben zu können.
Sklaverei in Nepal: ein schwieriges Erbe
Das Heimatland von Shyam P. hat historisch ein schwieriges Verhältnis zur Sklaverei. Gleich dreimal wurde sie in Nepal in den letzten 100 Jahren verboten. Doch ganz abgeschafft ist die Versklavung dort immer noch nicht. Seien es Jahrhunderte alte Bräuche wie das Zwangsarbeitssystem Kamaiya, das zwar in der neuen Republik Nepal seit 2002 offiziell unter Strafe steht, oder die vielen nepalesischen Staatsangehörigen, die im Ausland unter sehr harten Bedingungen Schwerstarbeit verrichten: Das Land tut sich aus vielen Gründen schwer, dieses Erbe zu überwinden.
Laut einem Bericht des nepalesischen Arbeitsministeriums von 2020 sind mehr als ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts auf Überweisungen aus dem Ausland zurückzuführen. Über acht Milliarden Dollar haben Exil-Nepalesen jeweils in den Jahren 2018 und 2019 zurück in die Heimat geschickt.
Die Bedingungen, unter denen dieses Geld verdient wird, sind aber oft menschenunwürdig. Am bekanntesten sind wohl die nepalesischen Bauarbeiter, die im arabischen Raum regelrecht als Sklaven ausgebeutet werden. Schätzungen zufolge sind in Katar, seit dem Land die Ausrichtung der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 übertragen wurde, 1.641 nepalesische Arbeiter ums Leben gekommen – einige davon durch Selbstmord. Der Wüstenstaat zieht mit 31,8 Prozent die meisten Arbeitskräfte aus Nepal an, gefolgt von den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien.
Und auch wenn die Arbeitsmigration nach Luxemburg entsprechend gering ist – die offiziellen Zahlen für 2017 und 2018 sind nicht einmal zweistellig – so gibt es hierzulande eine organisierte nepalesische Community. Etwa 450 Staatsangehörige sind hier angemeldet, wobei viele, vor allem junge Menschen der zweiten Generation, bereits die luxemburgische Staatsbürgerschaft angenommen haben.
Muster des modernen Menschenhandels
Welche Chancen hat die Anzeige von Shyam? Mitarbeiter des Service „Info Traite“ schätzen, dass zwischen dem Erstatten der Anzeige und der Verurteilung eines Täters zwischen zwei und drei Jahren liegen können. „Info Traite“ begleitet Opfer von Menschenhandel. Dass der Täter versuchte, seinem Geschäft den Anschein von Legalität zu geben, sei nicht unbedingt neu, sagt ein Mitarbeiter des Dienstes im Gespräch mit Reporter.lu. „Das Geld hin und her überweisen oder sich als Cash wieder zurück geben lassen, das sehen wir in den letzten Jahren immer öfter. Die Opfer sind häufig bei der Krankenkasse gemeldet und verfügen über gültige Papiere“.
Die Anlaufstelle, deren Adresse geheim ist und deren Mitarbeiter aus Opferschutzgründen dem Berufsgeheimnis unterliegen, wird von „Femmes en détresse“ und der „Fondation de la Maison Ouverte“ betrieben. Sie betreute im letzten Jahr 35 Fälle, von denen 15 aus dem Vorjahr stammten. Insgesamt arbeiten im Service „Info Traite“ vier Personen, die gemeinsam auf 100 Arbeitsstunden die Woche kommen – relativ wenig für ein reiches Land mit vielen ausländischen Arbeitskräften. Die begrenzten Mittel hierzulande, um Menschenhandel aufzudecken und zu unterbinden, stehen nicht ohne Grund immer wieder in der Kritik.
Den Behörden, ob Polizei oder Justiz, fehlt es oft an der nötigen Sensibilität, um Menschenhandel als solchen zu erkennen und zu behandeln. »Frank Wies, Rechtsanwalt
Die Menschenrechtskommission (CCDH), die seit 2014 von der Regierung beauftragt ist, alle zwei Jahre einen Bericht zur Situation des Menschenhandels zu verfassen, hob in ihrem letzten Bericht von 2019 gleich mehrere Kritikpunkte hervor. Darunter fällt vor allem die schlechte Datenlage, die den Berichterstattern die Arbeit erschwert. Denn die Informationen, die sie von verschiedenen Instanzen wie Polizei und Justiz bekamen, waren nicht immer übereinstimmend. Deshalb erinnert die CCDH auch wiederholt daran, dass es nicht an ihr sei, Statistiken zu erheben – sondern diese zu analysieren und Schlussfolgerungen daraus zu ziehen.
Zudem bemängelte sie die mangelnde Kooperation der ITM, die kaum Daten an die Kommission weiterleiten würde. Insgesamt kritisiert die CCDH die wenig wirksamen Sanktionen, die Täter zu befürchten hätten, sowie die ebenfalls unzureichenden Entschädigungen für die Opfer.
Klare Gesetze, Probleme in der Praxis
Dabei ist Luxemburg, zumindest was die Gesetzestexte angeht, ziemlich gut aufgestellt. Das Strafgesetzbuch stellt in Artikel 382-1 jede Art von Menschenhandel unter Strafe: Ob sexuelle Ausbeutung, Zwangs- oder Kinderarbeit – die Gesetze greifen sogar, wenn das Opfer sich bereitwillig ausnutzen ließ. Und nicht nur die Ausbeutung steht unter Strafe. Auch die Mittel, die zur Durchsetzung der Zwangsarbeit genutzt werden, gelten als erschwerende Umstände.
Der dritte Bericht der CCDH zum Menschenhandel soll im Herbst dieses Jahres veröffentlicht werden. Die Generalsekretärin Fabienne Rossler teilte Reporter.lu auf Nachfrage mit, dass es zwar einige Verbesserungen, etwa auch bei der ITM gebe, diese aber nicht ausreichend seien. „Wir sind noch weit von einem System entfernt, das es erlauben würde, alle nötigen Daten zu zentralisieren“, so Fabienne Rossler.

Die Staatsanwaltschaft verweist auf Nachfrage von Reporter.lu auf den „2021 Trafficking in Persons Report: Luxembourg“, einen Bericht des US-Außenministeriums. In dem „Country-by-Country Reporting“ zum Menschenhandel schneidet das Großherzogtum nicht besonders gut ab. Zwar wurden 2020 mehr Fälle verfolgt als noch im Vorjahr – elf statt neun. Doch die luxemburgische Justiz würde nur „weak sentences“ gegen Menschenhändler aussprechen, wird im Bericht kritisiert. Auch in Sachen Prävention moniert die US-Regierung nur bedingte Fortschritte („modestly increased efforts“).
Luxemburgs Probleme im Kampf gegen Menschenhandel seien tiefer verwurzelt, betont zudem der Rechtsanwalt Frank Wies, der auch Mitglied der CCDH ist. „Den Behörden, ob Polizei oder Justiz, fehlt es oft an der nötigen Sensibilität, um Menschenhandel als solchen zu erkennen und zu behandeln“, sagt er im Gespräch mit Reporter.lu. „Oft erkennt die Staatsanwaltschaft den Menschenhandel nicht als solchen an », so der Jurist weiter, « Ich habe Fälle gesehen, in denen die Opfer lediglich eine Abfindung bekamen und dann in ihr Herkunftsland abgeschoben wurden.“
Es ist ein Schicksal, das Shyam P. und seinen Mitstreitern erspart bleiben wird, denn sie verfügen über ein Arbeitsvisum und sind somit legal in Luxemburg.
« Schwarze Schafe » der Community
Der Betreiber, dessen Restaurant nach dem Corona-Lockdown nicht wieder geöffnet hat, ließ seinen Anwalt gegenüber von Reporter.lu sämtliche Anschuldigungen zurückweisen. Dabei hat die nepalesische Journalistin Namrata Sharma auch in ihrem Heimatland einen ehemaligen Koch gefunden, der im selben Restaurant arbeitete und dessen Aussagen die von Shyam P. bestätigen. Der Angestellte, der zuvor jahrelang im arabischen Raum gearbeitet hatte, nutzte schließlich einen Familienbesuch in der Heimat, um nie wieder nach Luxemburg zurückzukehren.
Das sind hart arbeitende Leute, die sich perfekt integrieren und auch sehr bedacht darauf sind, die Gesetze zu achten. Sicher gibt es auch in kleinen Gemeinschaften schwarze Schafe. »François Prum, Honorarkonsul für Nepal
Jedenfalls ist die kleine nepalesische Gemeinschaft in Luxemburg besorgt über den Image-Schaden, den eine solche Affäre mit sich bringen kann. „So etwas ist bei uns noch nie passiert“, sagt der Präsident der „Non-Resident Nepalese Association“, der Dachorganisation der Community, Hari Khatri, auf Nachfrage von Reporter.lu. Er spreche den Opfern die Solidarität der Gemeinschaft aus, wolle sich darüber hinaus aber nicht zum Fall äußern.
Ähnlich äußert sich ein anderer Fürsprecher der nepalesischen Community, Honorarkonsul François Prum: „Ich kenne bis jetzt keine Nepalesen, die Probleme mit der Justiz hatten“, betont der Rechtsanwalt im Gespräch mit Reporter.lu. „Sie sind hart arbeitende Leute, die sich perfekt integrieren und auch sehr bedacht darauf sind, die Gesetze zu achten. Sicher gibt es auch in kleinen Gemeinschaften schwarze Schafe. Aber es wäre falsch, diesen Fall auf alle Mitglieder zu extrapolieren. » Was François Prum in diesem Fall « skeptisch macht », sei sein Eindruck, « dass die Nepalesen meistens versuchen, Probleme in der Gemeinschaft zu lösen und sie nicht in die Öffentlichkeit zu tragen. »
Vielleicht war es gerade der Druck aus dem Inneren der Community, bloß nicht aufzufallen, der Shyam P. und seine Kollegen davon abgehalten hat, dem Missbrauch ein Ende zu setzen. Die Opfer wollen vorerst in Luxemburg bleiben. Sie haben eine neue Arbeit gefunden, allesamt in nepalesischen Restaurants, diesmal aber unter korrekten Bedingungen. Doch die Spuren ihres jahrelangen Leidensweges bleiben.
* Für diesen Artikel recherchierte Reporter.lu gemeinsam mit der Journalistin Namrata Sharma. Ihr Bericht erscheint gleichzeitig in der englischsprachigen « Nepali Times ».
** Name von der Redaktion geändert