Ab Januar ist Cannabis in Luxemburg als medizinisches Mittel erlaubt. Bevor es zur Schmerzlinderung eingesetzt werden kann, müssen Ärzte eine Weiterbildung von mindestens sechs Stunden absolvieren. Als angemessene Vorbereitung reicht das vielen aber nicht aus.
Luxemburg tastet sich langsam ans Gras heran. Doch wirklich viel Zeit bleibt dafür nicht mehr. Die Freigabe von medizinischem Cannabis wurde im Sommer vom Parlament angenommen und wird ab Januar umgesetzt. Die Droge soll somit zu einem normalen, verschreibungspflichtigen Medikament werden. Zumindest theoretisch. Denn von dieser Normalität ist Luxemburg noch weit entfernt.
Vieles ist nämlich noch unklar. So ist etwa noch nicht geklärt, ob die Krankenkasse die Kosten für das neue Medikament übernehmen wird. Doch auch die Ärzte stehen vor einer Herausforderung. Erst ab Mitte Januar sollen sie in Weiterbildungen für den Umgang mit der Pflanze fit gemacht werden. Und erst dann dürfen sie laut Verordnung Cannabis verschreiben.
Das Interesse für die Kurse ist groß. Für das erste Seminar am 19. Januar haben sich etwa 150 Mediziner eingeschrieben, 250 haben sich bisher insgesamt angemeldet. Mindestens sechs Stunden sollen die Fortbildungen dauern. Wie es auf Nachfrage von REPORTER aus dem Gesundheitsministerium heißt, bekommen Ärzte, die an einer der geplanten drei Schulungen teilgenommen haben ein Zertifikat und dürfen ab dem Moment Cannabis verschreiben. Das Problem dabei: Experten sind davon überzeugt, dass die paar Stunden an Schulungen nicht als Vorbereitung ausreichen.
Cannabis muss mit Sorgfalt behandelt werden
So sieht es auch Dr. Claude Bollendorff. Der Addiktologe bildet sich auf dem Gebiet des medizinischen Cannabis seit Jahren selbst weiter, und weiß, dass die vom Ministerium organisierten Weiterbildungen nur ein Einstieg in das Thema sein können.
« Cannabis ist extrem komplex », sagt er. « Die Pflanze besteht aus rund 500 unterschiedlichen Molekülen und die können auf ganz unterschiedliche Weise eingesetzt werden und wirken. » In der Kürze der Weiterbildung ließe sich diese Vielfalt gar nicht erklären, so Bollendorff.
So komplex ist Cannabis
Wer Cannabis hört, denkt wohl erst einmal an Joints und kiffen. Die Pflanze kann aber auf ganz unterschiedliche Weise konsumiert werden: Als Tee, Kapsel, Spray, Öl, Creme.
Auch die Inhaltsstoffe haben ganz unterschiedliche Wirkungen. Meist wird vor allem zwischen dem in Cannabis enthaltenen THC und CBD unterschieden. Während CBD legal erhältlich ist, weil es nicht psychoaktiv ist (also « high » macht), ist THC in Luxemburg verboten. CBD-Produkte, die in Hanfshops erhältlich sind, dürfen einen THC-Wert von maximal 0,3 Prozent haben.
Cannabis ist zwar umstritten, ihm wird aber auch seit Jahrtausenden eine heilende Wirkung zugesprochen. Oft wird es als Schmerzmittel eingesetzt. Es soll beispielsweise bei Multipler Sklerose, Migräne und chronischen Darmerkrankungen helfen. Es kommt aber auch als Appetitanreger, gegen Übelkeit oder bei Schlafstörungen zum Einsatz.
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Es gebe wichtige Details, die im Umgang mit Cannabis zu klären seien, sagt der Experte. Auch, weil seiner Meinung nach viele Patienten, die eine lange medizinische Vorgeschichte haben, von der Droge Gebrauch machen werden. « Es werden sich wohl viele Schmerzpatienten melden. Also solche, die seit Jahren leiden und schon einiges an Medikamenten getestet haben », so Claude Bollendorff. Laut Verordnung darf das Mittel an chronisch Kranke, Krebspatienten sowie an Menschen mit Multipler Sklerose verschrieben werden.
Wenn der Mediziner sich unsicher ist, verschreibt er sicherlich lieber ein herkömmliches Schmerzmittel. »Dr. Claude Bollendorff
Eine intensive und sorgfältige Betreuung des Arztes ist deshalb wichtig. Und die kann nur der anbieten, der sich auskennt. Gleichzeitig fragt Bollendorff sich, ob Ärzte sich des Aufwandes bewusst sind, der auf sie zukommen wird. « Wer es richtig machen will, verschreibt erst einmal niedrige Dosierungen und sieht den Patienten einmal pro Woche. Nur so kann die Dosierung und die Art des Medikaments individuell angepasst werden. »
Nur so könne sich auch zeigen, ob Cannabis das richtige Medikament für den Patienten ist. Bollendorff hat seine Hausaufgaben aber schon quasi gemacht – und bereits eine Liste mit Patienten zusammengestellt, die für die Nutzung der Pflanze infrage kommen könnten.
Wer es richtig machen will, muss sich einarbeiten
Auch Serge Schneider, Leiter der Abteilung für Toxikologie des Laboratoire National de la Santé (LNS), ist der Überzeugung, dass Mediziner in den angebotenen Schulungen längst nicht alles über das neue Medikament erfahren können. Er selbst wird eine der Fortbildungen abhalten. « In den paar Stunden kann ich nicht alles sagen, was es zu dem Thema zu sagen gibt », so der Experte. « Die Schulung ist sicher ein guter Einstieg in die Materie, der Arzt muss sich aber auch selbst Mühe geben und sich weiterbilden. »
Viel Lernstoff wartet demnach auf die Ärzte. Wer ab Januar Cannabis verschreiben will, hätte sich eigentlich längst ins Thema einarbeiten müssen. Wie schwierig es tatsächlich ist, darüber wurde bisher aber nur wenig öffentlich diskutiert. « Deshalb ist es gut, dass es viel Literatur dazu gibt. Und Foren, in denen sich Mediziner Fragen stellen und untereinander austauschen können », so Serge Schneider.
Claude Bollendorff befürchtet, dass sich die Ärzte teilweise gar nicht trauen werden, das Mittel zu verschreiben. Eben, weil sie sich nicht genug auskennen. « Wenn der Mediziner unsicher ist, gibt er dem Patienten sicherlich lieber ein herkömmliches Schmerzmittel », sagt er. Cannabis sei aber viel mehr als eine herkömmliche Pille, die man morgens und abends schlucken muss. Doch um die Wirkung der Heilpflanze zu verstehen, brauche es eine gewisse Erfahrung.
Kostenübernahme noch nicht geklärt
Erfahrung, die die Mediziner jetzt wohl nicht mehr so schnell aufbauen können. Die erste Ladung Cannabis für den medizinischen Gebrauch ist bereits Anfang Dezember am Flughafen Findel angekommen. Die Regierung bestellte 6,5 Kilo in Kanada. Das Land ist der größte Cannabis-Produzent weltweit.
Den Stoff gibt es also bereits. Vorerst soll er in Luxemburg nur in Form von Blüten verschrieben werden. Hat der Patient erst einmal sein Rezept, kann er das Medikament ausschließlich über den Weg einer Krankenhausapotheke erhalten. Wie viel er aber dafür zahlen muss, ist noch unklar.
Dabei könnte das Medikamentieren mit Cannabis den Patienten eine ganze Stange Geld kosten. Claude Bollendorf schätzt die Kosten auf etwa 100 Euro pro Monat – je nach Dosierung. « Natürlich stellt sich bei den Patienten auch die Frage des Preises », meint er. « Denn medizinisches Cannabis ist teuer. » Und wie viel oder ob überhaupt etwas von der Gesundheitskasse zurückerstattet wird, muss erst noch entschieden werden.
Auf Nachfrage von REPORTER teilt die Gesundheitskasse CNS mit, dass das Gesundheitsministerium noch klären müsse, unter welchem Statut die Medikamente auf den luxemburgischen Markt kommen. Und welches Produkt oder welche Marke anerkannt werden soll. « Solange das noch nicht geregelt ist, kann die CNS nicht statuieren und nicht zurückerstatten », heißt es in einer schriftlichen Mitteilung.
Das Problem mit Cannabis am Steuer
Eine weitere offene Frage betrifft die Folgen des Cannabis-Konsums. Wie andere Substanzen beeinträchtigt die Einnahme die kognitiven Fähigkeiten. « Wobei der Effekt bei Cannabis ein geringerer ist als etwa bei Alkohol », erklärt Claude Bollendorff. Darf man als Patient, der Cannabis konsumiert, dann Auto fahren? « Das ist eine endlose Diskussion. Momentan wird das Thema in sämtlichen Ländern debattiert, die Cannabis legalisiert haben », sagt der Arzt.
Bollendorff spricht sich weder für noch gegen ein Fahrverbot von Cannabis-Patienten aus. Weil es seiner Meinung nach keine richtige oder falsche Antwort bei diesem Thema gibt. « Wir Ärzte können den Patienten einen Pass ausstellen. Den könnten sie dann bei Fahrzeugkontrollen vorzeigen. Das ist allerdings auch kein Freifahrtschein », so Bollendorff. Ob jemand unter Cannabis-Einfluss noch schnell reagieren kann, sei von Patient zu Patient abhängig, weil Cannabis sehr individuell wirke.
Wie das Gesundheitsministerium mitteilt, müssen Arzt und Apotheker die Patienten auf die Nebenwirkungen und Beeinträchtigungen hinweisen. Von einem Fahrverbot ist von offizieller Seite keine Rede. Laut « Code de la route » hat die Polizei allerdings das Recht, neben einer Geldstrafe dem Fahrer, der unter Medikamenten- beziehungsweise Drogeneinfluss steht, das Auto zu beschlagnahmen.
Luxemburg ist noch nicht bereit
Cannabis kommt also. Und viele Fragen sind noch offen. Fragen, die so schnell auch nicht geklärt werden können. Dabei ist die Medizin ein vergleichbar kleiner Bereich, wenn man bedenkt, dass die Regierung in ihrem neuen Koalitionsprogramm angekündigt hat, Cannabis auch für den Freizeitgebrauch zu legalisieren.
Für den Anbau, die Abgabe, den Konsum und den Besitz soll ein gesetzlicher Rahmen entstehen. Wenn es aber schon bei der Legalisierung in der Medizin hapert, wird die Politik bei der vollständigen Legalisierung wohl auch noch auf die eine oder andere Hürde stoßen.