Eine klare Mission, moderne Gouvernance, weniger politischer Einfluss: Nach fast 30 Jahren soll das « Radio 100,7 » erstmals ein eigenes Gesetz erhalten. Alle Beteiligten scheinen zufrieden. Doch hinter den Kulissen geht der Konflikt um die Unabhängigkeit der Redaktion in die nächste Runde.
« Média de service public 100,7 »: Schon allein der Name deutet darauf hin, dass es sich um eine grundlegende Reform handelt. Mit dem neuen Gesetz, das die Regierung Anfang des Jahres im Parlament einreichte, soll die bisherige offizielle Bezeichnung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks « Établissement public de radiodiffusion socioculturelle » der Vergangenheit angehören.
Es geht aber natürlich um mehr als nur die Bezeichnung. Nicht zuletzt sollen mit dem neuen Gesetz die Entscheidungsstrukturen beim « Radio 100,7 » angepasst werden. Das betrifft vor allem die Ernennung der Mitglieder des Verwaltungsrats. Bisher wurden alle neun Mitglieder von der Regierung ernannt. Künftig soll die Exekutive nur noch drei Vertreter des Staates ernennen, während die restlichen sechs vom Verwaltungsrat selbst vorgeschlagen und vom Kabinett lediglich noch bestätigt werden sollen.
Auch der Präsident des Verwaltungsrats soll laut dem neuen Gesetz unter den Mitgliedern selbst ausgewählt werden. Damit soll eine Situation wie unter der Präsidentschaft von Laurent Loschetter (2017-2019) künftig vermieden werden. Dem ehemaligen Vorsitzenden des Verwaltungsrats wurde eine persönliche Freundschaft zu Premierminister Xavier Bettel (DP) vorgeworfen. Loschetter hatte sich selbst in einem Interview als « Vertrauensperson » des Premiers bezeichnet.
Von der Konfrontation zur Mediation
Doch auch die Beziehungen zwischen Verwaltungsrat, Direktion und Redaktion werden im neuen Gesetz klarer geregelt als bisher. Eine moderne « Gouvernance » ist eine langjährige Forderung der Verantwortlichen des Radiosenders. Viele Mitarbeiter erhoffen sich von der Reform zudem eine Klärung des intern schwelenden Machtkampfes.
Der Hintergrund: Vor etwas mehr als einem Jahr hatten rund 30 Mitarbeiter den neuen Direktor Marc Gerges für ein verstärktes Eingreifen in redaktionelle Abläufe kritisiert, wie Reporter.lu berichtete. In Versammlungen zwischen Redaktion und Direktion kam es mehrmals zur offenen Konfrontation. Im Laufe der Diskussionen wurde vom Verwaltungsrat ein Mediationsverfahren eingeleitet, das bis Ende 2020 andauerte.
Manchmal gab es Zoff, aber dann sollte man versuchen, die Meinungsverschiedenheiten zu überwinden und nicht öffentlich auszutragen. »Marc Gerges, Direktor des « Radio 100,7 »
Nach außen hin hat sich die Lage seitdem zwar beruhigt. Doch der Kern der internen Auseinandersetzungen – die Definition und konkrete Gestaltung der redaktionellen Unabhängigkeit – wurde offenbar noch immer nicht geklärt. Im vergangenen Dezember richtete sich ein großer Teil der Belegschaft nämlich erneut mit einem Schreiben an den Verwaltungsrat und bekräftigte die zuvor geäußerte Kritik am Führungsstil des Direktors Marc Gerges.
« Redaktionsstatut » soll Abhilfe schaffen
Der andauernde Konflikt hat seinen Ursprung im Sommer 2019, gleich nach dem Antritt des neuen Chefs. „Mit meiner Ankunft wurde antizipativ auf Gefahren hingewiesen und meine Handlungen wurden zum Teil falsch interpretiert », sagt Marc Gerges rückblickend. Die internen Diskussionen hätten deutlich gemacht, dass die Rollen innerhalb des Managements des Senders « bisher nicht klar definiert wurden », so der Direktor im Gespräch mit Reporter.lu. „Jeder hatte eine eigene Interpretation des Reglements. »
Marc Gerges will indes nach vorne schauen. Vom neuen Gesetz erhofft er sich eine klarere Bestimmung und Verteilung der Rollen, nicht zuletzt seiner eigenen. In der Tat soll laut der Reform ein neues « Redaktionsstatut » ausgearbeitet werden, das die Kompetenzen von Geschäftsführung und Chefredaktion unmissverständlich regeln soll. Das Dokument soll von der Direktion und der Redaktion gemeinsam ausgearbeitet und anschließend vom Verwaltungsrat gebilligt werden.
„Das Gesetz erlaubt es uns allen, die verschiedenen Rollen klarer festzulegen. Dieser Prozess wird allerdings noch eine Weile andauern », erklärt Marc Gerges. « Wir haben aus dem Vorfall unsere Lehren gezogen. Der beste Beweis ist, dass alle Verantwortlichen weiter auf ihren Posten sind. »
Keine feste Rolle für den Chefredakteur
Allerdings hat sich die Lage intern nicht vollständig beruhigt. Alle Beteiligten seien sich ihrer Verantwortung für eine konstruktive Zusammenarbeit zwar bewusst. Doch der ursprüngliche Konflikt sei noch immer nicht beigelegt worden, heißt es aus Redaktionskreisen. Zwei Grundsatzfragen lauten dabei: Welchen Einfluss hat der Direktor auf die redaktionelle Arbeit? Und welche Kompetenzen sind allein Sache der Chefredaktion?
Das Gesetz kann diesen Konflikt nur ansatzweise lösen. Dem Generaldirektor wird wie bisher eine große Autonomie zugestanden. Ihm obliegt die tägliche Geschäftsführung und er ist der Vorgesetzte der gesamten Belegschaft. Die genauen Kompetenzen des Direktors sollen jedoch vom Verwaltungsrat definiert und kontrolliert werden. Die seit geraumer Zeit konfliktgeladene Beziehung zwischen Direktor und Redaktion soll wiederum erst im besagten « statut de rédaction », also im Konsens festgelegt werden.

Der Begriff « Chefredakteur » kommt im Gesetzentwurf dagegen nur ein einziges Mal vor – und zwar bei der Feststellung, dass die Funktion des « directeur général » mit der Funktion des « rédacteur en chef » inkompatibel ist. Die konkrete Rolle, die Zuständigkeit und der Stellenwert des Chefredakteurs, also jener Position, die seit 2013 vom Journalisten Jean-Claude Franck ausgeübt wird, bleibt nach Lektüre des Gesetzvorschlags völlig offen.
Dagegen betont die Reform an mehreren Stellen die redaktionelle Unabhängigkeit (« indépendance éditoriale ») des Senders. Gemeint ist damit aber eher die ultimative Autonomie gegenüber dem Staat und anderen politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Akteuren, wie es im Gesetzestext heißt. Demnach kommt letztlich auch dem Verwaltungsrat – nicht dem Direktor oder der Chefredaktion – die entscheidende Aufgabe zu, die Unabhängigkeit des « Média de service public 100,7 » zu garantieren.
« Vertrauens- und respektvoller Umgang »
Unabhängigkeit ist dann auch der Wert, der Véronique Faber am wichtigsten ist. Die Vorsitzende des Verwaltungsrats äußert sich im Interview mit Reporter.lu « sehr zufrieden mit der Ausrichtung des geplanten Gesetzes ». Die Regierung habe nahezu alle Vorstellungen des Radiosenders, die in einem gemeinsamen Positionspapier von Verwaltungsrat, Direktion und Redaktion zusammengefasst wurden, berücksichtigt.
Sie sei sich aber auch bewusst, dass « vor uns allen noch viel Arbeit liegt », so Véronique Faber weiter. Damit meint sie etwa die Ausarbeitung eines internen Redaktionsstatuts und eines journalistischen Konzepts, das über die bisher bestehenden Regeln hinausgehen soll. « Die Rollen aller Verantwortlichen müssen klarer definiert werden, damit die Zusammenarbeit und die interpersonellen Beziehungen noch besser funktionieren », sagt die Vorsitzende des Verwaltungsrats.
Wir haben alle das gleiche Ziel, nämlich ein gutes Radioprogramm zu machen und dafür so viele Zuhörer wie möglich zu gewinnen. »Véronique Faber, Präsidentin des Verwaltungsrats von « Radio 100,7 »
Damit bezieht sich die Präsidentin natürlich auch auf die « Konflikte », die es in den vergangenen Monaten gegeben habe. Das Mediationsverfahren sei mittlerweile abgeschlossen und werde in den kommenden Wochen im Verwaltungsrat im Detail analysiert. Die Schlichtung zwischen Direktion und Redaktion sei jedoch nur « teilweise geglückt », so Véronique Faber. Das liege aber auch an der Covid-19-Pandemie, die eine Umsetzung der Mediation « in der Praxis erschwert » habe.
Klare gesetzliche und interne Rahmenbedingungen seien zwar wichtig, doch letztlich könnten die Regeln nicht den « vertrauens- und respektvollen Umgang miteinander » ersetzen, sagt die Präsidentin. Nur durch zwischenmenschliches Vertrauen könnten Konflikte, wie es sie in den vergangenen eineinhalb Jahren gegeben habe, auf Dauer vermieden werden. Einen wichtigen Schritt hat zudem der Verwaltungsrat schon selbst unternommen, indem er sich einen eigenen Verhaltenskodex gab.
Klärungsbedarf im Verwaltungsrat
Ein Blick in die Protokolle der vergangenen Verwaltungsratssitzungen zeigt aber, dass auch zwischen Direktion und Verwaltungsrat wiederholt Klärungsbedarf bestand. So bemängelte ein Mitglied des Aufsichtsgremiums im vergangenen April, dass Direktor Marc Gerges ohne Rücksprache mit der Chefredaktion einen Redakteursposten besetzt hatte. Der Direktor begründete dies gegenüber dem Verwaltungsrat mit einer außergewöhnlichen « urgence ». Laut Véronique Faber habe man die Sache « intern angesprochen » und mittlerweile eine neue Prozedur zur Personalrekrutierung umgesetzt, an die sich alle Beteiligten halten müssten.
« Radio 100,7 » in Zahlen
Das « Radio 100,7 » wurde 1991 per Gesetz als « Établissement public de radiodiffusion socioculturelle » gegründet. Die Details der aktuellen Funktionsweise des öffentlich-rechtlichen Senders werden in einer großherzoglichen Verordnung sowie in der rezenten Konvention mit dem Luxemburger Staat geregelt.
Laut dieser Konvention steht dem Radiosender jährlich eine finanzielle Unterstützung des Staates von rund 6,6 Millionen Euro (2021) zu. Bis zum letzten, von der aktuellen Konvention abgedeckten Jahr 2023 soll die jährliche Subvention nicht zuletzt dank der letzten Indextranche auf knapp sieben Millionen Euro ansteigen.
Die Belegschaft umfasst rund 60 Angestellte sowie viele freie Mitarbeiter. Laut den Angaben des Presserats beschäftigt das « Radio 100,7 » mehr als 30 anerkannte Berufsjournalisten.
Ein weiteres Beispiel: Im Juli 2020 teilte der Direktor dem Verwaltungsrat eine Reihe von Programmänderungen mit, die ab September umgesetzt werden sollten. Im entsprechenden Sitzungsbericht des Verwaltungsrats heißt es: « Un administrateur mentionne qu’il n’est pas satisfaisant de parler de ce type de changement pour la rentrée à un stade aussi tardif et propose que l’année prochaine une telle discussion commence en printemps. » Auch sie sei über diese Praxis « überrascht » gewesen, räumt Véronique Faber auf Nachfrage ein. Doch auch in diesem Punkt habe man laut der Präsidentin neue Regeln festgelegt, die eine ähnliche Situation in Zukunft ausschließen sollen.
Neuer Beschwerdebrief des Personals
Obwohl die Präsidentin um Schlichtung bemüht ist, scheinen die Spannungen zwischen dem Direktor und der Redaktion nicht völlig aus der Welt zu sein. In einem Schreiben an den Verwaltungsrat von Anfang Dezember fragt sich nämlich ein Großteil des Personals, was das Schlichtungsverfahren konkret gebracht habe. Zudem beschweren sich die rund zwei Dutzend Unterzeichner ähnlich deutlich über den Führungsstil von Direktor Marc Gerges wie schon Ende 2019, als es beim « Radio 100,7 » zur offenen Konfrontation gekommen war.
In dem jüngsten Schreiben, das Reporter.lu einsehen konnte, ist etwa von « strukturellen Problemen in der Kommunikation », einem « Mangel an Visionen » und sogar « Einschüchterungsversuchen » des Direktors gegenüber einem Redaktionsmitglied die Rede. Dabei habe der Direktor sich erneut in die inhaltliche Arbeit von Journalisten eingemischt, ohne sich dabei an jene Prozedur zu halten, die in der Mediation festgelegt worden war.
Das Verhalten des Direktors trage « zur Unsicherheit im Team » bei, heißt es weiter. Auch wenn die Unterzeichner sich für eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten aussprechen, lässt der Ton des Schreibens keinen Zweifel daran, dass die einstigen Konflikte noch nicht bewältigt wurden. Anders als bei den vergangenen kollektiven Stellungnahmen wurde der jüngste Brief an den Verwaltungsrat jedoch nicht von der Chefredaktion oder anderen Abteilungsleitern unterschrieben.
Wir sind ein ambitionierter Betrieb, der vorankommen will. Unsere internen Diskussionen sind ein Zeichen eines gesunden Demokratieverständnisses. »Jean-Claude Franck, Chefredakteur « Radio 100,7 »
Der Brief und die darin enthaltenen Vorfälle sollen in einer nächsten Sitzung des Verwaltungsrats erörtert werden, sagt Véronique Faber auf Nachfrage. Interne Vorgänge sollten allerdings auch intern behandelt werden. « Manchmal gab es Zoff, aber dann sollte man versuchen, die Meinungsverschiedenheiten zu überwinden und nicht öffentlich auszutragen », sagt auch Direktor Marc Gerges generell zu den Diskussionen innerhalb der Belegschaft.
Chefredakteur Jean-Claude Franck wollte sich auf Nachfrage ebenso nicht zum Inhalt der internen Diskussionen äußern. Nur so viel: « Wir sind ein ambitionierter Betrieb, der vorankommen will. Unsere internen Diskussionen sind ein Zeichen eines gesunden Demokratieverständnisses. » Ansonsten setze die Chefredaktion große Hoffnungen in das neue Gesetz. « Die Reform sieht eine klare redaktionelle Unabhängigkeit und ein neues Redaktionsstatut vor, das die internen Rollen präzisieren soll », so Jean-Claude Franck im Gespräch mit Reporter.lu.
Sinkende Reichweite und nachwirkende Worte
Es sei wahrlich nicht ungewöhnlich, dass es in einem Medienbetrieb, und besonders in einem öffentlich-rechtlichen Radiosender, « lebendige Auseinandersetzungen über Grundsatzfragen » gebe, erklärt zudem Véronique Faber. Generell sei sie aber « zuversichtlich, dass alle sich ihrer Verantwortung bewusst sind und wir auf dem richtigen Weg sind. » « Wir haben alle das gleiche Ziel, nämlich ein gutes Radioprogramm zu machen und dafür so viele Zuhörer wie möglich zu gewinnen. »
Apropos Zuhörer: Die letzten verfügbaren Zahlen zeigen, dass die Reichweite des öffentlich-rechtlichen Senders wesentlich abgenommen hat. Laut der jüngsten TNS-Plurimedia-Studie erreichte das « Radio 100,7 » zuletzt noch 17.600 Hörer bzw. 3,3 Prozent der Bevölkerung. Ein Jahr zuvor lagen die Werte noch bei 21.200 bzw. 4,1 Prozent. Zum Vergleich: « RTL Radio » lag Ende 2020 bei 28 Prozent, « Eldoradio » bei 15,1 Prozent und « L’essentiel Radio » bei einer Reichweite von 8,4 Prozent.
Wir haben aus dem Vorfall unsere Lehren gezogen. Der beste Beweis ist, dass alle Verantwortlichen weiter auf ihren Posten sind. »Marc Gerges, Direktor von « Radio 100,7 »
Dabei hatte sich der neue Direktor bei seinem Antritt im Juli 2019 gerade die Zunahme der Hörerschaft zum Ziel gesetzt. « Wir können nicht in einer Nische sitzen, von der aus wir gerade mal zwei Prozent der Zuhörer ansprechen », sagte Marc Gerges Ende 2019 gegenüber dem « Tageblatt ». Auch intern argumentierte der Direktor dem Vernehmen nach immer wieder mit den Zuhörerzahlen, um etwa die von ihm angestrebten Programmänderungen zu rechtfertigen.
Im gleichen Interview mit dem « Tageblatt » wehrte sich der Direktor zudem gegen die Vorwürfe gegen seine Person. Seiner Redaktion unterstellte er damals pauschal, dass diese weder dem Verwaltungsrat, noch der Direktion oder dem Publikum Rechenschaft ablegen wolle. Marc Gerges sprach in diesem Zusammenhang von « Dogmatismus », einem « inzestuösen Selbstbefruchtungszyklus » und « inquisitorischen Allüren ». Es sind Worte, die in weiten Teilen der Redaktion bis heute nachhallen.
Auf die Frage, ob Direktor Marc Gerges noch das volle Vertrauen des Verwaltungsrats besitzt, sagt Véronique Faber übrigens: « Ich kann mich nicht direkt dazu äußern. Ich kann aber sagen: Er ist noch da und wir unterstützen ihn bestmöglich in seiner Arbeit. »
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