Nicht nur in Luxemburg wird am 14. Oktober gewählt. In Bayern will Ministerpräsident Markus Söder sein Amt verteidigen. Zwei Journalisten der „Süddeutschen Zeitung“ haben ihn über Jahre begleitet. Ein Interview über einen ambitionierten Politiker mit einem Gespür für taktische Manöver.

Interview: Kerstin Smirr

REPORTER: Herr Ritzer, Herr Deininger, Sie beschreiben Markus Söder in Ihrer Biografie als machtbesessenen Politiker, der sich strategisch nach oben durchgeboxt hat. Auf der anderen Seite: Wo liegen seine Sympathiewerte?

Uwe Ritzer: Er kann, wenn er will, sehr gewinnend sein und Humor an den Tag legen. Markus Söder ist seit Beginn seiner politischen Ambitionen sehr fleißig. Und er hat ein gutes Gespür dafür, was die Leute mehrheitlich denken, vor allem jene, die im Zweifelsfall CSU wählen, das heißt das konservative, bürgerliche Publikum.

Roman Deininger: Er ist in der Tat ein geschickter Politiker im Umwerben dieser Kernklientel. In diesem Wahlkampf hat er ein Bündel von Geschenken geschnürt und unter den Bürgern verteilt, wie das Pflege- und Familiengeld. Man könnte sagen, dass er Stimmen kauft, aber es ist clever.

Solch eine Wahlkampftaktik ist aber doch leicht durchschaubar.

Roman Deininger: Wenn jemand Söder nicht wählt, dann ist der Hauptgrund nicht der Verdacht, gekauft zu werden. Söders Problem ist, dass er es in 20 Jahren in politischen Spitzenfunktionen, vom CSU-Generalsekretär bis zu diversen Ministerämtern in Bayern, nicht geschafft hat, ein Grundvertrauen bei vielen Wählern aufzubauen. Wahrscheinlich, weil er zu taktisch agiert hat. In jedem Amt hat er das gemacht, was ihm in der jeweiligen Funktion am nächsten lag, selbst wenn er sich dabei selbst widersprach. In den wenigen Monaten dieses Wahlkampfes konnte er dieses Fehlen an Grundvertrauen nun nicht mehr wettmachen.

Bei den Landtagswahlen vor fünf Jahren erhielt die CSU 47,7 Prozent der Stimmen. Eine rezente Meinungsumfrage sieht sie nun bei 33 Prozent. Wie lässt sich dieser drastische Verlust erklären?

Uwe Ritzer: Dieser Landtagswahlkampf wird von äußeren Einflüssen überlagert. Das Chaos in Berlin, diese Regierung, die den Eindruck erweckt, als sei sie am Ende, diese ständigen Diskussionen in den eigenen Reihen um die Kanzlerin, die Eskapaden von CSU-Chef und Innenminister Horst Seehofer… Es strahlt alles auf die CSU und Söder ab. Söder hat dieses Spiel im Asylstreit am Anfang ein Stück weit mitgespielt, bis er bemerkt hat, dass es nach hinten losgeht.

Roman Deininger: Söder hat die scharfe Linie in der Flüchtlingspolitik mitgeprägt und den Begriff „Asyltourismus“ in die Debatte gebracht. Dann aber war er clever genug zu erkennen, dass dies Wähler der Mitte abschreckt. Auf dem Höhepunkt des Unionsstreits Ende Juni, Anfang Juli schwenkte er um. Seehofer hat länger gebraucht und sorgt jetzt weiter für erratische Bemerkungen, was in der CSU zu der paradoxen Situation führt, dass Söder, obwohl er als Spitzenkandidat für dieses historisch schlechte Umfrage-Ergebnis mitverantwortlich ist, unangefochten in der CSU ist. Die Partei folgt ihm, weil sie von Seehofer noch viel stärker enttäuscht ist.

Roman Deininger (links) ist als politischer Reporter bei der „Süddeutschen Zeitung“ tätig. Sein Kollege Uwe Ritzer arbeitet als Wirtschaftskorrespondent für die „SZ“ in Nürnberg, der Heimatstadt von Markus Söder. (Foto: Johannes Simon)

Warum verliert die CSU trotz ihrer harten Haltung in der Asylpolitik Wähler an die AfD?

Roman Deininger: Die CSU befindet sich in einem Dilemma. Die Wähler in der Mitte verliert sie, weil die Menschen abgeschreckt sind von der scharfen Asylrhetorik. Rechts der Mitte verliert sie Wähler, weil die Leute den Eindruck haben, dass man dem Flüchtlingszustrom nicht Herr wird. Bisher hat dieses große Zelt von der Flüchtlingshelferin bis zum Grenzzaunfreund gehalten. Aber nun gibt es keine gemeinsame Ansprache dieser beiden Gruppen. Für die CSU ist ärgerlich, dass sie als einzige politische Kraft, die AfD ausgenommen, die möglichen Probleme durch das Offenlassen der Grenzen im Herbst 2015 ernstgenommen hat. Sie hat versucht, die Bürger anzusprechen im Sinne von: „Wir verstehen, dass es Probleme gibt und kümmern uns.“ Allerdings hat sie es seither nie geschafft, Reden und Handeln in einen vernünftigen Einklang zu bringen. Die CSU hat rhetorisch überzogen, das Land mehrfach an den Rand von Regierungskrisen gebracht. Dafür haben konservative Wähler kein Verständnis. Zugleich hat die CSU immer wieder Kompromisse gegenüber Angela Merkel gemacht. Jetzt ist es zu spät, viele nehmen die CSU als Zickzackpartei wahr.

Gerade in der Regierungskrise im Sommer zeigte sich, wie angespannt die Beziehungen zwischen CSU und CDU sind. Wie würden Sie das persönliche Verhältnis zwischen Angela Merkel und Markus Söder beschreiben?

Roman Deininger: Ein Nicht-Verhältnis wäre zu viel gesagt, aber wenn man davon ausgeht, dass die CSU früher von ihrem hervorragenden Draht in die Schwesterpartei und zum Bundeskanzler profitiert hat, dann ist dieser Draht jetzt denkbar schlecht. Zwischen Söder und Merkel gibt es keine nennenswerte Chemie. Wenn sie Auftritte zusammen absolvieren – es gab im Wahlkampf einen einzigen – merkt man, dass sich beide zusammenreißen müssen, um harmonisch miteinander aufzutreten. Vor seiner Wende in der Asylrhetorik wollte Söder Merkel im Wahlkampf nicht dabeihaben. Nachdem er erkannt hatte, dass er in der Schärfe runterdimmen muss, war er froh, dass er sich zumindest einmal mit ihr zeigen konnte.

Markus Söder – Politik und Provokation“ lautet die Biografie von Roman Deininger und Uwe Ritzer. Auf knapp 400 Seiten beleuchten die Autoren den Werdegang des Nürnbergers, der sich mit unermüdlichem Arbeitseifer, taktischen Manövern und einem Geschick für öffentlichkeitswirksame Auftritte vom Arbeiterkind bis ins Amt des bayerischen Ministerpräsidenten gekämpft hat. Das Buch ist im Verlag Droemer Knaur erschienen.

Im Asylstreit machte sich Söder für einen Alleingang Deutschlands stark, was den Grenzschutz betrifft. Die Zeit als bayerischer Europaminister in Brüssel scheint ihn nicht von der Gemeinschaft überzeugt zu haben. Wie europäisch denkt Söder?

Roman Deininger: Während seines Jahrs in Brüssel hat er sich als Mustereuropäer gegeben. Er durchdringt die Europäische Union als Institution besser als andere. Das muss man ihm lassen. Er hat auch sehr gut gelernt, in diesem großen, bürokratischen System – salopp gesprochen – Beute für Bayern und Deutschland zu machen, das heißt beispielsweise Fördergelder einzutreiben. Er changiert nur, wie das in der CSU lange Jahre üblich war, zwischen flammendem Europa-Plädoyer und Schimpfen auf die Brüsseler Bürokraten. Das ist zwar widersprüchlich, passt bei ihm aber in eine Rede. Möglicherweise wäre ein EU-Kommissionspräsident Manfred Weber genau der Schubs, den die Partei braucht, um zu erkennen, dass man stärker auf Europa setzen sollte.

Uwe Ritzer: Söder ist weder ein Anti-Europäer noch ein Rechtsradikaler. Wenn Söder Ministerpräsident bleibt, vielleicht irgendwann CSU-Parteichef wird oder wenn er sogar in der Bundespolitik einmal eine größere Rolle spielen sollte, würde das keineswegs auf eine Politik hinauslaufen, wie man sie von Populisten aus anderen Ländern kennt.

Die CSU ist mit ihrem Führungspersonal oft gnadenlos umgegangen, wenn es nicht das gewünschte Wahlergebnis einfuhr. Wie lange bleibt Söder Ministerpräsident?

Uwe Ritzer: Ich glaube, dass er als Ministerpräsident unangefochten ist, weil man sich in der CSU damit abgefunden hat, dass es mit fast 100-prozentiger Wahrscheinlichkeit nicht für die absolute Mehrheit der Sitze reicht. In der CSU weiß man gut einzuschätzen, welche bundespolitischen Einflüsse eine Rolle spielen. Die Partei rechnet Söder auch hoch an, dass er im Wahlkampf von früh bis spät unterwegs ist und sieben Tage die Woche kämpft.

Söders politische Ambition war es lange Jahre, Ministerpräsident zu werden. Was wird sein nächstes Ziel?

Uwe Ritzer: Er muss seine Position festigen. Jetzt geht das Regieren erst los. Wenn Söder es schafft, Ministerpräsident zu bleiben, wird er die nächste Zeit dahingehend nutzen, wirklich Politik zu machen. Was er danach macht, ist für uns die spannendste Frage, denn er hat noch nie erkennen lassen, dass es ihn nach Berlin oder Brüssel zieht. Wenn er in zehn Jahren als Ministerpräsident aufhört, wäre er 61 Jahre alt und das ist für einen Politiker jung.