Der nationale Ethikrat empfiehlt, vorrangig das Personal des Gesundheitssektors zu impfen. Die knappe Stellungnahme der Experten lässt der Regierung viel Spielraum. Ältere Menschen sollen erst in einer zweiten Phase geimpft werden. Damit geht Luxemburg einen Sonderweg.
« Ältere Menschen und Vorerkrankte sind nicht die erste Priorität beim Impfen », sagte Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) am Dienstag im Parlament. Die Impfstrategie der Regierung, die Gegenstand der Aktualitätsstunde war, sieht dagegen vor, jene Personen zu impfen, die « an der Front » stehen. Gemeint ist das Gesundheitspersonal.
Die kriegerische Metapher benutzte auch die Präsidentin des nationalen Ethikrates, Julie-Suzanne Bausch. Der Impfstoff sei eine « neue Waffe » im Kampf gegen das Coronavirus Sars-CoV-2. Und diese Waffe müsse jenen Menschen an der « Front » zur Verfügung stehen, erklärte sie anlässlich der Vorstellung der Stellungnahme zur Impfstrategie.
Bei den Abgeordneten traf die Impfstrategie auf große Zustimmung, wenn die Opposition sich auch mehr Details zum Ablauf und der Organisation gewünscht hätte. Kaum thematisiert wurde im Parlament, dass sich die Luxemburger Herangehensweise wesentlich von jener der Nachbarländer unterscheidet.
Angst vor überlastetem Gesundheitssystem
Frankreich, Deutschland und Belgien planen im Gegensatz zu Luxemburg nämlich, Bewohner von Pflegeheimen vorrangig zu impfen. Parallel wollen die Nachbarländer das Gesundheitspersonal impfen, das das größte Risiko trägt. Entscheidend ist bei diesen Impfstrategien das « besonders hohe Risiko für schwere oder tödliche Verläufe einer COVID-19 Erkrankung », wie es die deutsche Ständige Impfkommission formuliert. Dazu zählen vor allem die über 80-Jährigen. Auch in Luxemburg gehen zwei Drittel der Todesfälle auf diese Altersgruppe zurück.
Der Luxemburger Ethikrat hat sich bewusst gegen diesen Vorrang für ältere und anfällige Personen entschieden. Das Problem sei, dass die ersten Lieferungen des Impfstoffes wahrscheinlich nicht für die gesamte Altersgruppe reichen würden, so eine Erklärung. In Frankreich drohe etwa, dass der Impfstoff in einer ersten Phase nicht für alle Bewohner von Pflegeheimen ausreiche. Dann müsse man eine Rangfolge innerhalb der Risikogruppe der älteren und gefährdeten Menschen festlegen. Das hält die Präsidentin Julie-Suzanne Bausch für eine gefährliche Diskussion.
Der Ethikrat entschied sich deshalb für eine utilitaristische Herangehensweise: Das Gesundheitspersonal mit direktem Kontakt zu Covid-19-Kranken sei eine Gruppe von knapp 1.000 Personen. Sie vorrangig zu impfen, bringe den größten Nutzen, heißt die Devise. Das Gesundheitssystem könne weiter funktionieren, weil das Personal nicht krank wird. Auf diese Weise bekämen die Risikogruppen die nötige Pflege, sollten sie sich infizieren. Und durch die Impfung entstehe ein « cordon sanitaire » rund um die Risikogruppen, wie es Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) vergangene Woche ausdrückte.
Offene Fragen zu den Impfstoffen
Die Empfehlung des Ethikrates betrifft allerdings nur das Personal, das in direktem Kontakt mit Covid-19-Erkrankten steht. Gesundheitspersonal zähle nicht zur prioritären Gruppe, wenn es in Bereichen arbeite, wo nur ein Risiko bestehe, mit Covid-19-Positiven in Kontakt zu kommen, betonten die Vertreter des Gremiums.
Sollte die erste Lieferung an Impfstoffen größer ausfallen als geplant, hat die Regierung sehr großen Spielraum, wer denn nun geimpft wird. Das Gutachten des Ethikrates ist sehr klar begrenzt. Die Gesundheitsministerin hat aber die Möglichkeit angekündigt, dass Menschen mit einer besonderen Risikoerkrankung von ihrem behandelnden Arzt frühzeitig für eine Impfung angemeldet werden könnten.
Man müsse bedenken, dass es zu vermeiden gelte, dass das Gesundheitspersonal in zu großen Zahlen ausfalle, warnte DP-Fraktionschef Gilles Baum während der Aussprache im Parlament. Der CSV-Abgeordnete Jean-Marie Halsdorf forderte dagegen, dass jene Bevölkerungsgruppen zuerst geimpft werden müssten, bei denen die Sterblichkeit am höchsten sei.
Die Gesundheitsministerin erteilte dieser Forderung jedoch eine klare Absage. Noch sei nicht klar, wie die Impfstoffe bei verschiedenen Bevölkerungsteilen wirken würden. Es sei nicht sinnvoll, detaillierte Impfstrategien auszuarbeiten, die sich dann als Illusion herausstellen würden, betonte Paulette Lenert vor den Abgeordneten. Stattdessen gelte es ohnehin, die Zulassung abzuwarten, um genau zu wissen, wie der jeweilige Impfstoff wirke. Auch der Ethikrat will dann seine Empfehlungen anpassen.