16,4 Prozent: Der jüngste rekordverdächtige Anstieg bei den Immobilienpreisen verdeutlicht: Luxemburgs Wohnungsmarkt boomt, birgt aber auch systemische Risiken. Experten sprechen von einer Preisblase, in der die ausufernde Spekulation letztlich den Wohlstand des Landes bedroht.
Eine Blase wächst so lange, bis sie platzt. So banal diese Feststellung erscheint, so schwierig ist eine Aussage darüber, was diese Metapher übertragen auf Luxemburgs Immobilienmarkt realwirtschaftlich bedeutet. Denn wann genau und wieso eine Preisblase platzt, bleibt, genau wie ihre Entstehung, Spekulation.
Eine Einschätzung darüber, ob es überhaupt eine Preisblase gibt, fällt dagegen leichter. Grob umschrieben, spricht man in der Wirtschaftswissenschaft von Spekulationsblase, wenn die Preiserwartung einer Leistung oder eines Gutes deren eigentlichen Wert übersteigt. « Immobilienpreisblasen sind spekulativ überhöhte Bewertungen an den Immobilienmärkten. Dabei stehen die Preise zunehmend nicht mehr in Einklang mit den sozio-ökonomischen Bedingungen », lautet die Definition des « Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung ».
Das Problem bei einer solchen Entwicklung: Früher oder später verkehren sich laut der marktwirtschaftlichen Lehre die Preiserwartungen in ihr Gegenteil. Die Preise fallen rasanter, als sie gestiegen sind, und bringen damit ganze Wirtschaftssysteme ins Wanken. Kurzum: Die Blase platzt. Bestes Beispiel dafür ist die sogenannte « Subprime-Krise » 2007 in den USA, die schließlich zur bisher letzten globalen Finanzkrise führte.
Das Besondere an Spekulationsblasen am Immobilienmarkt ist die unmittelbare Wechselwirkung mit dem gesamten Finanz- und Wirtschaftssystem. Anders als etwa bei der Überpreisung von Konsumgütern steht der Wert eines Grundstücks, eines Hauses oder einer Eigentumswohnung in direktem Zusammenhang mit dem verfügbaren Einkommen der Bevölkerung und dem Bevölkerungswachstum.
Entscheidend ist: Wer kann sich was leisten? Und wie viele Menschen suchen gleichzeitig? Steht die Preisentwicklung nicht mehr im Einklang mit diesen beiden Faktoren, verdichten sich die Zeichen für eine Preisblase. Der Wert richtet sich dann nicht mehr nach der Nachfrage, sondern nur noch nach der Gewinnerwartung des Käufers.
Systemische Risiken eines boomenden Marktes
Befindet sich Luxemburg in einer Immobilienblase? Einheimische Politiker wiegeln bei dieser Frage stets ab. Doch viele Experten weisen seit geraumer Zeit auf problematische Entwicklungen auf Luxemburgs Immobilienmarkt hin. Eine erste Auskunft über die Preisentwicklungen geben die Quartalsberichte des Statec. Im letzten Jahrzehnt kannten die Preise nur eine Richtung: steil nach oben.
Doch selbst im Maßstab des heißen Luxemburger Immobilienmarktes ließen die jüngsten Zahlen des Statec durchaus aufhorchen. Im Vergleich zum Vorjahr stiegen die Preise von Immobilien im vierten Trimester 2020 durchschnittlich um 16,4 Prozent an. In der politischen Debatte wird die Wohnungskrise bisher vor allem als zunehmendes soziales Problem wahrgenommen. Vereinfacht ausgedrückt: Der rasante Preisanstieg führt dazu, dass sich immer weniger Menschen ohne hohes Einkommen oder Eigenkapital in Luxemburg eine eigene Wohnung leisten können.
Das Einkommen der Haushalte in Luxemburg wächst weit weniger schnell als die Preise am Immobilienmarkt. Da stoßen wir irgendwann einfach an natürliche Grenzen. »Julien Licheron, Wirtschaftswissenschaftler am LISER
Dabei beschäftigen die aktuellen Zahlen auf dem Wohnungsmarkt längst auch die europäischen Finanzaufsichtsbehörden, allen voran das « European Systemic Risk Board » (ESRB). Der im Zuge der Finanz- und Eurokrise 2011 gegründete Ausschuss spricht seit Jahren von einer systemischen Gefahr für Luxemburg, mit möglichen weitreichenden Folgen für die Bürger des Landes und die einheimischen Kreditinstitute.
In seinem jüngsten Lagebericht von Anfang April kommt das ESRB jedoch zu einer neuen, durchaus bedenklichen Einschätzung. Denn eine deutliche Veränderung zeigt sich laut dem Bericht beim Wert der angebotenen Immobilien. Ging die Behörde im Bericht vom Dezember 2019 noch von einem der Nachfrage entsprechenden Wert der Immobilien aus, schätzt sie nun, dass Immobilien in Luxemburg im Schnitt zu knapp 40 Prozent überbewertet sind.
Inwiefern können Immobilien überbewertet sein? Laut dem ESRB übersteigen sie die marktüblichen Mietpreise und das durchschnittlich verfügbare Einkommen in Luxemburg. Die Überbewertung von Immobilienpreisen ist demnach in Luxemburg im EU-Vergleich bei weitem am höchsten. Gleiches gilt laut der Risikoeinschätzung der Experten für das damit verbundene Kreditausfallrisiko – ein Faktor, der wiederum auf das generelle systemische Risiko für das Luxemburger Bankensystem hindeutet.
Vom sozialen zum gesamtwirtschaftlichen Problem
Julien Licheron ist Makroökonom am Luxembourg Institute for Socio-Economic Research (Liser) mit Forschungsschwerpunkt Immobilienpreise und Bauland. Er ist zudem aktiv an der Ausarbeitung der Statec-Zahlen zu den Immobilienpreisen beteiligt. Für den Forscher sind die Einschätzungen des ESRB nachvollziehbar: « Luxemburg kennt seit 2018 jährliche Zuwächse von über zehn Prozent bei den Immobilienpreisen. Das vierte Quartal 2020 beschreibt mit über 15 Prozent Zuwachs einen neuen Höhepunkt. Auf Dauer sind diese Zahlen nicht nachhaltig. »
Wenn die Immobilienpreise fallen, fällt der Reichtum des Landes. »
Jean-Pierre Zigrand, Direktor des « Systemic Risk Center » an der LSE
Er selbst sei erstaunt gewesen, dass der Immobilienmarkt von der Corona-Krise fast unberührt blieb und die Preise sogar noch einmal derart angestiegen sind, sagt Julien Licheron. Als mögliche Gründe für diesen Preissprung führt der Forscher zwei Erklärungen an: Erstens sei der Markt für Büroimmobilien durch die Corona-Krise von Unsicherheiten geprägt – auch weil sich die Arbeitsgewohnheiten mit der Pandemie verändert haben. Institutionelle Investoren hätten deshalb vermehrt in Wohnimmobilien investiert. Dies erkläre auch den hohen Anstieg bei der Anzahl der registrierten Verkäufe im letzten Quartal 2020.
Hinzu komme eine Art Torschlusspanik. Denn seit dem 1. Januar 2021 gelten in Luxemburg bestimmte Vergabebeschränkungen bei Krediten. So dürfen Kredite bei Erstbesitzern nicht mehr 100 Prozent des Wertes der Immobilie übersteigen. Handelt es sich um den Kauf einer Zweitimmobilie, können maximal 80 Prozent des Kaufpreises finanziert werden. Es sei vorstellbar, dass besonders Käufer von Zweitimmobilien noch von den Konditionen des Vorjahres profitieren wollten, so Julien Licheron.

Bleibt die Frage nach der Blase und ob sie irgendwann platzt. Ob Luxemburg einen « Minsky Moment » erleben wird, also einen drastischen Einbruch der Preise wie bei der Subprime-Krise 2007, darüber will sich Julien Licheron nicht äußern. Auf bekannte (und geplatzte) Immobilienblasen angesprochen, unterstreicht der Forscher die andere Ausgangslage in Luxemburg: « In Irland und Spanien wurden Immobilien allein zu Spekulationszwecken gebaut, ohne dass wirklich eine Nachfrage bestand. Das ist in Luxemburg anders. »
Die Nachfrage sei immer noch ungebrochen. Dennoch seien der Entwicklung auf dem Immobilienmarkt auch im Großherzogtum Grenzen gesetzt, so Julien Licheron. « Das Einkommen der Haushalte in Luxemburg wächst weit weniger schnell als die Preise am Immobilienmarkt. Schon jetzt muss ein Teil der Bevölkerung bis zu 60 Prozent des Einkommens fürs Wohnen ausgeben. Da stoßen wir irgendwann einfach an natürliche Grenzen. »
Auffällig hohe Verschuldung von Privathaushalten
In einem gesonderten Lagebericht zur Vulnerabilität im Immobilienbereich bescheinigte das « European Systemic Risk Board » Luxemburg bereits 2019 ein « hohes systemisches Risiko ». Dafür nannte die Behörde damals drei Hauptgründe: die hohe Verschuldung der Haushalte, die steigende Vergabe von Immobilienkrediten zu bedenklichen Konditionen und die Überbewertung von Immobilien.
Als besonders besorgniserregend und Hauptrisikofaktor hob der Bericht die Verschuldung der Privathaushalte hervor. So betrug die Verschuldung der Luxemburger Einwohner Ende 2017 bereits 171 Prozent des verfügbaren Einkommens. Zudem würden die meisten Immobilienkredite mit einen variablen Zinssatz abgeschlossen, was die mögliche Exposition der Haushalte bei steigenden Zinsen noch verschlimmern könnte. Im europäischen Vergleich belegt Luxemburg damit einen der Spitzenplätze. Eine höhere Privatverschuldung weisen in der EU nur die Niederlande und Dänemark auf.
Il ressort de ces analyses (…) que la poursuite de l’accélération du cycle de crédit dans l’environnement macroéconomique actuel est susceptible d’être une source potentielle de risque systémique. »Finanzaufsichtsbehörde CSSF
Zudem bemängelte die EU-Behörde bereits 2019, dass die Preise von Wohnimmobilien seit mehr als zehn Jahren schneller als das verfügbare Einkommen steigen würden. Ebenso sei unklar, ob die Migration einen möglichen Preisverfall bei Wohnungen und Häusern abschwächen würde oder nicht. Dies, weil unsicher sei, ob die Migration nach Luxemburg an Wirtschaftszyklen gebunden sei oder nicht. Will heißen: Sollten Menschen allein wegen dem Arbeitsmarkt nach Luxemburg gezogen sein, könnte ein möglicher Abschwung die Immobilienpreise zusätzlich unter Druck setzen.
In Folge des Berichts und auf Druck der Europäischen Zentralbank wurden in Luxemburg zwei makroökonomische Vorsichtsmaßnahmen eingeführt. Neben den bereits erwähnten Beschränkungen bei der Kreditvergabe sind Luxemburger Finanzinstitute zudem seit Januar 2020 gezwungen, antizyklische Kapitalrücklagen in Höhe von zunächst 0,25 Prozent zu halten. Mittlerweile wurde der Satz auf 0,5 Prozent erhöht. Außer in Luxemburg müssen Finanzinstitute nur noch in Tschechien, Bulgarien und der Slowakei entsprechende Rücklagen bilden.
Die « vier Wände » des Luxemburger Reichtums
Der Hebelsatz wurde zuletzt am 31. März von der luxemburgischen Finanzaufsicht CSSF bestätigt. In der Begründung ihrer Entscheidung verweist die Aufsichtsbehörde, übrigens ebenso wie das « Comité du risque systémique », auch auf den Immobilienmarkt und die Kredite: « D’autres variables ont par ailleurs été prises en compte (…) telles que la dynamique des crédits en particulier les crédits immobiliers, des mesures de la surévaluation potentielle des prix de l’immobilier ainsi que des mesures liées à l’environnement macroéconomique. Il ressort de ces analyses conduites par la BCL et la CSSF que la poursuite de l’accélération du cycle de crédit dans l’environnement macroéconomique actuel est susceptible d’être une source potentielle de risque systémique. »
Doch was passiert, wenn es passiert? Also wenn die Blase platzt? Die Folgen für Luxemburg dürften drastisch sein. Denn laut einer Analyse der Luxemburgischen Zentralbank sind rund 88 Prozent des Kapitals der Luxemburger Haushalte in Immobilien angelegt. Der Reichtum des Großherzogtums hat demnach « vier Wände ». Dies unterstrich auch der Direktor des « Systemic Risk Centre » an der London School of Economics, der Luxemburger Jean-Pierre Zigrand, bei einem Vortrag für den Paperjam Club im Dezember 2020: « Wenn die Immobilienpreise fallen, fällt der Reichtum des Landes. »
Für Luxemburg sieht der Forscher derweil konkrete Anzeichen für eine Immobilienblase. Grund dafür sind nicht nur die Überpreisung von Immobilien, sondern auch die Geschwindigkeit des Preisanstiegs. Steigen die Preise exponentiell, wie derzeit in Luxemburg, bewege man sich laut Jean-Pierre Zigrand in « explosivem Blasen-Terrain ». Zudem würden sich die Anzeichen mehren, dass ausländische Investoren nur kurzfristig auf dem Luxemburger Markt investieren.
Die Phasen der platzenden Spekulationsblase
Doch wann die Blase platzt, vermögen die Experten nicht zu sagen. Schließlich würden sich einige Blasen über Jahre oder Jahrzehnte halten, meint Jean-Pierre Zigrand. So wie etwa bei Währungen, die ja auch keinem eigentlichen Gegenwert entsprechen.
Dabei sind die ungebrochene Dynamik der Luxemburger Wirtschaft oder die oft gepriesene « Triple A »-Bonität der Ratingagenturen letztlich kein stichhaltiges Argument gegen die systemischen Risiken. Laut dem Ökonomen Hyman Minsky, einem der bekanntesten « Bubble »-Theoretiker, können tiefgreifende Finanzkrisen eben auch boomende Volkswirtschaften treffen. Anhand der von ihm vertretenen Zyklen einer Preisblase lässt sich denn auch erahnen, an welcher Stelle der Entwicklung sich Luxemburgs Immobilienmarkt befindet.
Demnach folgt – vereinfacht dargestellt – auf den ersten, von außen bewirkten Schock der Boom und die Kreditexpansion, dann die Euphorie bzw. « spekulative Manie » am Markt. Erst nach und nach kommt es zu Liquiditätsengpässen und gesamtwirtschaftlichen Schieflagen. Es muss nicht immer zum großen, einzigen Crash kommen, doch irgendwann stellt sich dann schließlich das « Ende der Panik » ein.
Ein Ausblick darauf, was passieren könnte, wenn die Blase platzt und die Immobilienpreise fallen, liefert indes der Bericht des « European Systemic Risk Board »: « The high household indebtedness level might amplify adverse shocks, e.g. in the event of a house price reversal. This could lead to a decline in consumption, investment and GDP, and affect demand, including that for real estate. »
Anders als die reine ökonomische Lehre den Anschein erwecken mag, sind Spekulationsblasen immer sehr verschieden. Gemeinsam ist ihnen aber, dass der Abstieg meistens plötzlicher und schneller geschieht als der zuvor erfolgte kontinuierliche Anstieg der Preise. Beim Platzen der Blase wird eine Kettenreaktion losgetreten, mit wahrscheinlich drastischen Folgen für das Bankensystem, die Staatsfinanzen und die gesamte Wirtschaft. Auch die schon heute politisch kontrovers diskutierte soziale Facette der Krise dürfte sich in diesem Szenario noch weiter verschärfen.
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