Gemeinschaftliches Bauen steht für erschwinglichen und nachhaltigen Wohnraum. In Luxemburg haben alternative Bauprojekte dennoch kaum eine Chance. Es bleibt bei Einzelinitiativen, die oft an institutionellem Widerstand und fehlendem politischen Mut scheitern.
Ein Einfamilienhaus auf dem Land, mit Fuhrpark davor und abgezäuntem Garten dahinter. Oder eine Stadtwohnung in einem wie Pilze aus dem Boden schießenden, immer nach Schema F gebauten Appartementhaus. Sichtschutz zum Nachbar, Garagenstellplatz und Einheitsfliesen inklusive.
So kann oder will jedoch nicht jeder leben. Diese vielleicht etwas überzogenen Stereotypen der beiden, in Luxemburg fest etablierten Wohnformen jagen Hany Heshmat, Claude Ballini und Victor Kraus einen kalten Schauer über den Rücken. Seit Jahren loten die drei Freunde Alternativen aus und suchen Möglichkeiten für gemeinschaftliches Bauen und Wohnen.
Heute stehen sie in der Nähe des technischen Gymnasiums in Bonneweg und schauen in ein großes Loch. Hier, zwischen einem schnell hochgezogenen sozialen Wohnungsbau und einem Mehrfamilienhaus aus den 1950er Jahren, wird nun ihr ureigenes Wunschhaus entstehen. Mit maßgeschneiderten Wohnungen und Gemeinschaftsräumen, unter Verwendung ökologisch wertvoller Materialien und mit dem Anspruch, dass sich die Bewohner im Alltag unterstützen. Die Bauarbeiten haben begonnen, der Einzug ist für Herbst 2022 geplant.
Eine übervorsichtige Stadt
Im Juni 2017 hatte die Stadt Luxemburg – damals noch mit den Grünen im Schöffenrat – zwei städtische Grundstücke zur Vergabe an gemeinschaftliche Bauprojekte ausgeschrieben. Jenes in Bonneweg und ein etwas größeres in Belair. Auch dort soll nun, nach einiger Verzögerung, demnächst die Baugenehmigung vorliegen und mit dem Bau begonnen werden.
Die Stadt hat das Potential von gemeinschaftlichen Bauprojekten erkannt: „Ich sehe nur Vorteile und keine Nachteile“, sagt François Benoy (Déi Gréng), einer der politischen Drahtzieher hinter dem Projekt, im Gespräch mit Reporter.lu. „Wir haben diese Projekte vom alten Schöffenrat übernommen, uns überzeugen lassen und werden diese Initiativen auf jeden Fall weiterführen“, sagt auch Serge Wilmes (CSV), der heutige Schöffe für Stadtentwicklung und Architektur der Gemeinde Luxemburg. „Wir brauchen eine Durchmischung des Angebots auf dem Wohnungsmarkt.“
Bauen Bewohner eigenverantwortlich, geht es ihnen in erster Linie darum, Lebensqualität zu schaffen und nicht Quadratmeter zu optimieren. »Sonja Gengler, Chefarchitektin der Stadt Luxemburg
„Durch solche Bauprojekte bringen wir eine weitere, für viele sehr attraktive Form an Wohnraum auf den Markt, ohne selbst viel Arbeit damit zu haben“, erklärt ihrerseits Sonja Gengler, Chefarchitektin der Stadt Luxemburg. „Bauen Bewohner eigenverantwortlich, geht es ihnen in erster Linie darum, Lebensqualität zu schaffen und nicht Quadratmeter zu optimieren ».
Es scheint paradox: Ob interessierte Bürger, Politiker jeglicher Couleur, Stadtplaner oder Architekten: Nahezu jeder sieht die finanziellen, ökologischen und sozialen Vorteile gemeinschaftlicher Bauprojekte. Dennoch wurden Dynamik und Konzepte der ersten Ausschreibung nicht genutzt und bisher keine weiteren Grundstücke für ähnliche Bauprojekte zur Verfügung gestellt. Man sei vielleicht etwas zu vorsichtig, räumt Stadtarchitektin Sonja Gengler ein.
Eine abgespeckte Version
Und so kommt Luxemburg trotz großer Nachfrage nicht über Einzelinitiativen hinaus. Wie das vom gemeinnützigen Verein « cohabit’AGE » verwaltete Mehrgenerationenhaus in Vianden, oder auch das von dem Verein « Life » gekaufte und Wohngemeinschaften zur Verfügung gestellte Haus in Zolwer, werden die Mehrfamilienhäuser in Bonneweg und Belair, „absolute Nischenprodukte homöopathischer Initiativen“ bleiben, wie Claude Ballini, der Architekt und Miteigentümer des Hauses in Bonneweg, es ausdrückt.
„Dabei ist unser Bauprojekt noch nicht einmal besonders revolutionär“, wirft Victor Kraus ein. „Eigentlich funktionieren wir wie eine schlichte Miteigentümerschaft, jeder ist für sein eigenes Finanzierungsmodell verantwortlich.“

Denn ursprünglich wollten die drei Bauherren gar kein Eigenheim erwerben. Alle drei sind Mitbegründer von „ad hoc“, der ersten und einzigen Baugenossenschaft in Luxemburg. Sie wollten ein genossenschaftliches Bauprojekt aufziehen, mit deutlich mehr Wohneinheiten, stärkerer sozialer Durchmischung und vor allem: ohne Eigentum.
Doch Hany Heshmat, Claude Ballini und Victor Kraus kamen im Laufe der Jahre in Zugzwang. Ihre Wohnungen wurden immer enger, beruflich und privat brauchten sie mehr Platz. Die Kämpfe der Genossenschaft dauerten schlicht zu lange. Und so realisieren sie nun, mit dem Haus in Bonneweg, eigentlich nur eine stark abgespeckte Version ihrer ursprünglichen Initiative.
Ein Blick über die Grenzen
Luxemburg ist eben nicht Freiburg, Straßburg oder Brüssel. Im nahen Ausland haben genossenschaftliches Bauen und Wohnen eine lange Tradition und sich mittlerweile als feste dritte Säule der Wohnraumversorgung etabliert. Besonders Wien gilt als Vorzeigestadt für soziale und nachhaltige Stadtentwicklung in Europa. Nur jeder fünfte Wiener lebt im Eigenheim, für die Mieter stehen überwiegend Gemeindewohnungen und Genossenschaftswohnungen zur Verfügung.
Eine gemeinnützige Organisation kann im Wettbewerb um den Preis nicht mit kommerziellen Organisationen mithalten. Und sie ist auch nicht dazu in der Lage, den Erbbauzins in Form einer Einmalzahlung zu finanzieren. »Baugenossenschaft Adhoc
Seit über einem Jahrhundert fördert die Stadt den sozialen Wohnungsbau, wobei dieser nicht nur sozial schwachen, sondern auch Menschen aus höheren Einkommensschichten zur Verfügung steht. Die soziale Durchmischung ganzer Stadtviertel wird aktiv gefördert und Spekulation im Keim erstickt, da Baugrund als kollektives Eigentum angesehen wird und weitestgehend in den Händen öffentlicher Träger bleibt.
Für Luxemburger Ohren klingt das alles nach einem Märchen aus einer fernen Welt. Genossenschaftliches Bauen hat in Luxemburg nämlich einen schweren Stand, das einzige und erste genossenschaftliche Bauprojekt ist soeben gescheitert.
Scheitern trotz Pioniercharakter
Als sich die Genossenschaft Adhoc im Mai 2016 gründete, war der Idealismus ungebrochen und der Enthusiasmus groß. Die Gruppe vergrößerte sich stetig und zählte bis zu 40 Mitglieder. Werte wie Solidarität, Gemeinnützigkeit, Eigenverantwortung und Nachhaltigkeit wurden großgeschrieben.
Seit mehreren Jahren war die Genossenschaft mit dem Fonds Kirchberg im Gespräch, um auf Basis des Erbpachtrechtes das Grundstück Réimerwee zu erwerben und ihr erstes gemeinschaftliches Wohnprojekt zu realisieren. Im letzten Sommer dann die Ernüchterung: Der Fonds Kirchberg beendete die Verhandlungen mit der Genossenschaft, die eigenen Angaben zufolge bereits rund 250.000 Euro und mehr als 1.000 Stunden unbezahlte Eigenleistung in die Vorbereitung des Projektes gesteckt hatte.
In einer von Reporter.lu angefragten Stellungnahme des Infrastrukturministeriums heißt es: „Das Pilotprojekt mit der Wohngenossenschaft Adhoc kam nicht zustande, weil Minister François Bausch der Auffassung ist, dass trotz Pioniercharakter des genannten Projektes auch solche Projektformen den Ausschreibungsregeln für öffentliche Auftraggeber unterliegen.“
Die Ausschreibung ist seit dem 2. Mai öffentlich. Und sie stellt einen weiteren Rückschlag für die Mitglieder der Baugenossenschaft dar. Die Hoffnung, über die Ausschreibung eventuell doch noch an das Grundstück in Kirchberg zu kommen, ist durch ihre Vorgaben nun endgültig gestorben. „Die Ausschreibung verzichtet auf die wesentlichen Voraussetzungen für gemeinschaftliches Wohnen“, heißt es von Adhoc.
Ein Vertrauensbruch von ganz oben
Eine baugenossenschaftliche Bewerbung sei schon alleine durch das Vergabe- und das Finanzierungsprinzip nicht möglich, da die Ausschreibung nicht nach dem Konzeptvergabeverfahren erfolge, bei dem der Preis eines Grundstückes vorab und unterhalb des Marktniveaus festgelegt werde. „Eine gemeinnützige Organisation kann im Wettbewerb um den Preis nicht mit kommerziellen Organisationen mithalten. Und sie ist auch nicht dazu in der Lage, den Erbbauzins in Form einer Einmalzahlung zu finanzieren“, so Adhoc in einem Schreiben an Reporter.lu.
Darüber hinaus sehe die Ausschreibung das Einbeziehen eines privaten Bauträgers vor, was dem Prinzip zur Minderung der Planungskosten widerspreche und die Bewohner um ihre Mitwirkung bringe, argumentiert die Genossenschaft weiter. Mit dem Verkauf der Wohnungen und der Festlegung der Preise durch den Fonds sei letztlich selbst der Grundgedanke genossenschaftlichen Bauens, der Verzicht auf Eigentum, nicht respektiert.

Für Cédric Metz, Sekretär der Genossenschaft, ist diese Ausschreibung nicht nur ein „Vertrauensbruch“, sondern auch eine „Missachtung der Vorgaben des Koalitionsvertrages“, der ausdrücklich festlege, gemeinschaftliche und neue Wohnformen zu fördern. „Der Fonds Kirchberg hat Adhoc sicher ein Bein gestellt“, sagt auch Gary Diderich (Déi Lénk). Er sieht die Verantwortung für das Scheitern bei Infrastrukturminister François Bausch (Déi Gréng).
Wenn die Politik grundsätzlich an die Problematik des Wohnungsmarktes herangehen möchte, dann muss sie schon die Verfassung ändern. »Gary Diderich, déi Lénk
Für Gary Diderich sind die Erfahrungen von Adhoc symptomatisch für einen sich längst in Schieflage befindenden Wohnungsmarkt. „In Luxemburg ist Eigentum viel zu stark geschützt“, sagt der Gemeindepolitiker aus Differdingen, der als Gründer der « Life asbl » ebenfalls versucht, den Wohnungsmarkt durch Wohngemeinschaften etwas zu entlasten.
„Wenn die Politik grundsätzlich an die Problematik des Wohnungsmarktes herangehen möchte, dann muss sie schon die Verfassung ändern“, so der Politiker von Déi Lénk. Als Vorbild verweist er etwa auf das deutsche Grundgesetz, in dem nicht nur das „Recht auf Wohnen“ verankert ist, sondern auch der Passus steht: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Damit genossenschaftliches Bauen und Wohnen in Luxemburg eine echte Chance bekommt, braucht es laut Gary Diderich allerdings nicht nur einen angepassten gesetzlichen Rahmen, sondern vor allem einen Mentalitätswechsel.
Keine Erfahrung, keine Grundstücke
„Luxemburg hat mit genossenschaftlichem Bauen keine Erfahrung“, heißt es als Erklärung aus dem Wohnungsbauministerium. Das bedeute aber nicht, dass gemeinschaftliches und auch genossenschaftliches Bauen nicht gefördert würden. Im Ministerium sieht man den Grund für das Scheitern der Verhandlungen zwischen der Genossenschaft und dem Fonds Kirchberg vor allem in den unterschiedlichen Vorstellungen über die Bedingungen der Grundstückvergabe.
„Der Fonds ist auf das sofortige Geld aus der Erbpacht angewiesen und kann sich nicht auf eine jahrelange Rückzahlung einlassen“, erklärt der Erste Regierungsrat Mike Mathias. Schließlich dürfe ein Fonds nur auf Mittel zurückgreifen, die er selbst erwirtschaftet habe. Es sei wohl einfacher, Grundstücke für gemeinschaftliches und genossenschaftliches Bauen direkt über Gemeinden oder den Staat zu vergeben. „Im Moment suchen wir noch nach geeigneten Grundstücken, um sie für gemeinschaftliche Wohnprojekte auszuschreiben“, so der hohe Beamte aus dem Wohnungsbauministerium.
Die Stadt Luxemburg wird in einer der nächsten Schöffenratssitzungen über eine weitere Ausschreibung abstimmen. Vier neue, in der Stadt verteilte Grundstücke sollen gemeinschaftlichen Bauprojekten zur Verfügung gestellt werden. Vor allem Eigentumswohnungen auf Basis des Erbpachtrechtes sollen hier entstehen. An baugenossenschaftliche Strukturen, die auf Eigentum verzichten, will man sich jedoch noch nicht herantrauen.
Wahrscheinlich werden sich auch einige Mitglieder der Baugenossenschaft zusammentun, Konzepte entwickeln und sich bewerben. Sie sind unter Zugzwang, und sie wollen auch nicht auf einen Mentalitätswechsel warten.
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