Luxemburg wendet regelmäßig medizinische Tests an, um das Alter von Asylsuchenden zu überprüfen. Junge Erwachsene, die vortäuschen minderjährig zu sein, sollen so entlarvt werden. Die Tests gelten aber nicht als zuverlässig, was nur ein Kritikpunkt daran ist.

Bis Yosi in Luxemburg ankam, war es ein beschwerlicher Weg. Er floh aus Eritrea und geriet auf seiner Flucht ins Kreuzfeuer des libyschen Bürgerkriegs. Die UN-Flüchtlingsagentur (UNHCR) evakuierte ihn nach Italien, von wo aus er sich nach Luxemburg absetzte. Hier sei er endlich sicher, dachte er. Minderjährige Schutzsuchende sind nämlich von der Dublin-Verordnung ausgenommen. Sie besagt, dass Asylsuchende in das Land ausgewiesen werden, in dem sie erstmals Antrag auf internationalen Schutz stellten.

Doch es kam anders. Obwohl die UNHCR bescheinigt, dass Yosi 16 Jahre alt ist, zweifelten die Luxemburger Immigrationsbehörden seine Angaben an, wie die Irish Times im September berichtete. Ambre Schulz des luxemburgischen Vereins « Passerell » bestätigt den Vorfall.

So musste sich Yosi jenen Tests unterziehen, die Luxemburger Behörden immer dann anordnen, wenn sie das Alter von Flüchtlingen anzweifeln: Ein Interview mit einem Beamten des Immigrationsministeriums, um die psychische Reife einzuschätzen. Physische und zahnärztliche Untersuchungen. Und schließlich Röntgenbilder des Handgelenks und der Schulter. Bis vor Kurzem untersuchten die zuständigen Ärzte in manchen Fällen sogar die Geschlechtsteile der Asylsuchenden – diese Praxis wurde auf Druck der NGOs inzwischen eingestellt.

In Yosis Fall kam das medizinische Gutachten zum Schluss, dass er nicht 16, sondern 25 sei – also volljährig. Nun droht ihm die Ausweisung nach Italien.

Luxemburg zweifelt Minderjährigkeit an

« Es ist nicht der einzige Fall, bei dem die Minderjährigkeit nicht anerkannt wird », bestätigt Ambre Schulz von « Passerell ». « Sogar dann nicht, wenn die Jungen mit offiziellen Dokumenten – etwa von der UNHCR, oder von einem anderen Staat – herkommen. »

Dass die Immigrationsbehörden den Altersangaben von Schutzsuchenden nicht blind glauben, hat durchaus seine Gründe. Minderjährige gelten laut dem Einwanderungsgesetz als « personnes vulnérables ». Sie genießen besonderen Schutz. Zudem sind sie von der Dublin-Verordnung ausgenommen. Das Risiko, dass sich junge Erwachsene als minderjährig ausgeben, besteht also durchaus.

Es ist ein Spiel mit dem Feuer. Sind die Behörden einmal überzeugt, dass jemand volljährig ist, lassen sie sich nur noch schwer umstimmen. »Frank Wies, Anwalt für Asylrecht

Dass die Behörden, wie in Yosis Fall, sogar offizielle Bescheinigungen anzweifeln, habe einen guten Grund, sagt das Außenministerium auf Nachfrage. Komme jemand etwa mit einem Zertifikat aus Italien her, bedeute das nur, dass die Person dort behauptet habe, sie sei nicht volljährig – und folglich als minderjährig eingestuft wurde. « Das bedeutet jedoch nicht, dass dies bereits überprüft wurde. »

Dennoch stößt die Praxis auf Kritik. « Es ist ein Spiel mit dem Feuer. Sind die Behörden einmal überzeugt, dass jemand volljährig ist, lassen sie sich nur noch schwer umstimmen », berichtet etwa der Anwalt Frank Wies. Der unter anderem in Ausländer- und Asylrecht spezialisierte Jurist betreute bereits Fälle, bei denen sich die Behörden irrten und die Minderjährigkeit fälschlicherweise anzweifelten. Laut Cassie Adelaïde von « Passerell », kommt es zudem immer öfter vor, dass die Behörden Alterstests anordnen.

Unschlüssige Tests

Das Problem: Es handelt sich bei den Tests nicht um zuverlässige Untersuchungen, anhand derer sich das Alter eines Menschen ohne Zweifel feststellen lässt. Die Röntgentests wurden nicht einmal zur Altersbestimmung entwickelt.

Die Röntgenbilder vom Handgelenk zeigen lediglich, ob die Wachstumsfugen verschlossen sind (Greulich und Pyle Methode). Auf jenen vom Schlüsselbein (Schmeling Mehode) lässt sich erkennen, wie weit die Verknöcherung des Knorpels vorangeschritten ist. Durchschnittlich schließen sich die Wachstumsfugen des Handgelenks um das 18. Lebensjahr, der Schlüsselbeinknorpel verknöchert um das 21. Lebensjahr.

Doch da liegt die Krux. Mehr als Schätzungen lassen die Tests nicht zu, betonen Kritiker. Sollen sie auch nicht: Denn eigentlich wurden sie entwickelt, um Ärzten zu helfen, die Skelettreife einer Person zu überprüfen – also festzustellen ob sich ihr Skelett altersgemäß entwickelt.

Si l’âge exact est incertain, il faut accorder à l’enfant le bénéfice du doute. »UN-Flüchtlingsagentur

Zudem ist unklar, ob die Referenzwerte der Tests, die in Deutschland und den USA entwickelt wurden, sich eins zu eins auf Flüchtlinge aus anderen Kulturkreisen übertragen lassen. « Die Teste sind nicht zuverlässig genug », kritisiert Frank Wies. Sie liefern demnach höchstens Anhaltspunkte.

« Es geht um Dublin »

Die UN-Flüchtlingsagentur UNHCR weiß um die Fehlerquote. So empfiehlt sie etwa in ihren Richtlinien für die Behandlung minderjähriger Flüchtlinge: « Lorsque des procédures scientifiques sont utilisées pour déterminer l’âge de l’enfant, des marges d’erreur doivent être tolérées. » Und: « Si l’âge exact est incertain, il faut accorder à l’enfant le bénéfice du doute. »

Das Außenministerium betont seinerseits, die Praxis sei nötig – insbesondere da es immer wieder zu falschen Angaben kommt. Der Grund liege auf der Hand: « Es geht um Dublin. Sie wollen nicht ausgewiesen werden », so ein zuständiger Beamter. Das könnte schlimmstenfalls dazu führen, dass volljährige Männer zusammen mit Kindern und Jugendlichen in spezifischen Unterkünften für Minderjährige untergebracht würden.

Bei den Untersuchungen würde man gewissenhaft vorgehen, versichern die zuständigen Behörden. « Sobald wir feststellen, dass die Person minderjährig sein könnte, hören wir auf », betont ein mit dem Dossier vertrauter Beamter. Er verweist auch darauf, dass das Röntgen nur ein Teil einer umfassenden Untersuchung ist. Nur wenn es solide Zweifel gebe, würde man die Untersuchung zu Ende führen und überhaupt Röntgenbilder anfertigen. Die Ärzte seien sich zudem der kulturellen Unterschiede sehr wohl bewusst. « Sobald es Zweifel gibt, stufen wir den Schutzsuchenden als minderjährig ein. »