Mit ihrer Sanktionspolitik wollen die westlichen Staaten Russland den Geldhahn abdrehen. Die Wirksamkeit dieser Strategie ist jedoch noch fraglich. Bei der Umsetzung der Sanktionen in Luxemburg gibt es zwar vereinzelte Fortschritte, aber auch große Lücken.
Finanzministerin Yuriko Backes (DP) ist noch keine 100 Tage im Amt und hat bereits zwei schwerwiegende Krisen zu bewältigen. Innenpolitisch geht es um die hohe Inflation als Folge der explodierenden Energiepreise. Nach außen geht es um die Frage, ob Luxemburg die Sanktionen so umsetzen kann, dass der in den letzten Jahren mühsam erkämpfte Ruf eines an Transparenz interessierten Finanzplatzes nicht schweren Schaden nimmt.
Doch der Stand der Umsetzung der Sanktionen in Luxemburg ist nebulös. Die Regierungen von Frankreich, Belgien, der Niederlande und der Schweiz veröffentlichten jeweils konkrete Zahlen über das eingefrorene Vermögen von sanktionierten Personen und Unternehmen. Hierzulande gab es bisher nur den vagen Hinweis, dass das Finanzministerium « etwa 100 » Meldungen von Unternehmen erhalten habe, die Maßnahmen umgesetzt haben.
Vermögen der russischen Zentralbank „blockiert“
Gleichzeitig scheint die Regierung keine klare Haltung zu haben, was sie überhaupt erreichen will. « Mit den Sanktionen werden wir kurzfristig den Krieg nicht stoppen », sagte Yuriko Backes am 15. März dem « Luxemburger Wort ». Allerdings geht es um unterschiedliche Ebenen an Maßnahmen. Diese reichen vom Einfrieren der Vermögen von Oligarchen bis zur Abkopplung des russischen Staates und staatlich kontrollierter Konzerne von den Finanzmärkten. Die Wirksamkeit ist nicht die gleiche, wenn es darum geht, tatsächlich ein rasches Ende der Gefechte in der Ukraine zu erreichen.
Das Finanzministerium kann zu diesem Zeitpunkt bestätigen, dass Vermögenswerte der russischen Zentralbank blockiert wurden. »Sprecher des Finanzministeriums
Mit am effektivsten wirken bisher Sanktionen gegen die russische Zentralbank, die die langfristige Finanzierung des Krieges tatsächlich erschweren könnten. Anfang März verfügte die russische Zentralbank über internationale Währungsreserven von knapp 640 Milliarden US-Dollar. Mit der schrittweisen Umsetzung der westlichen Sanktionen verlor Moskau jedoch den Zugriff auf rund die Hälfte dieses Vermögens.
Entsprechende Maßnahmen wurden auch in Luxemburg umgesetzt, wie das Finanzministerium gegenüber Reporter.lu bestätigt. « Das Finanzministerium kann zu diesem Zeitpunkt bestätigen, dass Vermögenswerte der russischen Zentralbank blockiert wurden », heißt es auf Nachfrage. Über den Umfang wollte das Ministerium jedoch keine Angaben machen.
Einfluss von russischen Oligarchen
Ein weiteres Ziel der Sanktionen ist es, russische Oligarchen dazu zu bewegen, Druck auf den Kreml auszuüben. Die unmittelbare Wirksamkeit dieses Mittels ist jedoch umstritten. Auch die Oligarchen selbst schätzen ihren Einfluss unterschiedlich ein. Der Multimilliardär Mikhail Fridman sagte etwa der Agentur « Bloomberg », dass es mehr als unrealistisch sei, zu glauben, dass er auf Russlands Staatschef Wladimir Putin einwirken könne. « Der Machtunterschied zwischen Herrn Putin und allen anderen ist größer als der Abstand zwischen der Erde und dem Kosmos », sagte der Unternehmer, der über Luxemburg sein Vermögen von über 13,5 Milliarden Euro verwaltet.
Fridmans Geschäftspartner Pjotr Aven bestritt im Interview mit der « Financial Times » den Vorwurf der EU, wonach er Präsident Putin nahestehe. Am Tag der Invasion hatte er allerdings zusammen mit anderen Oligarchen ein Treffen mit Putin. Roman Abramowitsch, Noch-Besitzer des FC Chelsea London, vermittelte zwischen dem Kreml und der Ukraine. Er blieb bisher auf Bitte des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj von US-Sanktionen verschont, berichtete das « Wallstreet Journal ». Ursprünglich sollte Abramowitsch demnach im Gleichschritt mit der EU sanktioniert werden.
Luxemburgs Finanzplatz als Schaltstelle
Fest steht jedoch, dass Luxemburgs Finanzplatz bei der Isolierung der russischen Wirtschaft eine wichtige Rolle einnimmt. Zentral für die konkrete Umsetzung ist dabei « Clearstream ». Der Luxemburger Zentralverwahrer und die belgische « Euroclear » funktionieren als Schaltstellen jener Finanztransaktionen zwischen Europa und Russland, die jetzt blockiert wurden.

Konkret bedeutet das, dass die Abwicklung bestimmter Wertpapiere sowie Transaktionen in Rubel nicht länger möglich sind. Dazu kommt, dass sanktionierte Gesellschaften keine neuen Finanzinstrumente vermarkten können, heißt es von « Clearstream » auf Nachfrage von Reporter.lu. Man arbeite mit den Behörden zusammen und sei bereit, auf etwaige neue Restriktionen zu reagieren.
Die Luxemburger Börse suspendierte den Handel mit fünf Anleihen russischer Emittenten, heißt es ferner auf Nachfrage von Reporter.lu. Darunter fallen unter anderem Wertpapiere der « Gazprom »-Finanzierungstocher « Gaz Capital SA », der Finanzierungsarm der « VTB Bank » und zwei Staatsanleihen der Russischen Föderation. Damit wird der Zugang zu neuem Kapital für die Unternehmen und den Staat wesentlich eingeschränkt.
Die große Gas- und Öllücke
Doch die punktuellen Erfolge haben auch eine Kehrseite. Durch den Verkauf von Öl und Gas erhält Russland nämlich weiter Devisen in beachtlicher Menge. Jeden Tag wird Europa bis zum Sommer 850 Millionen US-Dollar an Russland allein für Gasimporte überweisen. Das berechnete das Brüsseler Institut « Bruegel ». Zahlungen für Gas- und Ölimporte sind bisher von den Sanktionen ausgenommen.
Russlands Regierung kündigte zudem an, dass « unfreundliche » Länder das Gas und Öl künftig in Rubel zahlen müssen. Das Ziel dieser Maßnahme ist nicht ganz klar, sie wird aber voraussichtlich die russische Währung stützen und weitere Devisen einbringen, berichtete der « Spiegel ». Vorausgesetzt natürlich, die EU-Länder spielen dieses Spiel mit. Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck nannte die Forderung einen « Bruch der Verträge » – sollte sie denn auch tatsächlich umgesetzt werden.
Premierminister Xavier Bettel (DP) bleibt jedoch skeptisch, wenn es um ein Embargo auf russisches Gas und Öl geht. Die Folgen für die EU-Mitgliedstaaten seien zu groß. Es brauche jedoch eine Eskalationsstufe der Sanktionen, falls Russland chemische Waffen einsetzen sollte, sagte er am Rande des jüngsten EU-Gipfels laut « Radio 100,7 ».
Ein globales Katz-und-Maus-Spiel
Auch die Umsetzung der Sanktionen gegen russische Oligarchen gestaltet sich schwieriger, als die Regierungen sich das vorstellten. Das zeigen die internationalen Rechercheprojekte « Russian Asset Tracker » und « Pandora Papers », an denen Reporter.lu als Luxemburger Medienpartner beteiligt ist.
Deutlich wird das vor allem am Fall Alisher Usmanov. Das « Organized Crime and Corruption Reporting Project » (OCCRP) konnte Vermögenswerte in Höhe von 3,4 Milliarden US-Dollar überprüfen. Doch für die Behörden wird es schwierig, die Besitzverhältnisse zweifelsfrei zu klären. Die Superjacht « Dilbar » und Immobilien gehören etwa undurchsichtigen Offshore-Strukturen. Zudem ist seine Schwester laut OCCRP als wirtschaftliche Eigentümerin von 27 Konten der Schweizer Bank « Credit Suisse » eingetragen. Dabei stehen die Milliarden-Werte im direkten Zusammenhang mit den Unternehmen von Alisher Usmanov.
Die Jet-Saga
Auch in Luxemburg verzögern sich die Maßnahmen zur Einfrierung und Beschlagnahmung von Vermögenswerten. Die Löschung von Alisher Usmanovs Privatjet « LX-VIP » aus dem Luxemburger Fliegerverzeichnis sei zwar « initiiert » aber noch nicht abgeschlossen, heißt es von der « Direction de l’aviation civile ».
Die Behörde prüfe weiterhin die Besitzverhältnisse zweier weiterer Jets: „LX-LUX“ und „LX-RAY“. Im „Russian Asset Tracker“ werden beide Roman Abramowitsch zugeschrieben. Laut Luxemburger „Relevé des immatriculations“ gehören beide der auf der Kanalinsel Jersey registrierten Gesellschaft „Clear Skies Flights Limited“. Geschäftsführer ist Eugene Tenenbaum, der sich selbst als enger Geschäftspartner von Abramowitsch bezeichnet.
Der Bombardier « LX-LUX » ist aktuell in der lettischen Hauptstadt Riga blockiert. Als am 15. März die EU-Sanktionen gegen Abramowitsch in Kraft traten, wollte die Crew von Riga nach Istanbul fliegen. Die lettischen Behörden verweigerten den Abflug und forderten eine Überprüfung des Besitzers in Luxemburg an, berichtete das Onlinemagazin „Re:Baltica“. Bestätigt sich Abramowitsch als Besitzer, werde das Flugzeug « eingefroren », sagte der Chef der lettischen Luftfahrtbehörde gegenüber « Re:Baltica ». Die Aufklärung liegt nun in den Händen der Luxemburger Behörde.
Abramowitsch wurde am 14. März in der VIP-Lounge am Tel Aviver Flughafen fotografiert. Sein Gulfstream-Jet « LX-RAY » flog laut öffentlichen Flugdaten an diesem Tag von Tel Aviv über Istanbul nach Moskau. Seither gibt es keine Flugdaten mehr.
Ein weiteres Beispiel: Der Ex-Honorarkonsul Luxemburgs, Alexey Mordashov, wurde am 28. Februar auf die EU-Sanktionsliste gesetzt. Am gleichen Tag übertrug er seine Anteile am TUI-Reisekonzern im Wert von 1,4 Milliarden Dollar an eine Offshore-Gesellschaft namens « Ondero Limited », berichtete das Journalistenkonsortium ICIJ. Aus den „Pandora Papers“ ging hervor, dass diese Gesellschaft von Marina Mordashova kontrolliert werde – der „Mutter der Kinder von Alexey Mordashov“, wie sie in den Dokumenten beschrieben wird. Erst am 18. März meldete TUI seinen Investoren die Identität der neuen Eigentümerin von knapp 30 Prozent des Konzerns. Das Bundeswirtschaftsministerium hat die Transaktion allerdings gestoppt, bis eine Prüfung abgeschlossen sei.
Wirksame Kontrollen sind gefragt
Besagte Fälle liefern einen Einblick, wie schwierig die Umsetzung der Sanktionen auf Dauer sein dürfte. In Luxemburg betonte das Finanzministerium in einer Pressemitteilung, dass keinem Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung zu den Sanktionen stattgegeben worden sei. Erst auf Nachfrage von Reporter.lu heißt es dann, es habe auch keinen solchen Antrag gegeben.
Mikhail Fridman wird gegen die EU-Sanktionen vor dem Europäischen Gerichtshof klagen, kündigte er gegenüber « Bloomberg » an. Es ist davon auszugehen, dass weitere Oligarchen seinem Beispiel folgen werden. Bis dahin versuchen die betroffenen Personen, die Sanktionen mit allen Mitteln zu umgehen. Die Niederlande beschlagnahmten etwa am 18. März 137 Millionen Euro wegen des Verdachts auf einen Verstoß gegen die restriktiven Maßnahmen. Betroffen waren mehrere Bankkonten.
Die Luxemburger Finanzaufsicht CSSF kündigte ihrerseits Kontrollen an, um zu überprüfen, ob Banken und Fonds ihren Verpflichtungen nachgekommen sind. Andere Regulierungsinstanzen planen dagegen keine spezifischen Prüfungen. Der „Ordre des experts-comptables“ führe risikobasierte Kontrollen durch. Dabei seien die Sanktionen ein Faktor, der berücksichtigt werde, und wenn nötig werde die korrekte Umsetzung auch geprüft, heißt es von der Instanz zur Selbstregulierung auf Nachfrage von Reporter.lu.
Die bisherige Reaktion am Finanzplatz deutet jedoch eher auf Beschwichtigung als auf ein erhöhtes Risikobewusstsein hin. So viel russisches Vermögen sei gar nicht in Luxemburg, weil die Sanktionen nach der Krim-Annexion 2014 bereits zu einem Exodus russischer Kunden geführt hätten, hieß es etwa. Mehrere Insider berichteten Reporter.lu jedoch, dass es bei den Kontrollen bisher an der nötigen Routine gefehlt habe. Zudem seien viele rechtliche Unklarheiten aufgetaucht.
Die Regierung hat ihrerseits in Kürze eine neue Chance, mehr Klarheit zu schaffen und den Nebel des Sanktionskrieges zu lüften. Am Dienstag wollen die Finanzministerin sowie Justizministerin Sam Tanson (Déi Gréng) in der parlamentarischen Finanzkommission mehr Details zur Umsetzung der Strafmaßnahmen gegen Russland mitteilen.


