Nach 40 Jahren in der Politik will Lydie Polfer es noch einmal wissen. Bei den Wahlen in der Hauptstadt geht es auch um ihr politisches Vermächtnis. Ihre Karriere ist geprägt von akribischem Verwalten, politischen Stunts und polemischen Zwischentönen. Ein Porträt.

Lydie Polfer würde es nie zugeben, aber die Nachricht kommt wie gerufen. Am Morgen hat das Innenministerium das allgemeine Bettelverbot ihres Schöffenrats gekippt. Rund drei Monate, nachdem die Stadt Luxemburg ein Verbot über eine Gemeindeverordnung erlassen hatte. Kaum hat Ministerin Taina Bofferding (LSAP) ihre Pressekonferenz beendet, landet die Einladung für den „Point Presse“ der DP-Bürgermeisterin auch schon in den E-Mail-Verteilern der Medien.

Es wird einer jener Pressetermine, die Lydie Polfer perfektioniert hat. Sei es wegen der vermeintlich mangelnden Polizeipräsenz im Bahnhofsviertel, der Sicherheitssituation im Park oder der seit 2015 andauernden Diskussion um die Bettler in der Hauptstadt. Die DP-Politikerin weiß, was zu tun ist. Vor den Augen der Presse vollzieht sie dann eine wundersame Wandlung. Sie ist nicht mehr bloß besonnene Bürgermeisterin, sondern wird zur besorgten Stadtmutter. Beinahe flehentlich wendet sie sich an die zuständigen Minister. Die Botschaft: ein Hilferuf, ein weiterer.

Die Termine sind immer auch kleine Rechtsseminare für die Presse. Die Bürgermeisterin ist vorbereitet, vor ihr auf dem Tisch liegen mit kleinen gelben Lesezeichen markierte Auszüge aus dem Strafgesetzbuch: Artikel 343 zur Bettelei, aber auch Artikel 382 über den Menschenhandel, beide samt Fußnoten.

Auf den kurzen Exkurs mit ihrer Sicht zur Rechtslage folgt ein wohl platzierter Seitenhieb auf das Innenministerium. Immerhin habe sich das Ministerium nicht daran gestört, dass die Gemeinden Diekirch und Düdelingen, beide LSAP-regiert, ähnliche Verordnungen umgesetzt hätten, sagt Lydie Polfer. Der Subtext: Es gehe der Ministerin um Parteipolitik und nicht um die Sache. Nach rund 20 Minuten endet der Termin. Die Bürgermeisterin wird es ebenso in die Abendnachrichten schaffen wie auf die Titel der Zeitungen am Folgetag. Das Thema beherrscht weiterhin den politischen Diskurs in der Hauptstadt. Ein Punktsieg.

Die Frage nach dem „Warum?“

Wie gerufen kommt die Debatte wohl auch, weil damit ein anderes Thema im Wahlkampf in den Hintergrund rückt. Denn eine Frage verfolgt die Bürgermeisterin der Hauptstadt vor dieser Wahl: Warum? Warum tut sich die Frau, die politisch bis auf das Amt der Premierministerin eigentlich alles erreicht hat, das noch einmal an? Nach mehr als 27 Jahren als Bürgermeisterin? Nach über 40 Jahren in der Politik? Wäre jetzt nicht der perfekte Zeitpunkt, um an einen potenziellen Nachfolger zu übergeben? Umso mehr, da es ein offenes Geheimnis ist, dass die 70-Jährige selbst mit dem Gedanken gespielt hatte, nicht noch einmal für das Amt zur Verfügung zu stehen.

Wir suchen immer die Perfektion, aber wir wissen, dass die nicht von dieser Welt ist.“Lydie Polfer

Ein Tag nach der Pressekonferenz. Auf dem Besprechungstisch im Büro von Lydie Polfer stapeln sich die Dossiers. Wenige Minuten vor dem Interviewtermin hat ein Gemeindemitarbeiter einen schweren Reisekoffer vor das Büro der Bürgermeisterin gerollt. Ein Ritual, das sich mehrmals pro Woche wiederholt. Lydie Polfer bringt einen Koffer von zu Hause mit und ein neuer wartet schon. Wer sich schmutzige Wäsche erwartet, wird enttäuscht. In den Koffern sind Gemeindedokumente: Baugenehmigungen, Ernennungen, Straßensperrungen …