Das Parlament veröffentlicht seine Sitzungsberichte traditionell in Form von bezahlten Zeitungsbeilagen. Mit dem « Lëtzebuerger Journal » wird jetzt erstmals ein Onlinemedium über diesen Weg subventioniert. Die Entscheidung sorgt für Diskussionen im Parlament und in der Medienwelt.

Unter Insidern ist es als « Chamberbliedchen » bekannt. In der breiten Bevölkerung dürfte die jahrzehntelange Praxis, die sich hinter dem Begriff verbirgt, dagegen nicht so geläufig sein. Dabei geht es um indirekte staatliche Subventionen, die traditionelle Nähe zwischen Politik und Presse und nicht zuletzt um den sinnvollen Umgang mit Millionen von Steuergeldern.

Das Prinzip: Um möglichst viele Bürger über seine Arbeit zu informieren, veröffentlicht das Parlament seine Sitzungsberichte als Beilage in den Tageszeitungen des Landes. Für die auserwählten Medien handelt es sich dabei neben Abos, Anzeigen und der staatlichen Pressehilfe um eine wesentliche finanzielle Unterstützung. Die Subvention richtete sich lange aber auch an die Druckereien des Landes, die dadurch regelmäßige Aufträge garantiert bekamen.

Im vergangenen Jahr belief sich das Budget des Parlaments zur Veröffentlichung der Sitzungsprotokolle auf rund 1,2 Millionen Euro. Bisher wurde das Geld unter dem « Luxemburger Wort », « Tageblatt », « Lëtzebuerger Journal » und « Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek » aufgeteilt. Die einzelnen Beträge sind nach der Auflagengröße der Zeitungen gestaffelt. Das heißt: Je höher die gedruckte Auflage, desto höher die Bezahlung.

Parlamentspräsident schafft Fakten

Anfang dieses Jahres wurde das Subventionssystem jedoch angepasst, weil das « Lëtzebuerger Journal » seine Printversion zum Ende des Jahres 2020 eingestellt hatte. Das digitale Medium, das einem Verein der Demokratischen Partei (DP) gehört, publiziert die Sitzungsberichte der « Chamber » nun online als PDF-Datei. Hintergrund ist eine neue Vereinbarung, die das « Journal » parallel zu seinem Relaunch mit der Abgeordnetenkammer abgeschlossen hat. Dies bestätigte die Parlamentsverwaltung auf Nachfrage von Reporter.lu.

Dabei handelt es sich durchaus um eine Grundsatzentscheidung. Denn das « Journal » ist nun das einzige Onlinemedium, das die « Comptes rendus » des Parlaments gegen Bezahlung veröffentlicht. Der Beschluss wurde allerdings nicht von allen Parteien abgesegnet. « Wir haben diese Entscheidung innerhalb der Parlamentsverwaltung getroffen », sagt Parlamentspräsident Fernand Etgen (DP) im Gespräch mit Reporter.lu.

Wir können doch nicht einem Onlinemedium einen Auftrag geben und den anderen nicht. »Mars Di Bartolomeo, Abgeordneter der LSAP

Weder in der « Conférence des Présidents » noch im erweiterten Vorstand (« Bureau »), in dem alle Fraktionen vertreten sind, stand die Frage demnach zur Debatte. Auf Nachfrage von Reporter.lu sagen mehrere Mitglieder unterschiedlicher Parteien, dass sie nicht über den Beschluss der Parlamentsverwaltung informiert worden seien.

Wenn fortan nicht mehr nur gedruckte Zeitungen, sondern auch Onlinemedien die Sitzungsprotokolle gegen Honorar veröffentlichen, dann sei dies keine rein administrative Anpassung, betont etwa Claude Wiseler (CSV). « Ich fände es normal, wenn solch eine prinzipielle Frage vorher im Parlamentsvorstand thematisiert worden wäre », sagt der Oppositionsabgeordnete. Auch Mars Di Bartolomeo (LSAP) zeigt sich erstaunt über die Entscheidung. „Wir können doch nicht einem Onlinemedium einen Auftrag geben und den anderen nicht“, sagt der Abgeordnete und frühere Parlamentspräsident im Gespräch mit Reporter.lu. Beide Politiker wollen die Frage demnach auf die Tagesordnung des Parlamentsvorstandes setzen.

Privilegierte Partnerschaft

Dabei fällt nicht zuletzt die parteipolitische Dimension der Entscheidung ins Auge. Der Parlamentspräsident, ein DP-Politiker, bevorzugte eine Publikation, die laut den Statuten der DP « offizielles Parteiorgan » ist und in deren Aufsichtsgremien vor allem DP-Mitglieder sitzen. Dieser Sachverhalt sorgt indes nicht nur bei der Opposition, sondern auch bei Vertretern der Koalitionspartner der Liberalen für Verwunderung.

Für die Wettbewerber aus der Branche stellt sich vor allem die Frage der Gleichbehandlung der Medien. Es sei « schon komisch », dass das « Journal » diesen Auftrag erhielt, sagt Richard Graf im Gespräch mit Reporter.lu. Traditionell sei die Veröffentlichung des « Chamberbliedchen » vor allem eine Hilfe für die Druckereien gewesen, so der Geschäftsführer der Wochenzeitung « woxx ». Bis 2002 wurde das « Chamberbliedchen » gratis an alle Haushalte verschickt und abwechselnd von den großen Verlagshäusern gedruckt. Mit der jüngsten Entscheidung würde man letztlich Sinn und Zweck einer jahrzehntelangen Praxis in Frage stellen.

Von der gedruckten Beilage zum « Sponsored content »-PDF: Die Digitalisierung des « Chamberbliedchen » dürfte im Parlament bald zu grundsätzlichen Diskussionen führen. (Screenshot: Journal.lu)

« Ich verstehe das als zusätzliche finanzielle Unterstützung der Medien. Allerdings müsste das Geld dann auch fair und transparent verteilt werden », sagt Mike Koedinger, Präsident und „Directeur de publication“ des Medienunternehmens « Maison Moderne », das neben mehreren Monatsmagazinen auch die Nachrichtenportale « Paperjam.lu » und « Delano.lu » herausgibt. Natürlich würde er gerne eine ähnliche Vereinbarung mit dem Parlament eingehen wie das « Journal », gibt der Medienmacher offen zu.

Und Mike Koedinger dürfte nicht der einzige sein. Wenn sich die Parteien am Gleichheitsprinzip orientieren, sei eine Ausweitung der begünstigten Medien unausweichlich, meint Raphaël Kies. « Durch diesen Schritt muss das Parlament jetzt allen Medienhäusern ein Angebot unterbreiten », sagt der Politik- und Medienwissenschaftler von der Universität Luxemburg im Gespräch mit Reporter.lu. Für den Experten ist die Gleichberechtigung bei staatlichen Mediensubventionen ein hohes Gut.

Ein PDF im Wert von 1.600 Euro

Bisher erhielt jedoch nur das digitale « Journal » einen entsprechenden Auftrag. In der vergangenen Woche veröffentlichte das Medium auf seiner Webseite erstmals die « Comptes rendus » in Form einer PDF-Datei. Nach der Berechnungsmethode für die Publikation des « Chamberbliedchen », welche Reporter.lu von der Parlamentsverwaltung bestätigt wurde, erhält das « Journal » für die Veröffentlichung einer einzelnen Ausgabe der PDF-Datei rund 1.600 Euro. Pro Jahr dürfte die Subvention durch das Parlament demnach – je nach Publikationsrhythmus und Umfang der Protokolle – bei rund 30.000 Euro liegen.

Der Direktor der « Editions Lëtzebuerger Journal », Daniel Nepgen, wollte sich auf Nachfrage von Reporter.lu nicht zu der Kooperation mit dem Parlament äußern.

Ein komplexes Millionenbudget

Laut der Abrechnung des Budgets der Abgeordnetenkammer für das Jahr 2019 machte der Punkt « Frais de publication du compte rendu » insgesamt nahezu 1,12 Millionen Euro aus. Darunter fallen neben der Transkription und dem Seitenlayout vor allem die Druckkosten. Die Zahlungen, die das Parlament letztlich den Zeitungen im Einzelnen überweist, werden nach Auflagenstärke gestaffelt. Die genauen Beträge variieren je nach der Anzahl von Sitzungen und parlamentarischen Anfragen stark. Anhand einer Beispielrechnung, die die Parlamentsverwaltung Reporter.lu auf Nachfrage erstellte, lässt sich die Höhe der finanziellen Hilfen aber veranschaulichen:

  • Im Durchschnitt kostet die Veröffentlichung einer Ausgabe der « Comptes rendus » das Parlament 51.300 Euro. Pro Jahr werden im Schnitt 15 bis 20 Ausgaben erstellt. Im vergangenen Jahr waren es deutlich mehr, was den vielen Sitzungen des Parlaments und der Ausschüsse wegen der Covid-19-Pandemie zuzuschreiben ist.
  • Für die Veröffentlichung der Ausgabe Nr. 19 der vergangenen Sitzungsperiode wurden den vier Tageszeitungen folgende Beträge gezahlt: Luxemburger Wort – 24.553,17 Euro; Tageblatt – 10.615,02 Euro; Lëtzebuerger Journal – 2.720,54 Euro; Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek – 2.506,57 Euro.
  • Die Staffelung der gezahlten Beträge folgt einer internen Berechnungsformel, die sich an den gedruckten Auflagen der Zeitungen orientiert. Welche Faktoren der erstmalig rein digitalen Publikation der « Comptes rendus » beim « Journal » zugrunde liegen, bleibt unklar.

Neben der Gleichbehandlung der Medien stellt sich jedoch eine weitere Frage: Wie sinnvoll ist die Veröffentlichung von Sitzungsberichten im Internetzeitalter überhaupt noch? Denn mit der Veröffentlichung einer PDF-Datei sind schließlich keinerlei Druckkosten verbunden. Die Praxis der Publikation der „Comptes rendus“ erscheint so mehr denn je als reine Subventionsmaßnahme. Einen nachvollziehbaren Mehrwert, wie die Unterstützung der Druckereien oder das Erreichen eines Teils der Bevölkerung, der lieber gedruckte Zeitung als online liest, gibt es demnach nicht mehr.

Das « Portable Document Format » (PDF), das auf der « Journal »-Webseite gegen Bezahlung publiziert wird, ist nämlich absolut identisch mit dem PDF, das auf der Webseite des Parlaments nach wenigen Klicks zu finden ist. Zudem können interessierte Bürger auf der Webseite « chd.lu » nicht nur das PDF des « Chamberbliedchen » gratis lesen oder herunterladen – sie finden dort auch sämtliche andere Dokumente des parlamentarischen Betriebs und können sich die Debatten als Video anschauen.

Digitalisierte Widersprüche

Als früherer Präsident der Abgeordnetenkammer erinnert sich Mars Di Bartolomeo auch daran, dass die Sinnhaftigkeit der Publikation der « Comptes rendus » im Parlament schon länger kritisch diskutiert wird. In der Praxis vergehen nämlich oft mehrere Monate, bis ein Sitzungsbericht in den Beilagen der Zeitungen erscheint. Im Fall des PDF, das Anfang Januar vom « Journal » online veröffentlicht wurde, handelt es sich übrigens um die Zusammenfassungen der Parlamentsdebatten aus dem vergangenen Juli.

Das ist eine luxemburgische Tradition, die man am Leben halten muss, genauso wie Kachkéis. »Laurent Scheeck, Generalsekretär der Abgeordnetenkammer

Der Generalsekretär der « Chamber » räumt ein, dass man sich über die künftige Praxis grundsätzlichere Gedanken machen könnte. Dazu gehört laut Laurent Scheeck aus Fairnessgründen die Einbindung anderer Onlinemedien, aber auch die Aufmachung der Protokolle und mögliche andere Publikationsformen, die zur Reichweite beitragen könnten.

Richard Graf bringt allerdings eine andere Lösung ins Spiel. Man könne auch überlegen, das « Chamberbliedchen » ganz abzuschaffen bzw. es nur noch auf der Webseite des Parlaments zu veröffentlichen. „Es wäre idiotisch, wenn jetzt jedes Medium den gleichen Link online stellt. Der Vorteil des Internets ist gerade, dass es nur einmal publiziert werden muss, um für jeden zugänglich zu werden“, so der langjährige Journalist der « woxx ». Im Gegenzug müsse der Staat laut Graf jedoch die reguläre staatliche Pressehilfe erhöhen, damit die bisher begünstigten Medien nicht in finanzielle Probleme geraten würden.

Eine Tradition wie « Kachkéis »

Wenn es nach den Verantwortlichen im Parlament geht, soll das « Chamberbliedchen » aber noch nicht ausgedient haben. Es gehe letztlich immer noch um einen möglichst breiten Zugang zu Informationen bzw. zu den Debatten, die im Parlament stattfinden, erklärt Laurent Scheeck. „Ich sehe es als verfassungsmäßige Pflicht, den Zugang zu den Parlamentsdebatten so einfach wie möglich zu gestalten », so der Generalsekretär der « Chamber ». « Das ist eine luxemburgische Tradition, die man am Leben halten muss, genauso wie Kachkéis. »

Ob Print oder Online: Die Veröffentlichung der Sitzungsberichte des Parlaments wird in der Medienbranche seit jeher als indirekte staatliche Pressehilfe aufgefasst. (Foto: Eric Engel)

Wie die Parlamentsverwaltung auf Nachfrage mitteilt, sollen nun auch den anderen Onlinemedien ähnliche Vereinbarungen angeboten werden. Für Laurent Scheeck ist es « selbstverständlich, dass auch Onlinemedien das Chamberbliedchen veröffentlichen können. » Und auch für Parlamentspräsident Fernand Etgen steht einer solchen Ausweitung der Begünstigten prinzipiell nichts im Weg.

Andererseits gilt es aber auch, eine Kostenexplosion zu vermeiden. Denn wenn man künftig sämtliche Onlinemedien einschließe, dann würde das Gesamtbudget der « Comptes rendus » notgedrungen wesentlich ansteigen. Zudem könnten auch die bisher ausgesparten Wochen- und Monatszeitungen mit guten Gründen Ansprüche stellen. « Da die Veröffentlichung mit Steuergeldern bezahlt wird, müssen wir eine vernünftige Lösung finden », sagt deshalb der Generalsekretär des Parlaments.

Laut der Parlamentsverwaltung werde die gleichberechtigte Behandlung erst nach einem Dialog mit den betroffenen Medien und dem Presserat umgesetzt. Bis auch andere Onlinemedien die kostbaren PDFs veröffentlichen können, könnte es laut der « Chamber » noch « bis zu einem Jahr » dauern. Bis auf Weiteres bleibt es also bei der privilegierten Partnerschaft mit dem « Journal ».

Staatliche Pressehilfe

Ähnlich traditionell wie das « Chamberbliedchen » ist in Luxemburg die staatliche Pressehilfe. Seit den 1970er Jahren erhalten Printmedien nach bestimmten gesetzlichen Bedingungen eine Subvention des Staates. In 2019 belief sich diese « Aide à la presse écrite » auf insgesamt knapp 6,6 Millionen Euro. Mit dem « Luxemburger Wort » (1,34 Millionen Euro), « Tageblatt » (1,27 Millionen), « Le Quotidien » (1,18 Millionen) und « Journal » (974.449 Euro) erhielten die Tageszeitungen den bei weitem größten Anteil der Hilfen.

Seit 2017 gibt es auch eine Pressehilfe für Onlinemedien, die 2019 insgesamt 1,2 Millionen Euro ausmachte und für jede berechtigte Publikation pauschal 100.000 Euro pro Jahr vorsieht. Auch Reporter.lu bezieht diese Online-Pressehilfe seit 2019. Die Regierung plant aktuell eine grundlegende Reform der Pressehilfe, durch die die bestehenden Regelungen in ein einziges Gesetz überführt werden sollen. Der entsprechende Gesetzentwurf wird zurzeit vom zuständigen parlamentarischen Ausschuss begutachtet.

Neben der gesetzlich verankerten Pressehilfe erhalten die Printmedien noch weitere Zuschüsse von staatlichen Stellen. Dazu gehören die amtlichen Mitteilungen („Avis officiels“) sowie das vergünstigte Austragen der Zeitungen durch die Post – und eben auch die bezahlte Veröffentlichung der Sitzungsprotokolle des Parlaments.


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