« Ambitioniert, gerecht und nachhaltig », lautet das Motto des Programms der blau-rot-grünen Koalition. Nach den ersten Monaten der weltweiten Pandemie stehen hinter dem ursprünglichen Plan der Regierung bis 2023 jedoch viele Fragezeichen. Die Parteien bringen bereits Nachbesserungen ins Gespräch.

Zu Beginn des Mandats lief für die Koalition noch alles nach Plan. Der Mindestlohn wurde um 100 Euro erhöht, der Europatag als gesetzlicher Feiertag verankert und der öffentliche Nahverkehr wurde « kostenlos ». Die Steuereinnahmen sprudelten wie schon lange nicht mehr. Nur bei den seit Jahren andauernden Diskussionen über eine neue Verfassung musste die Dreierkoalition auf Druck der CSV zurückrudern.

Indes feilten Minister und Beamte bereits an den nächsten politischen Großprojekten, auf die sich die Koalition im Dezember 2018 geeinigt hatte. So arbeitet seit Monaten eine interministerielle Arbeitsgruppe an der angekündigten Steuerreform und zumindest seit Februar scheint ein erstes Konzept für die Legalisierung von Cannabis vorzuliegen. Seitdem haben sich die Prioritäten in den meisten Ministerien jedoch klar verschoben. Spätestens Mitte März schaltete die Regierung in den Krisenmodus, die großen Reformen wurden auf Eis gelegt.

Reformpläne geraten ins Stocken

Ausgerechnet das Gesundheitsministerium sollte in dieser Legislaturperiode mit zwei Prestigereformen glänzen. Zusätzlich zur Legalisierung von Cannabis hinterließ Etienne Schneider (LSAP) seiner Nachfolgerin Paulette Lenert mit dem „tiers payant généralisé“ ein weiteres komplexes und aufwändiges Projekt. Aus dem Ministerium heißt es, dass aufgrund der Pandemie die Arbeiten an beiden Reformen seit März stillstehen. Auch bei der Steuerreform oder der Einführung der kostenlosen Kinderbetreuung gerieten die Arbeiten in den jeweiligen Ministerien zumindest ins Stocken.

Wir kommen nicht daran vorbei, den Vertrag noch einmal unter die Lupe zu nehmen. »Georges Engel, LSAP-Fraktionschef

Allerdings könnten sich auch nach der Pandemie die Prioritäten in den jeweiligen Ministerien verändern. „Nach der Krise müssen wir die nötigen Lehren ziehen und über Reformen reden, die vielleicht noch nicht im Koalitionsvertrag vorhanden sind“, sagt Josée Lorsché (Déi Gréng) im Gespräch mit REPORTER. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen könnte sich zum Beispiel vorstellen, den Beruf des Krankenpflegers schnellstmöglich aufzuwerten.

Grundsätzlich sollte man laut der Grünen-Politikerin jedoch am Koalitionsabkommen festhalten, denn die generellen Zielsetzungen würden auch heute noch gelten. Georges Engel (LSAP) und Gilles Baum (DP) pflichten dem bei, auch wenn die Fraktionschefs der Sozialisten und der Liberalen nicht davon ausgehen, dass alles so umgesetzt werden kann, wie es ursprünglich geplant war.

Koste es, was es wolle

Der Grund liegt wie so oft am finanziellen Spielraum: Fehlende Einnahmen des Staates gekoppelt mit erhöhten Ausgaben könnten den Reformplänen der Regierung einen Strich durch die Rechnung machen. Bereits eine Woche nach dem Lockdown kündigte Xavier Bettel (DP) an, dass der Staat Hilfen im Wert von neun Milliarden Euro für die Wirtschaft bereitstellen würde. Und der Premier fügte gleich hinzu: « Dës Kriis ze iwwerwannen kascht wat et kascht.“

Wie schwer das wird, rechnete das Statec vor. Die Statistikbehörde geht von einem Wirtschaftsabschwung von bis zu zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts für dieses Jahr aus. Im besten Szenario könnte die Konjunktur im kommenden Jahr die Verluste dieses Jahres zwar wieder wettmachen, aber das Loch in den Staatsfinanzen wird wohl bleiben.

Wir können jetzt keine Austeritätspolitik betreiben »Sam Tanson, Justizministerin

Zudem rechnete Pierre Gramegna (DP) im Finanzausschuss des Parlaments den Abgeordneten kürzlich vor, wie groß der Schock der Krise auf den Staatshaushalt bereits ist. Im Vergleich zum Vorjahr sind die Einnahmen des Staates Ende April um mehr als acht Prozent geschrumpft, die Ausgaben sind wegen der Krisenbewältigung um fast 30 Prozent höher ausgefallen. Dabei beruhte der gesamte Koalitionsvertrag auf der Prämisse, dass der wirtschaftliche Aufschwung über die ganze Legislaturperiode anhalten würde – und damit auch der finanzielle Spielraum des Staates dauerhaft vorhanden sei.

„Wir kommen nicht daran vorbei, den Vertrag noch einmal unter die Lupe zu nehmen“, sagt deshalb Georges Engel. Entsprechende Gespräche könnten kurz vor oder während den Sommerferien starten, so der Fraktionsvorsitzende der LSAP. Gilles Baum würde allerdings lieber abwarten. Es sei zurzeit alles noch „Zukunftsmusik“. Wie die Wirtschaft sich entwickeln wird, wisse momentan niemand. Deshalb könne man nicht jetzt schon voreilige Schlüsse ziehen, so der Fraktionschef der DP.

Schulden zuerst, Einnahmen später

Glaubt man den drei Fraktionsvorsitzenden, ist die Lage der Staatsfinanzen ohnehin nicht so desaströs, dass sofort gehandelt werden muss. Nachdem die Dreierkoalition in ihrer ersten Legislatur mit dem „Zukunftspak“ zumindest kurzzeitig auf Haushaltskonsolidierung setzte, vertreten Koalitionspolitiker nun offen den Keynesianismus. „Wir können jetzt keine Austeritätspolitik betreiben“, sagte Sam Tanson (Déi Gréng) bereits vor einem Monat in einem Interview mit „RTL“. Der Staat müsse auch oder gerade in der Krise weiter investieren, heißt es unisono von den drei Parteien.

Die Frage drängt sich dennoch auf, wie der Koalitionsvertrag mit zunehmender Verschuldung umzusetzen ist. Zusätzlich zu der versprochenen Entlastung der Bürger durch die Steuerreform wollte die Regierung verstärkt auch auf Sachleistungen setzen. Der Öffentliche Nahverkehr ist nun bereits seit zwei Monaten kostenlos. Zukünftig soll das auch für die „Maison Relais“ außerhalb der Schulferien gelten.

Gleichzeitig hält man sich bedeckt wie der Staat zusätzliche Einnahmen zur Gegenfinanzierung schaffen könnte. Die Kürzung der Kilometerpauschale, die zur Kostendeckung für den öffentlichen Transport genutzt werden sollte, ist nun doch vom Tisch. Die Grundsteuer ist weiterhin bescheiden und die zukünftige CO2-Steuer soll eigentlich für die Sanierung von Gebäuden und nicht der Staatsfinanzen benutzt werden.

Aufgeschoben, aber nicht aufgehoben

Anstatt nun aufgrund der Krise ein neues Post-Covid-Koalitionsprogramm auszuarbeiten, beharren DP, LSAP und Déi Gréng zumindest rhetorisch noch auf dem bestehenden Text. Auf dieser Basis müsse man prüfen, was noch kurzfristig machbar ist und was vielleicht angepasst werden muss, heißt es von den Vertretern der drei Parteien. Von Vorteil könnte sein, dass der Vertrag sparsam mit Details umging. Die Parteien haben also genügend Interpretationsspielraum, um spätere Anpassungen als konform mit dem Regierungsprogramm darzustellen.

Eine andere Möglichkeit wäre, teure Reformen zu verschieben. „Die Legislatur endet ja noch nicht im Oktober“, sagt Georges Engel. Die Minister hätten also noch genügend Zeit, die eigenen Pläne in den kommenden Jahren umzusetzen. Zumindest der ursprüngliche Zeitplan der Regierung wäre jedoch dann dem Coronavirus zu Opfer gefallen.

Das Damoklesschwert einer zweiten Welle hängt noch immer über uns“Georges Engel, LSAP

Zurzeit will sich allerdings noch niemand festlegen, an welchen Stellschrauben gedreht werden muss. „Das Damoklesschwert einer zweiten Welle hängt noch immer über uns“, so Georges Engel. Solange die Krise anhält, gerät alles andere in den Hintergrund. Will aber auch heißen: Solange die Pandemie nicht vorbei ist, ist an eine reguläre Abarbeitung des blau-rot-grünen Programms nicht zu denken.

Welche Akzente werden die Parteien nach der Krise setzen? Die Grünen wollen laut Josée Lorsché weiterhin für soziale und ökologische Gerechtigkeit eintreten. Die Sozialisten wollen verhindern, dass die sozial Schwachen und die Mittelschicht zu den Verlierern der Krise gehören, so Georges Engel. Und wenn es nach der DP und Gilles Baum geht, sollen die Prioritäten nach der Krise in der Förderung des « Télétravail » und der Work-Life-Balance liegen.

Konkreter werden die drei Fraktionschefs nicht. Doch sie lassen durchblicken, dass die Corona-Krise sich dauerhaft auf die Ambitionen und die Reformen der Koalition auswirken könnte. Das « Update » für das schnell gealterte Regierungsprogramm von 2018 steht allerdings noch aus.


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