Gemeinderätin, Schöffin, jüngste Abgeordnete: Jessie Thill hat mit 27 schon viel erreicht. Ihr Achtungserfolg bei den Kommunalwahlen machte sie zur Hoffnungsträgerin ihrer Partei. Dabei hat sie das Realo-Image der Grünen längst verinnerlicht. Ein Porträt.
„Vor allem am Anfang wurde ich etwas belächelt“, erzählt Jessie Thill (Déi Gréng), die bereits mit 24 ein Mandat als zweite Schöffin in der Gemeinde Walferdingen übernahm. Vor einem Meeting sei sie etwa von einem externen Gesprächspartner gefragt worden, ihm einen Kaffee zu bringen. Ihre Reaktion: „Ich habe den Kaffee gebracht. Ich habe kein Problem damit, jemandem einen Kaffee zu bringen“, sagt sie. Ihr Moment folgte kurz darauf: „Danach saß ich neben dem Bürgermeister und wurde als Schöffin vorgestellt. Dann hat er einmal blöd geguckt.“
Diesen Ansatz verfolgt Jessie Thill weiterhin, mittlerweile auch im Parlament. Auf ihrem Weg als Berufspolitikerin wird sie oft unterschätzt. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass sie noch jünger aussieht, als sie ist, und mit einer Größe von 1,55 Meter auch leichter übersehen werden kann. Sie habe gemerkt, dass es für viele Leute immer noch ungewohnt sei, junge Frauen in so einer Position zu sehen. Aber spätestens seit den Gemeindewahlen im Juni, bei denen sie als eine der wenigen Grünen deutlich Stimmen hinzugewann, scheint klar: Sie ist gekommen, um zu bleiben.
Pragmatisch und engagiert
Ihr neues Büro im Rathaus in Walferdingen ist Ende August noch nicht fertig eingerichtet, ein paar Bilder lehnen an der Wand, aber die zahlreichen Topfpflanzen haben schon ihren Platz und der Schreibtisch ist bereit für die „Rentrée“. In der Koalition mit der CSV ist sie nun erste Schöffin und auf der nationalen Liste der Grünen bereits zum zweiten Mal im Zentrum dabei. Ihre Prioritäten passen zu ihrer Biografie: Umwelt- und Klimapolitik sowie bezahlbarer Wohnraum und Chancengleichheit.
Wenn du nicht bereit bist, Kompromisse einzugehen, kommst du nicht weit in der Politik.“Jessie Thill
Im Januar 2022 bekam sie ihre Chance, sich auf nationaler Ebene zu profilieren. Damals rückte sie für Carlo Back ins Parlament nach. Falls sie nach den Wahlen im Oktober erneut nicht sofort einen Sitz als Abgeordnete bekommt, bleiben dennoch gute Zukunftsaussichten: Der grüne Vizepremier François Bausch, der zwar wieder bei den Wahlen antritt, aber kein Ministeramt mehr übernehmen will, würde für Jessie Thill ab einem gewissen Zeitpunkt sogar im Parlament Platz machen. „Wenn sie erster Ersatz ist“, sagt François Bausch im Gespräch mit Reporter.lu. Er betont aber, dass er sein Abgeordnetenmandat grundsätzlich annehmen wolle …
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