Die große Steuerreform ist vom Tisch. Oder doch nicht? Die Parteien bereiten eine Grundsatzdebatte im Parlament vor – und nehmen hierbei zum Teil neue Positionen ein. Dabei könnte es noch vor den Wahlen zu punktuellen Anpassungen kommen. 

Der Wahlkampf hat bereits begonnen. Zu diesem Schluss könnte man kommen, wenn man die steuerpolitischen Vorstöße der Parteien hört. Die Pandemie und nun auch die Energiekrise rissen ein Loch in die Staatsfinanzen, weitere Ausgaben durch steuerliche Entlastungen könne der Staat sich nicht leisten, argumentieren die meisten Koalitionspolitiker. Damit wäre auch die groß angekündigte Steuerreform vom Tisch.

„Das ist Quatsch », sagt hingegen François Benoy im Gespräch mit Reporter.lu. « Das wäre nur der Fall, wenn das Ziel sein soll, alle zu entlasten », so der Abgeordnete von Déi Gréng. Auch andere Vertreter der Mehrheitsparteien wollen steuerpolitische Anpassungen noch vor den kommenden Wahlen nicht ausschließen. Auch deshalb bereiten DP, LSAP und Grüne gemeinsam mit der Opposition eine Grundsatzdebatte über die Steuerpolitik vor. Diese Debatte könnte dann den Weg für eine Steuerreform ebnen, die allerdings nur noch wenig mit den ursprünglichen Plänen von Blau-Rot-Grün zu tun hätte.

Die Vorbereitungen der Debatte dauern schon über ein Jahr an. In mehreren Sitzungen mit Vertretern verschiedener Verwaltungen, dem Patronat, den Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft haben die Abgeordneten versucht, sich ein Gesamtbild über die Steuerlandschaft Luxemburgs zu verschaffen. Die Sitzungsberichte des Finanz- und Budgetausschusses und die Ankündigungen verschiedener Parteien deuten an, in welche Richtung die Debatte am kommenden 14. Juli gehen soll und welche Steuerreform noch möglich ist.

Ein Teil davon könnte noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden, heißt es optimistisch aus den Koalitionsparteien. Dabei geht es vor allem um drei Themenbereiche mit einem quasi unbestrittenen Handlungsbedarf: die individuelle Besteuerung, die Besteuerung von Wohnraum und die generelle Steuergerechtigkeit.

Die große « Individualisierung »

Die « Individualisierung » war neben dem kostenlosen öffentlichen Transport und der Cannabis-Legalisierung das große Projekt der Neuauflage von Blau-Rot-Grün. Die Regierung wollte durch individuelle Besteuerung dafür sorgen, dass eine Beschäftigung beider Ehepartner sich finanziell stärker lohnt. Gleichzeitig lautete der Leitspruch der Regierung, dass es durch eine solche Reform keine Verlierer geben solle. Was sich ohnehin als unmögliche Aufgabe herausstellte, musste mit den unerwarteten Ausgaben in der Covid- und der Energiekrise endgültig begraben werden.

Bei der Unterstützung für Alleinerziehende soll die Regierung nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag warten. »Yves Cruchten, LSAP-Fraktionschef

Sollte es durch die individuelle Besteuerung tatsächlich keine Verlierer geben, wäre die einfachste Lösung, die Steuerklasse 2 auf die gesamte Bevölkerung auszuweiten. Diese Reform wäre praktisch unbezahlbar, wie sich nun herausstellt. In ihren Berechnungen für das Parlament schätzte die Steuerverwaltung die Kosten auf 1,9 Milliarden Euro – jährlich. Das entspricht fast den Gesamtausgaben des Staates für alle Hilfspakete im Pandemiejahr 2020. Währenddessen würde der gleichen Berechnung zufolge die Verallgemeinerung der Steuerklasse 1 – also eine stärkere Besteuerung von Ehepartnern – dem Staat Mehreinnahmen von 1,35 Milliarden Euro jährlich einbringen.

Damit hat die Steuerverwaltung jedoch nur die beiden Extremfälle einer Harmonisierung des Steuersystems beziffert. Eine realistische Reform würde sich irgendwo zwischen diesen beiden Szenarien verorten. Allerdings erklärte die Regierung in ihrem Koalitionsabkommen, durch weitere steuerpolitische Maßnahmen mögliche Einkommensverluste auszugleichen. Wie genau das gehen soll, sagte niemand. Inzwischen haben sich für diese Fälle aber Steuerkredite etabliert.

Die Frage der Alleinerziehenden

Dies gilt vor allem für die Besteuerung von Alleinerziehenden. Diese fallen zurzeit in die Steuertabelle 1a. Ohne den speziellen Steuerkredit würden sie bei Gehältern von rund 30.000 Euro jährlich im Vergleich zur Steuerklasse 1 benachteiligt. Doch selbst die Bevorteilung von Alleinerziehenden mit niedrigen Einkommen reicht offenbar nicht aus, um sie nachhaltig vor Armut zu schützen.

Laut dem Statistikamt « Statec » sind rund 40 Prozent der Alleinerziehenden von Armut bedroht. Dieser Wert ist mehr als doppelt so hoch wie der nationale Durchschnitt. Und es gibt Anzeichen, dass es zumindest in diesem Punkt noch in dieser Legislaturperiode zu Anpassungen kommen könnte. Vor einem Monat erklärte Finanzministerin Yuriko Backes (DP), ihr Ministerium habe einen Katalog mit mehr als 30 steuerpolitischen Maßnahmen zusammengestellt, die zeitnah umgesetzt werden können. „Ich habe eine klare Vorstellung, was ich tun möchte, um beispielsweise verschiedene soziale Schichten sowie Alleinerziehende gezielt zu unterstützen“, sagte die Finanzministerin jüngst im Interview mit dem „Luxemburger Wort“.

Viele mögliche Maßnahmen, aber immer weniger Spielraum zur Umsetzung vor den nächsten Wahlen: Finanzministerin Yuriko Backes bei den Tripartite-Verhandlungen. (Foto: Mike Zenari)

Bei ihren Koalitionspartnern können die Liberalen dabei auf Zustimmung hoffen. Im „Lëtzebuerger Land“ forderten die Vorsitzenden der Grünen angesichts der aktuellen Lage etwa eine Verdoppelung des Steuerkredits von 1.500 Euro auf 3.000 Euro. Auch dazu hat die Steuerverwaltung bereits Berechnungen angestellt. Der Kostenpunkt würde sich auf 95 Millionen Euro jährlich belaufen.

„Bei der Unterstützung für Alleinerziehende soll die Regierung nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag warten“, sagt auch Yves Cruchten im Gespräch mit Reporter.lu. Der LSAP-Fraktionsvorsitzende könne sich vorstellen, die Obergrenzen anzupassen, damit mehr Menschen von dieser Unterstützung profitieren.

Warten auf die Spekulationssteuer

Doch die Absichtserklärungen der Parteien sind nur Hinweise, in welche Richtung es gehen könnte. Dies bedeutet nicht, dass die Vorschläge auch so umgesetzt werden. Ein Paradebeispiel hierfür sind die steuerpolitischen Maßnahmen im Wohnungsbau.

„Ich denke, dass derjenige, der aus spekulativen Gründen beschließt, eine Wohnung mehrere Jahre lang leer stehen zu lassen, besteuert werden sollte“, sagte Premierminister Xavier Bettel (DP) gegenüber „Paperjam“ im Januar 2020. Auch in seiner Rede zur Lage der Nation im vergangenen Oktober sprach er sich für eine Besteuerung von Leerstand aus. Um der Preisentwicklung Rechnung zu tragen, solle zusätzlich die Grundsteuer reformiert werden, so der Premier.

Im Fragenkatalog an die Steuerverwaltung tauchten diese Punkte aber nicht mehr auf. Die Arbeiten an den entsprechenden Gesetzesprojekten sollen dennoch bis Herbst abgeschlossen werden, meinte Yuriko Backes im „Luxemburger Wort“. Sie wollte sich nicht auf die Höhe der zusätzlichen Einnahmen für den Staat festlegen. In Bezug auf diese Reform verriet sie lediglich, dass Besitzer ihres Hauptwohnsitzes von einem Freibetrag profitieren sollen.

Seit bald einem Jahrzehnt wird an einer Reform der Grundsteuer gearbeitet, ohne die auch eine Spekulationssteuer kaum möglich ist. Hält die Regierung ihr Versprechen, im Herbst zu liefern, wäre es ein enormer, wenn auch verspäteter Fortschritt. Doch damit wäre die Neuausrichtung einer Besteuerung von Wohnraum nur zum Teil umgesetzt.

Bezuschussung statt Besteuerung

Mit mehreren Maßnahmen begünstigt der Staat den Kauf von Wohnraum. Von der Steuerverwaltung wollten die Abgeordneten wissen, wie viel Einnahmen dem Staat durch diese Maßnahmen entgehen. Einen Teil dieser Datensätze hat die Verwaltung jedoch noch nicht digitalisiert. Demnach sei es für die Verwaltung unmöglich abzuschätzen, wie groß die Verluste durch das „Amortissement accéléré“ sind. Dabei handelt es sich um eine Steuervergünstigung für Investoren, die eine Wohnung bauen, um sie anschließend zu vermieten. Dies gehört zu einer jener Maßnahmen, die die Grünen abschaffen wollen – wie viel Mehreinnahmen dafür an anderer Stelle verwendet werden könnten, bleibt jedoch ungewiss.

Ganz anders will die CSV vorgehen. Sie will die Begünstigungen gar ausweiten. Der Steuerkredit auf notarielle Urkunden („Bëllegen Akt“) soll etwa von 20.000 auf 50.000 Euro angehoben werden. Der reduzierte Mehrwertsteuerstart für den Wohnungsbau soll zudem nicht nur auf 50.000 Euro, sondern auf 100.000 Euro angewendet werden. Genau diese Maßnahmen würden die Kosten für den Staat allerdings weiter erhöhen. Die CSV will in dieser Hinsicht zweigleisig fahren. Einerseits will die Partei die Beihilfen für Käufer erhöhen, andererseits soll der Leerstand besteuert werden.

Wie die anderen Fraktionen zur Frage der steuerlichen Begünstigung stehen, wird in den Sitzungsberichten erkennbar. Der Grünen-Abgeordnete François Benoy bedauerte etwa, dass die Steuerverwaltung nicht beziffern konnte, wie viel das Absetzen der Kreditzinsen für den Wohnungskauf zwecks Vermietung den Staat kosten würde. „Ein Teil dieser Begünstigungen heizt die Preise auf dem Immobilienmarkt an. Dann würde ich gerne wissen, wie viel das den Staat kostet“, sagt der Abgeordnete.

Ungewissheit bei Steuergerechtigkeit

Ein Auslöser für die geplante und seit Monaten vorbereitete Parlamentsdebatte war die Aussage des damaligen CSV-Präsidenten Frank Engel im August 2020 über die Einführung einer Vermögens- und Erbschaftssteuer in direkter Linie. Auch zu diesen Maßnahmen wollte François Benoy wissen, wie sie sich auf den Staatshaushalt auswirken könnten. Die Direktorin der Steuerverwaltung, Pascale Toussing, wollte darauf aber nicht antworten, weil solche Steuern nicht im Koalitionsabkommen stehen würden. Die Aussage ist bemerkenswert, weil die Verwaltung ohnehin nicht die nötige Datenlage besitzt. Erst durch die Einführung einer Steuer könnte sie auch wissen, wie groß das Vermögen der Privatpersonen genau ist.

Die Befürworter der Vermögens- und Erbschaftssteuer sehen sie als alternativlose Maßnahmen, um das Steuersystem gerechter zu gestalten. „Wir wollen ein gesünderes Gleichgewicht bei der Besteuerung von Kapital und Arbeit finden“, sagt Yves Cruchten ganz allgemein. Eine Besteuerung von Vermögen wollte der LSAP-Fraktionsvorsitzende, dessen Partei die Debatte gefordert hatte, zumindest nicht ausschließen. Das Gleiche gilt für die Grünen. Sie verweisen allerdings auf die anstehende Debatte, bei der sie weitere Details zu ihren Positionen liefern wollen.

Sein Alleingang in Sachen Steuerpolitik leitete Frank Engels Scheitern als CSV-Präsident ein – gleichzeitig stieß er damit eine breitere politische Debatte an. (Foto: Matic Zorman)

Von der CSV wurde die Idee einer Vermögens- und Erbschaftssteuer in direkter Linie nach Frank Engels Vorschlag bereits abgeschmettert. Dafür wagt die Partei nun einen Vorstoß beim Spitzensteuersatz. „Spitzenverdiener müssen auch in diesen Zeiten akzeptieren, dass ein Steuersatz hinzugefügt wird. Jemand, der 500.000 Euro im Jahr verdient, muss Solidarität zeigen“, sagte Gilles Roth auf dem Parteitag der Christsozialen vor zwei Wochen. Mit welchem Satz diese Gehälter besteuert werden sollen, hat der Co-Vorsitzende der CSV-Fraktion nicht verraten.

Ob dies zu einem gerechteren Steuersystem führen kann, ist jedoch umstritten. Für die Abgeordneten rechnete die Steuerverwaltung aus, welche Auswirkung die Anhebung des Spitzensteuersatzes auf die Staatsfinanzen haben könnte. Würde der aktuelle Spitzensatz von 42 auf 49 Prozent angehoben werden, könnte der Staat auf 110 Millionen Euro Mehreinnahmen hoffen. Allerdings würde diese abrupte Erhöhung des Satzes bereits bei Einkommen von 200.000 Euro für die Steuerklasse 1 oder 400.000 Euro für die Steuerklasse 2 ansetzen und nicht erst bei 500.000 Euro.

Der kleinste gemeinsame Nenner

Doch die Abgeordneten untersuchten auch andere Hebel, die zu mehr Steuergerechtigkeit führen sollten. Die CSV fordert etwa, die Steuertabelle an die Inflation anzupassen. Die Oppositionspartei versucht dies als soziale Maßnahme zu verkaufen, da dadurch Menschen nicht stärker besteuert werden, wenn sie durch eine indexbedingte Gehaltserhöhung unter einen neuen Steuersatz fallen. Diese Anpassung würde jedoch vor allem höheren Gehältern zugutekommen. Zudem gehöre sie mit einem Kostenpunkt von 600 Millionen Euro jährlich eher zu den kostspieligen Maßnahmen.

Wir wollen mit einem Steuerkredit Gehälter bis zum dreifachen Mindestlohn zusätzlich entlasten. »François Benoy, Déi Gréng

Eine weitere Option, die im Ausschuss diskutiert wurde, wäre die Steuerbefreiung des Mindestlohns. „Der erste Steuersatz soll angehoben werden, sodass man erst später anfängt, Steuern zu zahlen“, sagte Claude Wiseler (CSV) gegenüber „Radio 100,7“. Genaue Zahlen nannte der Parteivorsitzende allerdings nicht. Während einer Ausschusssitzung schlug die Steuerverwaltung vor, dafür einen Steuerkredit zu nutzen. Mit einer entsprechenden Anpassung der Steuertabelle würde dies jährlich etwa 300 Millionen Euro kosten. Auch die Grünen sind mit dieser Grundausrichtung zumindest einverstanden. „Wir wollen mit einem Steuerkredit Gehälter bis zum dreifachen Mindestlohn zusätzlich entlasten“, so François Benoy.

Bei dem Maßnahmenkatalog des Finanzministeriums müssen die Beamten nun klären, inwiefern diese Ideen tatsächlich umsetzbar sind. Dabei ist etwa fraglich, inwiefern die Regierung bereit ist, die möglichen Entlastungen durch Steuererhöhungen gegenzufinanzieren. Denn nur so scheinen wesentliche Anpassungen noch vor den Wahlen möglich. Hinzu kommt, dass die Regierung allein mit dem ersten Teil des « Solidaritéitspak » bereits 530 Millionen Euro an weiteren Mehrausgaben vorgesehen hat. Genau genommen handelt es sich dabei bereits um eine Steuerreform, denn die auf April 2023 verschobene Indextranche soll über einen sozial selektiven Steuerkredit kompensiert werden.

Der Mut zu einer großen, strukturellen Steuerreform hält sich bei den Koalitionspartnern dagegen in Grenzen. Zu hoch waren die Kosten der Pandemiebewältigung, zu unsicher bleiben die Aussichten der anhaltenden Energiekrise und der Inflation und zu knapp wird die Zeit, um vor Oktober 2023 noch große Vorhaben durch die Instanzen zu bringen. Für die anstehende Debatte im Parlament wird aber zudem deutlich: Zu klein ist der gemeinsame Nenner von Liberalen, Sozialisten und Grünen, um vor diesem Hintergrund noch einen großen steuerpolitischen Wurf zu wagen.


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