Fast zwei Jahre lang bereitete das Parlament die Steuerdebatte vor. Am Ende standen viele Vorschläge, aber nur eine sehr kurze Liste an Maßnahmen, auf die sich die Koalition einigen konnte. Die versprochene Modernisierung bleibt aus. Das hat aber nicht nur budgetäre Gründe.

Die große Steuerreform: Seit Beginn der Koalition zwischen DP, LSAP und Déi Gréng ist dies ein wichtiges gemeinsames Projekt. „Die Regierung wird das Umverteilungssystem unseres Landes modernisieren“, hieß es im Koalitionsprogramm 2013. Doch auch die zweite gemeinsame Legislaturperiode wird enden, ohne dass Blau-Rot-Grün diesem Ziel wesentlich näher gekommen wäre. Das wurde am vergangenen Donnerstag klar, als die seit zwei Jahren angekündigte « große Steuerdebatte » im Parlament mit vielen Anregungen, aber nur einem minimalen Konsens zwischen den Mehrheitsparteien endete.

Der offensichtlichste Grund für das uneingelöste Versprechen: Die Staatseinnahmen machten in den vergangenen Jahren wilde Sprünge. Milliardenverluste wurden befürchtet oder traten ein, weil Luxemburg einen Teil seiner lukrativen Steuernischen aufgeben musste. Ab 2017 sprudelten dagegen die Einnahmen wider Erwarten, um dann wieder mit der Pandemie und ganz rezent mit dem Ukraine-Krieg wieder einzubrechen. Deshalb gab es ein klares Veto der DP-Finanzministerin Yuriko Backes. Die ungewisse Wirtschaftslage mache strukturelle Reformen unmöglich, so das Mantra.

Stattdessen nimmt die Regierung sich punktuelle Anpassungen vor: Entlastung von Alleinerziehenden, eine reduzierte Mehrwertsteuer auf nachhaltige Dienstleistungen und Material zur Energiewende, Anreize für nachhaltige Investments, Vorteile für ausländische Hochqualifizierte und geringere Anreize zum Investieren in Immobilien.

Wer in Luxemburg wie viel Steuern zahlt

Der langen und ausführlichen Vorbereitung der Debatte wird dieser Minimalkonsens nicht gerecht. Durch die Arbeit der Finanz- und Wirtschaftskommission ist die Steuerlandschaft heute detaillierter kartografiert als jemals zuvor. Im Bericht der Abgeordneten André Bauler (DP) und Gilles Roth (CSV) wird beschrieben, was unterschiedliche steuerpolitische Maßnahmen den Staat kosten oder was sie ihm einbringen würden.

Auf den ersten Blick ist es einfach: Bürger mit niedrigen und mittleren Einkommen sollen entlastet werden, den breiteren Schultern sollen mehr Steuern zugemutet werden. Doch die Finanzministerin wies auf die Widersprüche dieser Forderung mehrerer Parteien hin. Es gebe in Luxemburg viele Menschen mit niedrigen Gehältern, aber nur wenige, die allgemein als reich definiert werden könnten. „Die Rechnung geht nicht auf“, sagte Yuriko Backes während der Debatte.

Knapp 300.000 Haushalte bezogen 2018 in Luxemburg ein besteuerbares Einkommen unter 30.000 Euro im Jahr – davon leicht über einem Drittel Grenzgänger. Ihnen gegenüber stehen 9.000 Haushalte mit Einkommen über 200.000 Euro im Jahr – davon ein Sechstel Grenzgänger. Diese Diskrepanz geht aus dem Steuerbericht des Wirtschafts- und Sozialrats (CES) klar hervor.

Die Zahlen deuten aber auch auf eine soziale Ungleichheit hin. « Breitere Schultern » müssten in der aktuelle Lage mehr Lasten übernehmen, so das Credo einer Mehrheit der Abgeordneten. CSV, LSAP, Déi Gréng, Déi Lénk und Piraten forderten deshalb eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes – also für Einkommen oberhalb von 200.000 Euro. Aktuell liegt dieser bei 42 Prozent.

Die holprigen Argumente der Ministerin

Die DP sieht dagegen keinen Bedarf für eine Reform, das aktuelle System sei gerecht. Die Reichen würden bereits viel beisteuert, die Menschen mit geringen Einkommen wenig oder gar keine Steuern zahlen. Die DP wollte diese Argumente mit Zahlen untermauern. Doch an mehreren Stellen führte sie die Bürger in die Irre.

„130.000 Haushalte bezahlen keine Steuern“, sagte die Finanzministerin im Interview mit „Radio 100,7“. Das Problem: Diese Zahl sagt nicht das aus, was die Ministerin meint. Sie stammt aus dem CES-Bericht, dessen Autoren aber ausdrücklich darauf hinweisen, dass „ausschließlich“ nicht in Luxemburg ansässige Beschäftigte „keine Steuern“ zahlen. Das sind etwa Grenzgänger, die nur einen Teilzeitjob hierzulande haben. Die 36.000 im Land wohnhaften Haushalte mit einem besteuerten Einkommen unter 10.000 Euro zahlen durchaus Steuern – zumindest im Schnitt. Auf Nachfrage von Reporter.lu blieb das Finanzministerium aber bei der Darstellung der Ministerin.

Klare Ansagen, aber zum Teil fragwürdige Argumente und Daten: Finanzministerin Yuriko Backes mit dem DP-Abgeordneten André Bauler. (Foto: Mike Zenari)

„Zwei Prozent sind verantwortlich für 75 Prozent der Steuereinnahmen“, sagte Yuriko Backes ebenfalls im Interview mit „Radio 100,7“. Auch in diesem Punkt hat man im Finanzministerium das Kleingedruckte des CES-Berichts und des Bauler-Roth-Berichts offenbar nicht gelesen. Denn in dieser Statistik geht es um die Steuern auf den Einkommen der Privatpersonen, allerdings ohne Lohnsteuer. Deshalb sind diese Zahlen wenig aussagekräftig, da nur wenige Bürger neben ihrem Lohn noch substantielle Einkommen haben. Richtig ist aber, dass 300 Haushalte mit Einkommen über einer Million Euro allein 239 Millionen Euro Steuern zahlen.

Zwischen 50 und 500 Millionen Euro

Unabhängig von der Argumentation war die DP auch nahezu isoliert mit ihrer Haltung. Die Vorschläge der anderen Parteien für eine Anhebung der Spitzensteuersätze reichten von 45 Prozent bis 49 Prozent – mit zusätzlichen Stufen ab 300.000 der 400.000 Euro. Die höheren Sätze betreffen nur das Einkommen oberhalb der jeweiligen Stufen. Wer heute 200.000 Euro verdient, zahlt über sein gesamtes Einkommen einen durchschnittlichen Satz von 34 Prozent, wie es der frühere Direktor der Steuerverwaltung, Guy Heintz, in der « RTL »-Diskussionsrunde « Kloertext » erklärte.

Je nach Gestaltung unterscheiden sich die erwartbaren Mehreinnahmen aber deutlich. In einem einfachen Szenario rechnet die Steuerverwaltung bei der Einführung einer « Reichensteuer » mit zwischen 50 und 110 Millionen Euro zusätzlich. Für die DP ist das der Beweis, dass eine solche Reform nichts bringe, aber der Attraktivität des Finanzplatzes schaden könnte. Es wäre etwa für Banken schwieriger, « hochqualifizierte Talente » nach Luxemburg zu locken. Im Szenario mehrerer zusätzlicher Tranchen in der Steuertabelle und einem Spitzensatz von 50 Prozent geht die Verwaltung allerdings von 500 Millionen Euro mehr aus.

Doch selbst diese konsequente Erhöhung würde nicht ausreichen, um eine Anpassung der Steuertabelle an den Index zu finanzieren. Die Steuerverwaltung geht allein für diese Maßnahme von Mindereinnahmen von 600 Millionen Euro pro Jahr aus. Damit würde die sogenannte „kalte Progression“ ausgeglichen. Es geht dabei um das Phänomen, dass ein Beschäftigter faktisch mehr Steuern zahlen muss, weil er nach einer Indextranche mehr verdient. Die Finanzministerin erteilte dieser Forderung aber eine klare Absage. Über die Steuerkredite habe die Regierung bereits in den vergangenen Jahren die Haushalte entlastet, so die liberale Erklärung.

Uneinigkeit bei der Kapitalbesteuerung

Nun soll die Kaufkraft der Alleinerziehenden „gezielt“ gestärkt werden – spätestens mit dem Staatshaushalt 2023. Die versprochene « Individualisierung » der Besteuerten – also ein Abschaffen der Steuerklassen – lässt Blau-Rot-Grün ausfallen, vorgeblich weil diese Maßnahme zu teuer wäre. Doch an dieser Stelle geht es auch um unterschiedliche Prioritätensetzungen innerhalb der Koalition.

Auch in der Frage der Kapitalbesteuerung gibt es Streit. Sowohl LSAP als auch Déi Gréng forderten eine stärkere Besteuerung von Gewinnen aus Aktienbesitz oder Unternehmensbeteiligungen. Es sei nicht gerechtfertigt, dass Dividenden zur Hälfte steuerfrei seien und Gewinne aus Aktiengeschäften beispielsweise oft gar nicht besteuert würden, so das Argument. François Benoy (Déi Gréng) betonte, dass Mehreinnahmen von einigen hunderten Millionen Euro zu erwarten wären, wenn Kapital zum vollen Steuersatz besteuert würde.

Die Finanzministerin betonte dagegen, Dividenden stammten aus Unternehmensgewinnen, die bereits besteuert worden seien. Außerdem könne Luxemburg diese Einkommen nicht anders besteuern als andere Länder, denn dies würde wirtschaftliche Nachteile bringen. Der frühere Direktor der Steuerverwaltung, Guy Heintz, betonte dagegen im « RTL Kloertext », dass eine Angleichung der Besteuerung nötig sei. Er nannte das Beispiel der Ärzte und Anwälte, die sich vermehrt in Gesellschaften zusammenschließen würden und so deutlich weniger besteuert würden.

« Die Rechnung geht nicht auf »: Die Debatte über die Herausforderungen des Luxemburger Steuersystems wurde überschattet von ökonomischen und geopolitischen Unsicherheiten. (Foto: Mike Zenari)

Wenig thematisiert wurde in der Debatte das Risiko der Steuervermeidung. Luxemburg hat hier wenig Spielraum, denn die vorteilhafte Besteuerung von Dividenden und Beteiligungsgewinnen bei Unternehmen ist ein wesentliches Element der Attraktivität der Beteiligungsgesellschaften (Soparfis). Diese machen aber über ein Drittel der Einnahmen der Körperschafts- und der Gewerbesteuer aus.

Die Überreste des Luxemburger Steuerparadieses beeinflussten allerdings die Debatte über die Vermögens- und die Erbschaftssteuer. Die LSAP stellte das Bankgeheimnis zur Disposition. Dies sei nötig, damit die Steuerverwaltung bei den Banken Informationen erhalten würde, erklärte Dan Kersch (LSAP) in seiner Rede. Ansonsten wäre eine Vermögenssteuer wirkungslos. DP und CSV lehnten diese Forderung jedoch ab.

Angebot oder Nachfrage fördern?

Konsens herrscht aber, dass Immobilienbesitz stärker besteuert werden sollte. Die Regierung verspricht für den Herbst eine Reform der Grundsteuer und eine „nationale Leerstandssteuer“. So soll mehr gebaut und weniger spekuliert werden. Ein großes Thema in der Debatte waren ebenfalls die Steuervorteile, in deren Genuss jene kommen, die in Immobilien investieren. Diese können mehrere Zehntausend Euro pro gekaufter Wohnung erreichen.

Doch auch hier vertrat die Finanzministerin eine andere Haltung: „Wir brauchen Maßnahmen, um das Angebot an Wohnungen zu erhöhen.“ Allerdings sagte sie zu, das sogenannte „Amortissement accéléré“ stärker einzuschränken. Dabei geht es um die steuerliche Absetzbarkeit von Immobilieninvestitionen. LSAP und Déi Gréng argumentierten, dass die Anreize zum Investieren in Immobilien die Preise in die Höhe treiben würden. Die CSV schlug vor, die Anreize zu erhöhen, die den Kauf eines Eigenheims fördern – etwa den „Bëllegen Akt“. Das würde die Nachfrage fördern.

Ausgeklammert aus der Debatte blieb aber, dass die aktuelle Wirtschaftslage sich gerade drastisch ändert – und damit auch die Situation auf dem Wohnungsmarkt. Explodierende Baupreise und das Ende der sehr niedrigen Zinsen schreckt potentielle Wohnungskäufer ab. Ein Risiko besteht darin, dass in den kommenden Jahren weniger Mietwohnungen gebaut werden, weil die Investoren fehlen. Es ist zudem ungewiss, ob die Bauträger sich in diesem Kontext von einer höheren Grundsteuer oder einer Steuer auf Baulücken motivieren lassen.

Die ausbleibende Modernisierung

„Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit“: Dieses überlieferte Juncker-Zitat bemühte Co-Berichterstatter Gilles Roth in seinem Debattenbeitrag. Tatsächlich gründete die Aussprache im Parlament auf einer detaillierten Betrachtung des Ist-Zustands der Besteuerung. Der Wirklichkeit in Form von hoher Inflation und fehlenden Arbeitskräften wurden die Vorschläge aber nicht gerecht. Ein weiteres Beispiel dafür ist, dass die Besteuerung von Grenzgängern kaum Thema war, obwohl die Home-Office-Regelungen aktuell Arbeitnehmer und Arbeitgeber umtreiben.

Die Steuerdebatte erfüllte ihre Aufgabe im Hinblick auf die Steuergerechtigkeit. Die Optionen wurden diskutiert und es wurde deutlich – wie es der LSAP-Abgeordnete und frühere Vizepremier Dan Kersch formulierte – welche Interessen die jeweiligen Parteien vertreten. Doch das Ziel einer Modernisierung im Sinne einer Vereinfachung und Anpassung an die heutige Gesellschaft verfehlte das Parlament. Blau-Rot-Grün hat etwa noch immer keine ausgereiften Konzepte einer Grundsteuerreform und der Individualisierung vorgelegt – obwohl beides bereits 2013 versprochen wurde.

Aber immerhin wird die nächste Regierungsmehrheit erneut eine Modernisierung des Steuersystems versprechen können.