Extreme Temperaturen sind besonders für Menschen in schwierigen Lebensumständen gefährlich. Die Aufmerksamkeit der Regierung gilt vor allem der älteren Bevölkerung. Eine Risikogruppe wird jedoch oft übersehen: Wer auf der Straße lebt, kann der Hitze kaum entkommen.

Die Temperatur steigt, die Kirchenglocke läutet. 13 Uhr. Touristen und Beschäftigte schlendern entlang gleißender Fassaden und abgeschirmter Fenster durch die Luxemburger Innenstadt. Die Terrassen sind prall gefüllt. Teller klirren, Kellner eilen umher. Doch manche Menschen bleiben am Rande des Geschehens.

Yannick* sitzt unter einem Baum, seine Mehrwegtüte steht neben ihm. Eine grüne Jacke, eine graue Kappe, die den Blick auf ein gebräuntes Gesicht freigibt. Noch liegt sein Platz auf der Holzbank im Schatten. Seit einem Jahr lebt er auf der Straße. Immer dabei: ein Schlafsack, sicher in der Tüte verstaut. „Der hält mich im Winter warm, damit sind es 17, 18 Grad. Jetzt nicht, jetzt ist es zu warm dafür“, sagt Yannick.

In die Kirche statt ins Kino

An diesem Tag im August sind es 35 Grad, mehr als zehn Grad über der monatlichen Durchschnittstemperatur. Deshalb rief der Wetterdienst „Météolux“ bereits die Warnstufe „Orange“ aus. Vor den hohen Temperaturen solle man zu Hause Schutz suchen, rät das Gesundheitsministerium. Und lässt dabei jene unerwähnt, die keine feste Wohnung haben.

Es ist immer schwer, draußen zu sein, und diesen Sommer ist es noch ein bisschen extremer.“Bob Ritz, „Stëmm vun der Strooss“

Nachdem eine Hitzewelle im Jahr 2003 Schätzungen zufolge rund 70.000 Menschen in Europa das Leben kostete, führte die Luxemburger Regierung einen „Plan Canicule“ ein. Seitdem häufen sich Rekordtemperaturen. Mit 39 Grad wurde im Juli 2019 hierzulande die bisher höchste Tagestemperatur gemessen. Der Juli dieses Jahres war der bisher sonnigste und dritttrockenste Monat seit 1947. Als besonders gefährdet bei diesen Temperaturen sieht das Gesundheitsministerium die jüngsten und ältesten Teile der Bevölkerung sowie chronisch und psychisch Kranke.

Im Rahmen des „Plan Canicule“ bietet das Ministerium deshalb seit 2019 regelmäßige Hausbesuche an: für Menschen über 75, die allein, mit eingeschränkter Autonomie oder wenig sozialen Kontakten leben. Sollte es zu Hause zu warm sein, dann könne man sich im Kino oder in einem Supermarkt erfrischen, empfiehlt das Ministerium.

Empfehlungen, die Yannick nicht weiterhelfen. Unter dem Baum wird die Hitze langsam brütender. „Wenn es zu heiß wird, gehe ich in die Kirche, mich abkühlen“, sagt er. „In die der Protestanten“, er zeigt nach links, „oder die der Katholiken“, er deutet nach rechts.

Besondere Anfälligkeit auf der Straße

Laut Angaben des Gesundheitsministeriums sind zwischen 2003 und 2020 in Luxemburg acht Personen an den Folgen extremer Hitze gestorben, eine davon auf der Straße. Aktuellere Zahlen liefert das Ministerium auch auf Nachfrage von Reporter.lu nicht. Vielmehr verweist es auf seine Antwort auf eine parlamentarische Anfrage des grünen Abgeordneten Marc Hansen, in der jedoch kein Fokus auf die Situation von Obdachlosen gelegt wird.

Die Hilfsorganisationen sind derweil auf den Straßen tätig und verteilen Wasserflaschen, Sonnencreme sowie Sommerkleidung an Obdachlose. Auch sie wissen nicht genau, wie viele Personen stark unter der Hitze leiden. Trotz extremer Temperaturen sei die Situation für viele, die auf der Straße leben, nicht grundsätzlich anders als das, was sie täglich kennen, sagt Bob Ritz, Kommunikationsbeauftragter der „Stëmm vun der Strooss“. „Es ist immer schwer, draußen zu sein, und diesen Sommer ist es noch ein bisschen extremer“, meint er.

André Soares de Andrade bekräftigt diese Einschätzung. „Zur vorhandenen Not kommt die Hitzewelle hinzu. Sie erhöht die Vulnerabilität, vor allem aus gesundheitlicher Sicht“, sagt der Direktionsbeauftragte des Streetworking-Dienstes „Abricoeur“ der „Croix-Rouge“. „Das Fehlen von frischer Luft, die Temperatur des Asphalts, das mangelnde Bewusstsein für die Gefahren: Das sind alles Elemente, die schwerwiegende Folgen haben können – genauso wie extreme Kälte.“

Kombination der Risiken

Für eine rote Warnstufe, was offiziell einer Hitzewelle entsprechen würde, reichen die 35 Grad Anfang August nicht aus. Dazu müssten die Nächte deutlich wärmer sein. „Für Menschen, die auf der Straße leben, können aber schon Temperaturen über 30, gar bereits über 25 Grad, gefährlich sein“, warnt hingegen Laura Talasman. Als Ärztin von „Médecins du Monde“ betreut sie täglich Patienten in schwierigen Lebenslagen. Wichtiger als die eigentliche Temperatur sei der Zugang zu Trinkwasser und Schatten: „Man sagt immer, die Kälte gefährdet die Gesundheit. Doch die Hitze ist ebenso gefährlich. Grundsätzlich ist es immer gefährlich, wenn man nicht trinkt. In der Hitze steigt das Risiko mit jedem Grad“, so Laura Talasman.

Auf die Frage, wie es mit dem Trinken sei, zuckt Yannick mit den Schultern, denn eigentlich merke er bloß eins: „Der Alkohol bringt mich mehr zum Schwitzen in dieser Hitze“, sagt er grinsend. Der Schatten unter dem Baum schwindet.

Im Winter hilft ein Schlafsack zumindest etwas gegen die Kälte, im Sommer sind obdachlose Menschen der zunehmenden Hitze dagegen zumeist schutzlos ausgeliefert. (Foto: Mike Zenari)

Am meisten betroffen sind alle, die mit einer Drogen- oder Alkoholabhängigkeit zu kämpfen haben, bestätigt Laura Talasman: „Das Problem ist, dass Personen, die Suchtmittel konsumieren und manchmal in der Sonne einschlafen, die Hitze nicht bemerken und nicht genügend Wasser trinken.“ Die Ärzte von „Médecins du Monde“ behandeln immer wieder verbrannte Gesichter, Sonnenstiche und Fälle von Dehydrierung. Werden Betroffene nicht rechtzeitig betreut, kann es zu Nieren- und Kreislaufproblemen kommen, so Laura Talasman. Sie erinnert sich an einen 50-jährigen Mann, der mit einem Hitzschlag und 39,5 Grad Fieber bei ihr ankam. Momentan sei die Lage aber noch überschaubar, schwere Fälle hätten sie noch keine gehabt.

Vorschlag einer „Summeraktioun“

Braucht es für obdachlose Menschen einen Schutz vor der Hitze genauso wie vor der Kälte? Die Piratenpartei lancierte in diesem Sinne kürzlich die Idee einer „Summeraktioun“. Ähnlich wie die sogenannte „Wanteraktioun“ als Notunterkunft für kalte Nächte solle eine solche Unterkunft im Sommer zur Verfügung stehen und Schutz vor der Hitze bieten, erklärt der Abgeordnete Marc Goergen. Er ist seit Jahren in der Vereinigung „Street Angels“ ehrenamtlich aktiv und sieht die Zahl der Bedürftigen stetig steigen. „In den Städten, vor allem in Luxemburg-Stadt selbst, sind quasi keine Abkühlungsmöglichkeiten vorhanden, wenn man auf der Straße lebt“, meint Marc Goergen gegenüber Reporter.lu.

„Es ist eine Sache der Politik, die Lösungen finden muss“, sagt Bob Ritz von der „Stëmm vun der Strooss“ und begrüßt die Idee einer „Summeraktioun“. In Hollerich verwaltet die Hilfsorganisation zurzeit den „Saxo“, wo sich Menschen tagsüber zum Schlafen oder Ausruhen aufhalten können.

Über solch kurzfristige Maßnahmen hinaus brauche man aber einen konkreten Handlungsplan, so André Soares de Andrade vom Roten Kreuz. „Den Fragen nach Wohnraum und langfristigen Lösungen, wie das Housing First muss weiter nachgegangen werden“. Sollten die Temperaturen weiterhin jeden Sommer steigen, sei klar, wer vor allem darunter leiden werde, sagt auch die Ärztin Laura Talasman.

Für eine Notunterkunft im Sommer gebe es „vor Ort keinen Bedarf“, antwortete dagegen die Ministerin für Familie und Integration, Corinne Cahen (DP), auf eine parlamentarische Anfrage von Marc Goergen. Die Hilfsorganisationen hätten Maßnahmen umgesetzt, so die Ministerin. Neben dem Verteilen von Wasser würden zum Schutz vor der Hitze Ratschläge gegeben und die Streetworker würden obdachlosen Personen empfehlen, sich in den bestehenden Tagesstrukturen zu erholen.

Auf die Frage, was ihm helfen würde, zuckt Yannick wieder mit den Schultern und schaut kurz nach oben. Er erwartet nichts. Entschieden steht er auf, blickt die Straße hinunter und macht sich wieder auf den Weg. Die Tüte mit dem Schlafsack nimmt er mit. Der Schatten ist weg.


*Name von der Redaktion geändert