Ungenutzte Millionensummen, lasche Prozeduren und ein übermächtiger Direktor: Das sind Missstände, die der Rechnungshof beim „Film Fund“ offenlegte. Obwohl schon 2018 ein Audit das gleiche Bild zeichnete, unternahm Premier Xavier Bettel bisher wenig.
Guy Daleiden ist in der Luxemburger Filmindustrie ein Sonnenkönig. Mit einem Federstrich konnte der Direktor des „Film Fund“ Millionen Euro verschieben. Mit Steuergeldern finanzierte er häufige Restaurantbesuche und Dienstreisen. Gnädig gewährte der seit 1999 amtierende Direktor auch zu spät oder unvollständig eingereichte Förderanträge. Nach wie vor steht der DP-Politiker im Zentrum eines Systems, das jedes Jahr rund 40 Millionen Euro verteilt.
Das ist kein Auszug aus dem Drehbuch einer schlechten Komödie, sondern eine knappe Zusammenfassung des Spezialberichts des Rechnungshofs zum Finanzgebaren des „Fonds national de soutien à la production audiovisuelle“, wie der „Film Fund“ offiziell heißt. Die zuständigen Minister Xavier Bettel (DP) und Sam Tanson (Déi Gréng) konnten die aufgezählten Missstände allerdings nicht überraschen. Ein vom Premierminister in Auftrag gegebenes Audit kam vor vier Jahren zu ähnlichen Ergebnissen, wie Reporter.lu damals berichtete.
Auf Nachfrage von Reporter.lu reagieren das Staatsministerium und das Kulturministerium in einer gemeinsamen Stellungnahme erstmals auf den Bericht des Rechnungshofes. Vorweg: „Der Direktor Guy Daleiden genießt selbstverständlich weiterhin das Vertrauen der Minister.“ Infolge des Audits im Jahre 2018 seien die internen Prozeduren des „Film Fund“ überarbeitet worden und auch einige Empfehlungen des Rechnungshofs seien bereits umgesetzt worden. Allerdings wollen die Minister weitere Anpassungen an der aktuellen Filmförderung prüfen. Eine Reform wird auch im Parlament mehrheitlich gefordert.
Missstände bleiben bestehen
Also alles gut im Reich des Guy Daleiden? Nicht ganz, denn so komplett, wie es der Staatsminister darstellt, hat sich die Arbeit des „Film Fund“ nicht gewandelt. Ein Problem der externen Prüfungen ist, dass sich die Zeiträume überschneiden, die das Audit und der Rechnungshof abdecken. Ob die Reformen nach 2018 wirkten, prüften die staatlichen Kontrolleure also nicht systematisch.
Dabei ist die Problematik hinlänglich bekannt. Im September 2018 zeigten exklusive Recherchen von Reporter.lu, wie intransparent das System des « Film Fund » funktioniert und wie wenig Wille zur finanziellen Rechenschaft besteht. Vier Jahre später bestätigt die « Cour des comptes » in vielen Punkten diese Missstände. Mehr noch: Die Rechnungsprüfer stellen klar, dass längst nicht alle Unregelmäßigkeiten behoben wurden.
Auch die Berater von „Value Associates“ hatten 2018 in ihrem Audit eine wesentliche Schwachstelle des Fördersystems aufgedeckt. Der „Film Fund“ verfügte vor vier Jahren über eine Reserve von 59 Millionen Euro, die ungenutzt auf Bankkonten liegen. Es handelte sich dabei um Fördermittel für Projekte, die sich verzögerten oder ganz aufgegeben wurden. Die Empfehlung der Berater: Die auf diese Weise blockierten Mittel sollten dem Filmsektor zusätzlich zugute kommen.
Ungenutzter Millionenschatz
Doch stattdessen hat sich das Problem verschärft. Der Rechnungshof verzeichnet für 2020 nicht genutzte Fördermittel in Höhe von 73 Millionen Euro. Da der „Film Fund“ im Schnitt 26 Millionen Euro pro Jahr an Förderung ausgibt, würde die Summe für fast drei Jahre reichen. Verantwortliche des „Film Fund“ gaben dazu an, dass Diskussionen mit der „Inspection générale des finances“ stattgefunden hätten, um die Bankguthaben abzubauen.

Dieser Millionenschatz hängt auch mit der eigenwilligen Bilanzführung des „Film Fund“ zusammen. Laut des Jahresberichts hat die öffentliche Einrichtung ein Eigenkapital von null Euro. Es bleiben aber jedes Jahr Millionensummen an Fördermitteln übrig, die noch nicht ausgegeben wurden. Dass dies aus der Bilanz nicht transparent hervorgehe, kritisiert der Rechnungshof offen. In ihren Berechnungen kommen die Prüfer zum Schluss, dass die „realen“ Eigenmittel des Fonds für 2020 bei 24 Millionen Euro lagen.
Zum Problem trägt auch bei, dass die Fördermittel „im Prinzip“ zurückgezahlt werden müssen. Aber, wie Reporter.lu bereits berichtete, kommt dies nur sehr selten vor. Der Rechnungshof hält in seinem Bericht nun fest, dass nur 0,22 Prozent der Hilfen zurückgezahlt wurden – 380.000 Euro von insgesamt 173 Millionen Euro.
Ein Mann überweist Millionen
Der Rechnungshof empfiehlt zudem „Korrekturen“, was die „herausragende Stellung des Direktors“ betrifft. Guy Daleiden ist in fast allen Fällen allein für die Zahlungen des „Film Fund“ verantwortlich. Laut den internen Prozeduren darf er Beihilfen für die Filmproduktion bis zu einer Summe von 3,2 Millionen Euro mit seiner alleinigen Unterschrift überweisen. Das ist allerdings das Maximum, das der „Film Fund“ überhaupt für ein Projekt ausgeben darf.
Das Audit von 2018 hatte diese bemerkenswerte Praxis ebenfalls thematisiert. Auffällig ist aber, dass der Verwaltungsrat des „Film Fund“ diese strittigen Regeln im Juli 2018 nochmals bestätigte, wie der Rechnungshof hervorhebt. Zum gleichen Zeitpunkt gab Premierminister Xavier Bettel das Audit bei „Value Associates“ in Auftrag. Der Spezialbericht erwähnt zusätzlich, dass die Bilanzprüfer des „Film Fund“ seit geraumer Zeit ein „Vier-Augen-Prinzip“ fordern würden. Erst seit Anfang des Jahres wird dies aber tatsächlich umgesetzt.
Wie vor vier Jahren empfohlen, schuf der „Film Fund“ den Posten eines „Compliance officer“ – also einer Person, die die Einhaltung der teils komplexen Prozeduren überwachen soll. Die Minister betonen in ihrer Stellungnahme, dass der „Compliance officer“ den Verwaltungsrat regelmäßig über die Umsetzung der Empfehlungen aus dem Audit informiere. Dass die betreffende Person dem Verwaltungsrat ihre Beobachtungen direkt mitteilen kann, wurde jedoch erst nach der Kontrolle des Rechnungshofs entschieden.
Ungewöhnlich bis gesetzeswidrig
Der Bedarf für eine Kontrollfunktion steht aber außer Frage – zumindest für die vergangenen Jahre. Der Rechnungshof listet nämlich viele Unregelmäßigkeiten auf.
Dazu zählt, dass der Direktor Guy Daleiden offenbar allein entscheidet, ob Restaurantrechnungen als Geschäftsessen vom „Film Fund“ – und damit aus Steuergeldern – gezahlt werden. In ihrem Spezialbericht notieren die Rechnungsprüfer, dass die Sitzungen des „Comité de sélection“ (das über die Vergabe der Fördermittel entscheidet) regelmäßig im Restaurant weitergeführt würden. Diese Praxis steht im Widerspruch zu einer Anweisung des Premiers von 2016. Einfache Arbeitssitzungen dürften nicht auf das Konto des Staates gehen.
De simples réunions de travail entre fonctionnaires ne sauraient justifier l’organisation de déjeuners/dîners à charge du budget de l’Etat. »Bericht des Rechnungshofes zum « Film Fund »
Auch die Vergabe von Aufträgen an private Unternehmen handhabte der „Film Fund“ gesetzeswidrig. Ab einer Summe von 55.000 Euro muss es eine öffentliche Ausschreibung geben. Der offensichtlichste Problemfall war die Anschaffung einer Software zur Verwaltung der Förderanträge, die in neun Jahren Kosten von über einer Million Euro verursachte. Dabei konnte der „Film Fund“ keinen Vertrag vorlegen, sondern nur Rechnungen.
Weiterhin problematisch bleibt der Fall von Paul Thiltges. Der Präsident des Filmproduzentenverbandes ULPA ist gleichzeitig ein externer Berater des „Film Fund“. Der Rechnungshof verzeichnet diesbezüglich gleich mehrere Unregelmäßigkeiten. Paul Thiltges erhielt seit 2013 über 500.000 Euro für seine Dienstleistungen, ohne gültigen Vertrag. Das Audit von 2018 behandelte diesen Fall bereits und hielt fest, dass der Bilanzprüfer des „Film Fund“ darin ein Risiko von Interessenkonflikten und möglichem Betrug sahen. Der Rechnungshof betont seinerseits, dass für das Jahr 2018 kein Vertrag bestand. Dieser kam erst im Februar 2019 zustande – also geschlagene sechs Monate, nachdem Xavier Bettel Kenntnis vom Audit von „Value Associates“ hatte.
Auch externe Kontrolle mangelhaft
Nicht nur intern, sondern auch extern war die Finanzkontrolle des „Film Fund“ lückenhaft. Das Gesetz zur Filmförderung schreibt eine Prüfung der Produktionsfirmen vor. Doch diese Kontrollen seien mangelhaft, wie sowohl das Audit von 2018 als auch der Rechnungshof feststellten. Die Überprüfungen seien nicht tiefgründig genug, sie würden etwa nicht die Rentabilität des Unternehmens analysieren. Zudem seien Informationen zu den Aktionären und der Geschäftsführung der geförderten Gesellschaften nicht vollständig.
Der „Film Fund“ antwortet auf diese Kritik, dass die Beihilfeempfänger jährlich die im Handelsregister veröffentlichten Dokumente, wie etwa die Jahresbilanz oder Veränderungen bei den Aktionären, sowie einen Businessplan für die nächsten 18 Monate vorlegen müssen. Wie die Vollständigkeit der Daten überprüft wird, darauf geht die Stellungnahme des „Film Fund“ nicht ein.

Es bestehen aber berechtigte Zweifel daran, dass sich die Lage seit der Kontrolle des Rechnungshofs verbessert hat. Recherchen von Reporter.lu zeigen, dass ein Drittel der Produktionsfirmen bis Mitte Oktober noch keine Bilanz für 2021 im Handelsregister veröffentlicht hat. Damit verstoßen diese Unternehmen gegen die gesetzliche Auflage, dass spätestens sieben Monate nach Abschluss des Geschäftsjahres die Bilanz hinterlegt werden muss. Die zu späte Einreichung ist ein auch in anderen Branchen verbreitetes Übel, denn über die Hälfte aller Unternehmen hatte vergangenes Jahr die legale Frist überzogen, wie « Paperjam » berichtete.
Prekäre Post-Covid-Lage
Für Gesellschaften, die staatliche Gelder in Millionenhöhe erhalten, sind die Ansprüche an die Erfüllung gesetzlicher Auflagen aber höher. Das Gesetz von 2014 hält in diesem Sinn fest, dass die Empfänger eine adäquate Geschäftsführung belegen müssen. Die Finanzkontrolle durch den „Film Fund“ sollte auch das Risiko von Unternehmenspleiten mindern, wie das Parlament damals festhielt.
Doch das Konkursrisiko ist höher denn je. Die Filmbranche wurde von der Pandemie hart getroffen und das spiegelt sich in den Bilanzen der Unternehmen wider. Ein halbes Dutzend der Produktionsfirmen schreibt tiefrote Zahlen. Der Vergleich wird aber dadurch erschwert, dass knapp ein Drittel der Firmen die Millionen Euro an Filmförderung in ihr Eigenkapital einrechnen (als „Subventions d’investissement en capital“), die anderen dagegen nicht.
Reform deutet sich an
Xavier Bettel und Sam Tanson betonen auch, dass die Filmbranche sich seit dem Gesetz von 2014 international strukturell verändert – nicht zuletzt aufgrund der Pandemie. Es sei Zeit, Bilanz zu ziehen und eine Reform der Filmförderung anzugehen. Dazu sollen die Verbände des Sektors konsultiert werden. Das ist Informationen von Reporter.lu zufolge bisher nicht passiert.
Für den LSAP-Abgeordneten Dan Kersch ist die wichtigste Anpassung klar: Guy Daleiden genieße zu viele Freiheiten und der Gesetzgeber sei gefordert, diese einschränken. Denn man sehe, dass aktuell manches „außer Kontrolle“ geraten sei, meinte er im « RTL »-Interview. Die Oppositionsparteien CSV und ADR fordern ebenfalls eine Reform. Direktor Guy Daleiden und die Präsidentin des „Film Fund“, Michèle Bram, sollen der Budgetkontrollkommission des Parlaments im November Rede und Antwort stehen, sagte die Vorsitzende des Ausschusses, Diane Adehm (CSV), dem „Lëtzebuerger Land“. Ein Datum steht aktuell noch nicht fest.
In der Filmbranche gehen die Meinungen auseinander. Der Verband der Filmproduzenten « Ulpa » begrüßt in einer Stellungnahme gegenüber Reporter.lu die seit 2018 geleistete Arbeit. Die Regeln zur Vergabe der Fördermittel seien kontinuierlich angepasst worden. Das Ziel sei, diese Diskussionen zwischen « Film Fund » und dem Sektor weiterzuführen, was auch eine Entwicklung bei der « ligne éditoriale » beinhalte, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Der Verband der Regisseure und Drehbuchautoren « LARS » forderte gegenüber Reporter.lu « eine prinzipielle Debatte, was wir für die Zukunft unseres Kino-Sektors wollen ». Sie wünschen sich etwa eine konsequentere Unterstützung von Luxemburger Projekten, also von Luxemburger Regisseuren und Autoren.
Le législateur (…) a, d’une part, limité le rôle du conseil d’administration au niveau de la gouvernance du Fonds et, d’autre part, renforcé les attributions du directeur. » Bericht des Rechnungshofes zum « Film Fund »
Bei den verfügbaren Mitteln bleibt es aktuell beim Status-quo. Im mehrjährigen Budgetplan bleibt der „Film Fund“ unverändert bis 2026 bei 40,6 Millionen Euro jährlich. In anderen Bereichen, wie etwa der Pressehilfe, plant das Staatsministerium aber mit einer leichten Progression. Angesichts der hohen Inflation dürfte das Budget des „Film Fund“ demnach deutlich sinken. Das Staatsministerium sieht darin aber keinen Widerspruch. Das Budget entspreche der Verpflichtung, die Xavier Bettel gegenüber dem Sektor eingegangen sei, heißt es auf Nachfrage von Reporter.lu.
„Im Endeffekt entscheidet ein Einziger“
Währenddessen führt Guy Daleiden die Geschäfte des „Film Fund“ ungeachtet der Kritik weiter. Sein Selbstverständnis beschrieb er einst im Interview mit Reporter.lu mit den Worten: „Wir leben nun einmal in einer subjektiven Welt, in der sich jeder zu Wort melden kann. Würden wir in einer objektiven Welt leben, in der ein Einzelner an der Spitze nach objektiven Kriterien entscheiden könnte, dann wäre Ruhe.“
« Guy Daleiden agiert wie ein Politiker, der alle zufrieden stellen will. Und dem es vor allem um seine Macht geht », sagt indes ein Insider der Filmbranche, der anonym bleiben will. Der Produzentenverband Ulpa sieht das aber anders: Der Erfolg der Luxemburger Filmbranche sei eher ein Plädoyer für die Arbeit des « Film Fund »-Direktors.
Unbestritten ist: Guy Daleiden hält weiter die Fäden in der Hand. Ein aktuelles Beispiel: Die Berufsverbände der Filmbranche wurden angeschrieben, um ihre Meinung zur anstehenden Erneuerung der Mandate des „Comité de sélection“ zu äußern – so wie es das Gesetz vorschreibt. In der Vergangenheit erfüllte der « Film Fund » die Vorgabe nicht – dem Rechnungshof wurde jedenfalls keine entsprechende Dokumentation vorgelegt.
« Wir werden meist vor vollendete Tatsachen gestellt, weil die vorlegte Liste ohne Alternativen ist », kritisiert der Verband der Regisseure und Drehbuchautoren « LARS » gegenüber Reporter.lu. Sie bedauern, dass das Komitee bereits so lange unverändert besteht und wünschen sich eine Rotation der Mitglieder, um unterschiedliche Standpunkte zu gewährleisten. Allerdings sei es schwierig, geeignete Personen zu finden, wie auch das Audit von 2018 feststellte.
Tatsächlich sind Guy Daleiden, seine Stellvertreterin Karin Schockweiler und der aktuelle Präsident Boyd van Hoeij seit 2014 Mitglied im mächtigen « Comité de sélection ». Doch im Sektor glauben nur wenige an einen Einfluss auf die Zusammensetzung dieses Gremiums, das über Millionenförderungen berät. „Das ist eine Prozedur fürs Papier“, sagt Carlo Thiel, Präsident des Verbands der Filmtechniker „Alta“ im Gespräch mit Reporter.lu. „Im Endeffekt entscheidet ein Einziger.“


