Die Debatte über die Unabhängigkeit von « Radio 100,7 » schwelt bereits seit über zwei Jahren. Heute bewegt sich die Politik allmählich auf eine Reform des staatlich finanzierten Rundfunks zu. Ein kritisches Gutachten setzt die Regierung unter gewissen Zugzwang.
Die Gemüter haben sich beruhigt. Nach dem Rücktritt von Ex-Verwaltungsratschef Laurent Loschetter und internen Machtkämpfen (REPORTER berichtete) richtet sich die Debatte um die Unabhängigkeit von « Radio 100,7 » nicht mehr auf Personalien, sondern auf eine grundlegende Reform des öffentlich-rechtlichen Radiosenders.
Die Forderung nach mehr Unabhängigkeit kommt mittlerweile nicht mehr nur aus der Redaktion von « Radio 100,7 ». Auch die Politik teilt zunehmend die Diagnose, wonach es neuer gesetzlicher Sicherheiten für die unabhängige Arbeit der Journalisten bedarf. Die Vorbereitungen für eine entsprechende Reform würden sich « auf der Zielgeraden » befinden, sagte Premier- und Medienminister Xavier Bettel (DP) bereits im Dezember auf Nachfrage von REPORTER.
Zu diesen Vorbereitungen gehört ein neues Gutachten der « European Broadcasting Union » (EBU). Darin kritisiert der Verband europäischer Rundfunkanstalten die Lage des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Luxemburg in ungeahnt deutlicher Form. Der gesetzliche Rahmen für das « établissement de radiodiffusion socioculturelle », wie das « Radio 100,7 » offiziell heißt, weise « eine Reihe von Schwächen » auf, heißt es im Gutachten. Das Dokument wurde kürzlich dem Medienausschuss im Parlament vorgestellt und liegt REPORTER vor.
EBU: Ein neues Gesetz ist überfällig
Schon Anfang 2018 hatte die EBU Luxemburgs öffentlich-rechtlichen Radiosender in einer « Peer-to-Peer Review » unter die Lupe genommen. Damals warnte sie angesichts der hohen Politisierung vor einer « Gefahr für die Unabhängigkeit » von « Radio 100,7 ». Das jetzige Gutachten, das die Organisation im Vorfeld einer geplanten Debatte im Parlament anfertigte, geht sowohl in der Kritik als auch bei den Reformvorschlägen noch weiter.
Letztlich führt kein Weg an einem neuen Gesetz vorbei, schreiben die Gutachter der EBU. Seit 1991, also seit der Gründung von « Radio 100,7 », wurde der gesetzliche Rahmen des Radiosenders nicht mehr angepasst. Dadurch falle die entsprechende Gesetzgebung in nahezu jeder Hinsicht « hinter die europäischen Standards » des 21. Jahrhunderts zurück. Vor allem fehle es an einem wirksamen Schutz der Unabhängigkeit vor politischer Einflussnahme.
Dem gesetzlichen Rahmen fehlen wirksame Schutzvorrichtungen für die redaktionelle Unabhängigkeit und die institutionelle Autonomie. »Gutachten der « European Broadcasting Union »
Das Grundproblem besteht bereits darin, dass es kein eigenes Gesetz über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Luxemburg gibt. Mit dem besagten Gesetz von 1991 über die « médias électroniques » wurde zwar die Grundlage für ein « établissement public » und ein « radio socioculturelle » geschaffen. Die betreffenden Passagen beschränken sich aber auf einen einzigen Artikel. Alle weiteren Details werden in einer großherzoglichen Verordnung und über Konventionen zwischen der Regierung und der öffentlich-rechtlichen Anstalt geregelt.
Im Klartext heißt das: Die Regierung könnte zur Not im Alleingang die Spielregeln des öffentlich-rechtlichen Radios ändern, so das Gutachten der EBU. Zudem legt die Regierung das Budget des Senders fest. Nicht zuletzt ernennt allein der Ministerrat alle Mitglieder des Verwaltungsrats – eine Tatsache, die in den vergangenen zwei Jahren für einige Kritik und eine anhaltende Debatte über die politische Unabhängigkeit von « Radio 100,7 » sorgte.
Problematischer Status quo
Die Diagnose ist zwar nicht neu. Doch liefert die EBU in ihrem Gutachten erstmals Details, wie man die erkannten Probleme konkret beheben könnte. Zu den größten Schwächen der aktuellen Gesetzeslage zählt das Gutachten:
- Alle neun Mitglieder des Verwaltungsrats, inklusive des Vorsitzenden, werden von der Regierung ernannt.
- Die Regierung kann jederzeit Mitglieder wieder abberufen – ohne Schutz vor einer politisch motivierten Entscheidung.
- Der Verwaltungsrat muss nicht nur bei Führungspositionen, sondern bei jeglicher Einstellung und Kündigung von Personal zustimmen.
- Wichtige Entscheidungen des Verwaltungsrats, ebenso wie die internen Regeln des Gremiums, müssen von der Regierung genehmigt werden.
- Die Überwachung der Programme des Senders obliegt nicht nur der Aufsichtsbehörde ALIA, sondern letztlich auch dem zuständigen Minister.
Die Lösung: Zu allererst müsse ein eigenes Gesetz her, in dem alle aktuell kritischen Punkte neu geregelt werden. Dabei geht es vor allem um die Mission, die Governance und die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die bisher nicht unmissverständlich in einem Gesetzestext stehen.
In diesem Punkt teilt die EBU übrigens die Einschätzungen und Forderungen von « Radio 100,7 » selbst. Direktion und Verwaltungsrat hatten diese Woche eine eigene Stellungnahme über eine mögliche Reform ihrer Institution veröffentlicht und im zuständigen parlamentarischen Ausschuss vorgestellt.
Gesetzlich garantierte Unabhängigkeit
Was soll ein solches Gesetz konkret beinhalten? Die EBU fordert vor allem eine konsequente Reform der Aufsichtsstruktur. Ein oder mehrere Gremien müssten unabhängig von der Regierung eingerichtet und als « Puffer » zwischen der Leitung des Radiosenders und politischen Kräften verankert werden. Eine « Entpolitisierung » des Verwaltungsrats könne man laut der EBU letztlich nur durch klare, gesetzliche Garantien erreichen:
- Der Prozess zur Besetzung des Verwaltungsrats (bisher durch Beschluss des Ministerrats) muss transparent sein.
- Die Nominierung muss nach objektiven Kriterien (etwa zehn Jahre relevante Berufserfahrung) geschehen.
- Die einzelnen Mitglieder müssten einen « geschützten Unabhängigkeitsstatus » erhalten, sollen also nur nach objektiven Gründen abberufen werden können, die im Gesetz festgehalten sind.
- Der Verwaltungsrat darf sich nicht in das Alltagsgeschäft des Radios einmischen; ein Eingriff in die Arbeit der Journalisten muss per Gesetz ausgeschlossen werden.
- Der Generaldirektor und eventuell der Programmchef und der Chefredakteur sollten vom Verwaltungsrat per Zweidrittelmehrheit ernannt werden.
Neben der EBU als externem Berater hat auch die « Autorité luxembourgeoise indépendante de l’audiovisuel » (ALIA) auf Anfrage des Medienministeriums ein Gutachten vorgelegt. Der Aufsichtsbehörde schwebt dabei eine ähnliche Governance vor wie der EBU. Mit dem Unterschied, dass sie sich eine Aufteilung der Nominierungen für den Verwaltungsrat zwischen der Regierung, dem Parlament und sich selbst (der ALIA) vorstellen kann. Zudem schlägt die ALIA vor, dass der Radiosender mit « mission de service public » dem Parlament finanzielle Rechenschaft ablegen müsse.
Mehr Geld und eine klare Mission
Ein weiterer Punkt, bei dem die EBU deutlich Kritik übt, betrifft die Finanzierung. Laut einer Konvention mit dem Staat erhält das « Établissement de radiodiffusion socioculturelle » aktuell einen jährlichen finanziellen Beitrag von knapp 6,46 Millionen Euro. Im Vergleich ist das « Radio 100,7 » laut der EBU damit eine der am schlechtesten finanziell ausgestatteten, staatlich subventionierten Rundfunkanstalten in Europa.
Das Gutachten untermauert dies anhand des Vergleichs mit den öffentlich-rechtlichen Radiosendern CRo (Tschechien), PR (Polen), SR (Schweden), Radio France und Deutschlandradio. Nimmt man die Wirtschaftskraft als Maßstab liegt Luxemburg demnach mit 0,11 Prozent des BIP hinter all den genannten Beispielen anderer Länder. Orientiert man sich an der Größe der Bevölkerung, ergibt sich ein ähnliches Bild – auch hier schneidet Luxemburgs öffentlich-rechtlicher Rundfunk bei weitem am ungünstigsten ab.
Der Vergleich mit anderen EU-Staaten offenbart eine starke Unterfinanzierung, welche die gesellschaftliche Bedeutung des ‘Établissement de radiodiffusion socioculturelle’ beeinträchtigt. »Gutachten der « European Broadcasting Union »
Die EBU empfiehlt allerdings nicht ausdrücklich eine Aufstockung der Mittel von « Radio 100,7 ». Vielmehr regt sie eine « angemessene und stabile Finanzierung » an, die ebenso wie die Governance in einem neuen Gesetz unmissverständlich festgehalten werden müsste.
Nicht zuletzt soll eine Reform aber auch die Mission und den Aufgabenbereich des vom Steuerzahler finanzierten Senders klarer definieren. Im Mediengesetz von 1991 und in der Verordnung über das « Établissement de radiodiffusion socioculturelle » von 1992 fehlt eine solche Beschreibung weitgehend. Stattdessen wird das « Radio 100,7 » vom Gesetzgeber eher abstrakt als soziokultureller Nischensender definiert, der das « kulturelle Leben » und das « künstlerische Schaffen » fördern sowie den Zugang von sozialen und kulturellen Vereinigungen « zur Antenne » ermöglichen soll.
Vom « radio socioculturelle » zum « service public »?
Die bis heute fehlende Mission von « Radio 100,7 » deutet denn auch auf die Dringlichkeit einer Reform hin. « Soziokulturelles Radio »: So definiert der Gesetzgeber aktuell jenen Sender, der als « Radio 100,7 » bekannt wurde. Von Unabhängigkeit, Überparteilichkeit oder anderen journalistischen Grundprinzipien fehlt in den betreffenden Texten jede Spur. Öffentlich-rechtlich ist dabei streng genommen auch nur die Organisationsform als « Établissement public ». Einen expliziten öffentlich-rechtlichen Auftrag im medienpolitischen Sinn hat Luxemburgs « Établissement de radiodiffusion socioculturelle » bis heute nicht.

Das liegt vor allem an der schwierigen Entstehungsgeschichte des Radiosenders. Wie die stellvertretende Chefredakteurin von « Radio 100,7 », Pia Oppel, in einem Meinungsbeitrag im « Lëtzebuerger Land » schrieb, hatte die Idee eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Luxemburg mit « widrigen Startbedingungen » zu kämpfen. Die anhaltende Macht des langjährigen Monopolisten RTL sowie manifester Widerstand von liberalen und konservativen Kräften im Parlament führte dazu, dass der gesetzliche Status des « soziokulturellen » Radios bis heute bewusst vage gehalten wurde.
Die Hoffnung der Verantwortlichen des Radiosenders liegt demnach darin, dass der Geburtsfehler des « Radio 100,7 » mit der anstehenden Reform rückgängig gemacht werden kann. In der besagten Stellungnahme zur Reform, die vom Verwaltungsrat, von Direktion und Redaktion gemeinsam erarbeitet wurde, wünscht man sich denn auch ein Radio, das sich als « media de service public » positioniert. Dieser Ausdruck soll auch die bisherige Bezeichnung « Établissement de radiodiffusion socioculturelle » ersetzen.
Eine Reform ja, aber welche?
Doch es soll natürlich nicht bei der Namensänderung bleiben. Liest man die Wunschliste von « Radio 100,7 », wie man sich die Reform der eigenen Organisation vorstellt, fällt die Inspiration durch andere öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten im Ausland sofort ins Auge. In der Tat handelt es sich nur um eine Anpassung an ebenjene europäischen Standards von Unabhängigkeit, journalistischer Freiheit und finanzieller Planungssicherheit, die in den meisten anderen Staaten der EU mit öffentlich-rechtlichen Medien längst Realität sind.
La gouvernance d’un média de service public se traduit par une exigence d’indépendance la plus large. »Gutachten der « Autorité luxembourgeoise indépendante de l’audiovisuel »
In einem Punkt lässt aber ein gewisser Pragmatismus seitens der Radio-Macher aufhorchen. Zwar soll der umstrittene Nominierungsprozess für den Verwaltungsrat professioneller und transparenter werden. Die letztliche Entscheidung, wer in das Aufsichtsgremium berufen wird, soll laut der Position von « Radio 100,7 » aber nach wie vor bei der Regierung liegen. Dabei liegt nahe, dass die jüngsten Ernennungen im Verwaltungsrat, die nicht im Verdacht einer politischen Nähe zur Regierung stehen, zu einer differenzierteren Sicht der internen Kritiker auf die aktuelle Nominierungsprozedur geführt haben könnten.
Ob die Regierung allerdings den Schritt wagen wird, aus dem « Radio 100,7 » ein wahrhaftiges öffentlich-rechtliches Medium zu machen, ist noch längst nicht gesichert. Auch wenn der Premier bei der Governance des Senders Reformbedarf erkennt, lässt sich Xavier Bettel noch nicht in die Karten schauen. Ob es tatsächlich zu einem komplett neuen Gesetz oder doch eher zu einer Reform des bestehenden Regelwerks kommen soll, gehöre etwa zu den Fragen, die man zunächst mit dem Parlament diskutieren wolle, ließ der Medienminister im Dezember auf Nachfrage verlauten.
Politisches Interesse hält sich noch in Grenzen
Die Deutlichkeit der Kritik der externen Gutachter der EBU können Regierung und Parlament allerdings nur schwer ignorieren. Wie weit die Bemühungen zur Neuordnung des öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt gehen werden, bleibt dennoch abzuwarten. Das liegt nicht zuletzt daran, dass außer dem in diesem Dossier federführenden Premier- und Medienminister nur wenige Politiker sich bisher überhaupt mit substanziellen Beiträgen an der Debatte beteiligt haben.
Einer davon ist Claude Wiseler (CSV), der mehrmals Sympathien für eine konsequente Reform im Sinne einer größeren Unabhängigkeit erkennen ließ. Auch die Grünen sprechen sich ausdrücklich für ein neues Gesetz aus, das den Hauptforderungen von « Radio 100,7 » Rechnung trägt, sagt die Parteivorsitzende und Ausschussmitglied Djuna Bernard. Andere Mitglieder der Medienkommission halten sich auf Nachfrage aber noch sehr bedeckt oder geben sogar an, dass sie sich mit diesem Dossier noch nicht sonderlich beschäftigt hätten.
Wie es auf Nachfrage heißt, wurde denn auch immer noch kein Datum für die seit über einem Jahr angekündigte Konsultierungsdebatte festgehalten. Im vergangenen Dezember sagte das Staatsministerium noch auf Nachfrage von REPORTER, dass die Debatte « im Januar oder Februar » stattfinden sollte. Jetzt verlautet aus parlamentarischen Kreisen, dass angesichts des Zeitplans in der Abgeordnetenkammer erst frühestens im Mai 2020 ein Termin möglich sein wird.
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