Während drei Wochen sollen soziale Kontakte erneut eingeschränkt werden. Der Vergleich mit dem Ausland zeigt: Luxemburg hat spät und zurückhaltend gehandelt. Der partielle Lockdown droht zwar nicht wirkungslos zu bleiben, doch ein eigentlich gebotener « Wellenbrecher »-Effekt ist fraglich.

Die Bahn steht still, die Menschen schauen aus dem Fenster, abgesehen von ein paar Arbeitern in Schutzanzügen sind die Straßen leer. Die Fotos aus Wuhan von Ende Januar stehen sinnbildlich für das bisher erfolgreichste Mittel in der Bekämpfung der Pandemie: Lockdowns. Bis zum 8. April mussten rund 50 Millionen Menschen der Provinz Hubei in ihrer Wohnung ausharren. Bisher ist China einer der wenigen Staaten, der die Epidemie mit einem kompletten Lockdown nicht nur ausbremsen, sondern komplett stoppen konnte – zumindest in den eigenen Landesgrenzen.

In Europa scheuten die Regierungen sich jedoch, den chinesischen Weg einzuschlagen. Zwar hat auch hier im Frühjahr fast jedes Land einen Lockdown angeordnet. Doch nirgendwo wurden die Freiheitsrechte in einem vergleichbaren Maße eingeschränkt wie in der Volksrepublik. Im Herbst wurde Europa zum neuen Epizentrum der Pandemie und viele Staaten fuhren das soziale Leben erneut weitgehend herunter. Allerdings unterscheidet die Strategie sich heute grundlegend: Während einige Länder versuchten, mit einem Lockdown früh gegenzusteuern, setzten andere lange auf weniger einschneidende Maßnahmen – darunter auch Luxemburg.

Im Vergleich mit den Nachbarstaaten hat Luxemburgs Regierung erst spät und zögerlich reagiert. Jetzt sollen dank neuer Maßnahmen innerhalb von knapp drei Wochen die Infektionszahlen gesenkt werden, um vor allem die Krankenhäuser zu entlasten, so die Hoffnung. Die Erfahrungen aus dem Ausland zeigen allerdings: Es ist alles andere als ausgemacht, dass dieser « partielle Lockdown » den gewünschten Erfolg erzielt.

Fast ganz Europa im « Teil-Lockdown »

Die Reaktionen der europäischen Staaten auf die bis heute andauernde Herbstwelle sind dabei sehr unterschiedlich. Während die Bevölkerung Griechenlands per SMS eine Erlaubnis zum Verlassen der Wohnung beantragen muss, beschloss Schweden erst kürzlich, die Sperrstunde für Bars und Restaurants auf 22 Uhr vorzuziehen. Das skandinavische Land ist der einzige EU-Staat, der bisher ohne Lockdown durch die Pandemie gekommen ist.

Wenn wir das einen Monat mit aller Konsequenz durchhalten, kann das in dieser zweiten Welle ein Wellenbrecher sein. »Angela Merkel, deutsche Bundeskanzlerin

Irland versuchte sich seinerseits zwischen beiden Extremen zu bewegen und war in der EU das erste Land, das das soziale Leben wieder herunterfuhr. Über den Sommer arbeitete die irische Regierung einen Stufenplan aus. Je höher die erreichte Stufe, desto größer die Einschränkung. Bereits ab der dritten von fünf Stufen ist der Empfang von Gästen zu Hause verboten. Letztlich waren die verschiedenen Szenarien allerdings kaum von Nutzen, denn die Infektionen stiegen schneller als erwartet.

Schon Anfang Oktober stellte der irische Expertenrat fest, dass das Virus sich unkontrolliert und flächendeckend ausbreitete. „Ein Stufenansatz wird nicht ausreichend oder nicht rechtzeitig auf die Ausbreitung des Virus einwirken“, schrieb der Arzt und Leiter des Gremiums, Tony Holohan an den irischen Gesundheitsminister. Die Idee: Ein „Wellenbrecher-Lockdown“, also ein vorzeitig angekündigter, zeitlich begrenzter Lockdown, sollte verhindern, dass überhaupt erst erhöhter Druck auf die Krankenhäuser entsteht.

Irischer « Wellenbrecher » als Vorbild

Gegen den Rat der Ärzte beschloss die Regierung allerdings zuerst, landesweit die dritte Stufe auszurufen. Der öffentliche Nahverkehr wurde um 50 Prozent reduziert, die Regierung gestattete Verabredungen ausschließlich im öffentlichen Raum und Gaststätten durften nur die Terrasse öffnen. Erst zwei Wochen später lenkte Premierminister Micheál Martin ein. Seit dem 21. Oktober befindet sich die Insel in einem Teil-Lockdown. Einzig systemrelevante Berufsgruppen sind von den Restriktionen ausgenommen. Die Liste ist jedoch umfangreich. Demnach sind etwa Schulen weiterhin geöffnet und Bauarbeiten können fortgesetzt werden. Der Einzelhandel bleibt hingegen geschlossen. Zudem darf man sich auch in der Öffentlichkeit nur zu zweit treffen.

Was ist ein Lockdown?

« Lockdown »: Laut Duden ist ein Lockdown eine Ausgangssperre oder eine Abriegelung. Das würde allerdings eine komplette Stilllegung des sozialen Lebens bedeuten. Deutsche Medien haben dennoch entschieden, den Begriff weiter zu benutzen. Zwar seien die Einschränkungen in Deutschland laut Definition kein Lockdown, aber im Sprachgebrauch hat sich der Begriff bereits für die Beschreibung der Maßnahmen durchgesetzt, heißt es etwa in einer Stellungnahme des « Deutschlandfunk ».

« Partieller Lockdown »: Der Begriff wird als Kompromiss benutzt. Eine klare Definition gibt es allerdings nicht. Die Einschränkungen sollen nur für verschiedene Bereiche oder Wirtschaftszweige gelten. Ab wann Einschränkungen allerdings als partieller Lockdown bezeichnet werden können, ist unklar.

« Wellenbrecher-Lockdown »: Im Gegensatz zu einem einfachen Lockdown beinhaltet der von Virologen geprägte Begriff « Wellenbrecher » eine zeitliche Komponente. Demnach soll gleich zu Beginn oder bereits vor einem Anstieg der Neuinfektionen für eine kurze Zeit ein Lockdown beschlossen werden. Die zeitlich begrenzten Pausen sollen eine gewisse Planungssicherheit geben.

Die Maßnahmen zeigten Wirkung – wenn auch mit zwei Wochen Verzug. Durch die Inkubationszeit des Coronavirus stiegen die Infektionszahlen trotz neuer Einschränkungen in Irland vorerst weiter. Frühestens nach etwa zehn bis 14 Tagen können Einschränkungen ihre Wirkung entfalten. Im Rückblick wird ersichtlich, dass die irische Regierung genau zum Höhepunkt der zweiten Welle den sechswöchigen Lockdown ankündigte. Zu dem Zeitpunkt lag die Inzidenz bei 150 Infizierten pro 100.000 Einwohner. Heute sind es weniger als 40 Infizierte pro 100.000 Einwohner. Die Insel wurde zum Vorbild für viele europäische Länder, die sich wenig später die Logik des « Wellenbrecher-Lockdown » zu eigen machten.

Klares Konzept mit mäßigem Erfolg

Doch selbst diese Strategie konnte die Neuinfektionen nicht dauerhaft senken. Ähnliches gilt für Deutschland, das seit knapp einem Monat einen ähnlichen Ansatz verfolgt. „Wenn wir das einen Monat mit aller Konsequenz durchhalten, kann das in dieser zweiten Welle ein Wellenbrecher sein“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel Anfang November bei der Ankündigung eines neuen Teil-Lockdowns. Der Erfolg ließ jedoch auch hier auf sich warten.

Seit einem Monat sind Restaurants, Kulturstätten und Fitnesszentren in Deutschland geschlossen. Schulen bleiben hingegen geöffnet und auch der Einzelhandel darf unter strengen Hygieneregeln Kunden empfangen. Lässt man den unterschiedlichen Startpunkt außer Acht, unterscheiden sich die Regeln nur in einem Punkt von Luxemburgs heutigem Stand. Im November durften sich in Deutschland zwei Haushalte mit einer Obergrenze von zehn Personen treffen. Nun wurde die Zahl auf fünf beschränkt, Kinder unter 14 Jahren ausgenommen. In Luxemburg darf man bis zum 15. Dezember hingegen nur zwei weitere Personen aus einem Haushalt zu sich nach Hause einladen.

Wuhan, 1. Oktober 2020: Aus der chinesischen Metropole wurden nach einem harten 76-Tage-Lockdown zuletzt keine neuen Coronavirus-Infektionen mehr gemeldet. (Foto: Shutterstock.com)

Eine Woche vor der Ankündigung des Lockdowns stiegen die Infektionen in Deutschland bundesweit rasant an. Nach den ersten zehn Tagen des Teil-Lockdowns konnte der Anstieg gestoppt werden. Ein wahrlicher « Wellenbrecher » war der Lockdown in Deutschland bis jetzt allerdings noch nicht. Da die Neuinfektionen sich in den letzten Wochen auf einem hohen Niveau einpendelten, wurden weitere Einschränkungen beschlossen.

Erst seit einer knappen Woche flachen die Zahlen langsam ab. Von dem Zielwert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner bis Weihnachten ist man allerdings noch weit entfernt. Erst dann rechnen die Behörden damit, dass die Kontaktnachverfolgung wieder effizient arbeiten kann. Stand Montag liegt die Inzidenz in Deutschland bei knapp unter 100.

Luxemburg bleibt beim Sonderweg

Deutschland und Irland illustrieren, wie sich unterschiedliche Maßnahmen auf das Infektionsgeschehen auswirken können. Allerdings ist nicht nur der Umfang der Einschränkungen, sondern eben auch deren Zeitpunkt ausschlaggebend. „Der optimale Zeitpunkt für einen Lockdown ist immer jetzt. Aus epidemiologischer Sicht gibt es keinen Grund, zu warten, bis sich mehr Fälle häufen“, schrieben mehrere britische Wissenschaftler Anfang Oktober in einem Vorabdruck einer Studie. Je später eine Regierung Maßnahmen ergreift, desto länger wird der Lockdown, so die Devise.

Was heißt das alles für Luxemburg? Obwohl die Einschränkungen mit Deutschland vergleichbar sind, ist die Ausgangslage dennoch eine andere. Sowohl Deutschland als auch Irland versuchten die Welle zu stoppen, während sie noch im Aufbau war. In Luxemburg reagierte man allerdings erst mit einer Ausgangssperre, nachdem die Neuinfektionen über zwei Wochen deutlich angestiegen waren. Auch bei den weiteren Einschränkungen ließ die Regierung sich Zeit. Und dies obwohl bereits mehrere Indikatoren auf eine Verschlechterung der Lage hinwiesen.

Es wäre sicherlich schön, wenn die Infektionen auf 200 pro Tag fallen, schöner wäre es, wenn sie noch niedriger wären. »Gesundheitsministerin Paulette Lenert

Nachdem sich die Neuinfektionen über einen Monat auf einem hohen Niveau einpendelten, wurde schließlich doch ein partieller Lockdown angekündigt. Mittlerweile liegt die 7-Tage-Inzidenz bei 580 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner, also etwa sechs Mal höher als in Deutschland. Dabei greift das übliche Argument, wonach Luxemburg mehr auf das Virus teste als andere Länder, nur zum Teil. Das « Large Scale Testing » ist keine ausreichende Erklärung für den Unterschied, denn nur 15 Prozent der nachweislich Infizierten werden über das breitflächige Testen erfasst.

Zudem ist selbst die Positivitätsrate in Luxemburg höher als in Deutschland. Von den ärztlich angeordneten Tests waren in Luxemburg in der Woche vom 16. November fast zwölf Prozent positiv, im Vergleich lieferten in Deutschland weniger als zehn Prozent der Tests ein positives Ergebnis. Laut den Wissenschaftlern von Research Luxembourg, sei bereits ab einem Wert über drei Prozent die Pandemie außer Kontrolle.

Doch vor allem der Zeitpunkt des Handelns ist im europäischen Vergleich überraschend. Im NDR-Podcast erklärte der deutsche Virologe Christian Drosten, dass ein « Wellenbrecher-Lockdown » mindestens drei Wochen dauern müsse, „weil man etwas mehr als eine Quarantänezeit dafür braucht.“ Luxemburgs Regierung orientiert sich bei der Laufzeit der neuen Maßnahmen also am strikten Minimum. Das präventive Vorgehen, das die Politik in der ersten Welle praktizierte, wurde offenbar aufgegeben. Angesichts des späten Zeitpunkts, der begrenzten Maßnahmen und der wissenschaftlichen Begründung lässt sich im Fall Luxemburgs also auch nicht wirklich von einem « Wellenbrecher » oder überhaupt von einem eigentlichen Lockdown sprechen.

Präventives Handeln ist Trumpf

Die Regierung setzt dabei vor allem auf das Prinzip Hoffnung, denn belastbare Daten für die Entscheidungen hat sie bisher nicht vorgelegt. In immer mehr Fällen kann das Contact-Tracing nicht feststellen, wo die Person sich infiziert hat. Für die Woche vom 16. bis zum 22. November konnte die Infektionsquelle in 40 Prozent der Fälle nicht ermittelt werden. Um Neuinfektionen vorzubeugen, werden diese Daten allerdings benötigt. Sie helfen etwa bei der Entscheidung, ob eine Schließung des Einzelhandels oder von Kulturstätten gerechtfertigt und hilfreich ist.

Luxemburger Innenstadt, am 28. November 2020: Die Regierung beschloss erst viel später als die meisten europäischen Staaten einen « partiellen Lockdown ». (Foto: Eric Engel)

Dabei ist eine Einschätzung in diesen Fragen ohnehin enorm schwierig. In mehreren Vorveröffentlichungen versuchen Wissenschaftler die Effizienz jeder einzelnen politischen Maßnahme zu bewerten. Die Ergebnisse sind jedoch teils widersprüchlich. Je nach Modellrechnung ist beispielsweise die Begrenzung auf wenige soziale Kontakte oder auch nur das Verbieten von Großveranstaltungen maßgeblich. In einem Punkt sind die Wissenschaftler sich jedoch einig: Präventives Vorgehen zahlt sich aus. Ein Wellenbrecher „grenzt den gesellschaftlichen Schaden ein und erlaubt, die Fallzahlen ausreichend zu reduzieren, um die Kontaktnachverfolgung aufzunehmen“, schreiben etwa mehrere britische Wissenschaftler.

Gerade die Kontaktnachverfolgung könnte sich allerdings selbst nach den nächsten drei Wochen als schwierig erweisen. „Ich schätze, dass wir erst bei etwa 200 bis 250 Infektionen pro Tag wieder normal arbeiten könnten“, erklärte der Direktor des Gesundheitsamtes, Jean-Claude Schmit, vor einem Monat im Gespräch mit Reporter.lu. „Es wäre sicherlich schön, wenn die Infektionen auf 200 pro Tag fallen, schöner wäre es, wenn sie noch niedriger wären“, sagte Paulette Lenert (LSAP) während der Pressekonferenz vor knapp einer Woche.

Die Gesundheitsministerin wollte sich allerdings nicht auf eine Zahl festlegen. Vor allem müsse man die Situation in den Krankenhäusern im Blick behalten. Man müsse aus der Phase vier und „idealerweise aus der Phase drei kommen“, so die Gesundheitsministerin. Dafür müssten allerdings auch die Neuinfektionen entsprechend abflachen. Was die Ministerin nicht sagte: Ein « Wellenbrecher-Lockdown » sollte eigentlich verhindern, erst in eine Lage zu geraten, in der das Gesundheitssystem am Limit funktionieren muss. Aber die Strategie der Regierung ist offensichtlich eine andere.


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