Auf den Immobilienboom droht eine Krise zu folgen: Käufer warten ab, Projekte werden aufgeschoben, die Baubranche zittert. Eigentlich müssten die Preise drastisch sinken, um die steigenden Zinsen auszugleichen. Doch Experten warnen vor den Folgen.
Schockstarre. Wohl kaum ein Wort charakterisiert die Lage auf dem Luxemburger Immobilienmarkt derzeit besser. Der Grund: Die Zinswende der Europäischen Zentralbank hat für eine Vollbremsung auf einem aufgeheizten Markt gesorgt. Die Zeichen stehen auf Rot: Es werden deutlich weniger Immobilien verkauft und gebaut.
Damit befindet sich der Immobilienmarkt in Luxemburg in einer paradoxen Situation. Denn eigentlich müsste es genügend Nachfrage nach Wohnraum geben. Etwa 10.000 Menschen kommen jedes Jahr zusätzlich ins Land – netto. Der verfügbare Wohnraum pro 1.000 Einwohner ist seit 2013 gesunken, das zeigen Zahlen der OECD. Es gibt also tendenziell weniger Wohnungen für eine steigende Einwohnerzahl.
Das Problem: Die Wohnungspreise sind in den vergangenen Jahren deutlich stärker gestiegen als die Einkommen der potenziellen Käufer. Die niedrigen Zinsen der letzten Jahre haben diese Entwicklung teilweise ausgeglichen. Sie wird aber jetzt, bei mehr als doppelt so hohen Zinsen, umso deutlicher. Vereinfacht gesagt: Die Preise sind nicht mehr mit den Finanzierungskosten der Haushalte vereinbar.
Preise müssten um ein Viertel sinken
Doch was bedeutet das konkret? Sicher ist: Immobilienpreise sind sehr zinsempfindlich. Die Rechnung, wieso das so ist, ist einfach. So rechnete Pierre Ahlborn, Geschäftsführer der „Banque de Luxembourg“, bereits im Sommer vergangenen Jahres vor, was die Zinswende für die Finanzierung bedeutet. Bei einem Zinssatz von 1,5 Prozent konnte demnach eine Million Euro finanziert werden. Um bei einem Zinssatz von drei Prozent auf die gleiche monatliche Rate zu kommen, konnten bei denselben Vorbedingungen nur noch 870.000 Euro finanziert werden. Dieses Niveau ist bei vielen Privatkunden bereits jetzt überschritten.
Vielleicht ist eine Abkühlung des Immobilienmarktes eine gute Sache.“François Koulischer, Uni Luxemburg
Eine ähnliche Rechnung machte die Arbeitnehmerkammer in ihrer Analyse zum Staatshaushalt 2023. Sollten die Zinsen eine Rate von fünf Prozent erreichen, wäre ein 50 Prozent höheres Nettoeinkommen nötig, um einen Kredit von 800.000 Euro über 30 Jahre zu bekommen. Im Vergleich zu 2021 würden die monatlichen Ratenzahlungen in diesem Szenario um 1.600 Euro steigen. Bei einer Kreditsumme von 600.000 Euro wäre es ein Anstieg um 1.200 Euro und bei einer Million Euro einer von 2.000 Euro im Monat. Auch die Immobilienplattform « AtHome » hat eine Berechnung zur Kreditfähigkeit potenzieller Käufer aufgestellt. Demnach bekommen Käufer durchschnittlich 23 Prozent weniger geliehen als noch vor einem Jahr.
Die offensichtliche Frage: Was bedeutet das für die Preise, wenn Käufer deutlich mehr zahlen müssen, um sich Geld zu leihen? Lässt sich die Kreditfähigkeit eins-zu-eins auf die Preise übertragen? Die Europäische Zentralbank hat den Einfluss der Zinsen auf den Immobilienmarkt untersucht. Grundsätzlich hält die Studie fest: Die Immobilienpreise reagieren sehr sensibel auf Zinsschwankungen. Ein weiteres Fazit der Wirtschaftswissenschaftler: In einem Niedrigzinsumfeld haben steigende Zinsen einen stärkeren Effekt auf die Preise, als wenn die Zinsen bereits vor einem Anstieg höher lagen. Der Preisrückgang fällt demnach auch stärker aus.
Jeder Anstieg der Zinsen um einen Prozentpunkt bedeute einen Preisrückgang von neun Prozent nach zwei Jahren, so die Forscher. Für Luxemburg würde das einer Preiskorrektur zwischen 18 und 27 Prozent entsprechen, wenn man von einem Anstieg der Zinsen zwischen zwei und drei Prozent ausgeht.
Strukturelle Faktoren
Allerdings betonen die Forscher, dass das Zinsniveau nicht der einzige Faktor sei, der die Immobilienpreise beeinflusst. Denn es gebe auch noch andere strukturelle Faktoren bei der Preisfindung. Es ist ein Punkt, den auch François Koulischer, Wirtschaftswissenschaftler der Universität Luxemburg, im Gespräch mit Reporter.lu betont. Der „Zinsanstieg betrifft verschiedene Käufer unterschiedlich. Haushalte mit hohem Einkommen oder solche, die über genügend Rücklagen verfügen, um eine Immobilie ohne Kredit zu finanzieren, sind wenig oder überhaupt nicht von der Zinsentwicklung betroffen“, erklärt François Koulischer.
Deshalb sei es auch schwer, eine Vorhersage zur Preisentwicklung zu treffen, betont der Wirtschaftswissenschaftler, da man schlicht nicht wisse, wie sich die finanzielle Kapazität in den Käuferschichten verteile. Zudem sei der Zinsanstieg noch zu rezent, um eine klare Aussage zu möglichen Preiskorrekturen zu treffen, so François Koulischer.
Alle Warnzeichen auf Rot
Sowohl die Anzahl der ausgestellten Baugenehmigungen als auch die Zahl notarieller Kaufakte sind stark rückläufig. Bei Neubauwohnungen war im dritten Trimester 2022 ein Rückgang der Transaktionen von 36 Prozent im Vergleich zum Vorjahr festzustellen, so das „Observatoire de l’habitat“ des „Luxembourg Institute of Socio-Economic Research“ (Liser). Die Zahlen der Zentralbank zu den Immobilienkrediten bestätigen diesen Trend. Auch dort war ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen.
Eine klare Aussage zu einem möglichen Preisabsturz will auch Michel-Edouard Ruben nicht treffen. Der Ökonom vom Think-Tank „Idea“ der Handelskammer will nur so viel zu einer möglichen negativen Preisentwicklung sagen: „Ein Preisabsturz ist weder erwünscht noch wünschenswert. Denn dann droht aus einer Wohnungskrise eine Immobilienkrise zu werden, mit allen Folgen für einen Sektor, der direkt oder indirekt 15 Prozent der Beschäftigung in Luxemburg ausmacht.“
Druck auf das Angebot
Folgenlos wird die Zinswende dennoch nicht bleiben, das betont auch Michel-Edouard Ruben. Denn neben den Preisen haben die Zinsen auch einen Einfluss auf das Angebot. „Durch die höheren Zinsen werden Investitionen in den Wohnungsbau zurückgefahren und das Angebot verknappt sich weiter. Das kann man bereits bei den neu ausgestellten Baugenehmigungen und beim Rückgang der Transaktionen beim Neubau sehen“, erklärt Michel-Edouard Ruben.
Es ist eine Diagnose, die auch die „Chambre des métiers“ Ende 2022 bei einer Pressekonferenz gestellt hatte. Laut Schätzungen der Handwerkskammer könnten durch diese Entwicklung 2023 rund 1.500 Wohnungen weniger gebaut werden als im Vorjahr. Besonders der Bausektor könnte darunter leiden, dass Projekte abgesagt oder verschoben würden, so die Kammer in ihrer Analyse. Mit möglichen Folgen für den Arbeitsmarkt. Bei den offenen Stellen im Bausektor sei bereits ein eindeutiger Rückgang zu verzeichnen, erklärte die ADEM-Direktorin Anfang Januar im Interview mit „Radio 100,7“. Demnach rechne die ADEM dieses Jahr tendenziell mit einem Anstieg bei den Arbeitslosenzahlen, so Isabelle Schlesser.
Was also tun? Dazu gibt es unterschiedliche Meinungen. Michel-Edouard Ruben unterstreicht den außergewöhnlichen Charakter der aktuellen Situation: „Es sind komische Klänge, die der Immobilienmarkt sendet. Das Ziel müsste jedoch sein, das Angebot zu stützen. Aber dafür muss die Nachfrage gestützt werden.“ Der Wirtschaftswissenschaftler erinnert an die Corona-Pandemie, als der Staat die Wirtschaft massiv unterstützte.
Gezielte Maßnahmen
Diesen „Corona-Sozialismus“ zum Vorbild nehmend, müsste kurzfristig ein gewisser Immobilien-Sozialismus von staatlicher Seite eingeführt werden, so der Wirtschaftswissenschaftler. Das Ziel: verhindern, dass weniger gebaut wird. Denn langfristig wäre eine weitere Verknappung des Angebots fatal, so Michel-Edouard Ruben. Mögliche Stellschrauben: Eine Reduzierung des Mehrwehrsteuersatzes auf Immobilien, die Senkung der Eintragungsgebühren, eine Wiedereinführung des Transfers des Gewinns in Neubauprojekte sowie eine Zurücknahme der Reform des sogenannten „Amortissement accéléré“ wie sie im Staatshaushalt 2023 vorgesehen war, um Investitionen in Immobilien wieder attraktiver zu machen.
Die Maßnahmen sollen vor allem Investitionen in Mietwohnungen attraktiv halten. Denn vor dem Hintergrund eines starken Rückgangs beim Zugang zum Immobilienbesitz, vor allem für Haushalte aus der Mittelschicht, seien Hilfen für Investitionen in Mietwohnungen mit den nötigen Konditionen bei der Miethöhe indirekt auch Hilfen für die Mieter. Denn, so Michel-Edouard Ruben, jeder Mieter braucht einen Vermieter und dabei handelt es sich in den meisten Fällen um private Investoren. Dies würden auch die langen Wartelisten für öffentliche Wohnungen zeigen.
Eine zusätzliche Möglichkeit: Der Staat tritt selbst aktiv als Käufer auf. Mit öffentlichen Ausschreibungen könnte der Staat Projekte aufkaufen, die zu scheitern drohen. Auch diese Forderung findet sich im Maßnahmenkatalog der Handwerkskammer. Fraglich ist jedoch, wie sie finanziert werden soll.
Der Staat hat nun die Gelegenheit, öffentliche Wohnungen schnell und unkompliziert zu bekommen.“Roland Kuhn, Bauunternehmer
Im Neujahrsinterview mit „RTL“ stellte Premierminister Xavier Bettel (DP) die Möglichkeit in den Raum, dass der staatliche Pensionsfonds vermehrt in den Wohnungsbau investieren soll. Eine Steigerung der Investitionen in Mietwohnungen durch den Rentenfonds werfe jedoch einige Fragen auf, meint Michel-Edouard Ruben: „Der Rentenfonds ist ein Reservefonds, der investiert. Er ist aber kein klassischer Investitionsfonds und noch weniger ein Fonds für sozialen Wohnungsbau. Dieser Unterschied ist wichtig, denn wenn der Rentenfonds in erschwingliche Mietwohnungen investieren sollte, stellen sich gleich mehrere Fragen. Erstens, ob dafür das nötige Know-How vorhanden ist. Und zweitens, ob die Rentabilität der eingesetzten Reserven gesichert ist. Es gibt ja gute Gründe, wieso er das bisher nicht in dem Umfang getan hat.“
Chance für den Staat
Roland Kuhn, Präsident der „Fédération des Entreprises de Construction et de Génie Civil“ und selbst Bauunternehmer, sieht die staatlichen Käufe vor allem als Chance: „Der Staat braucht dringend öffentliche Wohnungen und hat nun die Gelegenheit, diese schnell und unkompliziert zu bekommen.“ Eine Auswirkung auf das generelle Preisniveau auf dem Markt sieht der Unternehmer durch die staatlichen Käufe nicht.
Schließlich würden für den staatlichen Wohnungsbau strenge Preiskriterien gelten und die Maßnahme sei auch sehr gezielt angedacht. „Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Sagen wir, in einem Immobilienprojekt sind zehn vergünstigte Wohnungen geplant, von denen fünf bereits verkauft sind, die anderen aber nicht. Diese sollte der Staat dann aufkaufen. Wir reden ja nicht davon, dass er Luxusimmobilien in Kirchberg erwerben soll.“

Doch würden die zeitlich begrenzten Aufkäufe das Problem nicht nur ein Jahr nach hinten verschieben? Nein, sagt Roland Kuhn. „Die Maßnahme würde ja auch dabei helfen, geplante Projekte umzusetzen. Gebaut wird dann nicht unbedingt bereits 2023, sondern erst 2024. Das heißt: Die Unterstützung wirkt über zwei Jahre. Und für 2025 gehe ich davon aus, dass der Markt sich wieder normalisieren wird.“
Skepsis gegenüber staatlichen Interventionen
Ein Lösungsansatz wäre laut Michel-Edouard Ruben die Schaffung eines dritten Immobilienmarktes. Also weder ein rein öffentlicher Wohnungsbau noch ein rein privater, sondern ein Zwischenmarkt, in dem der Staat private oder gemeinnützige Bauträger bei der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum unterstützt. „Dafür braucht es eine breite gesellschaftliche Allianz mit einem klaren Ziel, wie viele Wohnungen geschaffen werden sollen“, erklärt der Wirtschaftswissenschaftler.
François Koulischer von der Universität Luxemburg sieht staatliche Interventionen auf dem Immobilienmarkt derweil kritischer. „Der Immobilienmarkt ist ein Paradebeispiel für ein allgemeines Gleichgewichtsmodell in den Wirtschaftswissenschaften. Das heißt: Angebot und Nachfrage entscheiden über den Preis. Sieht man sich die Entwicklung auf dem Immobilienmarkt der vergangenen Jahre an, kann bezweifelt werden, dass dieser damals im Gleichgewicht war. Denn die Preise stiegen weit schneller als das Medianeinkommen der Haushalte. Ich weiß nicht, ob es eine gute Idee wäre, zu dieser Situation zurückzukehren. Vielleicht ist eine Abkühlung eine gute Sache.“
Es ist eine Lesart, die sich mit jener einer prominenten Regierungsvertreterin deckt. Denn während der Premierminister sich indirekt für staatliche Interventionen ausspricht, zeigt sich eine DP-Parteikollegin weitaus zurückhaltender. Auf den möglichen Rückgang beim Neubau angesprochen, erklärte Finanzministerin Yuriko Backes im Interview mit Reporter.lu kürzlich: „Ich bin nicht Wohnungsbauministerin. Wir versuchen das zu begleiten, aber wir können nicht alle Probleme des Landes mit Steuermaßnahmen lösen. Der Markt muss ins Gleichgewicht kommen und das passiert aktuell auch.“


