Die sogenannte HPV-Impfung schützt nachweislich gegen bestimmte Arten von Krebs. Dennoch wird die Impfung in Luxemburg nur für Kinder unter 15 Jahren empfohlen. Die Impfrate ist nicht bekannt – und das ist nicht das einzige politische Versäumnis.

Als den „Krebs, den wir eliminieren können“ bezeichnet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Gebärmutterhalskrebs. Denn eine Impfung gegen Humane Papillomviren (HPV) schützt nicht nur vor kurzfristigen Infektionen: 2020 und 2021 wurden Langzeitstudien veröffentlicht, die zeigen, dass geimpfte Frauen ein deutlich geringeres Risiko für invasiven Gebärmutterhalskrebs hatten.

In Luxemburg fehlen jedoch Daten zur Impfquote. Das macht eine Einschätzung, wie viele junge Menschen noch Informationen zu HPV oder zur Impfung brauchen, unmöglich. Die Direktorin der „Fondation Cancer“, Lucienne Thommes, bedauert dies: „Wir sehen, dass nicht genug Personen und grade junge Menschen wissen, dass die HPV-Impfung gegen Krebs schützen kann“, sagt sie.

Dabei sind die Humanen Papillomviren weit verbreitet. HPV-Infektionen sind die häufigsten sexuell übertragbaren Infektionen. Laut dem „Conseil Supérieur des Maladies Infectieuses“ (CSMI) infizieren sich über 70 Prozent der Menschen mindestens einmal in ihrem Leben mit dem Virus. Dies ist in den meisten Fällen ungefährlich, über 80 Prozent der Infektionen bilden sich ohne deutliche Symptome zurück. Zwischen zehn und 20 Prozent der infizierten Frauen aber sind von einer andauernden Infektion betroffen.

Ein Virus mit möglichen Langzeitfolgen

Genau diese Fälle bergen ein größeres Risiko. Denn die andauernden Infektionen können Läsionen im Gebärmutterhals mit sich bringen. Diese Krebsvorstufen sind besonders häufig und können innerhalb von zehn bis 30 Jahren zu Krebs führen, so das deutsche Robert-Koch-Institut (RKI). Annähernd 100 Prozent der Fälle können auf Humane Papillomviren zurückgeführt werden.

Man muss immer wieder darauf aufmerksam machen, dass es auch Jungen betrifft. »
Dr. Serge Allard, Kinderarzt

Doch die Risiken betreffen nicht nur Frauen: Auch Krebs im Mund und Rachen kann teilweise auf HP-Viren zurückgeführt werden. „Sie kommen zwar seltener vor, aber wir wissen, dass die Impfung auch gegen Krebs der Vulva oder des Penis sowie gegen Analkrebs schützt“, sagt Lucienne Thommes.

Dass HPV eher mit Frauen in Verbindung gebracht wird, sieht der Kinderarzt Serge Allard im Alltag. „Man muss immer wieder darauf aufmerksam machen, dass es auch Jungen betrifft.“, so der Präsident der Vereinigung für Pädiatrie. Denn durch die Impfung können junge Menschen sich vor andauernden Infektionen, Genitalwarzen, Läsionen und Krebsvorstufen schützen – und gleichzeitig mögliche Sexualpartnerinnen und Sexualpartner. Dementsprechend hat der CSMI seine Impfempfehlung 2018 auch auf Jungen ausgeweitet.

Je früher, desto besser

Bereits 2007 wurde die Impfung in Luxemburg für Mädchen empfohlen. Mittlerweile schützt der neunvalente Impfstoff „Gardasil“ gegen neun Genotypen des Virus und damit gegen 90 Prozent der hochriskanten HPV-Typen. Der CSMI in Luxemburg empfiehlt aktuell zwei Dosen im Abstand von sechs Monaten für alle Kinder zwischen neun und 14 Jahren. Die Impfung wird nicht nur früh empfohlen, weil sie vor dem ersten sexuellen Kontakt gemacht werden soll, sondern auch weil die Immunantwort in dieser Altersgruppe am besten ist.

Gebärmutterhalskrebs

In Luxemburg werden etwa 25 Fälle von Gebärmutterhalskrebs jährlich festgestellt. Diese werden meist ab 40 Jahren diagnostiziert. Zwischen 2011 und 2016 sind in Luxemburg 43 Frauen an Gebärmutterhalskrebs gestorben. Laut dem „Rapport national du cancer“ von 2020 hat das „Laboratoire national de santé“ (LNS) bei Abstrichen zwischen 2015 und 2018 etwa bei sechs Prozent unterschiedliche Grade an Läsionen festgestellt, die auch zu Krebs führen können.

Die Weltgesundheitsorganisation möchte Gebärmutterkrebs durch Impfungen und Screening-Programme in die Geschichtsbücher verbannen. Dabei verweist sie etwa auf Langzeitstudien in Großbritannien und in Schweden, die belegen, dass der Impfstoff den Krebs in vielen Fällen verhindern kann.

Dabei kann die Assoziation mit sexueller Aktivität verschiedene Eltern verunsichern. Wie die Kinderärztin Michèle Kayser-Wengler beschreibt: „Anfangs gab es Unsicherheit die Kinder zu impfen, weil Eltern dachten, es könnte als Einladung wahrgenommen werden, sexuelle Kontakte zu haben.“ Doch dem könne man durch Aufklärung entgegenwirken. Und wie Lucienne Thommes von der Fondation Cancer betont: „Ein sexueller Kontakt kann ausreichen, um sich zu infizieren.“

Für Personen über 15 gibt es in Luxemburg nur eine Empfehlung des CSMI für bestimmte Risikogruppen. In Einklang damit zahlt das Gesundheitsministerium die Impfung nur bis zum 15. Geburtstag. Danach werden die Kosten weder von der „Direction de la Santé“ noch von der Gesundheitskasse übernommen. Doch auch später kann die Impfung noch Wirkung zeigen.

Experten der WHO haben dieses Jahr im April empfohlen, die Dosierung anzupassen, indem neun- bis 20-jährige Frauen eine oder zwei Dosen bekommen können. Erst Frauen über 21 könnten sich bei einer Erstimpfung mit zwei Dosen impfen lassen. Die Empfehlung der „Strategic Advisory Group of Experts on Immunization“ der WHO erwähnt auch, dass Länder das Nachholen versäumter Impfungen in anderen Altersgruppen priorisieren sollen. Davon kann aktuell in Luxemburg nicht die Rede sein.

Auch eine Frage des Geldes

„Es müsste eigentlich selbstverständlich sein, dass man einen Patienten jederzeit gegen HPV impfen kann“, sagt der Gynäkologe Pit Duschinger. Der Tenor von Ärzten, mit denen Reporter.lu im Rahmen der Recherche gesprochen hat, lautet: Die Personen, die sich impfen lassen wollen, sollen auch geimpft werden. Der Kinderarzt Serge Allard stellt nüchtern fest: „Eine Impfung ist billiger als eine Krebsbehandlung.“

Später kann die Impfung auch gezielt eingesetzt werden. „Es gibt einen medizinischen Konsens, wenn eine Frau eine Zellveränderung am Gebärmutterhals hat, dass sie durchgeimpft wird. Dies auch, wenn sie bereits älter ist und früher schon einmal gegen HPV geimpft wurde. Das wirkt dann wie ein Boost für das Immunsystem“, erklärt Pit Duschinger.

Doch eine Impfung mit zwei Dosen kostet dann mehrere Hundert Euro. Das sieht Lucienne Thommes auch als Problem: „Man muss sich die Impfung leisten können. Da gibt es schon eine Ungleichheit, ob man sich impfen lassen kann. Für uns als Fondation Cancer müsste die Impfung immer erstattet werden.“

Informationen von Reporter.lu zufolge werden die Altersvorgaben in der Praxis auch nicht immer eingehalten. Da die Impfung von der „Direction de la santé“ Arztpraxen zur Verfügung gestellt wird, ohne dass Rechenschaft über das Alter der Patienten abgegeben werden muss, würden gelegentlich auch Patienten über 15 Jahren kostenlos geimpft. Doch eine Änderung der Vorgaben des Impfprogrammes scheint nicht vorgesehen.

Fehlende Daten, keine Anpassung

Auf Nachfrage von Reporter.lu erklärt das Gesundheitsministerium: „Je nachdem, wie weit die Impfung in der Bevölkerung fortgeschritten ist, kann die Empfehlung des CSMI bei Bedarf überprüft und eine Anpassung der Kostenübernahme in Betracht gezogen werden.“

Doch genau diese „Progression“ ist praktisch nicht festzustellen. Wie in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage des LSAP-Abgeordneten Mars Di Bartolomeo erläutert wird, ist die Datenlage zur Impfung in Luxemburg schlecht. Das Gesundheitsministerium kennt nur die Zahl der bestellten Impfungen und kann dabei nicht sicher sein, dass diese überhaupt verimpft wurden – oder an wen.

2018 wurden etwa 3.600 Dosen bestellt. Da jeder Patient in Luxemburg zwei Dosen bekommt, können damit maximal 1.800 Personen geimpft werden. Nach Anpassung der Impfempfehlung, um auch alle Jungen in der Altersgruppe von neun bis 15 Jahren einzuschließen, waren es 2019 dann 8.976 Dosen. In den folgenden Jahren stiegen die Bestellungen weiter leicht auf 10.412 im Jahr 2020 und 13.691 im Jahr 2021, so das Gesundheitsministerium. Zum Vergleich: Laut der Statistikbehörde „Statec“ waren Anfang des Jahres 3.571 Jungen und 3.382 Mädchen neun Jahre alt und kamen somit erstmals für die HPV-Impfung infrage.

Covid-19 hat gezeigt, dass Teile der Bevölkerung Impfungen skeptisch gegenüberstehen. Inwiefern dies bei der HPV-Impfung der Fall ist, weiß das Gesundheitsministerium nicht. (Foto: Eric Engel)

Seit 2016 ist keine Erhebung mehr zur Impfquote durchgeführt worden. In dieser letzten Befragung wurde die Quote auf etwa 62 Prozent geschätzt. Wie das Ministerium in der Antwort auf die parlamentarische Anfrage selbst feststellt, besteht Verbesserungspotential: „Diese Rate wird als moderat angesehen und legt nahe, dass diese Impfung weiter gefördert werden muss.“

Diese Zahl stammt aber noch aus der Zeit vor Ausweitung der Impfempfehlung – und vor Covid-19. In Deutschland ging die HPV-Impfrate 2020 in der Pandemie im Vergleich zum Vorjahr zurück. Während die zunehmend höheren Bestellungen von Impfstoff dies in Luxemburg nicht nahelegen, ist man auf Vermutungen angewiesen. Erst die Einführung des « Carnet de vaccination électronique » soll laut dem Gesundheitsministerium in Zukunft genauere Einblicke in die Impfrate erlauben.

Suboptimale Sensibilisierung

Dass die HPV-Impfung in der Zwischenzeit anderweitig gefördert wurde, ist nicht festzustellen. Die Aufforderung zur Impfung wird aktuell größtenteils über die Schulärzte abgewickelt. Da das medizinische Team in der Schule selbst aber keine Impfungen durchführen kann, bekommen ungeimpfte Kinder nach der Kontrolle der Impfkarten lediglich einen Informationszettel für die Eltern ausgeteilt.

Momentan wird etwa für die Grippe-Impfung geworben, es wäre wichtig, das mal für HPV zu machen. »Dr. Michèle Kayser-Wengler, Kinderärztin

Die Informationsleere, die rund um Impfzahlen besteht, trifft zum Teil auch auf das Informationsmaterial zu. Auf Nachfrage von Reporter.lu erklärt das Gesundheitsministerium: „Die Gesundheitsdirektion bemüht sich durch ihre Kampagnen, Informationsseiten und Kontaktpunkte mit der Zielgruppe, das Bewusstsein für die Thematik zu schärfen, indem sie das erklärende Faltblatt über verschiedene Netzwerke wie Allgemeinarztpraxen, Kinderarztpraxen, soziale Netzwerke usw. kostenlos zur Verfügung stellt.“

Dieses Faltblatt zu HPV ist aktuell jedoch nur auf Französisch verfügbar, soll aber noch auf Deutsch und Englisch übersetzt werden. Wann das der Fall sein soll, sagt das Ministerium nicht. Doch auch inhaltlich besteht noch Verbesserungsbedarf. In der Broschüre wird nämlich in erster Linie über Gebärmutterhalskrebs aufgeklärt und die Gründe für eine Impfung von Jungen werden nicht angeführt. Eine ausführliche Informationsseite zur Impfung in Luxemburg existiert – doch diese stammt nicht vom Ministerium, sondern von dem Pharmakonzern, der den Impfstoff verkauft.

Eine klare Forderung an die Politik

Obwohl die Ärztinnen und Ärzte Aufklärung als Teil ihrer Arbeit sehen, besteht der Wunsch nach einer Informationskampagne. Michèle Kayser-Wengler fordert, dass das Gesundheitsministerium das Bewusstsein für die HPV-Impfung stärkt. „Man könnte eine Kampagne dazu starten. Momentan wird etwa für die Grippe-Impfung geworben, es wäre wichtig, das mal für HPV zu machen“, so die Kinderärztin.

Pit Duschinger erklärt, dass Frauenärzte zwar nur unterstützend einwirken können, weil der empfohlene Impfzeitraum meist vor dem ersten Besuch beim Frauenarzt liegt. Dennoch versuchen sie zur Aufklärung beizutragen: „Wir sind uns unter Gynäkologen einig, Mütter auf die Impfung anzusprechen, die Kinder in dem betreffenden Alter haben“, sagt der Präsident der „Société luxembourgeoise de gynécologie et d’obstétrique“.

Später ist sowohl für geimpfte als auch für ungeimpfte Personen der regelmäßige Abstrich beim Frauenarzt wichtig, um Infektionen oder Zellveränderungen festzustellen und zu behandeln, bevor sie möglicherweise zu Krebs werden. Doch für die langfristige Prävention ist es dann gegebenenfalls bereits zu spät.