Erst die Trambaustellen, dann die Pandemie: Die Geschäfte im Bahnhofsviertel schlittern von einer Krise in die nächste. Die Ladeninhaber durften vor zwei Wochen wieder eröffnen. Das lässt sie zwar vorsichtig aufatmen – ihre Hoffnung auf bessere Zeiten ist allerdings nach wie vor klein.
Antoine Weber steht der Schweiß auf der Stirn. Das Wetter ist schwül, das Stresslevel hoch. Seit gut anderthalb Jahren kämpft der Ladeninhaber ums Überleben. Sein Modegeschäft befindet sich im von Krisen gebeutelten Bahnhofsviertel – und durch die Pandemie ist noch lange keine Besserung der Lage in Sicht.
„Die Coronakrise hat jeder zu spüren bekommen“, sagt Antoine Weber und wischt sich die Schweißperlen von der Stirn. Vor allem unter der Tram-Baustelle habe sein Laden gelitten. Sie verläuft direkt am Eingang seines Shops entlang.
Eine Krise mehr oder weniger scheint in diesem Viertel kaum noch für Aufregung zu sorgen – dafür ist die Lage bereits zu lange schlecht. Restaurants, Läden und Hotels durchleben seit vielen Monaten eine Durststrecke. Im Vergleich zur Innenstadt ist das Image des Viertels angeschlagen, die Kundschaft bleibt aus, die Bauarbeiten scheinen kein Ende nehmen zu wollen. Und dann kam auch noch das Coronavirus.
Die « guten Jahre » liegen weit zurück
Die letzten „guten Jahre“ hatte Antoine Weber mit seinem Geschäft « Extrabold » 2017 und 2018, wie er sagt. „Die Umsätze waren richtig gut. Seit der Tram-Baustelle kamen aber erst 30 Prozent weniger Einnahmen, irgendwann waren es dann 50 bis 60 Prozent weniger.“ Der Dezember 2019 sei eine « Katastrophe » gewesen.
Seit Mitte März war sein Laden in der Avenue de la Liberté wegen der Covid-19-Pandemie geschlossen und die Mitarbeiter in der Kurzarbeit. Seit zwei Wochen ist er jetzt wieder auf. Von den fünf Angestellten arbeiten momentan zwei. Die ersten Tage seien vergleichsweise gut gelaufen – vor allem wegen der treuen Kundschaft. „Uns gibt es seit zwölf Jahren und mittlerweile haben wir eine Art Fanclub – das ermutigt einen natürlich, weiterzumachen“, sagt Antoine Weber. „Viele Kunden kamen vorbei, um uns zu unterstützen und sagten, dass wir das gemeinsam schaffen.“
Das habe zwar gut getan, reiche aber leider nicht aus, so der Unternehmer. „Unser Überlebensplan für den Laden geht gerade so auf“, sagt er. An Gewinn sei schon lange nicht mehr zu denken.
Alleine für die Miete zahlt Antoine Weber pro Monat 10.000 Euro. Mit dem Vermieter – einer deutschen Holding – habe er bereits über eine Mietsenkung gesprochen, auch schon vor der Pandemie. Passiert sei aber noch nichts. Und so zahlt er erst einmal weiterhin 10.000 Euro pro Monat, obwohl die Einnahmen spärlich sind.
Ein Tropfen auf den heißen Stein
Die Regierung hat vergangene Woche neue Hilfen angekündigt, um dem Einzelhandel unter die Arme zu greifen. Das Paket wurde „Aide de Redémarrage“ getauft und soll kleinen und mittelgroßen Betrieben helfen. Je nach Größe kann ein Betrieb für Juni, Juli und August jeweils bis zu 1.000 Euro pro Angestellten beantragen, die wieder arbeiten.
Für den Horesca-Bereich, die Tourismusbranche, Event-Veranstalter und Sport-Anbieter gibt es außerdem einen neuen « Fonds de Relance et de Solidarité ». Jede Firma, die in diesem Bereich den Betrieb wieder aufnimmt, bekommt pro Angestellten, der arbeitet, 1.250 Euro. Für jeden Mitarbeiter, der nicht arbeitet, 250 Euro.
Auch die Stadt Luxemburg will die Geschäfte finanziell unterstützen. Gemeinden dürfen laut dem Innenministerium Betrieben eine Hilfe von 200.000 Euro über drei Jahre gewähren. Details und Richtlinien müssten jetzt aber erst ausgearbeitet werden, sagte CSV-Schöffe Serge Wilmes am Montag im RTL-Interview. Außerdem will man den Besitzern von Cafés, Restaurants und Geschäften die Möglichkeit geben, Gutscheine im Wert von 1.000 Euro an die Stadt zu verkaufen. Diese sollen dann später verlost oder sonstwie verteilt werden.
Diese Anstrengungen seien auch notwendig, meint Antoine Weber. Sie würden – zumindest bei den Läden im Bahnhofsviertel – aber sicherlich nur dazu beitragen, dass man vielleicht irgendwie überlebt. „Wenn überhaupt. »
Ohne Maske kein Eintritt
Trotz der vielen Unsicherheiten der Geschäftsleute scheint bei den Kunden eine gewisse Normalität zurückgekehrt zu sein. Die Menschen schlängeln sich neben der Baustelle über die Gehwege, Autos und Busse quetschen sich Richtung Hauptbahnhof. Stühle und Tische der Restaurants am Place de Paris werden hergerichtet und warten in der Sonne darauf, wieder zum Einsatz zu kommen.
Ein Café an der Ecke des Platzes hat erst gar nicht auf die Lockerungen der Regierung an diesem Montag gewartet. Getränke und Essen gibt es dort über eine Theke zwar nur als „Take Away“, ein paar Tische stehen trotzdem vor dem Lokal für die Gäste bereit.
Die meisten Menschen laufen mit Maske durch die Straßen. Wer damit nicht Nase und Mund bedeckt, trägt sie wie ein buntes Doppelkinn am Hals spazieren. Spätestens vor der Tür eines Ladens wird man dann daran erinnert: „Net ouni meng Mask“. Wer keine Maske trägt, kommt nicht rein.
Alle anderen werden im Innern mit Sonderangeboten belohnt. 25, 30 oder gar 50 Prozent bieten die Geschäfte – entweder auf Einzelteilen oder gleich das ganze Sortiment. Denn die Ware ist eine Last für die Händler. Zurückgeben können sie diese meist nicht. In den vergangenen Wochen hat sich viel angesammelt – und das muss jetzt raus. „Wir haben Kollektionen von zwei Monaten hier liegen, die wir verkaufen müssen », sagt auch Antoine Weber. « Durch die reduzierten Preise bleibt aber wenig von der Gewinnspanne übrig.“
Positiv bleiben
Ein paar Meter weiter in der Avenue de la Liberté, ein anderes Geschäft. Hinter der Ladentheke steht eine Frau mit ähnlichen Sorgen. Die meisten Kunden seien unsicher, wenn sie das Geschäft betreten, sagt die Verkäuferin, die namentlich nicht genannt werden will. Das würde den Menschen natürlich die Lust am Einkaufen nehmen. Sie ist aber davon überzeugt, dass man trotz allem positiv bleiben muss. Nur Negativschlagzeilen würde den Kunden noch mehr die Lust nehmen, ins Bahnhofsviertel zu kommen. « Irgendwie muss es weitergehen. »
Es ist wohl dieses Mantra, das sich viele Geschäftsleute in diesem Viertel immer wieder wie ein Gedicht aufsagen. Nicht aufgeben, weitermachen. Luxtram versichert, dass man zumindest versuche, den Ausbau des Tram-Netzes zum Hauptbahnhof wie geplant bis Ende des Jahres fertigzustellen. Das Ende der Baustelle wäre eine große Erleichterung für viele Geschäftsleute. Ob dieser Plan aufgeht, hänge aber auch stark vom « Congé collectif », dem Verkehr und den einzuhaltenden Sicherheitsmaßnahmen ab, teilt Luxtram mit.
Einbruch von 60 bis 70 Prozent
Bleibt die Frage, wer es überhaupt bis zum Ende der Bauarbeiten schafft. Claude Bizjak von der « Confédération luxembourgeoise du commerce » (CLC) sagt im Gespräch mit REPORTER, dass es im Einzelhandel sicherlich zu Pleiten kommen wird. Wenn auch nur schleichend. « Die Krise ist noch nicht vorbei », sagt er. „Wir haben uns bei ein paar Inhabern umgehört. Sie berichten, dass sie im März im Schnitt einen Einbruch von 60 bis 70 Prozent verzeichneten.“
Diese Defizite auszugleichen sei alles andere als einfach – auch, wenn die ersten Tage seit der Wiedereröffnung einen Hoffnungsschimmer darstellen. « Es war ein Bedürfnis bei den Kunden da », so der stellvertretende Direktor der CLC. Sie hätten die Geschäfte gezielt aufgesucht und oft mehr im Einkaufskorb gehabt als sonst. Doch die Shoppinglaune sei noch nicht zurückgekehrt, so Claude Bizjak. « Wir hoffen aber, dass wir zum Sommer hin eine Ankurbelung hinbekommen. »
Dann hätten Ladenbesitzer vielleicht bald eine kleine Sorge weniger. „Momentan wacht man morgens auf und hofft, dass nicht zu viele Zahlungserinnerungen im Mail-Fach sind. Und abends geht man mit den gleichen Gedanken schlafen“, sagt der Vertreter der Handelskonföderation. „Es ist deprimierend, wenn man sich immer wieder fragen muss, wie es weitergehen soll.“
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