Die Preise für Gas und Strom sind auf ungeahnte Höhen geschnellt. Während auf die Endverbraucher gewaltige Mehrkosten zukommen, profitieren manche Energieunternehmen. Diese Gewinne will die EU abschöpfen. In Luxemburg ist das aber nicht so einfach.
« Es gibt für diese Regierung keine prinzipiellen Tabus mehr », sagte Premierminister Xavier Bettel (DP) Anfang September. Staatliche Eingriffe in die Energiemärkte schließt Luxemburg nicht mehr aus, sondern trägt entsprechende Pläne auf EU-Ebene mit. Allein dieser Sinneswandel verdeutlicht, wie dramatisch die Lage inzwischen ist.
Der Hintergrund: Russland stellte kürzlich die Gaslieferungen über die « Nordstream 1 »-Pipeline komplett ein und verschärfte damit die bestehende Energiekrise. « Wir sehen, dass sich die russische Manipulation des Gasmarkts auf den Strommarkt auswirkt », sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vergangene Woche. Deshalb schlägt sie Preisdeckel bei der Stromproduktion vor. Eine Maßnahme, die vor Wochen noch undenkbar war. Im Juli etwa sprach sich Luxemburgs Energieminister klar gegen solche Eingriffe in den freien Markt aus: „Wir sollten das Kind nicht mit dem Bade ausschütten », so Claude Turmes (Déi Gréng) damals.
Auf der Suche nach den Supergewinnen
Doch die Preise sind inzwischen so astronomisch, dass die Regierungen zum Eingreifen gezwungen sind. Der Gaspreis ist heute zwanzigmal höher als 2019, der Strompreis hat sich mehr als verzehnfacht. Dabei stellt sich eine offensichtliche Frage: Wenn Verbraucher und Unternehmen deutlich mehr für Strom, Gas und Sprit zahlen, wer steckt die Differenz ein?
In Luxemburg sind die sogenannten Supergewinne aus den hohen Energiepreisen bescheiden. Der Grund ist einfach: Luxemburg produziert weder Ölprodukte noch Erdgas und insgesamt geringe Strommengen. Die Gewinne fallen also vor allem in den Ländern an, aus denen Luxemburg seine Energie importiert.
Deutlich wird das am Beispiel der Ölkonzerne. Weder der Börsenhandel noch die Herstellung in Raffinerien finden hierzulande statt. Die Ölkonzerne seien demnach in Luxemburg im Groß- und Einzelhandel tätig, betonten die Finanzministerin Yuriko Backes (DP) und Energieminister Claude Turmes rezent in ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage. Will heißen: Die « Supergewinne » würden nicht in Luxemburg anfallen. Tatsächlich zahlten die Ölfirmen in Luxemburg 2017 fast dreimal so hohe Unternehmenssteuern wie 2021.
Explodierende Energiepreise
Die Preissprünge sind astronomisch: Der Großhandelspreis beim Erdgas lag im Herbst 2019 meist unter 15 Euro pro Megawattstunde (MWh), innerhalb von zwei Jahren explodierte der Gaspreis auf über 300 Euro pro MWh in den Spitzenwerten. Es bleibt aber nicht beim Gas. « Der Strom ist als Sorgenkind dazugekommen », sagte Energieminister Claude Turmes. Im Januar 2021 zahlte ein Energieversorger an der Strombörse etwa 50 Euro für eine Megawattstunde. Ende August kletterte der Großhandelspreis für den deutsch-luxemburgischen Markt an manchen Tagen über 600 Euro pro MWh.
Als wichtigster Energieversorger kündigte Enovos einen Preisanstieg von 80 Prozent für seine Gaskunden ab Oktober 2022 an. Für einen durchschnittlichen Haushalt von vier Personen bedeutet das Mehrkosten von rund 2.400 Euro im Jahr. Auf die Stromkunden kommt ab Januar eine Steigerung von über einem Drittel zu. Bei den Ölprodukten haben sich die Preise über die vergangenen Wochen etwas entspannt. Dennoch waren die Produkte im August über ein Drittel teurer als noch ein Jahr zuvor, verzeichnete das Statistikamt Statec.
Beim Gas profitieren vor allem die Unternehmen und Länder, die Gasfelder ausbeuten. Das ist einerseits Russland, aber auch vor allem Norwegen, von wo aktuell ein Großteil das Gases stammt, das in Luxemburg verbraucht wird. 2021 verdiente Norwegen 83 Milliarden Euro mit Öl und Gas. Für 2022 wird mit 150 Milliarden Euro fast das Doppelte erwartet, meldete die Nachrichtenagentur AFP. Die EU plant, diese Übergewinne mit einer Deckelung des Gaspreises zu begrenzen. Mit Ländern wie Norwegen und vornehmlich asiatischen Importländern soll ein Maximalpreis ausgehandelt werden, der dann auch für russisches Gas gelten soll.
Zufallsgewinne in Millionenhöhe
Beim Strom gibt es in Luxemburg aber durchaus Gewinner. Ein Fünftel bis ein Viertel des Luxemburger Stromverbrauchs wird durch die nationale Erzeugung aus Sonne, Wind, Biomasse und als Nebenprodukt von Wärmeerzeugung abgedeckt. Diese Anlagen machen aufgrund der hohen Großhandelspreise zum Teil enorme Gewinne.
Der Grund ist die Funktionsweise der Strombörse. „Jeder Produzent bietet den niedrigsten Preis, der noch seine laufenden Kosten deckt. Bei den erneuerbaren Energien liegen sie quasi bei Null“, erklärt der Vizedirektor des « Institut Luxembourgeois de Régulation » (ILR), Camille Hierzig, das Prinzip des „Merit Order“. Der Erzeuger mit den höchsten Kosten – aktuell Gaskraftwerke – setzt den Preis fest, den alle anderen Produzenten erhalten – also auch die Betreiber von Wind- und Fotovoltaikparks.

« Aktuell liegt der Strompreis weit über dem, was in den jeweiligen Businessplänen für Windkraft- oder Fotovoltaikanlagen stand », erklärt Encevo-Generaldirektor Claude Seywert im Gespräch mit Reporter.lu. Den Begriff « Zufallsgewinne » mag er nicht, das Phänomen gebe es aber in Luxemburg – wenn auch in begrenztem Ausmaß. « Wir rechnen mit Mehreinnahmen für alle Luxemburger Produzenten von einstelligen bis niedrigen zweistelligen Millionenbeträgen », sagt Claude Seywert. Es ist eine Summe, die sich mit dem deckt, was das Energieministerium erwartet, heißt es dort auf Nachfrage.
Zufallsgewinne machen in Luxemburg die großen Fotovoltaikanlagen und etwa ein Drittel der Windparks, die über ein System der Marktprämie finanziert werden. Der Staat garantiert einen Mindestpreis für den erzeugten Strom. Liegt der Marktpreis über diesem Minimum, macht der Betreiber einen Gewinn. Der Unterschied ist gewaltig: Bei den Ausschreibungen für große Fotovoltaikanlagen lag der vom Staat garantierte Preis bei durchschnittlich 110 Euro pro Megawattstunde, die Großhandelspreise auf dem deutsch-luxemburgischen Markt liegen bei dem Vier- bis Fünffachen.
Kein Gewinn mit der heimischen Solaranlage
Diese Preise wecken Begehrlichkeiten bei den Besitzern einer Solaranlage auf ihrem Eigenheim. Müssten die Besitzer nicht an den Gewinnen beteiligt werden? Bleiben die Gewinne beim Netzbetreiber Creos? Diese Fragen stellte etwa der Piratenabgeordnete Sven Clement auf Twitter.
Die Antwort: weder noch. Die kleinen Anlagen erhalten einen festen Einspeisetarif. Dieser Strom wird im Großhandel verkauft. Wenn der Marktpreis niedriger ist, dann ist die Differenz über die Umlage aufgehoben worden. Wenn der Marktpreis aber wie aktuell höher ist, dann ist es nicht der Netzbetreiber, der den Profit macht, und auch nicht der Besitzer der Anlage. « Der Gewinn kommt der Allgemeinheit zugute, so wie die Allgemeinheit den Preis garantiert hat in den Jahren, als der Strompreis niedrig war“, erklärt Camille Hierzig vom ILR.
Konkret bedeutet das, dass der Strompreis leicht sinkt, weil der Kompensationsmechanismus, der den festen Einspeisetarif garantiert, im Moment keine Kosten verursacht. Ein Durchschnittshaushalt bezahlt über die Stromrechnung aktuell noch knapp 60 Euro pro Jahr an Beitrag zu diesem Umlageverfahren.
Schwierige Preisdeckelung
Um die Strompreise unter Kontrolle zu bekommen, diskutierten die EU-Energieminister am vergangenen Freitag über einen Preisdeckel. Für jede mit Sonne, Wind oder Braunkohle erzeugte Megawattstunde sollen die Erzeuger maximal 200 Euro erhalten, steht in einem geleakten Entwurf der Europäischen Kommission. Die Differenz zum Marktpreis von momentan 400 bis 600 Euro soll bereits an der Strombörse einbehalten werden. Es handelt sich also nicht um eine Steuer, die im Nachhinein auf Gewinne anfällt.
Die EU-Kommission schlägt vor, dass die Endverbraucher mit den auf diesem Wege eingenommenen Geldern finanziell entlastet werden. Die Frage für Luxemburg ist dabei, dass noch offen ist, ob die Einnahmen zwischen den Mitgliedstaaten aufgeteilt werden. Da Luxemburg aber keine Strombörse hat, landet möglicherweise überhaupt nichts davon beim Luxemburger Staat. Die Europäische Kommission soll die definitiven Vorschläge bis Mitte der Woche vorlegen.
Wem gehört der Strom?
Größter Akteur auf dem Luxemburger Strommarkt ist die « Encevo-Gruppe » mit einem Marktanteil von über 90 Prozent 2021 bei den Haushalten. Zum Konzern gehören « Enovos », « LEO » in der Stadt Luxemburg, « Nordenergie » in Diekirch und Ettelbrück und « Steinenergy » in Steinfort. Der Luxemburger Staat hält 28 Prozent der Encevo-Anteile direkt und 31 Prozent über staatliche Unternehmen wie « Post » und die « Banque et Caisse d’Epargne de l’Etat ». Wichtigster Aktionär neben dem Staat ist der chinesische Staatskonzern « China Southern Power Grid ».
Zweitgrößter Energieversorger ist « Sudenergie » mit einem Marktanteil von knapp sieben Prozent. Aktionäre des Unternehmens sind 14 Gemeinden im Süden Luxemburgs. Ein kleinerer Akteur ist « Electris » des Unternehmens « Hoffmann Frères Energie et Bois » mit Schwerpunkt in Mersch. « Eida » aus Beckerich stellte Ende 2021 seinen Betrieb als Versorger ein. Es ist das erste Opfer der Energiekrise.
« ArcelorMittal Energy » spielt eine wesentliche Rolle als Stromversorger der Industrie mit einem Marktanteil von 36 Prozent.
Ökonomen sehen die Vorschläge insgesamt skeptisch. „Es ist riskant, in das Design des Strommarkts einzugreifen, um kurzfristig ein Feuer zu löschen“, warnt Professor Nils Löhndorf von der Universität Luxemburg. „Die Gewinne, die durch das System der ‚Merit Order‘ anfallen, sind ein langfristiger Anreiz für Investitionen“, betont der Experte für Energiewirtschaft im Interview mit Reporter.lu.
Das Problem ist, dass auch die Alternativen zum « Merit Order » ihre Tücken haben. « Wenn die Regel aber ist, dass jeder nur den Preis erhält, den er bietet, dann muss der Betreiber eines Windparks etwa auch die Kosten für den Bau der Anlage in seinem Preis berücksichtigen. Dann wird Windenergie womöglich teurer als der Strom aus alten Kohlekraftwerken, die bereits abgeschrieben sind“, sagt Camille Hierzig vom ILR. Auch würden neue effizientere Kraftwerke weniger zum Einsatz kommen. Dadurch würden die Anreize zum Bau neuer Kraftwerke sinken und die Versorgungssicherheit wäre längerfristig gefährdet.
Risiko eines Lehman-Brothers-Effekts
Fest steht: Die Energieunternehmen machen mehr Umsatz und mehr Gewinn mit der Stromerzeugung. Dennoch werden sie so zu Riesen mit tönernen Füßen, da die Risiken zugleich steigen. Fällt etwa ein Lieferant aus, steht ein Unternehmen schnell vor einem gewaltigen Problem. Auf diese Weise verschwand der alternative Stromanbieter « Eida » im Dezember mit einem großen Knall vom Luxemburger Markt, wie die « Woxx » berichtete. Aufgrund des höheren Ausfallrisikos sind zudem die Garantien deutlich gestiegen, die Unternehmen auf den Handelsplattformen hinterlegen müssen. Sie kommen dadurch in Liquiditätsengpässe.

Die europäischen Regierungen sind sich dieser möglichen Folgen natürlich bewusst. Anfang September retteten Schweden und Finnland ihre Energieunternehmen mit umgerechnet 33 Milliarden US-Dollar an Staatsgarantien. Deutschland musste den Konzern Uniper mit 15 Milliarden Euro unterstützen. Die finnische Wirtschaftsministerin warnte vor einem Dominoeffekt ähnlich der Lehman-Brothers-Pleite zu Beginn der Finanzkrise. Gerät ein großer Energiekonzern in Schieflage, könnte er wie bei den Banken 2008 andere, kleinere Unternehmen aufgrund der wirtschaftlichen Verflechtungen mit in den Abgrund ziehen.
Luxemburgs Regierung behält die Lage ebenfalls im Auge: « Das ist ein ernstes Problem, das wir ständig mit den Versorgern besprechen », sagte Energieminister Claude Turmes im Pressebriefing Anfang September. Die Regierung prüfe, ob die von der Tripartite beschlossenen 500 Millionen Euro an Unternehmenshilfen auch genutzt werden könnten, um Liquiditätsengpässe bei Versorgern zu verhindern.
« Wir haben eine gute Finanzstruktur und werden nicht weiter in Schwierigkeiten geraten », gibt Claude Seywert allerdings Entwarnung. Die höheren Garantien beim Stromhandel seien ein großes Problem, so der Encevo-Chef gegenüber Reporter.lu. Doch die Encevo-Gruppe kaufe einen Großteil über direkte Verträge mit Erzeugern, die zwar an den Marktpreis gebunden seien, aber nicht über die Börse laufen und damit weniger Garantien erfordern würden.
Der Staat als letzte Instanz
Die Staaten sind also gefordert, in das Marktgeschehen einzugreifen und als Retter in letzter Instanz bereitzustehen. « Als liberaler Premierminister muss ich sagen, dass ein freier Markt nur unter freien und fairen Bedingungen funktionieren kann. Doch die freien Bedingungen sind durch den Krieg in der Ukraine stark beeinträchtigt. »
Die Frage, woher die zum Eingreifen nötigen Millionen kommen sollten, ist in Luxemburg noch offen. Die Regierung glaubt nicht an die Super-, Zufalls- oder Übergewinne als Geldquelle. Zwar nimmt der Staat über die Mehrwertsteuer bei hohen Energiepreisen mehr Geld ein. Auch die garantierten Preise der erneuerbaren Energie verursachen aktuell keine Kosten. Doch ein Entlastungspaket in Höhe von Hunderten Millionen Euro kann so nicht finanziert werden.
Auch wenn die Eingriffe in den Strom- und Gasmarkt in der Koalition Konsens sind, ein Tabu bleibt zumindest für den Premierminister doch noch: « Steuererhöhungen sind für mich immer die letzte Lösung. »