Die EU-Kommission will, dass Briefkastenfirmen nicht mehr zur Steuervermeidung genutzt werden. Der Vorschlag sorgt in Luxemburg für mehr Nervosität als andere Reformen des internationalen Steuerrechts. Regierung und Lobbygruppen kündigen harte Verhandlungen an.

Es war der vierte Arbeitstag nach ihrer Vereidigung und gleichzeitig der erste öffentliche Auftritt von Yuriko Backes (DP) als neue Finanzministerin. Und es ging am Dienstag gleich um eine, wenn nicht sogar die, Kernfrage ihres Mandats: Werden die zahlreichen neuen internationalen Steuerregeln zu einer Gefahr für die Staatseinnahmen, weil Konzerne und Investoren das Land verlassen?

In ihrer Rede anlässlich einer Konferenz des Arbeitgeberverbandes UEL zeigte sie sich vorsichtig optimistisch. Es sei unklar, wie die internationalen Unternehmen reagieren werden. Aber: « Die Änderungen hatten bisher keine negativen Folgen für Luxemburg », betonte Yuriko Backes. Sie ging sogar einen Schritt weiter: « Luxemburg nutzte Steuern nicht als Hauptantrieb, um Investitionen und internationale Unternehmen anzuziehen. »

Die Diskussionen anlässlich der Konferenz « The new international tax landscape and its impact in Luxembourg” zeigten, dass dies zumindest eine vereinfachte Darstellung ist. Die Konsequenzen einer globalen Mindeststeuer, auf die sich im Oktober 136 Staaten unter dem Dach der OECD einigten, schätzten die bei der Konferenz anwesenden Experten in der Tat als verkraftbar ein. Doch es schälte sich eine andere, neue Bedrohung für Luxemburgs Finanzplatz heraus.

Vergiftetes Weihnachtsgeschenk aus Brüssel

« Schluss mit der missbräuchlichen Nutzung von Briefkastenfirmen für Steuerzwecke »: Mit diesem Titel präsentierte die Europäische Kommission am 22. Dezember einen Richtlinienvorschlag namens « Unshell ». Journalistische Recherchen wie « Openlux » und « Pandora Papers » hätten gezeigt, dass solche Gesellschaften immer noch genutzt würden, um Steuern zu vermeiden oder gar zu hinterziehen, heißt es in der Begründung. Mindestens 20 Milliarden Euro pro Jahr würden den EU-Staaten auf diese Weise an Einnahmen entgehen, schätzt die Kommission.

45 Prozent der 140.000 Firmen, die derzeit in Luxemburg gemeldet sind, sind reine Holdinggesellschaften, die keine andere Aktivität aufweisen. »Bericht der EU-Kommission zu « Unshell »

Der Vorschlag sieht vor, dass Unternehmen ohne eigenes Büro, eigene Mitarbeiter und Geschäftsführer als Briefkastenfirmen eingestuft und ihnen Steuervorteile verwehrt werden. Spezifisch geht es um Gesellschaften innerhalb der EU, die grenzüberschreitend tätig sind. Sie sollen dann auch den betroffenen Mitgliedstaaten gemeldet werden. Im Laufe dieses Jahres will die Kommission zudem gegen sogenannte « shell companies » in Drittstaaten vorgehen.

Der ausdrückliche Verweis auf Openlux zeigt, dass Luxemburg mit am meisten von den vorgeschlagenen Regeln betroffen wäre. Die Recherche von « Le Monde » zusammen mit 16 internationalen Medien (darunter die « Woxx ») analysierte das Luxemburger Handelsregister im Detail. Das Ergebnis: In Luxemburg gibt es 55.000 Gesellschaften mit einem Vermögen von 6.500 Milliarden Euro. Ein Bericht der Europäischen Kommission folgerte aus der Recherche, dass 25.000 Firmen an nur 40 Adressen gemeldet sind und dass über 1.800 Gesellschaften ihren Sitz an einer einzigen Adresse haben.

Milliarden Steuereinnahmen auf dem Spiel

2019 gab es in Luxemburg offiziell 45.613 Beteiligungsgesellschaften (« Sociétés de participations financières », kurz: Soparfi). Die Kategorie ist allerdings schwammig und deshalb ist diese Zahl nur bedingt zuverlässig. Wie viele davon gemäß der vorgeschlagenen Regeln der EU-Kommission als Briefkastenfirma gelten würden, ist nicht klar. Es ist ein sehr heterogener Sektor: Die Steuerverwaltung könne in ihrer Statistik nicht zwischen „klassischen“ Beteiligungsgesellschaften und den Hauptsitzen von Konzernen („sociétés figurant comme tête de groupe“) unterscheiden, sagte Direktorin Pascale Toussing vor der Finanzkommission des Parlaments. Dabei ist evident, dass die Präsenz von Amazon und Ferrero mit hunderten bis tausenden Mitarbeitern nicht etwa mit der Holding eines belgischen Familienunternehmens zu vergleichen ist.

Klar ist: Die Soparfis zahlen einen großen Teil der Unternehmenssteuern. Sie zahlten 2020 jeweils 35 Prozent der nationalen Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer, zeigen Zahlen der Steuerverwaltung. Damit sind sie inzwischen wichtiger für die Staatseinnahmen als die Banken. Ein bedeutender Faktor ist dabei, dass zehntausende Soparfis die Minimalsteuer von knapp 5.000 Euro pro Jahr zahlen müssen. In der Summe könnte eine massenhafte Schließung von Soparfis also eine ernsthafte Belastung für den Staatshaushalt bedeuten.

2018 zahlten die Soparfis insgesamt knapp 1,6 Milliarden Euro an Steuern, was damals rund drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts entsprach. Zusammen mit den Löhnen für Mitarbeiter sowie Ausgaben für Büros und Dienstleister tragen Holdings zu knapp sechs Prozent zum BIP bei. Auf diese Abhängigkeit wies ein Vertreter des Internationalen Währungsfonds (IWF) anlässlich der Konferenz hin.

Allerdings sieht die Europäische Kommission in ihrem Vorschlag eine großflächige Ausnahme für Gesellschaften vor, die zu regulierten Finanzunternehmen gehören. Dazu zählen Banken, Versicherungen, Investmentfonds und Zahlungsdienstleister. Betroffen wären demnach vor allem die Holdings von ausländischen Privatpersonen in Luxemburg. « Le Monde » berichtete im Rahmen von Openlux, dass allein 15.000 Franzosen eine Luxemburger Gesellschaft haben. Allerdings wohnt ein Viertel dieser Personen auch in Luxemburg.

Kosten für Firmen, Aufwand für Behörden

Dennoch würden die Pläne der EU-Kommission für den Finanzsektor ein Problem darstellen. Selbst bei einer relativ einfachen Transaktion eines alternativen Investmentfonds brauche es vier bis fünf Gesellschaften, erklärte Keith O’Donnell, Managing Partner von Atoz und Vorsitzender des Steuerausschusses des Fondsverbands Alfi. Auch wenn diese nicht unter die Richtlinie fallen würden, müsste die Investmentbranche womöglich einige Millionen Euro ausgeben, um dies gegenüber den Behörden zu belegen. Der Entwurf der Kommission lese sich so, als ob Unternehmen prinzipiell schuldig seien, bis sie ihre Unschuld nachweisen könnten, betonte Keith O’Donnell.

Auch Ioan Sabau, Tax Manager bei Goodyear, warnte am Dienstag vor dem Aufwand für Unternehmen. Es sei langwierig, die nötigen Dokumente für die Steuerverwaltung zusammenzustellen, und diese Gelder seien währenddessen nicht für Investitionen verfügbar.

Ich werde die nationalen Interessen Luxemburgs resolut verteidigen. »Finanzministerin Yuriko Backes

Tatsächlich sieht der Entwurf der Kommission umfangreiche Nachweise vor, die potentielle Briefkastenfirmen vorlegen müssen, um finanziellen Nachteilen zu entgehen. Die Kommission sieht das Risiko, dass Steuerverwaltungen mancher Länder an ihre Kapazitätsgrenze kommen könnten. Denn sie müssen die Angaben der möglichen Briefkastenfirmen prüfen, an andere Staaten weitergeben und bei Anfrage ausländischer Behörden detaillierte Kontrollen durchführen.

Die Aufgabe für die Luxemburger Behörden wäre dabei deutlich größer als jene der Verwaltungen anderer Länder. Laut einem Bericht des IWF gibt es in Luxemburg etwa dreimal mehr Zweckgesellschaften als in den Niederlanden.

Luxemburg kündigt harte Verhandlungen an

Für Luxemburg steht demnach viel auf dem Spiel. Klar ist, dass die Regierung die Verhandlungen im EU-Ministerrat beeinflussen will. Die Chancen stehen nicht schlecht, da diese Richtlinie einstimmig von den Mitgliedstaaten angenommen werden muss. Damit hat Luxemburg wie bei vergangenen Vorstößen zur steuerpolitischen Harmonisierung ein Vetorecht. Zudem könnte es mit den Niederlanden, Irland oder Zypern mögliche Verbündete geben, die ein ähnliches Interesse an einer nicht zu radikalen Regelung hätten.

In einem begleitenden Bericht erwähnt die Kommission Bedenken, die offenbar bereits von Luxemburger Seite geäußert wurden. Es geht dabei um Anti-Missbrauchsregeln, die schon über die Atad-Richtlinie gegen Steuervermeidung eingeführt wurden. Dabei kann die Steuerverwaltung von Fall zu Fall prüfen, ob eine Gesellschaft nur aus steuerlichen Gründen und ohne wirtschaftlichen Zweck handelt. Das reicht aus der Sicht der Kommission aber nicht aus, weil Steuervermeidung und -hinterziehung so nur im Nachhinein verfolgt und nicht von vornherein ausgeschlossen werden können.

Die geplante Richtlinie hätte große Auswirkungen, besonders für Luxemburg, betonte der Steuerdirektor im Finanzministerium, Carlo Fassbinder. Es sei wichtig, dass die neuen Regeln gegen Briefkastenfirmen nicht über das Ziel hinausschießen, sagte er am Dienstag anlässlich der UEL-Konferenz. Das gelte vor allem im Hinblick auf die Investmentfonds, die tausende Soparfis in Luxemburg verwalten würden.

Einfach absegnen will Luxemburg den Vorschlag aus Brüssel demnach nicht. Dazu passt, dass Yuriko Backes am Ende ihrer ersten Rede eine Warnung platzierte. Die enge Zusammenarbeit innerhalb der EU und OECD werde sie fortführen. Aber: « Ich werde die nationalen Interessen Luxemburgs resolut verteidigen. »


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