Die Inflation ist für jeden gleich. Eigentlich. Denn die gestiegenen Preise treffen jene besonders hart, die bereits zuvor weniger hatten. Die « Epiceries sociales » können die Folgen etwas abfedern. Doch genau wie ihre Kunden fürchten sie sich vor dem, was noch kommen könnte.
7,4 Prozent. Am Ende einer unscheinbaren Passage in der Rue de la Gare in Bettemburg wird diese Zahl plötzlich greifbar. Denn für die Kunden des dortigen « Cent Buttek » ist die Inflation nicht bloß eine abstrakte Statistik. Für die rund 100 Personen, die dienstags und freitags die Regale und Theken der ehrenamtlichen Lebensmittelausgabe aufsuchen, spitzt die Teuerung eine finanzielle Lage zu, die bereits zuvor äußerst schwierig war.
So wie bei Céline*. Die 47-Jährige arbeitete früher selbst in einem Supermarkt. Danach hangelte sich die alleinerziehende Mutter von zwei Töchtern von einem Job zum anderen. Heute lebt sie von rund 1.900 Euro Sozialhilfe im Monat, hinzu kommt eine finanzielle Unterstützung für ihre beiden Mädchen. « Ohne den Cent Buttek wäre ich aufgeschmissen. Alles ist teurer geworden. Strom, Heizung, Wasser. Alles. In den Supermarkt gehe ich fast nicht mehr, sondern versuche möglichst alles, was wir brauchen, einmal in der Woche hier zu kriegen. Das hilft schon sehr. »
Seit Anfang der 1980er Jahre sind die Preise in Luxemburg nicht mehr so stark gestiegen wie aktuell. Fast alles ist teurer geworden. Nudeln kosten 15 Prozent mehr als noch vor einem Jahr. Speiseöl kostet fast 27 Prozent mehr. Käse acht Prozent und Eier sechs Prozent. Hinzu kommen die brutal gestiegenen Energiekosten. Strom: plus 47 Prozent. Sprit: plus 57 Prozent. Gas: plus 100 Prozent. Zu den gestiegenen Konsumpreisen kommen Wohnkosten, die oft schon vor Monatsbeginn einen Großteil des Geldes auffressen. Während die Mittelschicht unter der Inflation ächzt, wird sie für die Kunden des « Cent Buttek » schleichend zum existentiellen Problem.
Ein Besuch, der Überwindung kostet
An ihren ersten Besuch im « Cent Buttek » vor einigen Jahren kann sich Céline noch genau erinnern. Auch weil er so viel Überwindung gekostet hat. « Es war schon ein komisches Gefühl, das erste Mal hier einzukaufen. Ich musste über meinen Schatten springen, das gebe ich zu. »
Viele unserer Kunden sind alleinerziehend. Und ich schätze, dass mehr als die Hälfte einer festen Arbeit nachgeht. Nur reicht das oft nicht aus, um das Leben hier zu finanzieren. »Irène Jamsek, « Caritas Buttek »-Leiterin
Monique Richter-Ahnen kennt das Stigma, mit dem der Besuch des « Cent Buttek » noch immer behaftet ist. « Ich kann mich erinnern, dass Personen vor der Tür standen und Tränen in den Augen hatten, weil sie sich so schämten, » sagt sie. Die ehemalige Lehrerin engagiert sich seit der Gründung der Initiative 2009 ehrenamtlich für den « Cent Buttek ». Ein Engagement, das mittlerweile fast zum Fulltime-Job geworden ist, wie sie sagt. Aus den zwölf Kunden von damals sind inzwischen 432 Haushalte geworden, die in den Räumlichkeiten des ehemaligen Restaurants in Bettemburg einkaufen.
Den typischen Kunden des « Cent Buttek » gebe es dabei indes nicht, betont Monique Richter-Ahnen: « Einige unserer Kunden beziehen Sozialhilfe, andere arbeiten Vollzeit und trotzdem reicht das Geld nicht. In letzter Zeit kommen auch mehr und mehr Studierende zu uns. Generell werden die Kunden zunehmend jünger. » Auch bei den Nationalitäten sei das Publikum gemischt. Rund die Hälfte sei luxemburgisch oder portugiesisch, die andere Hälfte komme eigentlich aus der ganzen Welt, so Monique Richter-Ahnen.
Fast ein normaler Supermarkt
Wer kommen darf, entscheidet dabei das jeweilige Sozialamt, in dessen Zuständigkeitsbereich der « Cent Buttek » angesiedelt ist. Nach einer sogenannten « Bedürftigkeitsprüfung » erhält der Kunde eine kleine weiße Chipkarte. Nur mit dieser darf er im « Cent Buttek » einkaufen. Und auch wenn dieser auf Außenstehende wie ein ganz normaler Supermarkt wirkt, gibt es einige bedeutende Unterschiede.
Angefangen bei der Kasse. Denn während ein Besuch im Supermarkt dort endet, beginnt er im « Cent Buttek » hier. Die Kunden registrieren sich bei ihrer Ankunft und bezahlen die obligatorischen zwei Euro. Der Betrag ist mehr symbolisch als wirtschaftlich gewählt. Er soll die Kunden an den Wert ihrer Einkäufe erinnern. Eigentlich. Denn für einige Kunden sind selbst die zwei Euro mehr, als sie sich leisten könnten, berichtet Monique Richter-Ahnen. « Ihnen stellt das Sozialamt eine Beglaubigung aus, die sie von den zwei Euro befreit », sagt die ehrenamtliche Helferin.

Ein weiterer Unterschied liegt bei der Bedienung. Hinter jeder Frischetheke stehen Freiwillige, die den Kunden die Lebensmittel austeilen. Wer in den « Cent Buttek » kommt, kann sich also nicht einfach selbst bedienen. Der Grund: Die Initiative lebt größtenteils von Spenden und die sind begrenzt. Damit jeder Kunde ungefähr die gleiche Auswahl hat und niemand leer ausgeht, werden die Spenden verteilt. Und auch wenn die Theken im « Cent Buttek » an diesem Freitag gut gefüllt sind: der Eindruck täuscht. Denn nicht nur die Kunden leiden unter der Inflation. Auch der « Cent Buttek » selbst bekommt die gestiegenen Lebensmittelpreise zu spüren. Wenn auch eher indirekt.
Schwierige Versorgungslage
Arthur Besch, ehemaliger Direktor der Veterinärverwaltung, der sich heute ebenfalls freiwillig im « Cent Buttek » engagiert, erklärt: « Seit dem Frühjahr kann man eine gewisse Zurückhaltung bei den großen Supermärkten erkennen. Sie kaufen weniger ein und versuchen überschüssige Ware wenn möglich zu vermeiden. » Besonders zu erkennen sei dies bei Obst und Gemüse – Produkte, die man bereits häufiger selbst zukaufen müsse, so Arthur Besch. Hinzu kommen generelle Lieferschwierigkeiten bei einigen Waren, wie etwa bei Speiseölen oder Honig.
Die Mangellage spürt man auch bei der « Croix-Rouge ». In Kooperation mit der « Caritas » betreut die Hilfsorganisation selbst insgesamt zwölf soziale Supermärkte in Luxemburg. Anders als an den drei Standorten des « Cent Buttek » werden die Lebensmittel dort nicht gegen einen symbolischen Geldbetrag verteilt, sondern für ein Drittel des Einkaufspreises verkauft. Die Lebensmittel selbst kauft man ein und dabei spürt man die Preissteigerungen bereits deutlich.
Vincent Authelet, zuständig für Material- und Lebensmitteleinkäufe beim Roten Kreuz, erklärt: « Wir versuchen so gut es geht, die Preissteigerungen im Einkauf nicht an die Kunden weiterzugeben. Konkret bedeutet das: Wir übernehmen die Mehrkosten. In einigen Fällen kann es aber sein, dass die Mehrkosten so hoch sind, dass wir einen Teil weitergeben müssen. » Als Beispiel nennt Vincent Authelet die Preissteigerungen beim Speiseöl Anfang des Jahres.
Kompromisse in der Not
Ein zusätzliches Problem stellen jene Lebensmittel dar, die die Sozialläden über den Förderfonds der EU, den sogenannten « Fonds européen d’aide aux plus démunis » (FEAD), erhalten. Die Fördergelder werden dabei per Ausschreibung an Lieferanten vergeben, die dafür eine bestimmte Produktklasse, wie etwa Milch oder Reis, liefern. « Viele Lieferanten können die Lieferungen aber schlicht nicht mehr garantieren. Auch weil die Verträge bei niedrigeren Preisen abgeschlossen wurden. Man spürt, dass der Markt sehr angespannt ist, » sagt Vincent Authelet.
Glauben Sie mir: Ich bin froh, dass es die Läden gibt, aber keiner will hier einkaufen. Wir müssen. »Edith*, Kundin
Auch beim Einkaufsverhalten der Kunden im Markt bemerkt Vincent Authelet bereits erste Unterschiede wegen der Inflation. « Die Menschen versuchen mehr bei uns einzukaufen und weniger im Supermarkt. Sie sind dafür auch bereit, Kompromisse einzugehen. Etwa eine andere Marke zu nehmen, als sie es gewohnt sind. » Zudem beobachte man, dass Personen wieder in die Märkte kommen würden, die zuvor nicht mehr auf den sozialen Supermarkt angewiesen waren, so Vincent Authelet.
Das Problem mit den Wohnkosten
Einer der zwölf Läden, die von der Caritas und dem Roten Kreuz betrieben werden, liegt in Diekirch auf dem Gelände eines ehemaligen Sägewerks. Er wird von der Caritas verwaltet. Am Dienstag, kurz vor 14 Uhr, warten bereits einige Kunden vor dem Eingang. Unter den Wartenden ist auch Edith* mit ihrer Tochter. 2021 ist die diplomierte Krankenschwester gemeinsam mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern aus Kamerun nach Luxemburg gezogen.
Seitdem wartet sie auf die Anerkennung ihres Diploms. Ohne die wöchentlichen Einkäufe wüsste die Familie nicht, wie sie über die Runden kommen sollte. « Glauben Sie mir: Ich bin froh, dass es die Läden gibt, aber keiner will hier einkaufen. Wir müssen. Und jetzt, da alles so teuer wird, noch mehr als zuvor », sagt Edith. Neben den gestiegenen Lebensmittelpreisen ist es vor allem ein Posten, der vielen, auch Edith, Probleme bereitet. « Die Mieten sind einfach so hoch. Da bleibt nichts übrig. »

Ein Eindruck, den auch Irène Jamsek aus ihrem Arbeitsalltag bestätigt. Die Sozialarbeiterin betreut für die Caritas die vier sozialen Lebensmittelläden der Vereinigung, darunter auch jenen in Diekirch. Der Laden in der Sauerstadt hat dabei den größten Kundenkreis. Rund 480 Haushalte kaufen in der kleinen Halle ein, was ungefähr 3.000 Personen entspricht. Insgesamt betreuen die vier Läden der Caritas etwa 1.200 Haushalte. Eine Zahl, die in den letzten Jahren weitgehend stabil geblieben sei, so Irène Jamsek.
Ungewisse Zukunft
« Die Menschen haben regelrecht Angst, was ihre Wohnsituation betrifft. Davor, dass ihre Wohnung verkauft wird oder sie aus einem sonstigen Grund umziehen müssen und dann keine neue Wohnung finden », sagt Irène Jamsek. Auf das Profil der Kunden der Caritas-Läden angesprochen, zeichnet sie ein Bild, das sich mit jenem der Kunden aus dem « Cent Buttek » in Bettemburg deckt: « Viele unserer Kunden sind alleinerziehend. Und ich schätze, dass mehr als die Hälfte unserer Kunden einer festen Arbeit nachgeht. Nur reicht eine feste Arbeit oft nicht aus, um das Leben hier zu finanzieren. Vor allem, wenn Sie in der Gastronomie oder in der Reinigungsbranche arbeiten. »
Beim Blick in die Zukunft verfinstern sich sowohl im « Cent Buttek » in Bettemburg als auch in Diekirch die Mienen. Céline schaut auf ihre beiden Töchter, die sie heute beim Einkauf begleiten und sagt: « Ich rede lieber nicht vor den Kindern darüber, was ich über die Zukunft denke. » Auch Irène Jamsek glaubt nicht, dass sich die Situation kurzfristig verbessern wird: « Ich bin ehrlich, ich glaube ein wenig, die guten Jahre sind vorbei. »
* Die Namen wurden von der Redaktion geändert.