Nach vehementer Kritik vom Verwaltungsgerichtshof stand eine umstrittene Klassierung von Grundstücken erneut auf der Tagesordnung des Diekircher Gemeinderats. Die Parzellen sollen nun bebaubar bleiben – allerdings mit Einschränkungen.
Die Worte des Verwaltungsgerichtshofs an die Gemeinde Diekirch im Frühsommer 2022 waren harsch. Sowohl das Verhalten des damaligen Bürgermeisters Claude Haagen (LSAP) als auch des Innenministeriums von Taina Bofferding (LSAP) seien in einer parlamentarischen Demokratie vollkommen unzulässig, betonten die Richter. Grund für die Kritik waren zwei Abstimmungen im Gemeinderat Diekirch über die Umsetzung eines Urteils nach einer Klage von mehreren Grundstücksbesitzern.
Im Mittelpunkt standen dabei vier Grundstücke, die der Gemeinderat im Allgemeinen Bebauungsplan (PAG) als Grünfläche umklassiert hatte und die demnach nicht mehr bebaut werden durften. Als Begründung hatte die Gemeinde den Hochwasserschutz angeführt. Dagegen hatten allerdings die Besitzer geklagt und Recht bekommen. Die Grundstücke müssten bebaubar bleiben, so das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Anfang 2019. Doch anstatt die Entscheidung des Gerichts umzusetzen, führte der Gemeinderat wiederholt eine Pattsituation beim entsprechenden Sitzungspunkt herbei. Da sich der damalige Bürgermeister, der heutige Sozial- und Landwirtschaftsminister Claude Haagen, bei der Abstimmung enthielt, konnte das Urteil nicht umgesetzt werden. Es folgte in einem weiteren Urteil die harsche Kritik des Verwaltungsgerichtshofs, wie Reporter.lu berichtete.
Wieder bebaubar, aber …
Am 8. Februar dieses Jahres standen die betroffenen Grundstücke nun erneut auf der Tagesordnung des Gemeinderats der Stadt Diekirch, an deren Spitze mittlerweile Claude Thill (LSAP) als Bürgermeister steht. Diesmal kam es nicht zu einer Pattsituation. Denn eine Mehrheit aus LSAP und Déi Gréng entschied, die Grundstücke nun doch bebaubar zu lassen – jedoch mit Einschränkungen. Fortan sollen die Areale nämlich in einer „Zone BEP“ liegen. Der Clou: Damit dürften sie zwar bebaut werden, es dürften jedoch nur öffentliche Infrastrukturen auf dem Gelände errichtet werden.

Wohnhäuser oder private Projekte würden demnach als mögliche Vorhaben wegfallen. Zuvor waren die Grundstücke jedoch als normales Wohngebiet ausgewiesen. Auch deshalb stimmten die Oppositionsparteien DP und CSV im Diekircher Gemeinderat geschlossen gegen die Entscheidungen des Schöffenrats. Die Befürchtung: Die Besitzer könnten erneut gegen die Gemeinde klagen. Demnach würde die Affäre wieder die Gerichte befassen und man sei so weit wie zu Beginn, so Oppositionsvertreter gegenüber Reporter.lu.
Der aktuelle Bürgermeister Claude Thill (LSAP) hingegen betont im Gespräch mit Reporter.lu die exponierte Lage der Grundstücke: „Die Grundstücke befinden sich am tiefsten Punkt von Diekirch. Zudem liegen sie nahe an der Sauer und der Tirelbaach. Das Hochwasser im Jahr 2021 hat gezeigt, welche Folgen das Wasser auf dem betroffenen Areal haben kann.“ Die Gemeinde plane deshalb, den Besitzern die Grundstücke abzukaufen, um dort eine Pumpenanlage zu errichten, die bei einem zukünftigen Hochwasser die Lage vor Ort entschärfen könne, so Claude Thill weiter.
Rückendeckung durch Rechtsgutachten
Die Frage, ob die Gemeinde bereits mit den Besitzern der Grundstücke gesprochen hat, beantwortet der Bürgermeister allerdings mit Nein. Jedoch habe die Gemeinde ein juristisches Gutachten in Auftrag gegeben, das dem jetzigen Vorgehen recht gebe. Man sei also abgesichert, so Claude Thill.
Das Gutachten, das Reporter.lu vorliegt, beschäftigt sich explizit mit der Frage, wie das Vorgehen der Gemeinde vor Gericht bewertet werden könnte. Laut den Autoren schreibe des Urteil des Verfassungsgerichtshofs der Gemeinde nicht explizit vor, in welche PAG-Zone die betroffenen Parzellen klassiert werden müssen. Die einzige Bedingung, die erfüllt werden müsse, sei, dass die Grundstücke bebaubar sind. Ein Punkt, der durch die Einstufung als Grünfläche nicht mehr gegeben war. Dabei stünden nicht ausschließlich die Wünsche der Besitzer im Vordergrund, sondern das Allgemeinwohl. Und in dessen Sinne müsste auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Parzellen in einem Überschwemmungsgebiet liegen.
Ob die Besitzer dieser salomonischen Lesart des Urteils zustimmen werden, ist derzeit noch ungewiss. Laut Informationen von Reporter.lu sollen die Besitzer in einer gemeinsamen Sitzung mit den Gemeindevertretern über die Pläne beraten. Sollten sie der Lösung der Gemeinde nicht zustimmen, stünde ihnen weiterhin der Rechtsweg offen.
Es ist denn auch nicht das erste Mal, dass Grundstücke und ihre Lage in einer „Zone BEP“ in Diekirch für Diskussionen und juristischen Streit sorgen. Im Januar 2022 hatte der Verwaltungsgerichtshof nach jahrelangen Verfahren entschieden, dass eine geplante „Seniorenresidenz“ in eben einer solchen Zone nicht gebaut werden dürfe, weil das Projekt einer privaten Immobiliengesellschaft keine Einrichtung von öffentlichem Nutzen darstellte. Reporter.lu hatte 2019 exklusiv über das umstrittene Vorhaben berichtet. Rezent reagierte auch Claude Haagen im Interview erstmals auf das Scheitern des Projekts, für das er damals die Baugenehmigung erteilt hatte.
