Die CSV ist der überraschende Verlierer dieser Wahlen. Während am Wahlabend bei den Christsozialen latente Weltuntergangsstimmung herrschte, bereitet sich die Partei auf die überfällige Erneuerung an der Spitze vor. Eine Reportage über eine ratlose Partei.
« War et dat elo? Majo dann… » Es ist kurz vor 23 Uhr als Michel Wolter bei der Wahlparty der CSV auftaucht. Wenige Minuten zuvor hatte Spitzenkandidat Claude Wiseler vor der Basis und laufenden Kameras das « enttäuschende Resultat » seiner Partei eingeräumt. Wie so oft schwimmt Wolter auch an diesem Abend gegen den Strom. Als die meisten Parteimitglieder den großen Saal der Rotondes verlassen, begibt er sich erst hinein und begrüßt die frustrierten Kollegen. Später wird er einer Gruppe von jungen Kandidaten und CSJ-Politikern sagen: « Et ass elo un iech. Dir kennt iech elo net méi verstoppen. »
Versteckt hatte sich am Abend lange die Parteispitze. Bis das vorläufige Endergebnis feststand, tagten Claude Wiseler, Marc Spautz und Co. in einem separaten Gebäude auf dem Gelände der Rotondes. In einem Raum gleich neben der Redaktion von « Radio Ara » wurde sich stundenlang über die Strategie beraten. Wiseler und Spautz ließen sich bis spät am Abend nicht beim Parteivolk blicken. Andere Mitglieder des Parteivorstandes pendelten zwischen der Versammlung hinter verschlossenen Türen, dem großen Saal mit den Mitgliedern und dem Buffet. Fraktionsvize Gilles Roth tauchte erst gar nicht auf.
Zwischen Ratlosigkeit und Verzweiflung
Als das Resultat, also die Mehrheit für die Dreierkoalition, dann feststand, ging plötzlich alles ganz schnell. Nach der Tagung, die bis kurz nach 22 Uhr dauerte, gingen alle geschlossen in Richtung Hauptsaal. Von Entschlossenheit fehlte jede Spur. Ernste Mimik, gereizte Gesichtszüge, gefühlte Ratlosigkeit. Entsprechend angespannt war auch die Stimmung. Alle, die bis zu dem Zeitpunkt von Wiselers Rede noch vor den Rotondes mit Bier und Zigarette in der Hand standen, machten sich schnell auf den Weg in den Hauptsaal.
Alle blickten auf Wiseler, um zu wissen, wie wir jetzt vorgehen sollen, aber da kam schlicht nichts. »Ein Mitglied des Parteivorstandes
Um zu wissen, wie der Wahlabend ausging, reichte ein Blick auf Isabel Wiseler-Lima. Die Schöffin der Hauptstadt und Ehefrau jenes Spitzenkandidaten, der in den vergangenen Wochen mitunter schon als designierter Premier aufgetreten war, ist als gute Seele bekannt. Stets freundlich und zuvorkommend begrüßt sie ihre Mitmenschen mit einem Lächeln und nettem Smalltalk. An diesem Abend hat es aber auch ihr die gute Laune verschlagen. Mit bedrücktem Gesichtsausdruck begleitet sie ihren Ehemann auf dem schweren Weg durch die Parteimitglieder Richtung Bühne.
Ich bin bereit, Verantwortung für eine Erneuerung der Partei zu übernehmen. »CSV-Abgeordneter Serge Wilmes
Claude Wiseler, Marc Spautz, Laurent Zeimet und Martine Hansen traten in demonstrativer Geschlossenheit vor die Parteibasis. Wiseler sollte später unter anderem sagen, dass er nicht wisse, « was in den nächsten Stunden passiert ». Die CSV sei als stärkste Partei jedoch für « Gespräche » offen. Von der christlich-sozialen Arroganz vor fünf Jahren war jedenfalls nichts mehr zu spüren. Aus Wiselers Worten sprach eine Mischung aus Vernunft und purer Verzweiflung. Die stolze Volkspartei hatte wider aller Erwarten Federn gelassen und drohte, wie vor fünf Jahren, bei der Koalitionsbildung außen vor zu bleiben.
Eine Parteiführung in der Schockstarre
Daran ist jedoch nicht nur das Wahlresultat, sondern auch die CSV selbst schuld. Wie es heißt, hat niemand in der Partei am Abend die Initiative ergriffen, um Kontakt mit der DP aufzunehmen. Noch nicht einmal, um zumindest die Möglichkeit einer Regierungsbeteiligung offen zu halten. Während den Beratungen der Parteiführung befand man sich eher in einer « Schockstarre », wie es ein Beteiligter formuliert. « Alle blickten auf Wiseler, um zu wissen, wie wir jetzt vorgehen sollen, aber da kam schlicht nichts. » Fast alle Anwesenden hätten das Wort ergriffen, doch Wiseler habe vor allem zugehört und nachgedacht, heißt es.

Wie es heißt, habe es früher am Abend zwar ein Telefongespräch zwischen Claude Wiseler und DP-Spitzenkandidat Xavier Bettel gegeben. Doch die Mehrheitsverhältnisse ließen die Hoffnungen der CSV-Führung auf eine schwarz-blaue Koalition dann schnell schwinden.
Der Europaabgeordnete Frank Engel habe in den Gesprächen dann noch die Möglichkeit einer Koalition mit den Wahlgewinnern Déi Gréng und Piratenpartei ins Spiel gebracht. Manche sahen das ähnlich. Man sollte es zumindest versuchen und nicht von vornherein aufgeben. Die große Mehrheit im Vorstand tat die Idee jedoch als « Verzweiflungstat » ab. Andere, wie Marc Spautz oder Françoise Hetto, betonten zudem, dass das Spiel für die CSV bei 31 Sitzen Mehrheit für « Gambia » unabhängig vom weiteren Vorgehen aus sei.
Ein anderer Beteiligter der Gespräche des Parteivorstandes erinnert sich, dass einige in der Parteiführung sich dafür aussprachen, ähnlich wie 2013 « offensiv » vor die Presse zu treten und den Führungsanspruch als stärkste Partei zu betonen. Wiseler sprach sich dem Vernehmen nach dagegen aus. Letztlich ergab sich die CSV ihrem Schicksal. Wiseler übernahm intern die Verantwortung für die « klare Niederlage », heißt es. Man habe die Wahlen nicht gewonnen und könne demnach auch keine Ansprüche auf eine Koalition stellen, so auch ein nüchterner Parteichef Marc Spautz später am Abend.
Kritik an Strategie und Spitzenkandidat
« Manche haben es immer noch nicht begriffen. Wir sind zwar die stärkste Partei, aber davon können wir uns nichts kaufen », raunte eine Delegierte des Parteivorstandes nach der vertraulichen Sitzung. Die Parteiführung habe in den vergangenen Wochen alles falsch gemacht. Man habe sich auf die Umfragen verlassen und die Auseinandersetzung im Wahlkampf frühzeitig eingestellt. « Die Arroganz von 2013 ist noch immer da. »
Claude Wiseler fehlt das Charisma, die Nähe zu den Menschen. Das war schon immer so und das war auch dieses Mal das Problem. »Ein Parteimitglied
An der Basis fiel die Analyse am Abend noch deutlicher aus. Vor den Rotondes stehen eine ganze Reihe Parteianhänger. Sie diskutieren, versuchen die Ergebnisse einzuschätzen. Hört man ihnen zu, wird schnell klar, was sie als das Problem der CSV ansehen: Dass sich die Kampagne um eine einzige Person gedreht hat – Claude Wiseler. Er sei zwar kompetent und anerkannt in der Partei, aber letztlich der Falsche für den Posten des Spitzenkandidaten gewesen. Zu nett, zu zurückhaltend, zu weit weg von den Menschen, hieß es hier.
« Es war ein Fehler, dass die Partei alles auf eine Karte, beziehungsweise auf einen Kandidaten gesetzt hat. Überall war nur Claude Wiseler zu sehen, dabei hätte die CSV sich breiter aufstellen müssen », so ein Mitglied, das nicht namentlich genannt werden wollte. « Claude Wiseler fehlt das Charisma, die Nähe zu den Menschen. Das war schon immer so und das war auch dieses Mal das Problem. »
Die Folgen der verfrühten Selbstsicherheit
Für viele CSV-Unterstützer war der Schuldige jedenfalls schnell ausgemacht. « Es ist ganz einfach. Auf kommunaler Ebene hat die CSV vergangenen Herbst ein gutes Resultat eingefahren. Jetzt, auf nationaler Ebene nicht. Dann muss man sich fragen, wo dieser Unterschied liegt. Und der liegt ganz klar bei Claude Wiseler. » Andere weiteten die Kritik dann doch etwas aus. Nicht der Spitzenkandidat sei das Problem gewesen, sondern die Selbstsicherheit der ganzen Führungsriege, bringt es einer der jüngeren Kandidaten auf den Punkt. « Während wir um ein gutes Resultat gekämpft haben, haben andere schon Ministerposten verteilt », sagt er. « Das Problem war: Die Leute merken, wenn man zu siegessicher auftritt. »

Auch die ganze Strategie in der Opposition war für viele in der Partei ein Problem. « Wenn wir im Parlament gegen die Regierung gehen und unsere Oppositionsarbeit machen wollten, wurden wir zurückgepfiffen. Dann ist Claude zur Regierung gegangen und hat sich entschuldigt. Einfach, weil das sein Charakter ist. Dabei ist es wichtig, dass man sich als Oppositionspartei profiliert », bringt ein Fraktionsmitglied seinen Frust auf den Punkt. Allerdings zeigt die Tatsache, dass die meisten Kritiker in der Partei nur unter der Bedingung der Anonymität Klartext redeten, dass es mit der kritischen Kultur innerhalb der CSV dann doch immer noch nicht allzu weit her ist.
Aufbruch nach dem « Weltuntergang »
Was nun? « Die Partei muss von Grund auf erneuert werden. Und das geht nur, wenn sie jetzt in die Opposition geht. Wenn das nicht passiert bleibt alles beim Alten », sagt ein Kandidat aus dem Zentrum. Dabei sehen viele auch die thematische Aufstellung der vergangenen Wochen und Monate kritisch. « Mit Skepsis gegen Naturschutz und neoliberaler Wirtschaftspolitik gewinnt man heutzutage eben keine Wahlen », heißt es in einer kleinen Runde von Jungpolitikern. Viele sind davon überzeugt, dass die CSV es in den vergangenen Jahren versäumt hat, sich in den Städten und für die jüngere Wählerschaft inhaltlich attraktiv aufzustellen.
Die Debatten um eine personelle Erneuerung dürften nicht lange auf sich warten lassen. Wiseler und Spautz seien auf Dauer nicht als Spitzenleute haltbar, heißt es aus dem Umfeld des Parteivorstandes. Auch Generalsekretär Laurent Zeimet, der den Sprung ins Parlament verfehlte, trauen nur die wenigsten eine Erneuerung zu. « Die Partei ist auf dem Nullpunkt. Die Weltuntergangsstimmung könnte aber auch ein neuer Anfang sein », hofft ein Beteiligter aus dem Krisentreffen am Wahlabend.
Diskussionen über personellen Neuanfang
Dagegen schält sich einerseits Martine Hansen, Vize-Parteichefin und Erstgewählte im Norden, als kommende starke Frau der Partei und mögliche neue Fraktionsvorsitzende heraus. Und auch auf Serge Wilmes ruhen viele Hoffnungen der besagten Kritiker. Der 36-jährige Abgeordnete und Erste Schöffe in der Hauptstadt konnte sein persönliches Resultat bei diesen Wahlen verbessern. Er müsse jetzt nur noch zugreifen, heißt es von seinen Unterstützern in der Partei. Wilmes, der in der Vergangenheit bereits bei Wahlen zum Generalsekretär kandidierte und Laurent Zeimet unterlag, könnte bei diesen Vorzeichen neuer Parteivorsitzender werden.
« Ich bin bereit, Verantwortung für eine Erneuerung der Partei zu übernehmen », sagt Serge Wilmes im Gespräch mit REPORTER. Man müsse sich allerdings die nötige Zeit geben, um die richtigen inhaltlichen und personellen Schlüsse aus dem Wahlergebnis zu ziehen. Zeitlich dürfe man dabei nichts überstürzen, doch es sei klar, dass die CSV sich neu aufstellen und strategisch neu orientieren müsse, so der Abgeordnete.
Viele haben in den vergangenen Jahren den Mund gehalten und wollen jetzt vielleicht auch endlich mal zum Zug kommen. Wer das sein wird, muss sich noch zeigen. »Frank Engel, CSV-Abgeordneter im Europaparlament
Entschieden ist die Sache aber noch nicht. « Die CSV hat in der Weise ein Personalproblem, dass immer noch Leute da sind, die auch bleiben wollen », sagt Frank Engel auf Nachfrage von REPORTER. Doch der Abgeordnete im Europäischen Parlament ist sich sicher: « Natürlich wird dieser Wahlausgang personelle Konsequenzen haben. Das Führungspersonal muss so oder so neu aufgestellt werden. » Mit der Einschränkung: « Viele haben in den vergangenen Jahren den Mund gehalten und wollen jetzt vielleicht auch endlich mal zum Zug kommen. Wer das sein wird, muss sich noch zeigen. »
Doch auch beim Vorstandstreffen am Montagmittag gab es noch keine Entscheidungen über die Zukunft der Partei. Am Dienstagabend soll der erweiterte Nationalrat zusammenkommen, um eine erste Wahlanalyse vorzunehmen. Auch die Bezirksvorstände wollen sich zügig treffen, um zu beraten, wie man sich mit dem Schicksal weiterer fünf Jahre in der Opposition arrangieren und gleichzeitig für die nächsten Wahlherausforderungen neu aufstellen kann. Spätestens auf einem Nationalkongress Anfang des kommenden Jahres sollte die neue Führung der Partei stehen.