Zuhause bleiben, soziale Distanz: Die Vorgaben der Regierung lassen sich bei der CNS nur schwer umsetzen. Viele Angestellte sind weiterhin im Büro, damit die Behörde funktioniert. Dabei ließen interne Maßnahmen zur Reduzierung der Infektionsgefahr lange auf sich warten.
« Bleiwt doheem! », betont Premier Xavier Bettel immer wieder in seinen Pressekonferenzen. Doch nicht überall lässt sich dieser Aufruf so leicht umsetzen. Die staatliche « Caisse Nationale de Santé » (CNS) tut sich damit besonders schwer, weil Teile ihrer Arbeit nicht einfach von zu Hause erledigt werden können.
Dennoch stößt der Umgang der Direktion mit der Coronavirus-Pandemie auf Kritik der Mitarbeiter. « Von rund 500 Leuten kommt immer noch etwa die Hälfte ins Büro », sagt ein Angestellter der CNS, der namentlich nicht genannt werden will. Seit gut einer Woche komme an einem Tag die eine Hälfte der Mitarbeiter ins Hauptgebäude in der Route d’Esch, am nächsten Tag die andere. Zuvor habe noch eine strikte Anwesenheitspflicht gegolten, sagt der Mitarbeiter. « In Zeiten von Corona ein absolutes No Go », so sein Vorwurf.
Fünf Tage, sechs neue Fälle
Mit dieser Meinung ist er nicht alleine. Ein weiterer Mitarbeiter kritisiert im Gespräch mit REPORTER die interne Kommunikation der CNS-Direktion. Der schwere Vorwurf: Man habe es verpasst, die Mitarbeiter angemessen und zeitnah zu schützen. « Die Devise der Geschäftsführung war klar: Wer sich gesund fühlt und keine Symptome aufweist, kommt weiterhin arbeiten. Auch, wenn man sich mit einer infizierten Person das Büro geteilt hat. »
Das Resultat: Mitarbeiter, die an einem Tag positiv getestet wurden, seien am Tag zuvor noch zur Arbeit gekommen. Kollegen, die mit diesen Personen in Kontakt waren, sollten aber auch weiterhin erscheinen. Sie wurden nicht in Selbst-Quarantäne geschickt.
Das Hauptgebäude in der Route d’Esch beherbergt nicht nur die rund 500 Mitarbeiter der CNS, sondern auch die des Contrôle Médical, der Association d’Assurance Accident sowie des Centre Commun de la Sécurité Sociale. Alle nutzen die gleichen Aufzüge, gehen in die gleiche Kantine (die mittlerweile auf ein Buffet statt auf Einzelgerichte umgestellt hat), sie teilen sich die gleichen Toiletten, greifen nach den gleichen Türklinken. Außerdem teilen sich in der Regel drei bis vier CNS-Mitarbeiter ein Büro. Einzelbüros gibt es kaum.
Vom ersten Infektionsfall habe die Leitung am 17. März erfahren, diesen allerdings erst am 18. März der Belegschaft mitgeteilt, berichtet einer der Mitarbeiter. Mittlerweile zählt die CNS mindestens elf Infizierte, davon zehn am Hauptsitz. Am vergangenen Freitag waren es noch fünf.
Systemrelevante Behörde
Die Arbeitsorganisation habe man mittlerweile umgestellt, heißt es von der CNS auf Nachfrage von REPORTER. Die Mitarbeiter sollen entweder im Homeoffice oder, wo das nicht möglich ist, in wechselnden Schichten arbeiten. So werde sichergestellt, dass nur noch eine Person pro Büroraum präsent ist. Zudem mache man intern immer wieder darauf aufmerksam, die nötige Sicherheitsdistanz sowie andere Verhaltensregeln zur Verhinderung einer Verbreitung des Virus einzuhalten, so die Stellungnahme der CNS.
Einige Mitarbeiter kritisieren aber, dass diese Maßnahmen zu spät umgesetzt worden seien. Der zu Beginn nicht ganz offene Umgang der CNS-Leitung mit den Corona-Fällen hat mehrere Mitarbeiter verunsichert. In einem Schreiben der Direktion an die Belegschaft vom 18. März stand etwa, dass eine Selbst-Quarantäne keine von der Gesundheitskasse genehmigte Freistellung von der Arbeit ist. Eine Arbeitsunfähigkeit müsse von einem Arzt festgestellt werden.
Wer sich demnach schützen wollte, wurde erfinderisch. Einige hätten sich krankschreiben lassen, aus Angst, sich im Gebäude anstecken zu können, wie ein Mitarbeiter berichtet. Manche Abteilungsleiter hätten ihrem Personal sogar dazu geraten, Urlaub zu nehmen, falls sie lieber zu Hause bleiben wollten.
Was die Lage in der staatlichen Behörde sicherlich erschwert: Die CNS muss auch in Corona-Zeiten weiterhin funktionieren. Gerade jetzt stellen sich durch die neu eingerichtete Telemedizin und die Centres de Soins Avancés viele Fragen zu Rechnungen und Rückzahlungen. Und das zusätzlich zu den herkömmlichen Anfragen. Immer wieder wies die CNS deshalb in internen Mitteilungen darauf hin, dass die Versicherten auf die Arbeit der Gesundheitskasse angewiesen sind.
Schleppende Digitalisierung
« Dass die CNS funktionieren muss, bestreitet ja auch niemand », sagt einer der besagten Mitarbeiter. « In manchen Abteilungen sind aber 35 bis 40 Mitarbeiter tätig. Die hätte man problemlos in kleinere Gruppen aufteilen können, so dass nicht alle zeitgleich im Büro sitzen müssen. » Gesunde Menschen hätte man quasi als „Reserve“ halten können, um für Ausfälle gewappnet zu sein, findet der Mitarbeiter. Dass man anfangs nach Kontakt mit einer infizierten Person immer noch ins Büro kommen musste, war für einige Mitarbeiter schlicht unverantwortlich.
Gleichzeitig ist sich die Belegschaft bewusst, dass gerade bei der CNS nicht für jeden Homeoffice machbar ist. Zum Beispiel könnten Belege für Erstattungen eben nicht von zu Hause aus an die Versicherten geschickt werden. Ihr Vorwurf bleibt aber weiterhin folgender: Die Direktion hat nicht schnell genug gehandelt und damit nicht nur ihr Personal, sondern die ganze Organisation gefährdet. « Je mehr Leute sich gegenseitig anstecken und langfristig ausfallen, desto schwieriger und teurer wird es letztlich für die Behörde », sagt einer der Angestellten.
Ein großes Problem bei der Gesundheitskasse ist, dass die Digitalisierung hier noch nicht überall Einzug gehalten hat. Homeoffice war bisher kaum eine Option für die Mitarbeiter und Papier ein wichtiges Gut. Rechnungen, Belege, Genehmigungen, Erstattungen – alles läuft in Papierform ab und wird per Brief verschickt. Auch wegen des Datenschutzes.
Schrittweise zur Telearbeit
Bisher sei der Schutz von personenbezogenen Daten immer „oberste Priorität“ gewesen und die Option für Telearbeit daher „wenig ausgebaut“, heißt es von der Pressestelle in einem Schreiben. Der IT-Dienst der CNS habe aber in der aktuellen Situation schnell nach Lösungen gesucht. Mittlerweile könnten viele Mitarbeiter von zu Hause aus arbeiten. Diese Entwicklung hin zu mehr Telearbeit sei aber nur schrittweise möglich gewesen.
Für alle, die nicht von zu Hause aus arbeiten, wurde jetzt ein Schicht- bzw. Tageswechsel eingeführt. Mittlerweile würden die noch anwesenden Mitarbeiter aber entweder alleine in einem Büro sitzen oder in „kleinen Gruppen“ in größeren Räumen, so die CNS. Während die Pressestelle mitteilt, man habe „von Anfang an stückchenweise“ nach Lösungen für die Corona-Krise gesucht, beklagen Arbeitnehmer, dass sich die Arbeitsorganisation erst seit Anfang der vergangenen Woche gebessert habe.
Tatsächlich kündigte die Leitung in einem Schreiben vom 18. März an, man würde mit den Abteilungsleitern die Möglichkeit von Telearbeit prüfen, damit „au fur et à mesure“ ein Maximum von Leuten darauf zurückgreifen könnten.
Wann ist der Kontakt „eng“?
Außerdem halte man sich an die Vorgaben der Regierung und an den „Arbre décisionnel“ des Gesundheitsministeriums. Dort steht, dass man nach einem Kontakt mit einem Infizierten, der nicht « eng » war, während 14 Tagen zwar selbst beobachten soll, ob man Symptome entwickelt. Nur bei „engem Kontakt“ zu einer Person und wenn die Inspection Sanitaire zur Überwachung einer Person eingeschaltet wurde, solle man auch soziale Kontakte meiden – also sich selbst unter Quarantäne setzen.
Der „Arbre décisionnel“ wurde am 26. Februar vom Gesundheitsministerium veröffentlicht. In den Richtlinien der Regierung steht allerdings auch, dass man unter engem Kontakt versteht, wenn man sich in einem „geschlossenen Raum“ mit einem Infizierten befindet – und das länger als 15 Minuten und ohne mindestens zwei Meter Abstand zu halten. Bleibt die Frage, ob man einen „engen Kontakt“ mit einer Person hat, mit der man sich das Büro und die gleiche Türklinke teilt.