Verlockende Gewinne, drastische Kurseinbrüche: Seit über zehn Jahren werden Kryptowährungen als Revolution der Finanzbranche gehypt. Luxemburgs Regulierungsbehörden tun sich nach wie vor schwer mit einer Branche, die an den Wilden Westen erinnert.

Die graue Kiste mit dem großen Lüfter steht heute im Abstellraum und sammelt Staub an. Ein unscheinbarer Blechwürfel, etwa 30 Zentimeter lang und zehn Zentimeter hoch. Als er noch lief, konnte man ihn fast im ganzen Haus hören. Doch nicht nur deshalb bleibt der « Bitmain Antminer » von Paul* heutzutage ausgeschaltet. « Als ich den Miner in Betrieb hatte, hat sich unsere Stromrechnung von einem Monat auf den nächsten mehr als versechsfacht, von etwa 50 Euro auf fast 400 Euro. Das war es mir einfach nicht wert, auch wenn es sich finanziell gelohnt hat », sagt der junge Familienvater heute.

Vor etwa vier, fünf Jahren begann sich Paul für die dezentralisierte Digitalwährung Bitcoin zu interessieren. Ein befreundeter Informatiker habe ihm immer erzählt, wie gut man damit Geld machen könnte. Zunächst eher zurückhaltend, entschließt sich der ausgebildete Elektriker dazu, ein Konto bei einer US-amerikanischen Handelsplattform zu eröffnen. « Das war ein Kinderspiel. Einfacher, als ein Bankkonto zu eröffnen. Soweit ich mich erinnere, musste ich nicht einmal meinen Personalausweis hinterlegen. Rund 5.000 Euro habe ich dann einbezahlt und angefangen, Bitcoin zu kaufen und zu minen », erinnert sich Paul.

Währung ohne zentrale Kontrolle

Die gekauften Coins entwickelten sich redlich. Der Kurs kannte zu dieser Zeit nur eine Richtung: nach oben. Schon nach wenigen Monaten gewannen die Bitcoins von Paul deutlich an Wert. Doch dann kippte der Kurs, der Trend kehrte sich um. Er habe sofort gehandelt und verkauft, sagt Paul. « Eng Kéier Suen eran, méi Suen eraus, zack fäerdeg », beschreibt der 35-Jährige seine Investmentstrategie von damals. Und die hat sich gelohnt: Aus rund 5.000 Euro waren am Ende mehr als 25.000 Euro geworden.

Vieles, was an Wert beigemessen wird, ist ja einfach nur das, was Menschen an Wert beimessen. »Dr. Gilbert Fridgen, Experte für Kryptowährungen

Doch trotz des stattlichen Gewinns beließ es Paul bei dem einmaligen Ausflug in die Welt der Kryptowährungen. « Die Kursschwankungen waren mir einfach zu hoch. Nachdem ich verkauft hatte, ist der Kurs weiter drastisch gefallen. Es hat schon etwas von einem Casino », sagt er heute.

Breite mediale Aufmerksamkeit erhält Bitcoin in der Tat vor allem durch seine Kursschwankungen. So stieg der Wert eines Bitcoins 2017 im Laufe des Jahres von rund 1.000 Dollar auf mehr als 17.000 Dollar, nur um Anfang 2018 auf rund 5.000 Dollar einzubrechen.  Eine noch drastischere Entwicklung erlebte der Kurs im vergangenen Jahr. Im November stieg der Kurs auf über 53.000 Dollar. Und brach wieder ein. Auf heute rund die Hälfte, etwas mehr als 27.000 Dollar.

Künstliche digitale Knappheit

Die Frage, wie er selbst die starken Kursschwankungen beim Bitcoin bewertet, beantwortet Dr. Gilbert Fridgen zunächst pantomimisch: Er zuckt mit den Schultern. Und fügt dann hinzu: « Ein Kurseinbruch von 50 Prozent beim Bitcoin, der schreckt mich nicht. Ich persönlich glaube, dass die prozentualen Schwankungen sich eher stabilisiert haben im Laufe der Zeit. Da waren am Anfang noch ganz andere Ausschläge drin. » Generell rate er potenziellen Anlegern, bei Investitionen in Kryptowährungen bis zum Totalverlust zu rechnen.

Seit 2020 bekleidet der Wirtschaftsinformatiker den vom « Fonds national de la recherche » (FNR) und dem Bezahldienstleister « Paypal » finanzierten « Lehrstuhl für Digital Financial Sevices » an der Universität Luxemburg. Bereits davor lag Gilbert Fridgens Forschungsschwerpunkt auf Technologien, die eine Dezentralisierung von Dienstleistungen ermöglichen. Vor seiner Professur in Luxemburg war er unter anderem einer der Mitgründer des « Blockchain Labor » des deutschen Fraunhofer-Instituts und befasste sich schon dort mit den technischen Hintergründen von Kryptowährungen.

Blockchain und die Bitcoin-Miner

Den Grundstein für die erste und heute noch größte Kryptowährung, Bitcoin, legt 2008 ein enigmatischer Informatiker. In einem « Whitepaper » skizziert Satoshi Nakamoto, über dessen wahre Identität bis heute spekuliert wird, was er sich darunter vorstellt. Bitcoin soll eine dezentrale digitale Währung sein. Will heißen: Weder eine Zentralbank noch sonst eine Institution sollen eine Kontrolle über die Währung ausüben können. Zudem wird die Menge an Bitcoins begrenzt, auf maximal 21 Millionen Stück.

Transaktionen finden ausschließlich von Nutzer zu Nutzer statt – kostenlos. Alles, was man braucht, ist eine Internetverbindung und eine verschlüsselte digitale Brieftasche. Um Doppelbuchungen zu vermeiden und Transaktionen nachvollziehbar zu machen, schlägt Satoshi Nakamoto den eigentlichen Clou vor: die Blockchain.

Dabei werden alle Bitcoin-Transaktionen in einem öffentlich zugänglichen Register gespeichert. Neue Transaktionen werden zu digitalen Paketen zusammengefügt, den Blocks. Diese bilden eine digitale Kette, anhand derer man alle Transaktionen bis zur allerersten zurückverfolgen kann. Verifiziert werden die Blöcke von Rechnern, die an das Blockchain-Netzwerk angeschlossen sind. Diese liefern sich, vereinfacht ausgedrückt, einen mathematischen Wettkampf darum, wer den nächsten Block an Transaktionen beglaubigen kann. Jener Rechner, der gewinnt, wird mit Bitcoins belohnt. Bei diesen Rechnern spricht man von Bitcoin-« Miners », also Bergleuten, weil sie, bildlich gesprochen, Bitcoins schürfen.

Für den Hype rund um Kryptowährungen hat Gilbert Fridgen eine relativ einfache Erklärung: « Das Besondere an Kryptowährungen ist zunächst einmal, dass man es geschafft hat, eine künstliche Knappheit zu erzeugen, die es im digitalen Umfeld ja eigentlich nicht gibt. » Dass Menschen dem dann einen Wert beimessen würden, sei eigentlich nicht weiter besonders, so der Experte. Er zieht einen Vergleich zu Edelsteinen: « Man könnte jetzt blöd sagen, warum ist ein Diamant etwas anderes als ein anderer Stein? Weil der so hübsch glitzert? Was ich damit sagen will: Vieles, was an Wert beigemessen wird, ist ja einfach nur das, was Menschen an Wert beimessen. »

Die Frage, warum einer Sache ein Wert beigemessen wird, sei schließlich eine Frage der Motivation, so der Forscher. Bei Kryptowährungen glaube er persönlich, dass die Motivation zuletzt häufig lautete: Da wird man reich, wenn man früh genug kauft.

Auf dem Weg in den Mainstream

Es ist dies der Glaube, der Kryptowährungen in den vergangenen Jahren zunehmend den Weg geebnet hat, von einer Randerscheinung hin zum gesellschaftlichen Mainstream. Heute werben Popstars wie Influencer gleichermaßen für Bitcoin und Co. Der Autobauer Tesla ließ sich seine Fahrzeuge zeitweilig in Bitcoins bezahlen. Und El Salvador hat Bitcoin als erstes Land als Zahlungsmittel anerkannt und einen Teil seines Staatshaushalts in Bitcoin investiert. Mittlerweile sind Kryptowährungen ein Milliardengeschäft. Allein Bitcoin erreichte 2021 eine Markt-Kapitalisierung von mehr als einer Trillion Dollar.

Starke Kursschwankungen begleiten Bitcoin seit seiner Erfindung 2008. (Foto: Dylan Calluy/Unsplash)

Die Regulierungsbehörden stellt diese Entwicklung vor ein Problem. Schließlich gründen Kryptowährungen auch auf dem Versprechen, nicht nur dezentral zu sein, sondern auch weitestgehend anonym. Daraus ergeben sich grundlegende Fragen: Wie besteuert man den Gewinn, etwa jenen von Paul? Wer darf wie mit Kryptowährungen handeln? Was ist mit dem kriminellen Potenzial, das in Kryptowährungen steckt, wie der Möglichkeit der Geldwäsche?

Es sind Fragen, die sich auch die Behörden in Luxemburg stellen. Die Steuerfrage beantwortete die « Administration des Contributions Directes » (ACD) 2018 in einem Rundschreiben zu « Digitalem Geld ». Und anders als der Titel vermuten lässt, hielt die Behörde zunächst fest, was Kryptowährungen nicht sind, nämlich Geld. Denn sie seien nicht als legales Zahlungsmittel anerkannt und es gebe keine Zentralbank, die die Devise kontrolliere. Steuerlich handele es sich bei Bitcoin und Co. deshalb um einen immateriellen Vermögenswert, ähnlich einer Aktie. Demnach müssen Spekulationsgewinne von Privatpersonen versteuert werden, wenn zwischen Kauf und Verkauf der Kryptowährung weniger als sechs Monate liegen. Zudem ist man als Steuerzahler dazu verpflichtet, der Steuerbehörde Nachweise zum Kauf und Verkauf der Kryptowährungen vorlegen zu können.

Steigendes Interesse der Finanzindustrie

Der kommerzielle Handel mit Kryptowährungen unterliegt der Aufsicht der « Commission de surveillance du secteur financier » (CSSF). Die luxemburgische Finanzaufsicht bezog 2018 ebenfalls erstmals Stellung zu Kryptowährungen. Dabei warnte sie einerseits vor den Gefahren für Anleger bei Kryptowährungen. Anderseits betonte sie, dass für in Luxemburg angesiedelte Handelsplattformen, die Kryptowährungen verkaufen, die gleichen Regeln gelten wie für andere digitale Zahlungsdienstleister. So musste etwa die Plattform « Bitstamp » eine Lizenz bei der CSSF beantragen und sich verpflichten, verdächtige Transaktionen an die Behörden zu melden.

Laut Aktivitätsbericht der « Cellule de renseignement financier » (CRF) erhielt die Behörde 2020 rund 25.000 Hinweise auf verdächtige Transaktionen von den in Luxemburg registrierten Plattformen. Der Verdacht reichte dabei von Betrug, über mögliche Verbindungen zu illegalen « Darknet »-Märkten bis hin zur Terrorismusfinanzierung.

Trotz dieser Schattenseiten stoßen Kryptowährungen mittlerweile auch in der traditionellen Finanzwelt auf steigendes Interesse. So ergab jüngst eine Umfrage von « PwC », dass von 123 befragten Finanzunternehmen in Luxemburg immerhin 43 Prozent davon überzeugt sind, dass in den kommenden zwei Jahren Kryptowährungen eine strategische Priorität in ihrem Geschäft einnehmen werden. Der Hauptgrund dafür: die Kundennachfrage. Als problematisch sehen die Befragten jedoch weiterhin das Thema Geldwäsche, den hohen Stromverbrauch sowie den vermeintlich rein spekulativen Wert der Währungen. Für die Zukunft wünschten sich 89 Prozent der Befragten die Unterstützung der Regierung sowie klare regulatorische Richtlinien durch die Finanzaufsicht.

Die Grenzen der Regulierung

Die CSSF versuchte die Frage, wer wie in Kryptowährungen investieren darf, Ende letzten Jahres in zwei Leitfäden zu skizzieren. Demnach sind Investitionen von Pensionsfonds und anderen institutionellen Anlegern in Kryptowährungen untersagt. Anders sieht es bei sogenannten « Alternative Investment Funds » (AIF) aus, die sich an professionelle Anleger richten. Diese dürfen investieren. Für Banken und Kreditinstitute in Luxemburg gilt: Klassische Bankkonten dürfen nicht in einer Kryptowährung eröffnet werden. Dennoch dürfen Banken Kryptowährungen für ihre Kunden verwahren. Für diese gelten dann die gleichen Richtlinien wie für Aktiendepots.

Diese ersten Regulierungsversuche können dennoch nicht über einen Sachverhalt hinwegtäuschen, den die CSSF bereits 2018 unterstrich: Durch ihren transnationalen Charakter lassen sich die Kryptowährungen nur schwer auf nationaler Ebene regulieren.

Bitcoin-Mining steht wegen des hohen Stromverbrauchs häufig in der Kritik. (Foto: Artie Medvedev/Shutterstock.com)

Es ist ein Punkt, den auch Dr. Gilbert Fridgen im Gespräch mit Reporter.lu veranschaulicht: « Es hat sich um diese Kryptowährungen ein ganzes Ökosystem gebildet, bis hin zu kompletten Finanzinstitutionen, die rein virtuell existieren. Jetzt ist die Frage: Wohin schickt denn die CSSF den Brief, um zu fragen, welche regulatorischen Vorgaben sie erfüllt und wie? Es gibt keine Postadresse und die Entwickler, die das machen, die haben zum Teil ein Pseudonym und arbeiten komplett anonym. Es ist schon noch ein bisschen Wilder Westen. »

Innovation und Eigenverantwortung

Als mögliche Gefahr sieht der Forscher dabei, dass man die Regulatorik jetzt übersteuere und dadurch innovative Entwicklungen abwürge. « Dann kommt die nächste Innovation in Europa im Zweifelsfall wieder aus den USA. Und dann ist sie wieder nicht so umgesetzt, wie wir Europäer uns das vorstellen. So wie bei den sozialen Netzwerken heute, » erklärt Gilbert Fridgen.

Du kannst irgendjemandem auf der Welt Geld schicken, ohne dass das jemanden interessiert oder jemand die Kontrolle darüber hat. Ich finde, das muss es geben. »Paul, ehemaliger Bitcoin-Investor

Man müsse zudem anerkennen, dass Technologien wie Kryptowährungen eine Innovation mit sich bringen, die es erlauben könnte, Prozesse in der Finanzindustrie, die heute noch unnötig komplex sind, zu digitalisieren. « Vielleicht muss man Anlegern ab einem gewissen Punkt auch einfach sagen: Leute, wenn ihr das macht, okay, wir wollen es euch nicht verbieten, aber wenn ihr all euer Geld verliert, beschwert euch nicht », so Gilbert Fridgen.

Für Eigenverantwortung plädiert auch Paul nach seiner Bitcoin-Erfahrung: « Auch bei Aktien gibt es immer ein Risiko. Der Kurs kann auch da auf null fallen. Aber ich finde die Idee hinter Bitcoins weiterhin gut, also, dass man anonym Geld transferieren kann. Du kannst irgendjemandem auf der Welt Geld schicken, ohne dass das jemanden interessiert oder jemand die Kontrolle darüber hat. Und ohne dass irgendjemand daraus Profit zieht. Ich finde, das muss es geben. »


* Name wurde von der Redaktion geändert