In der Hauptstadt schließen immer mehr Geschäfte. Weitere stehen mit dem Rücken zur Wand. Zu den Gründen gehören auch die diversen Baustellen in der Innenstadt und im Bahnhofsviertel. Nur wenige haben aber ein Anrecht auf Entschädigung etwa durch den Trambetreiber Luxtram.
Zwischen dem « Rousegärtchen » und der « Paräisser Plaz » halten es nur die hartnäckigsten Geschäftsleute aus. Mindestens fünf Schaufenster stehen leer in der « Avenue de la liberté ». „Hier ist fast nichts mehr“, sagt der Geschäftsführer von Extrabold, Antoine Weber. Sein Laden ist eine der seltenen Mode-Boutiquen in dieser Ecke und besonders bei der jüngeren Generation angesagt. Dennoch ist auch er auf die Laufkundschaft angewiesen, die wegen der andauernden Arbeiten an der zukünftigen Tramstrecke zunehmend ausbleibt.
Während mehreren Monaten war der Zugang zu seinem Geschäft nur auf Umwegen möglich, erzählt Antoine Weber. Am Schaufenster selbst führte zum Teil nicht immer ein durchgehender Gehweg vorbei. „Wir sind sehr stark von der Tram-Baustelle betroffen“, berichtet der Geschäftsmann im Gespräch mit REPORTER.
„Ein Teil der Kundschaft blieb einfach aus. Es war sehr beängstigend“, so Antoine Weber weiter. „Ich habe mir in den vergangenen Monaten viele Fragen gestellt.“ Seinen Angaben zufolge ist sein Umsatz zwischen Januar und Juni dieses Jahres im Vergleich zum selben Zeitraum im Vorjahr um über 20 Prozent geschrumpft.
Ein Überlebenskampf für manche Geschäfte
Im Vergleich zu anderen Einzelhändlern in der Modebranche, für die die Baustellen zum Überlebenskampf werden, hat Antoine Weber einen erheblichen Vorteil: Sein Geschäft macht seit Jahren Gewinn. Das belegen Angaben im Handelsregister.
Gelassen sieht Antoine Weber die Sache dennoch nicht. Wie alle anderen hat er Fixkosten, Personalausgaben und muss die Kosten für den Einkauf der nächsten Kleiderkollektion vorstrecken. Für ihn steht fest, dass die Geschäftszahlen in direktem Zusammenhang mit der Baustelle vor seiner Haustür stehen.
Was diese Baustelle und die Versperrung seines Schaufensters konkret bedeutet, kann er an einem handfesten Beispiel festmachen: „Vor zwei Wochen wurde die Baustelle an einem Mittwoch gegen 16 Uhr abgebaut und plötzlich hatten wir das Geschäft zwischen 16 und 18 Uhr voll mit Kunden“, berichtet er. Die Freude war jedoch nur von kurzer Dauer: Wenige Tage später wurde die Straße erneut aufgerissen.
Noch keine Entschädigung von Luxtram
Seinen Entschädigungsantrag will der Geschäftsführer von Extrabold demnächst beim Betreiber Luxtram einreichen. Doch er macht sich keine Illusionen. Er rechnet nicht damit, dass er kurzfristig entschädigt wird. Und auch nicht damit, dass diese Entschädigungssumme angesichts der Geschäftszahlen auch nur ansatzweise ins Gewicht fällt. Für eine Entschädigung durch Luxtram kommen nur Geschäfte in Frage, die sich unmittelbar an der Tram-Trasse befinden und deren Aktivität im Zeitraum der Bauarbeiten im Vergleich zu vorher nachweislich gesunken ist.
Es gibt keinen empirischen Beweis dafür, dass die Ladenschließungen mit den Baustellen zusammenhängen. »Serge Wilmes, Erster Schöffe der Stadt Luxemburg
Dazu zählt auch der Frisörsalon „Dessange“ in der Avenue de la Liberté. Ein Entschädigungsdossier haben auch sie noch nicht eingereicht. „Da wir weitere Salons haben, ist der Rückgang unseres Umsatzes, der auf die Arbeiten der Tram zurückzuführen ist, für uns nicht dramatisch“, so ein Verantwortlicher, der seinen Namen nicht in den Medien lesen möchte. Allerdings: „Hätten wir nur einen Laden gehabt, hätten wir es nicht geschafft.“

Das Café Knopes nebenan sei seinerseits „von der Baustelle nicht sehr betroffen“, wie der Inhaber erklärt. „Wir haben unser Café vor einem Jahr eröffnet und unser Umsatz entspricht unseren Prognosen“, sagt Fabien Knopes auf Nachfrage von REPORTER. „Wir sind aber sicher, dass die Geschäftszahlen ohne Tram besser gewesen wären.“ Für Entschädigungen durch Luxtram kommt er nicht in Frage, da sein Café in einer Nebenstraße der „Neier Avenue“ liegt.
Auch die Innenstadt hat das Nachsehen
Auch die große Mehrheit der Geschäfte der Innenstadt können bei Luxtram keine Entschädigungen beantragen – die meisten aktuellen Baustellen sind nicht auf die Tram zurückzuführen. Doch auch diese Geschäftsleute leiden.
Rund um die Baustelle in der Rue de la Boucherie etwa wurden jüngst zwölf leere Schaufenster gezählt. „Eine Katastrophe », sagt Carolyn Gobran, Inhaberin von „Honey Mustard“. Ihre Boutique befindet sich in unmittelbarer Nähe der Baustelle, unweit des Palais. Und auch nur wenige Schritte von der nächsten Dauerbaustelle auf dem « Knuedler » entfernt.
In Voraussicht möglicher Verluste entschieden sie und ihr Businesspartner bereits vor drei Jahren, ihre Hauptaktivität in ein neues Geschäft außerhalb der Stadt zu verlagern. „Wir wussten, dass die Baustellen die Stadt lahmlegen würden. Hätten wir das zweite Geschäft nicht eröffnet, hätten wir nicht überlebt », sagt sie. „An guten Tagen, hatten wir unter der Woche fünf Kunden. So macht man kein Geschäft. »
Die Flucht aus dem Zentrum lohnt sich
2017 sank ihr Umsatz in der Innenstadt im Vergleich zum Vorjahr um 30 Prozent. 2018 musste sie nochmals Einbußen von 50 Prozent hinnehmen, sagt Carolyn Gobran. Für den Laden in der Innenstadt wäre dies beinahe der Todesstoß gewesen. „Zum Glück eröffnete unser neues Geschäft im selben Jahr », sagt sie. Dort, in einem Einkaufszentrum außerhalb der Hauptstadt, wird heute der Hauptteil der Einnahmen generiert.
In ihrem Geschäft in der Innenstadt beschäftigt die Unternehmerin heute weniger Personal als vor einem Jahr. Auch die Kosten hat sie mittlerweile ganz bewusst reduziert. „Ich habe die Mietpreise mit dem Besitzer der Geschäftsfläche in der Innenstadt verhandeln können. Ich hatte das Glück, dass er einer Senkung der Miete um 40 Prozent zustimmte. Es war das, oder wir hätten in der Innenstadt schließen müssen. »

Für Carolyn Gobran macht es wenig Sinn, dass nur jene Geschäftsleute entschädigt werden, die die Tram direkt vor ihrer Haustür haben. „Denn wir leiden alle », sagt sie. Dass ihre ehemalige Kundschaft aus der Stadt jetzt in der neuen Boutique einkauft, ist für sie der Beweis, dass die Textil-Branche in Luxemburg noch eine Zukunft hat. Und dass man den Kunden aber unbedingt gute Zugangsbedingungen und ausreichend Parkplatzmöglichkeiten bieten muss.
Auch die Gewerbebranche sei von einer geringeren Laufkundschaft betroffen, sagt Carolyn Gobran, die vor wenigen Monaten ein Café in ihr Geschäft integrierte. Dieser neue Zweig biete den Vorteil, das Bedürfnis der zahlreichen Arbeitnehmer der Umgebung in der Mittagspause abzudecken. Zudem hat sie dadurch einen Untermieter gefunden und konnte die laufenden Kosten so weiter senken.
Politik spricht von vielfältigen Ursachen
Das Phänomen und das Klagen der Geschäftsleute ist nicht neu. Bereits seit 2016 beschweren sich Unternehmer und Anwohner über die Dauerbaustelle am « Knuedler », die erst 2021 abgeschlossen sein soll. Die Arbeiten zur Erneuerung der Wasserrohre in der Rue de la Boucherie sollen noch bis Herbst 2020 andauern.
Der zuständige Schöffe der Hauptstadt, Serge Wilmes, versucht zu beschwichtigen: „Es gibt keinen empirischen Beweis dafür, dass die Ladenschließungen mit den Baustellen zusammenhängen.“ Die Ursachen seien vielfältig, sagt der CSV-Politiker. Besonders in der Altstadt hätten sich einige Geschäftsleute schon länger über zu wenig Laufkundschaft beklagt, erinnert er sich. Auch vor dem Beginn der großräumigen Baustellen.
Tatsächlich sind nicht alle Schließungen der Umgebung auf die Bauarbeiten zurückzuführen: Die Maison Lassner steht etwa schon eine gefühlte Ewigkeit leer – dort soll bald ein neues Restaurant eröffnen. Der Geschäftsführer eines weiteren Ladens ist vor Kurzem unerwartet verstorben – die Aktivität wurde eingestellt.
Noch kein Ende der Baustellen in Sicht
Und auch nicht alle Geschäftsleute schätzen die Situation als gleich schlimm ein. Der Frisörsalon Dessange, der am Bahnhof Kunden verlor, hat dieses Phänomen in der Hauptstadt nicht festgestellt, heißt es. Die Rue du Curé, ebenfalls eine ausgewiesene Baustelle beim großherzoglichen Palast, biete den Vorteil, schon immer eine Fußgängerzone zu sein. Hier hätten die Kunden ihre Gewohnheiten nicht umstellen müssen – im Gegensatz zum Bahnhof, wo die geänderte Verkehrsrichtung etwa den Zugang zum zentralen Parkhaus zeitweise beeinträchtigt habe.
„Natürlich darf man das Problem der schließenden Geschäfte nicht kleinreden“, sagt Serge Wilmes. „Prozentual gesehen, ist der Leerstand in der Innenstadt aber im Vergleich zur Anzahl von Geschäftsflächen oder im Vergleich zu Esch/Alzette oder dem Ausland niedrig.“ Konkrete Zahlen nennt der Erste Schöffe von Luxemburg-Stadt allerdings nicht.
Die befragten Geschäftsleute der Innenstadt äußern sich hartnäckig und erfinderisch. Die Hoffnung auf ein Ende der Baustellen stirbt denn auch zuletzt. Doch das herbeigesehnte Ende ist noch nicht in Sicht. Demnächst soll nach dem « Knuedler » auf der « Place du Théâtre » ein weiteres Parkhaus zu Renovierungszwecken schließen. Die Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP) hat wiederholt darauf hingewiesen: „2020 gëtt dat schlëmmste Joer a Saache Chantieren. »
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