Krankenpfleger gelten in der aktuellen Corona-Krise als systemrelevant. Trotz einer vergleichsweise guten Bezahlung ist ihr Beruf in Luxemburg aber nicht allzu beliebt. Auch, weil bisher der politische Wille fehlt, um die Arbeit und Ausbildung der Pfleger aufzuwerten.
Jeden Abend stehen auch in Luxemburg Menschen im Vorgarten oder auf dem Balkon und klatschen für das Pflegepersonal. Es ist ein Dankeschön an diejenigen, die in dieser Krise „an der Front“ arbeiten, sich um Patienten kümmern und dabei ihre eigene Gesundheit aufs Spiel setzen. Wohl kaum jemand würde mit ihnen tauschen wollen, besonders in der andauernden Covid-19-Pandemie.
Das Klatschen ist gut gemeint. Doch die Solidarität der Bevölkerung kann eine wirkliche Anerkennung der Arbeit nicht ersetzen. Das Pflegepersonal fordert seit Jahren von der Politik eine Aufwertung ihres Berufes, mehr Verantwortung und mehr Eigenständigkeit.
Dabei geht es nicht in erster Linie um Geld. In Luxemburg haben Pflegekräfte einen vergleichsweise attraktiven Kollektivvertrag, vor allem in den Krankenhäusern. Laut einer Studie der OCDE von 2015 über die Gehälter von Krankenpflegern liegt Luxemburg weltweit auf Platz eins. 94.200 US-Dollar bzw. rund 86.600 Euro verdienen Krankenpfleger in einem Luxemburger Krankenhaus durchschnittlich im Jahr. Zum Vergleich: In Deutschland liegt das Jahresgehalt im Schnitt bei 49.300 Euro, in Frankreich bei 39.000 Euro.
Auf das Helfen reduziert
„Uns geht es nicht ums Geld“, sagt auch Anne-Marie Hanff von der „Association Nationale des Infirmières et Infirmiers du Luxembourg“ (ANIL). Stattdessen fordert sie, dass ihr Beruf endlich attraktiver gestaltet wird. Pflege sei eben ein Beruf, für den es nicht nur ein gutes Gehalt, sondern auch eine professionelle Ausbildung und Wertschätzung braucht, so die Präsidentin des Berufsverbandes der Krankenpfleger.
Wir sind eines der wenigen Länder, die Pflegern keinen Bachelor anbieten. Die Schüler in Luxemburg sind dadurch ganz klar benachteiligt. »Romain Poos, Conseil Supérieur de Certaines Professions de Santé
Letzteres wünschen sich viele Krankenpfleger vor allem durch Anerkennung im Alltag und Karriereperspektiven. Denn oft gelten Pfleger immer noch als jene, die das ausführen, was die Ärzte ihnen vorschreiben. „Es herrscht immer noch das Bild in den Köpfen, dass wir kaum eigenständige Entscheidungen treffen“, sagt Anne-Marie Hanff. Dabei seien sie es, die den Patienten beobachten und die meiste Zeit mit ihm verbringen. „Wir wollen endlich als vollwertige Professionelle angesehen werden und nicht nur als Helfende.“
Es ist dieses Bild, das auch Teile der Politik von den Krankenpflegern haben. So schreibt es zumindest die Expertin Marie-Lise Lair in ihrer Untersuchung der Gesundheitsberufe in Luxemburg. Die Politik habe ein « eher konservatives » Bild der Pfleger, heißt es dort. Die Krankenpfleger seien die Assistenten der Ärzte und ihnen werde kaum Eigeninitiative zugetraut.
Veraltete Klinik-Hierarchien
Es hängt aber auch davon ab, wie viel Verantwortung man den Pflegern geben will. In der Krankenhaus-Hierarchie stehen die promovierten Mediziner immer noch an erster Stelle. Für Anne-Marie Hanff ist aber auch dieses Bild veraltet. Würden Krankenpfleger mehr Eigenverantwortung bekommen, würde das auch die Zusammenarbeit mit den Medizinern verbessern – und diese Synergien würden wiederum dem Patienten zugute kommen.
„Wir könnten interdisziplinär viel enger zusammenarbeiten und uns gegenseitig beraten“, sagt Anne-Marie Hanff. Dabei gehe es nicht darum, anderen etwas wegzunehmen, sondern darum « eigenständiger handeln zu können ». „Wir könnten beispielsweise kleinere Wunden in den Notaufnahmen nähen oder Herz und Lungen abhören“, so die ANIL-Präsidentin.
Die sogenannten ‘wichtigen’ Posten innerhalb der Pflege werden oftmals von Personen übernommen, die ihre Ausbildung im Ausland absolviert und ein angesehenes Diplom wie einen Bachelorabschluss haben. »Anne-Marie Hanff, Präsidentin der ANIL
In anderen Ländern sei dies bereits möglich. Dort könnten Krankenpfleger in bestimmten Bereichen sogar Medikamente verschreiben. In Luxemburg bräuchte es dafür erst einmal den politischen Willen. Denn wer welche Aufgaben erledigen darf, ist nicht nur eine Frage des Könnens, es ist auch gesetzlich in den für Pfleger definierten « Attributions » festgehalten.
Indes könnten die Aufgabenbereiche der Krankenpfleger in Zukunft noch wichtiger werden – vor allem deshalb, weil ein Mangel an Ärzten im Land droht und die Kompetenzen schon alleine deshalb vielleicht neu verteilt werden müssen.
« Schwächste Ausbildung in Europa »
Aktuell hält sich das Interesse am Beruf in Luxemburg aber noch in Grenzen. Das Land ist stark von den Nachbarländern abhängig. 65 Prozent der Krankenpfleger sind Berufspendler – 30 Prozent kommen aus Frankreich, 23 Prozent aus Deutschland und 12 Prozent aus Belgien. Bleiben lediglich 35 Prozent der Pflegekräfte, die im Großherzogtum ansässig sind.
Ein Problem könnte dabei auch das Luxemburger Diplom sein: Die Schüler erhalten am Ende ihrer Ausbildung am Lycée Technique pour Professions de Santé lediglich ein BTS-Diplom – und haben damit kaum Aufstiegschancen. „Die sogenannten ‘wichtigen’ Posten innerhalb der Pflege werden oftmals von Personen übernommen, die ihre Ausbildung im Ausland absolviert und ein angesehenes Diplom wie einen Bachelorabschluss haben“, so Anne-Marie Hanff, die selbst ein Bachelor- und Masterstudium in Pflegewissenschaft absolviert hat.

Pfleger aus Luxemburg können sich hingegen kaum weiterentwickeln, eine Karriere ist kaum möglich. Die Ausbildung in Luxemburg dauert zwar mit vier Jahren länger als ein klassischer Bachelor-Studiengang im Ausland – sie ist aber unter dem Strich weniger wert. „Wir sind eines der wenigen Länder, die Pflegern keinen Bachelor anbieten“, sagt auch Romain Poos vom Conseil Supérieur de Certaines Professions de Santé. „Die Schüler in Luxemburg sind dadurch ganz klar benachteiligt.“
Marie-Lise Lair spricht in ihrer Studie gar davon, dass Luxemburg eines von vier Ländern in Europa ist, das « die schwächste Ausbildung » für Krankenpfleger anbietet.
Ungleiche Karrierechancen
Wer sich dennoch nach seinem LTPS-Abschluss im Ausland weiterbilden will, hat kaum eine Möglichkeit dazu. Der BTS-Abschluss ist kein international anerkanntes Diplom, der Zugang zu europäischen Hochschulen bleibt somit meist verwehrt. LTPS-Schüler können mit ihrem BTS-Diplom später nicht einmal Ausbildende am LTPS werden – denn auch dazu braucht es einen Bachelor.
« Im Ausland haben Pfleger nach ihrem Bachelor die Möglichkeit, sich im Bereich der Onkologie oder der Palliativmedizin in Masterstudiengängen weiterzubilden », sagt Gilles Evrard, Präsident der Association Luxembourgeoise des Enseignants pour Professions de Santé. « Sie sind somit perfekt ausgebildet für die Pflege ihrer Patienten. » Je besser sie ausgebildet seien, desto mehr bringe es am Ende dem Patienten.
Es geht nicht darum, dass in Zukunft jeder Pfleger einen Masterstudiengang machen soll. Diejenigen, die die Kompetenzen und den Willen haben, sollten aber die Möglichkeit dazu bekommen. »Gilles Evrard, Association des Enseignants pour Professions de Santé
Tatsächlich wird mit der Medizin auch die Pflege immer spezifischer. In anderen Ländern können sich Krankenpfleger in Fachbereichen wie Diabetologie, Kardiologie oder der Onkologie fortbilden lassen, es gibt außerdem Studiengänge zum Pflegemanagement oder allgemeine Pflegewissenschaften.
In Deutschland können Frauen ihre Kinder in sogenannten Geburtshäusern auf die Welt bringen. Geleitet werden diese nicht von Ärzten, sondern von ausgebildeten Hebammen. Der Arzt ist nur dabei, falls es zu Komplikationen kommen sollte.
Auf das Ausland angewiesen
Die Debatte um eine Akademisierung der Pflege-Ausbildung gibt es in Luxemburg seit Jahren. Vor allem das Hochschulministerium stelle sich aber bei den Gesprächen quer, erklärt Romain Poos vom Conseil Supérieur de Certaines Professions de Santé. Das Argument: Pflege sei kein akademischer Beruf, sondern eher ein Handwerk.
Wichtige akademische Kompetenzen bringt momentan vor allem das Pflegepersonal aus den Grenzregionen nach Luxemburg. Sie würden „die Mängel der nationalen Ausbildung ausgleichen“, schreibt etwa Marie-Lise Lair.
Wenn die Grenzen geschlossen werden, können wir auch die Krankenhäuser schließen. »Xavier Bettel, Premierminister
Luxemburg hat demnach allen Grund dazu, an seiner Ausbildung für Pfleger zu feilen. « Es geht nicht darum, dass in Zukunft jeder Pfleger einen Masterstudiengang machen soll. Diejenigen, die die Kompetenzen und den Willen haben, sollten aber die Möglichkeit dazu bekommen », so Gilles Evrard von der Association Luxembourgeoise des Enseignants pour Professions de Santé.
Nachholbedarf besteht auch schon, wenn sich Luxemburg an die Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) halten will. Die WHO schlägt nämlich vor, dass Staaten ihre Abhängigkeit von Pflegepersonal, das im Ausland ausgebildet wurde, bis 2030 um 50 Prozent reduzieren sollen. Für Luxemburg würde das angesichts der Mängel im Ausbildungssystem einen großen Kraftakt bedeuten.
Warum kein Bachelor?
Stand heute ist das Land von diesem Ziel noch meilenweit entfernt. Das weiß auch die Politik. Premierminister Xavier Bettel (DP) drückte es zu Beginn der Pandemie in drastischen Worten aus: « Wenn die Grenzen geschlossen werden, können wir auch die Krankenhäuser schließen. » Nur Ausnahmeregeln für Pendler konnten am Ende Schlimmeres verhindern.
« Es ist ganz einfach: junge Menschen wollen heute studieren. Warum sollte ein Pfleger nicht wie jemand der Wirtschaft studiert, einen Bachelor absolvieren können? », fragt Romain Poos. « Wenn wir das nicht ändern, gehen uns irgendwann die Leute aus. »
Die geplante « Medical School » an der Uni Luxemburg würde sich seiner Meinung nach dafür anbieten, nicht nur Ärzten, sondern auch Pflegern in Luxemburg einen Bachelor-Studiengang anzubieten. Das würde auch die Bindung zwischen Pflegern und Ärzten von Anfang an stärken und das bestehende Hierarchie-Denken auflockern. Mediziner hätten dann vielleicht nicht mehr den gleichen Vorbehalt, wenn Pfleger einzelne Akte von ihnen übernehmen würden.
Politik denkt über Reform nach
Anfang des Jahres wurde der Bachelorstudiengang für Medizin von der Universitätsleitung vorgestellt. Von einer « Faculté des Sciences infirmières » war bisher aber noch nicht die Rede.
Wichtig ist, dass sich die Menschen auch noch nach der Pandemie daran erinnern, wie wichtig die Pfleger für die Gesellschaft sind. »Gilles Evrard, Association des Enseignants pour Professions de Santé
Doch die Politik denkt zumindest darüber nach. Eine interministerielle Gruppe des Gesundheits- und Hochschulmninisteriums sollte bis zum Sommer ein Konzept ausarbeiten. Der Zeitplan dürfte sich aber angesichts der Corona-Krise verschieben.
Ein Problem lässt sich aber bereits jetzt erkennen: Der Bachelorstudiengang soll nicht etwa die BTS-Ausbildung ersetzen, so wie es sich die Akteure wünschen. Erst wer die vierjährige BTS-Ausbildung am LTPS abgeschlossen hat, darf danach einen Bachelor an der Universität Luxemburg absolvieren.
Eine Frage der Finanzierung
Es bleibt wohl auch eine Frage des Geldes. « Es ist immer das erste und einzige Argument, das die Politik bringt », sagt Gilles Evrard. Man könnte statt « Was kostet es? » auch einmal danach fragen, was es denn bringt. Eine hohe Qualifikation komme am Ende schließlich dem Patienten zugute, und somit auch der Gesellschaft.
Ein hochwertiger Studienabschluss könnte natürlich die Gewerkschaften mit Gehaltsforderungen auf den Plan rufen. Marie-Lise Lair macht in ihrer Untersuchung aber darauf aufmerksam, dass die Gehaltsstufen zumindest aktuell nicht an Diplomen der Pfleger festgemacht werden, sondern an ihrer Position innerhalb des Krankenhauses.
Fest steht, dass eine Aufwertung vielleicht nicht die Position der Pfleger verändert, ihren Aufgabenbereich aber um ein Vielfaches erweitern kann. Sie könnten Verbände wechseln, Wunden nähen, Medikamente rechtzeitig verabreichen – für viele würde bereits das ein Mehr an Wertschätzung bringen. « Wichtig ist, dass sich die Menschen auch noch nach der Pandemie daran erinnern, wie wichtig die Pfleger für die Gesellschaft sind », sagt Gilles Evrard.