Luc Frieden ist die große Überraschung im Feld der Spitzenkandidaten. Der Ex-Minister ist für seine politischen Gegner zwar eine dankbare Zielscheibe. Gleichzeitig könnte er der CSV und dem ganzen Wahlkampf eine neue Dynamik einhauchen. Eine Analyse.
Xavier Bettel, Paulette Lenert, Sam Tanson, Luc Frieden. Vier mehr oder weniger bekannte Köpfe, zwei Männer, zwei Frauen, und immerhin eine Überraschung: Zumindest personell wissen die Wählerinnen und Wähler schon heute, wer im kommenden Oktober zur Wahl steht.
Mit Luc Frieden haben dabei die wenigsten gerechnet. Zwar zirkulierte sein Name in CSV-Kreisen schon seit geraumer Zeit. Doch der Zeitpunkt seiner Verkündung war bis zuletzt nur einem kleinen Kreis innerhalb der Partei bekannt. Mit seiner anstehenden Kür hat die Oppositionspartei zumindest einen kleinen Coup gelandet. Luc Frieden ist das Überraschungsmoment in diesem Wahlkampf, aber auch eine große Unbekannte.
Spitzenkandidat als „Disruptor“
Die Personalie Frieden ist für die CSV nämlich ein zweischneidiges Schwert. Einerseits bietet der frühere Finanz- und Justizminister die perfekte Angriffsfläche für Kritiker aus dem linken Parteienlager. Er personifiziert den liberal-konservativen Flügel seiner Partei, steht für die Vergangenheit und ruft eine Reihe von politischen Affären in Erinnerung, die die CSV am liebsten hinter sich lassen würde.
Andererseits hat Luc Frieden aber auch ein hohes Disruptionspotenzial. Paradoxerweise könnte er gar als Erneuerer einer Partei fungieren, die seit rund zehn Jahren ohne Kompass, Konzept und Inspiration in der Opposition verkümmert. Er könnte der CSV ein klareres Profil verpassen und so zumindest kurzfristig eine neue politische Dynamik entfachen. Der 59-Jährige polarisiert, er ist ein Störfaktor in einer Zeit, in der viele andere Spitzenpolitiker ideologisch austauschbar wirken. Allein deshalb könnte er Bewegung in die eingefahrene politische Landschaft bringen.
Die dahinter stehende Strategie ist für die CSV aber mit Risiken verbunden. Denn damit sie gelingt, müsste die Partei sich inhaltlich festlegen und dürfte die Ideologie ihres neuen Spitzenkandidaten nicht verleugnen. Zudem müsste sie ihre politisch-strategische Lethargie überwinden und auf Konfrontation setzen. Sie müsste die Regierungsparteien offener angehen und eventuellen Widerstand von anderen Parteien aushalten. Kurz: Die CSV müsste nach zehn Jahren aus ihrem Oppositionsschlaf erwachen.
Liberal-konservative Wende
Luc Friedens Stärken sind gleichzeitig auch seine Schwächen. Er verkörpert wie kein Anderer in der CSV den Einsatz für eine liberale Finanz- und Wirtschaftspolitik und für ein konservatives Gesellschaftsbild – also zwei Überzeugungen, die ohnehin in der CSV mehrheitsfähig sind. Der so oft beschworene „soziale Flügel“ der Partei war nie ausschlaggebender Bestandteil der CSV-Ideologie und ist spätestens in dieser Legislaturperiode zum nostalgischen Beiwerk verkommen. Längst geben mit Gilles Roth, Laurent Mosar, Léon Gloden und auch Claude Wiseler in der CSV Politiker den Ton an, die Luc Friedens Grundüberzeugungen teilen. Seine Spitzenkandidatur erscheint in diesem Sinne nur konsequent.
Sollte die CSV versuchen, Frieden als modernen Mainstreampolitiker ohne Ecken und Kanten zu inszenieren, wäre diese Strategie zum Scheitern verurteilt. »
Rezent zeigt sich denn auch, dass ein dezidiert konservativer Kurs in der CSV als gemeinsamer Nenner für den kommenden Wahlkampf taugt. Das gilt für die Rückbesinnung auf traditionelle Werte in der Familienpolitik, Anreize für Privatinvestitionen im Wohnungsbau oder auch für die seit geraumer Zeit betriebene Renaissance der klassisch konservativen „Law-and-Order“-Politik. Ein nicht zu unterschätzender Punkt ist dabei: Im frühen Stadium des Wahlkampfs geht es zunächst darum, die eigenen Parteimitglieder zu motivieren und zu integrieren. Der nächste Schritt wäre, das eigene Wählerpotenzial zu mobilisieren, was für die durch zehn Jahre Opposition gelähmte CSV bereits eine Herausforderung ist.
Erst dann kommt die Königsdisziplin des Wahlkampfs ins Spiel: die Öffnung für andere Wählerschichten. Logischerweise könnte die CSV mit einem liberal-konservativen Kurs vor allem im Becken der DP- und ADR-Wählerschaft fischen. Das unklare Potenzial zur Stimmenmaximierung gehört zu den Kehrseiten einer solchen Wahlkampfstrategie. Zwar könnte die CSV so unzufriedene liberale und konservative Wähler ansprechen. Gleichzeitig könnte sie aber Gefahr laufen, weitere Wähler in der Mitte zu verlieren. Allerdings ist die „Mitte“ des politischen Spektrums in Luxemburg mit den Koalitionsparteien ohnehin übervölkert – auch hier ist also unklar, wie realistisch bedeutende Stimmenzuwächse sind.
Abgrenzung statt Anbiederung
Strategisch bleiben der CSV also drei Optionen: Entweder sie versucht, sich wie bisher als Alternative zu Blau-Rot-Grün anzubieten, ohne sich inhaltlich grundlegend von der Regierungspolitik abzugrenzen. Wohin dieser Ansatz führt, zeigt der konstante Abwärtstrend in den Umfragen. Oder sie versucht, die Koalitionsparteien links zu überholen. Dafür gäbe es zwar genügend Angriffsflächen, doch diese Strategie kann von einer CSV – zumal mit einem Spitzenkandidaten Luc Frieden – nicht glaubwürdig vertreten werden. Bleibt noch die dritte Variante einer Kampagne, die auf Frieden und den ideologischen Kern der Partei zentriert ist.
Mit dieser Strategie ist keineswegs ausgemacht, dass man bei den Wahlen besser abschneidet als bei rezenten Umfragen. Doch zumindest könnte die CSV so versuchen, im Wettbewerb mit den anderen Parteien zu punkten und den anhaltenden Abwärtstrend in der Wählergunst abzuwenden. Diese Überlegung scheint auch bei manchen Parteistrategen für die Option Luc Frieden gesprochen zu haben. Nach dem Motto: Viel schlimmer als aktuell kann es ohnehin nicht kommen.
Ein großer Vorteil dieses Ansatzes läge darin, dass sich Luc Frieden als Spitzenmann der CSV nicht verstellen müsste. So müsste er sich nicht als eine weitere Variante des pragmatischen, latent beliebigen „Sozialliberalismus“ neu erfinden, der bei allen ernstzunehmenden Konkurrenten auf den Premierposten und deren Parteien vorherrscht. Sollte die CSV versuchen, Frieden als modernen Mainstreampolitiker ohne Ecken und Kanten zu inszenieren, wäre diese Strategie wegen ihrer Durchschaubarkeit und mangelnden Glaubwürdigkeit zum Scheitern verurteilt.
Politiker mit „klarer Tendenz“
Dass Luc Frieden anecken kann und das Zeug zum „Disruptor“ hat, geht auch aus seiner langen, seit 2013 jedoch unterbrochenen politischen Vita hervor. Um zu wissen, für was er steht und was er politisch will, muss man aber nicht so weit zurückblicken. Auch auf einem seiner seitdem bekleideten Posten versuchte die neue, unverhoffte Premier-Hoffnung der CSV erfolglos seine Überzeugungen durchzusetzen. Die Rede ist von der Episode, als Luc Frieden dem Verwaltungsrat der Mediengruppe „Saint-Paul Luxembourg“ (heute: „Mediahuis Luxembourg“) vorstand.
Das „Pendel“ der Berichterstattung müsse wieder stärker nach Rechts bzw. „Mitte-Rechts“ ausschlagen, sagte Frieden damals in einer Versammlung von Journalisten des „Luxemburger Wort“. Zuvor hatte der Verwaltungsrat unter seiner Führung einen Wechsel der Chefredaktion veranlasst. Zu den Gründen gehörten laut Frieden selbst auch der Wunsch nach einer klareren politischen Ausrichtung der Tageszeitung. Das „Wort“, wie er es damals empfand und im Interview mit Reporter.lu ausdrückte, solle wieder eine Zeitung mit „einer klaren Tendenz“ sein, die „einen roten Faden in der Betrachtung und Abbildung der Gesellschaft“ erkennen lasse.
Nüchtern betrachtet könnte Luc Frieden für die CSV bis auf Weiteres die letzte Chance auf die Rückeroberung des Premierpostens sein. »
Luc Friedens Vision für eine „moderne Zeitung“ war damals übrigens deckungsgleich mit seiner politischen Grundüberzeugung, die er jedoch öffentlich gerne etwas politisch korrekt abschwächt: „Wir wollen eine Zeitung, die werteorientiert und in der Mitte der Gesellschaft verankert ist. Es geht um die Verteidigung der liberalen Demokratie, der Institutionen, des christlichen Menschenbildes und eine positive Sicht auf die Wirtschaft.“
Das Problem bei Luc Friedens damaligem Wirken war auch nicht unbedingt das Ziel oder die Intention, sondern die Machbarkeit. Denn um aus dem „Luxemburger Wort“ des Jahres 2017 wieder eine Partei- und Bistumszeitung zu machen wie Jahrzehnte zuvor, fehlten ihm schlicht die Journalisten, die diese Meinung teilten und umsetzen würden. Luc Frieden geht es meistens ums Prinzip. „Mitte-Rechts“ lautet seine Richtung – komme, was wolle. Und sei es die Realität.
Der Kandidat der letzten Chance
Was Friedens Restauration in der Medienbranche zum Scheitern brachte, könnte allerdings auch sein heutiges politisches Wirken schnell vor Probleme stellen. Zwar kann man davon ausgehen, dass er innerhalb der CSV genügend Unterstützer für seinen Kurs finden wird. Doch dann bleibt noch die Frage, ob seine Werte und Reformvorstellungen in der ganzen wahlberechtigten Bevölkerung Anklang finden werden. Und nicht zuletzt müsste er selbst im Erfolgsfall noch einen oder mehrere Koalitionspartner finden, die sein liberal-konservatives Programm längerfristig mittragen und umsetzen würden.
Letztlich hat Luc Frieden vielen seiner politischen Mitstreiter aber etwas Wichtiges voraus: Er hat im Prinzip nichts zu verlieren. Wenn die CSV so schlecht abschneidet wie bisher erwartet, oder sogar noch schlechter, wäre das für ihn persönlich sicher kein Weltuntergang. Und auch für die Partei wäre es verkraftbar. Denn Wahlen verlieren und nicht regieren, konnte die CSV auch schon ohne einen Spitzenkandidaten Luc Frieden. Sollte er jedoch ein positives Resultat einfahren, könnte er am 8. Oktober 2023 für eine Überraschung sorgen und seine 2013 abrupt unterbrochene politische Erzählung weiterführen. Nüchtern betrachtet könnte Luc Frieden für die CSV bis auf Weiteres die letzte Chance auf die Rückeroberung des Premierpostens sein.
Am Ende ist all dies aber doch sehr unwahrscheinlich. Denn die Voraussetzung wäre, dass die CSV sich tatsächlich traut, einen selbstbewussten und strategischen Wahlkampf zu führen. Wahrscheinlicher ist, dass sie versuchen wird, es allen und jedem recht zu machen, indem sie sich ein ähnlich schwammiges Programm gibt wie 2018, sich noch etwas verzweifelter als Koalitionspartner anbiedert als bisher und sich so am Ende irgendwie zurück an die Macht schleicht.





