Seit zehn Jahren beschäftigt sich die CSV mit sich selbst. Einen passenden Spitzenkandidaten hat sie in der Zeit nicht gefunden. Luc Frieden muss nun aus dem politischen Ruhestand zurückkehren. Diese Wahl zeigt, wie tief die Krise der Volkspartei ist. Eine Analyse.

Luc Frieden, 59 Jahre alt, Ex-Finanz- und Justizminister, Ex-Hoffnungsträger, Ex-Bankmanager und nun Spitzenkandidat der CSV. Der Politiker schien dem politischen Tode geweiht, nachdem er nach den Wahlen 2013 von der Oppositionsbank in die Privatwirtschaft wechselte. Zu groß war die Wut und Enttäuschung der verbleibenden Fraktionsmitglieder darüber, dass er die Partei genau dann hängen ließ, als sie eine neue Führungskraft am dringendsten benötigte. Doch Luc Frieden wäre nicht Luc Frieden, wenn er es nicht noch einmal versuchen würde. Bereits bei den Parlamentswahlen 2018 wollte er eigentlich als Spitzenkandidat ins Rennen gehen. Als das nicht aufging, versuchte er sich noch als Kandidat bei den Europawahlen und für einen Posten in der EU-Kommission anzubiedern. Die Europawahlen 2019 wurden allerdings zum Debakel für die CSV und somit galt auch die Karriere des einstigen natürlichen Nachfolgers von Jean-Claude Juncker als beendet.

Dieses Mal musste der Ex-Minister jedoch nicht selbst die Hand heben für eine Spitzenkandidatur. Bereits vor Monaten wurde über eine mögliche Kandidatur von Luc Frieden spekuliert. Ein kleiner Kreis an CSV-Mitgliedern brachte ihn wieder ins Rennen. Laut Informationen von Reporter.lu suchten Elisabeth Margue und Claude Wiseler als Co-Parteipräsidenten Ende vergangenen Jahres das Gespräch mit Luc Frieden, um zu klären, ob dieser Interesse an einer Spitzenkandidatur habe. In den folgenden Wochen sondierten die Parteivorsitzenden weiter, aber eine ernstzunehmende Alternative zu Luc Frieden gab es nicht.

Ein Mangel an Optionen

In zehn Jahren in der Opposition hat die Partei es nicht fertiggebracht, einen Kandidaten für die kommenden Wahlen aufzubauen. Zwar beschäftigte man sich durch die Freundeskreis-Affäre lange mit sich selbst, aber der zwischenzeitliche Vorsitzende Frank Engel war auch vor dem Gerichtsprozess keine ernstzunehmende Option für den Posten. Dafür fehlte ihm vor allem die Unterstützung der Fraktion. Als Parteipräsident wollte Claude Wiseler dann wieder Ruhe in die Partei bringen. Er wollte vermitteln, nicht kandidieren. Das sollten andere übernehmen.

Nach einer Wahlniederlage ist immer jemand verantwortlich und in diesem Fall war das Claude Wiseler.“eine parteinahe Quelle

Die Kandidatur von Luc Frieden ist auch als Eingeständnis der Fraktions- und Parteispitzen zu werten, nicht genügend Rückhalt zu haben. Allen anderen potenziellen Kandidaten für die Wahlen im Oktober fehlte es an Unterstützung entweder von der Fraktion oder der Parteibasis. Das gilt auch für die Fraktionsvorsitzenden. Martine Hansen und Gilles Roth sind bei der Basis nicht sonderlich populär. Als weitere mögliche Kandidaten galten auch Léon Gloden oder Serge Wilmes. Allerdings hätten alle diese Kandidaten – mit Ausnahme von Martine Hansen – im Falle einer nationalen Spitzenkandidatur auf ihren Anspruch auf den Posten des Bürgermeisters in ihrer jeweiligen Gemeinde verzichten müssen.

Für die Partei wurde die Reihenfolge der beiden Wahltermine demnach auch zu einem personellen Problem. Deshalb sollen die Spitzenkandidaten in den vier Bezirken für die Nationalwahlen auch erst nach den Kommunalwahlen bekanntgegeben werden. Einen nationalen Kandidaten konnten sie allerdings nicht erst im Juni ernennen, dafür wurde der Druck durch die Ernennung der Spitzenkandidaten von DP, LSAP und den Grünen zu groß.

Ein letzter möglicher nationaler Kandidat wäre Claude Wiseler selbst gewesen. Dieser hatte allerdings bereits bei seiner Kandidatur für den Parteivorsitz angekündigt, nicht als Spitzenkandidat anzutreten. Vor zwei Wochen bekräftigte er dies erneut. Er konnte nicht auf die Unterstützung der Fraktion zählen: „Nach einer Wahlniederlage ist immer jemand verantwortlich und in diesem Fall war das Claude Wiseler“, heißt es aus parteinahen Kreisen.

Der Default-Kandidat

Mit dem Ausscheiden aller Alternativen blieb nur noch eine Person übrig: Luc Frieden. Bei den Sondierungsgesprächen mit anderen Mitgliedern wurde offensichtlich, dass nur er allein zumindest auf eine gewisse Unterstützung in der Fraktion und bei der Parteibasis setzen kann.

Inzwischen versuchen die Parteigranden die Kandidatur als bewusste Wahl statt als Mangel an Alternativen zu verkaufen. Die CSJ, die Jugendpartei der CSV, stellte sich bereits am Sonntag demonstrativ einstimmig hinter Luc Frieden. Er sei der richtige Kandidat für diese Zeit. Dabei heben Parteimitglieder stets seine Kompetenzen als Krisenmanager hervor und verweisen auf sein Vorgehen während der Finanzkrise 2008. Dies soll ihn auf Augenhöhe mit den Spitzenkandidaten anderer Parteien bringen. Immerhin kandidieren für DP und LSAP mit Xavier Bettel und Paulette Lenert zwei Politiker, die sich während der Pandemie als Krisenmanager profilieren konnten. Ein weiterer Vorteil wäre, dass Luc Frieden im Zentrum direkt gegen Xavier Bettel antreten und der DP so gefährlich werden könnte, heißt es aus parteinahen Kreisen.

Die Begründungen wirken wie ein Versuch, die Entscheidung für Luc Frieden im Nachhinein zu rechtfertigen. Für eine gewisse Zeit war nicht gesichert, dass überhaupt ein nationaler Spitzenkandidat für die Konservativen ins Rennen geht. Vor gut einem Jahr hat die CSV ihre Statuten geändert, um eine Doppelspitze zu ermöglichen. Die nationale Kandidatur ist daher eher aus der Not geboren. Da selbst die Grünen mit Sam Tanson als Spitzenkandidatin in die Wahlen gehen dürften, konnte die größte Partei es sich nicht erlauben, auf einen Spitzenkandidaten zu verzichten.

Hauptsache Regierung

Aus Parteikreisen heißt es, man habe weiterhin den Anspruch, den Premierminister zu stellen. Dieser Anspruch schließt allerdings nicht aus, dass man bereit wäre, als Juniorpartner Teil einer Regierung zu sein. Die vergangenen zehn Jahre waren für die einst ewige Regierungspartei eine traumatische Erfahrung, die nun endlich hinter sich gelassen werden müsse. Je nach Wahlresultat sei man auch bereit, auf den Posten des Premierministers zu verzichten, wenn dies eine Regierungsbeteiligung ermögliche, geben einige Mitglieder hinter vorgehaltener Hand zu.

Kein Politiker der CSV schaffte es in den vergangenen zehn Jahren, eine glaubhafte Alternative zu den Regierungsparteien aufzubauen. (Foto: Mike Zenari)

Für die Partei geht es dabei nicht nur um den eigenen Machtanspruch. Durch das Luxemburger Wahlsystem ist eine Erneuerung der Partei am besten durch eine Regierungsbeteiligung möglich, da so jüngere und unbekanntere Gesichter ins Parlament nachrücken können.

Luc Frieden könnte zumindest die Hoffnung aufleben lassen, dass die Wahlen nicht bereits jetzt als verloren gelten. Er gilt als „Gamechanger“, der für eine Überraschung beim Wähler sorgen könnte. Ob die Rechnung aufgeht, hängt wohl auch von der programmatischen Ausrichtung des Wahlkampfes ab.

Das Profil schärfen

Der Präsident der Handelskammer gehört zum wirtschaftsliberalen Flügel der Partei. In der Euro-Krise war er vor allem für seine Austeritätspolitik bekannt. Sicherheitspolitisch gilt er ebenfalls als Hardliner in der Partei. Obwohl die CSV sich jetzt wohl notgedrungen hinter Luc Frieden stellen wird, kann er im Gegensatz zu Claude Wiseler oder Jean-Claude Juncker nicht alle Strömungen der Partei vereinen. „Wenn wir ihn jetzt als Spitzenkandidaten wählen, ist es klar, dass wir auf seine Wirtschaftskompetenz einen Fokus setzen. Das heißt aber nicht, dass die anderen Themen vergessen werden“, sagte Alex Donnersbach, Vorsitzender der Jugendpartei, bei „Radio 100,7“. Es gehe um das „Gesamtpackage“ der Partei, nicht nur um Luc Frieden. Dieses „Gesamtpackage“ aus inneren Widersprüchen konnte Jean-Claude Juncker stets nach außen einen, bei seinem ehemaligen Minister ist dies zu bezweifeln.

Doch genau diese fehlende Eigenschaft spricht für manche Mitglieder für die Kandidatur von Luc Frieden. Er könne wieder dafür sorgen, der Partei ein klares Profil zu geben und sich von den Regierungsparteien abzugrenzen. In den vergangenen Monaten hat die Partei bereits mehrmals zur Sicherheitspolitik Position bezogen. Zumindest in diesem Punkt kann man also davon ausgehen, dass Luc Frieden inzwischen auf die breite Unterstützung der Partei zählen kann.

Bei anderen Themenfeldern ist das nicht so klar. Darauf angesprochen, dass Luc Frieden in seinem Buch über ein Geschäftsmodell für Europa kein Wort über Klimapolitik verlor, erklärte Alex Donnersbach, dass der Ex-Finanzminister sich für nachhaltige Wirtschaft einsetze „und daraus ergibt sich natürlich auch, dass wir die Umwelt schützen müssen“. Selbst bei der Klimapolitik will die CSV also mit der Finanzkompetenz ihres Kandidaten punkten.

Die letzte Chance

Für die CSV ist die Kandidatur von Luc Frieden auch eine Abkehr von der Juncker-Ära. Dem ehemaligen Premier gelang es stets, sowohl den sozialen Flügel der Partei als auch den wirtschaftsliberalen Flügel zu bedienen. Durch die Rolle des Übervaters der Nation musste die CSV sich auch nicht auf einen Kurs festlegen. Sie musste ihre Politik lediglich vor dem Wähler verteidigen und mit der Kompetenz ihres Personals glänzen. Ohne Regierungsbeteiligung geht diese Strategie nicht auf. Das musste Claude Wiseler auf die harte Tour lernen.

Dieses Mal soll demnach alles anders werden. Dabei ist es sowohl für Luc Frieden als auch für die CSV die letzte Chance für ein politisches Comeback. Auch deshalb bleibt die Kandidatur trotz demonstrativ breiter Unterstützung nicht unumstritten.

Bei seiner absehbaren Kür zum Spitzenkandidaten am Mittwoch erwarten sich manche Parteimitglieder nicht nur Jubel, sondern auch kritische Nachfragen. Für Unmut sorgt weiterhin seine Entscheidung, im Juli 2014 einen gut dotierten Posten bei der Deutschen Bank in London anzunehmen, anstatt die Partei in der Opposition zu führen. Eine Bedingung seiner Partei war deshalb jetzt, dass Luc Frieden sich dazu verpflichtet, auch im Falle einer Niederlage im Parlament zu sitzen. Für wie lange ist allerdings nicht klar. Und auch für ihn würde dann gelten, dass er die Schuld für die Niederlage einstecken muss – eine erneute Kandidatur kann also ausgeschlossen werden.

Doch die Rolle von Luc Frieden in der Opposition wäre wohl das kleinste Problem für die Partei. Manche Mitglieder werden sich die Frage stellen, wie es sein kann, dass eine ewige Regierungspartei 15 Jahre lang nicht Teil der Regierung ist. Eine weitere Wahlniederlage könnte dafür sorgen, dass die CSV sich weitere fünf Jahre mit sich selbst beschäftigen muss, anstatt mit Politik. Das wäre dann nicht zuletzt auf Luc Frieden zurückzuführen. Dieser wollte sich auf eine Anfrage von Reporter.lu erst nach seiner offiziellen Ernennung äußeren.


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