Trotz Wahlniederlage will die LSAP wieder in die Regierung eintreten – und sich erneuern. In der Partei gibt es jedoch sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie diese Erneuerung aussehen soll. Porträt einer einstigen linken Volkspartei, die nach und nach in der Bedeutungslosigkeit versinkt.
An dem Tag, an dem er die Wahlen verlor, griff Etienne Schneider erneut zur Macht. Schon kurz nach 18 Uhr unterstrich der Spitzenkandidat bei RTL: „Es überrascht mich vor allem, wie deutlich die CSV aus der Opposition heraus verloren hat“. Schneider stellte damit früh am Abend seinen Machtinstinkt unter Beweis.
Der LSAP-Spitzenkandidat richtete sein Narrativ umgehend auf eine Neuauflage der Dreierkoalition aus. Dabei machten die Zwischenresultate, die im Clausener Melusina über den großen Bildschirm flimmerten, bereits zu diesem Zeitpunkt deutlich, dass die Regierungsbildung nicht in den Händen der LSAP-Führung liegen wird. Bei den früh ausgezählten Listenstimmen musste, neben der CSV, nämlich auch die LSAP eindeutige Verluste einstecken.
Trotz der Niederlage seiner Partei sollte Etienne Schneider Recht behalten. Als nach 22 Uhr feststand, dass die Regierungskoalition weiterhin eine Mehrheit besitzt, trat er vor den mäßig gefüllten Saal und verkündete: „Als Koalitioun hu mer insgesamt ee Prozent bäigewonnen. An all de Sondagen ware mer an de leschte Méint a Joren net méi gutt fir heeschen ze goen. Dat hu mer an de leschte véier Méint gedréint kritt.“ Schneider erntete Applaus, obwohl die LSAP an diesem Abend drei ihrer dreizehn Parlamentssitze einbüßte. „Weidermaachen!“, schrie ein erleichterter Genosse hinten im Saal.
Das sozialdemokratische Dilemma
Fünf Tage nach den Parlamentswahlen deutet alles darauf hin, dass die LSAP sich auch die nächsten fünf Jahre in der Regierung halten kann. Die Wahlniederlage führt der Partei jedoch vor Augen, dass Weitermachen wie bisher auf Dauer keine Option ist. Das schlechte Wahlresultat der LSAP ist nämlich ein weiterer Beweis, für einen langfristigen Negativtrend: Seit dem eindrucksvollen Wahlsieg von 1984, als die Partei 7 Parlamentssitze hinzugewann, schwindet die LSAP-Wählerschaft kontinuierlich dahin.
Es überrascht mich nicht, dass wir wieder Stimmen verloren haben“Sammy Wagner, früherer Präsident der Jungsozialisten
Die einstige Arbeiterpartei steckt wie andere sozialdemokratische Parteien in Europa in einer tiefen Identitätskrise, die sich seit Jahren anbahnte. Während die Sozialdemokraten versuchen, mit liberalen Positionen jüngere Wähler anzuziehen, kehrt der traditionelle Wählerstamm der Partei zunehmend den Rücken zu. Im Gegensatz zu ihren Schwesterparteien in Deutschland und Großbritannien gelingt es der LSAP aber bis heute sich an der Macht zu halten.

„Es überrascht mich nicht, dass wir wieder Stimmen verloren haben“, sagt Sammy Wagner am Wahlabend bei einer Flasche Bier im Melusina. Der 31-Jährige versucht seit einigen Jahren mit seinem Engagement etwas am verstaubten Image der Partei zu ändern. Von 2013 bis 2015 war er Präsident der Jugendpartei „Jonk Sozialisten“. Nach Reibereien mit der Parteiführung, beschränkt er seinen Einsatz heute größtenteils auf die lokale Ebene.
„Mit den ewig gleichen Parolen, wie ‚Finger weg vom Index!‘ oder ‚Wir stehen für sichere Renten!‘, erreicht man halt keine neuen Wähler“, so der angehende Physiklehrer. Die LSAP sei im 21. Jahrhundert als Partei „einfach nicht mehr sexy“. Einen Tag später legt der Jungsozialist nach. In einem wütenden Tweet fordert er, es sei an der Zeit, die Partei „auszumisten“, sie mehr für „Frauen und junge Politiker“ zu öffnen.
Politische Konkurrenz als Inspiration
Solche Kritiken sind nicht neu. In der LSAP gibt es seit Jahren immer wieder Forderungen nach einer personnellen und programmatischen Umstellung der Partei. Vor allem die Jungsozialisten und der linke Flügel melden sich parteiintern immer wieder mit kritischen Stellungnahmen zu Wort. Wie REPORTER berichtete, wollen diese Gruppen ihren Druck auf die Parteiführung nach der jüngsten Wahlniederlage verstärken, um die Erneuerung voranzutreiben.
Doch auch parteiinterne Kritiker tun sich schwer damit, klar zu definieren, welche Rolle die LSAP im 21. Jahrhundert spielen soll. „Et huet een haut keng Schmelz méi“, meint Sascha Dahm (26) in einer ersten Reaktion auf das schlechte Wahlresultat. „Deshalb müssen wir uns überlegen, wie wir die Mittelschichten verstärkt ansprechen können“. Der Literaturstudent, der voriges Jahr bei den Gemeindewahlen kandidierte, sieht die Wahlgewinner als Inspirationsquelle: „Den Piraten und den Grünen ist es mit jungen Kandidaten und modernen Themen, wie Umwelt und Digitalisierung, gelungen diese Wähler zu erreichen.“
Mäi Papp huet säi ganzt Liewen an der Minière geschafft. Hien ass als Sozialist gestuerwen, mee haut wären Leit wéi hien néi Lénker.“63-jähriger Gewerkschaftler aus Rümelingen
Dahm glaubt, die LSAP könne ihr Profil schärfen, wenn es gelingt, diese neuen Ansätze mit dem Streben nach sozialer Gerechtigkeit zu verbinden. „Es ist an uns, zu verhindern, dass die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinanderklafft. Umso mehr, weil durch die Digitalisierung viele manuelle Jobs verlorengehen,“ so der 26-Jährige. Um das zu erreichen, müsse ein „moderner Sozialismus“ entwickelt werden: „Was das genau bedeutet, muss erst definiert werden.“
Wie schwer es der 1902 gegründeten Partei fällt, ihre traditionellen Wurzeln mit der Moderne in Einklang zu bringen, lässt sich im industriell geprägten Süden des Landes beobachten – dem Kernland der LSAP. Im Südbezirk haben die Sozialisten nach wie vor ihren treuesten Wählerstamm. Doch auch hier können viele langjährige Anhänger sich immer weniger mit der Partei identifizieren.
Proletarische Nostalgie in Rümelingen
Drei Tage vor der Wahl lädt die LSAP-Sektion Rümelingen zu einer Wahlkampfveranstaltung mit Publikumsliebling Jean Asselborn ein: „Ouni Filter mam Jang“ im Café „Am Heim“. Gleich zur Begrüßung appelliert der joviale Außenminister an den Lokalpatriotismus seiner Zuhörer. „Rümelingen ist den meisten in der Partei ein Begriff“, wirft Asselborn in den Raum: „Ich gehöre einer Generation an, die sich regelmäßig im Keller dieses Hauses traf.“ Das überwiegend ältere Publikum lächelt wohlwollend, doch begeisterte Wahlkampfstimmung kommt nicht auf.
Der ehemalige Gewerkschaftstreff in der Rümelinger Grousstrooss ist im post-industriellen Zeitalter angekommen. Vom traditionellen Gewerkschaftsheim des OGBL ist nur noch die alte Sandsteinfassade übrig. In der modern eingerichteten Bar im Erdgeschoss dient die industrielle Vergangenheit als dekoratives Accessoire: An der hell gestrichenen Wand hängen schwarz-weiße Fotos von Hochöfen und Stahlarbeitern gleich neben Vinyl-Platten.

Doch in Rümelingen wissen viele Zuhörer noch was manuelle Arbeit im Alltag bedeutet. „Mäi Papp huet säi ganzt Liewen an der Minière geschafft“, betont ein anwesendes Mitglied, „hien ass als Sozialist gestuerwen, mee haut wären esou Leit néi Lénker.“
Der 63-jährige Gewerkschaftler sagt er sei selbst seit 35 Jahren LSAP-Mitglied. Er kann sich aber nur noch bedingt mit der Partei identifizieren, und sehnt sich nach alten Zeiten.
„Früher bestand die LSAP zur einen Hälfte aus Gewerkschaftlern und zur anderen Hälfte aus Akademikern. Das sorgte für lebhafte Debatten“, so der pensionierte Eisenbahner. Heute gebe es nur noch Akademiker an der Partei-Spitze, dadurch fehle der Bezug „zum arbeitenden Volk“. Auch das „Tageblatt“ hat Roger vor kurzem abbestellt. Die LSAP-nahe Zeitung sei heute nicht mehr „rot“: „Die vertreten mittlerweile eher grüne Positionen.“
Rümelingen ist im nationalen Vergleich weiterhin eine sozialistische Hochburg. Die LSAP blieb am Sonntag mit Abstand stärkste Partei in der Südgemeinde. Das war nur in vier anderen Gemeinden im Land der Fall. Auch in Rümelingen ging der Stimmenanteil im Vergleich zur letzten Parlamentswahl aber deutlich zurück. Während 2013 noch 36,3 Prozent der Rümelinger den Sozialisten ihr Vertrauen schenkten, waren es dieses Jahr lediglich 30,3 Prozent.
Erosion der Stammwähler
Der Stimmenschwund unter Stammwählern birgt eine besondere Herausforderung. Traditionelle LSAP-Wähler, die sich den Gewerkschaften verbunden fühlen, hegen nämlich oft andere Erwartungen an die Partei, als jüngere Wähler mit Uni-Abschluss. „Die einstige Wählerbasis der Sozialdemokraten hat sich in Globalisierungsbefürworter und -gegner gespalten“, heißt es dazu in einer Studie der parteieigenen „Fondation Robert Krieps“.
Das 22-seitige Positionspapier mit dem Titel „Krise und Aufbruch der LSAP“ wurde 2014 nach der heftigen Wahlniederlage bei den Europawahlen von der Parteileitung in Auftrag gegeben. Die theoretische Analyse der Krieps-Stiftung sollte der Partei als Basis für eine organisatorische und inhaltliche Neuaufstellung dienen.
Neben soziologischen Entwicklungen verweist die Studie darauf, dass die LSAP Schwierigkeiten hat, sich in der heutigen Parteienlandschaft zu behaupten. „Bei gesellschaftlichen Reformen machen DP und Grüne der LSAP starke Konkurrenz”, so die Autoren. Auf der andere Seite seien Déi Lenk “eine starke Konkurrenz bei den Gewerkschaften”.

Im Wahlkampf versuchte die Partei diese Gräben zu überbrücken. Inhaltlich wollte die Partei mit Forderungen nach einer 38-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich und einer Anhebung des Mindeslohns um 100 Euro bei der Arbeitnehmerschaft zu punkten. Um neue Wähler zu erreichen, setzte die Partei auf neue Kommunikationskanäle. So wurden die Kandidaten ermutigt, kurze Video-Botschaften auf Facebook und Twitter zu posten. Auf Wahlkampfveranstaltungen wurde der direkte Austausch zwischen Kandidaten und Wählern gefördert.
Was passiert also wenn in Zukunft immer weniger Rentner ein Haus besitzen?“Anne, 26, Lehrerin aus Rümlingen
Bei „Ouni Filter mam Jang“ konnten die anwesenden Rümelinger ihre Fragen direkt an die anwesenden Kandidaten richten. „Dir kennt froe wat der wëllt, et gëtt ëmmer eng Äntwert. Well mir hu Kandidate vun allen Zorten heibannen“, ermuntert der Außenminister das zurückhaltende Publikum in bester Jahrmarkt-Manier.
Eine junge Lehrerin greift zum Mikrofon: „Mein Opa muss über 3.000 Euro zahlen um im Altersheim zu wohnen. Was wollen Sie tun, damit sich in Zukunft auch Leute mit niedrigen Renten sich weiter eine Wohnung leisten können?“. Asselborn überlässt dem früheren Sozialminister Mars Di Bartolomeo die Antwort: „Ich würde Sie belügen, wenn ich behaupten würde, die Preise in Altersheimen würden in Zukunft zurückgehen, denn es handelt sich fast immer um private oder halbprivate Einrichtungen.“ Dann verweist Di Bartolomeo darauf, dass ältere Leute die Möglichkeit hätten, mit ihrem Haus für ihren Platz im Altersheim zu bürgen.
Nach der Debatte, zeigt die junge Wählerin sich enttäuscht über die Antwort. „Die Wohnungen werden immer teuerer. Was passiert also wenn in Zukunft immer weniger Rentner ein Haus besitzen?“, so die 26-jährige Lehrerin. Als „Rëmelenger Meedchen“, sei sie in einer „roten Familie“ aufgewachsen: „Ich bin mir aber nicht sicher ob das so bleibt.“ Vielleicht sucht auch sie ihre Antworten in Zukunft bei „Déi Lénk“. Oder bei den Piraten.