Mit der stetig steigenden Zahl an verabreichten Impfungen naht auch das Ende der Pandemie. Für einige Menschen ist allerdings auch Monate nach einer Erkrankung keine vollständige Heilung in Sicht. Das Phänomen „Long Covid“ wird das Gesundheitswesen noch länger beschäftigen.
Eine Sauerstoffflasche steht in der Ecke des Raumes. Mehrere Sportgeräte reihen sich aneinander, Medizinbälle stapeln sich vor einer Glaswand. Zurzeit machen vier Patienten unterschiedliche Übungen, nach ein paar Minuten benötigt ein älterer Mann die Sauerstoffflasche.
Es ist ein besonderer Behandlungsraum des Rehazenters. „Hier ist unsere Covid-Station für Patienten, die aus dem Krankenhaus entlassen wurden“, sagt Dr. Gaston Schütz im Gespräch mit Reporter.lu. Laut dem Generaldirektor wurden in Luxemburg etwa 100 Menschen nach einer Covid-Erkrankung im Rehabilitationszentrum behandelt. Sie leiden unter „Long Covid“ oder « Post-Covid », das auch nach einem asymptomatischen Verlauf auftreten kann.
Die Forschung zu den Langzeitfolgen einer Infektion hat gerade erst begonnen. Dennoch liegen bereits einige Ergebnisse vor. „Die häufigste Beschwerde ist eine allgemeine Müdigkeit und der Verlust oder die Einschränkung des Geruchs- und Geschmackssinns“, sagt Dr. Thérèse Staub vom „Centre Hospitalier du Luxembourg“ (CHL) im Gespräch mit Reporter.lu. Ein typisches Profil einer Person, die an « Long Covid » leidet, gibt es allerdings nicht.
Lediglich so viel steht fest: Das Alter der Patienten spielt eine Rolle. Jüngere Menschen würden demnach nicht so häufig von Beschwerden berichten, so die Chefärztin der Abteilung für Infektionskrankheiten des CHL. Es ist eine der vielen Parallelen zu einer Erkrankung mit Sars-Cov-2, auch hier leiden nur wenige junge Patienten an stärkeren Symptomen, wie etwa Atemnot.
Ein schwer ermittelbares Phänomen
Wie viele Menschen von Langzeitfolgen betroffen sind, ist weiterhin unklar. In Luxemburg werden diesbezüglich keine Daten gesammelt. Da es für dieses neue Phänomen zurzeit noch keinen Code in der Nomenklatur von Krankheiten gibt, könne das Ministerium auch keine Statistik führen, erklärte Paulette Lenert (LSAP) in einer Antwort auf zwei parlamentarische Anfragen von Josée Lorsché (Déi Gréng) und Jeff Engelen (ADR).
Aus zwei Studien aus Großbritannien und den Niederlanden geht laut Dr. Thérèse Staub jedoch hervor, dass etwa zehn Prozent der Covid-Patienten auch sechs Wochen nach einer Infektion noch Symptome aufweisen. Demnach würden in Luxemburg etwa 7.000 Menschen an den längerfristigen Folgen einer Infektion leiden. „Unter den Erkrankten befinden sich allerdings auch viele Kinder, die sich auch von Spätfolgen schnell wieder erholen“, so die Ärztin. Die Zahl der Betroffenen ist jedoch auch aus einem weiteren Grund nur schwer zu ermitteln: Menschen, die an „Long Covid“ leiden, suchen oft erst spät einen Arzt auf.
Wir gehen davon aus, dass die Symptome mit der Zeit abnehmen und verschwinden werden.“Dr. Andreas Ragoschke-Schumm, Neurologe
Eine der häufigsten Beschwerden ist der Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns. „Die große Mehrheit hat einen leichten Krankheitsverlauf und verliert den Geruchs- und Geschmackssinn während acht bis 15 Tagen, bei manchen Menschen kann das allerdings auch länger anhalten“, sagt Dr. Eugène Panosetti im Gespräch mit Reporter.lu. Diese Patienten sieht der Chefarzt der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde des CHL erst, wenn die Beschwerden auch nach längerer Zeit nicht verschwinden.
Das lange Warten auf die Genesung
„Unsere Empfehlung ist es, dass Patienten uns frühestens zwei Monate nach einer Infektion aufsuchen. Anschließend müssen zuerst Tests durchgeführt werden, um zu überprüfen, ob die Einschränkung des Geschmacks- oder Geruchssinnes nicht auf Nasenpolypen oder einen Tumor zurückzuführen ist“, so der Mediziner. Bei etwa einem Prozent können andere Ursachen ausfindig gemacht werden – für die anderen besteht ein Verdacht auf Spätfolgen einer Covid-Infektion.
Inzwischen treffen etwa ein bis zwei Patienten täglich mit diesen Beschwerden in der Hals-Nasen-Ohrenklinik des CHL ein. Zurzeit handele es sich bei ihnen hauptsächlich um Menschen, die sich im Oktober und November infizierten. Die Zahl der Patienten nimmt seit einigen Wochen konstant zu. „Etwa 20 Prozent haben Probleme, die über die üblichen zwei Wochen hinausgehen. Von diesen 20 Prozent hinterlässt die Erkrankung bei etwa jedem fünften Narben. Das heißt, sie riechen und schmecken schlechter oder anders als zuvor“, erklärt Dr. Eugène Panosetti.
Anhand der gesammelten Erfahrungen und Literatur über andere virale Krankheiten schätzt er, dass lediglich ein Prozent der Betroffenen von « Long Covid » den Geruchs- und Geschmackssinn nicht wiedererlangen können. Der Geruchs- und Geschmacksverlust durch virale Infektionen sei im Fachbereich lange unterschätzt worden, so dass auch nur wenig darüber bekannt sei, so Dr. Eugène Panosetti. „Auf Basis der Erfahrung, vermuten wir aber, dass eine Genesung bis zu zwei Jahre nach einer Infektion möglich bleibt“, sagt der Chefarzt der HNO-Abteilung des CHL.
Mögliche neurologische Störungen
Auch Dr. Andreas Ragoschke-Schumm zeigt sich optimistisch. „Wir gehen davon aus, dass die Symptome mit der Zeit abnehmen und verschwinden werden“, so der Oberarzt in der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums des Saarlandes im Gespräch mit Reporter.lu. Der Einfluss des Virus auf das Nervensystem sei, wie vieles zurzeit, noch größtenteils unerforscht.
Im Juni 2020 hat die Klinik in Homburg eine Post-Covid-Sprechstunde eingeführt. Dort werden jene Patienten behandelt, die von leichten neurologischen Beschwerden, wie etwa dem Fatigue-Syndrom oder Konzentrationsschwierigkeiten, berichten. Die Symptome können kurzzeitig und unregelmäßig auftreten. „Nach der Infektion beschreiben etwa junge Patienten, dass sie nicht mehr wissen, wie man einen Kaffee kocht“, sagte Dr. Mark Stetter vom Universitätsklinikum Essen kürzlich im Deutschlandfunk.
Die Symptome können allerdings auch stärker ausfallen, zu einer Beeinträchtigung im Berufsleben und sogar zur Arbeitsunfähigkeit führen. „Ganz schwere Verläufe, wie eine akute Entzündung des Gehirns, bleiben allerdings Einzelfälle“, sagt Dr. Andreas Ragoschke-Schumm.
Wenn tatsächlich zehn Prozent betroffen sind, wären das 7.000 potentielle Patienten, die vom Gesundheitssystem aufgefangen werden müssten. »Dr. Thérèse Staub, Chefärztin der Abteilung für Infektionskrankheiten des CHL
Wie schwer die Langzeitfolgen sind, hängt dabei auch von der Schwere der Erkrankung ab. „Bei Patienten, die nicht auf einer Intensivstation waren, haben wir solche Störungen bei etwa zehn Prozent der Fälle. Bei Patienten, die auf der Intensivstation waren, sind es ungefähr 30 Prozent“, so der Neurologe. Die künstliche Beatmung könne demnach nicht nur Schaden an der Lunge, sondern auch an anderen Organen anrichten. Zudem mehren sich auch die Fälle von Patienten mit Depressionen. Ein direkter Zusammenhang mit Covid-19 konnte noch nicht nachgewiesen werden, mit einer Erkrankung einhergehende Faktoren wie beispielsweise eine andauernde Isolation, könnten diese jedoch verstärkt haben.
Eine spezifische medikamentöse Behandlung für Patienten, die an neurologischen Nebenwirkungen leiden, gibt es noch nicht. Zurzeit forsche man am Einsatz eines Alzheimermittels, allerdings könnte dies die Symptome nur abschwächen und nicht die Ursache bekämpfen, betont Dr. Andreas Ragoschke-Schumm. „Der wissenschaftliche Konsens ist, dass es keine Behandlung gibt. Menschen, die aber etwa respiratorische Probleme haben, können unter anderem auf Physiotherapie setzen“, sagt Dr. Thérèse Staub des CHL. Es sind vor allem diese Patienten, die anschließend im Rehazenter in Kirchberg behandelt werden.
Die Grenzen der Belastbarkeit ausloten
Das Rehazenter kann aber laut den eigenen Statuten nur unmittelbar vom Krankenhaus überwiesenen Patienten eine Behandlung anbieten. Je nach Schwere der Krankheit wird auch die Genesung länger dauern. „Die Behandlungsdauer kann von zwei Wochen bis sechs Monate dauern“, sagt der Direktor des Rehazenters. Ziel sei es, die Menschen wieder auf ein Leben nach der Krankheit vorzubereiten.
Das Zentrum versucht dabei einen möglichst ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen und bietet auch eine neuropsychologische Begleitung an. „Viele Menschen fragen sich, warum ausgerechnet sie davon betroffen sind und haben Schwierigkeiten, dies zu akzeptieren, hier helfen dann unsere Psychologen“, erklärt Dr. Gaston Schütz. Mit verschiedenen Übungen werde die Lungenkapazität nach und nach verbessert. Anhand von ätherischen Ölen soll auch der Geruchssinn gefördert werden.
Für die Behandlung der rund 100 Long-Covid-Patienten hat das Rehabilitationszentrum seine Kapazitäten neu verteilt. Das bedeutet allerdings auch, dass weniger dringende Behandlungen verschoben wurden. Zusätzliche Einstellungen für die Behandlung der neuen Patienten gab es nicht. « Wir wissen ja nicht mal, wie viele Menschen tatsächlich betroffen sind und wie groß der Bedarf sein könnte », erklärt Dr. Gaston Schütz.
Herausforderung für das Gesundheitssystem
Die Frage des Bedarfs könnte in Zukunft allerdings geklärt werden. Das Gesundheitsministerium prüft zurzeit die Einrichtung einer Post-Covid-Station im CHL. Spätestens dann wird sich auch zeigen, wie sehr Covid-19 das Gesundheitssystem trotz rückläufiger Infektionszahlen und Krankenhausaufenthalte, langfristig auf die Probe stellen wird.
Auch wenn die akuten Infektionen zurückgehen, rechne ich damit, dass die Langzeitfolgen uns noch länger beschäftigen. »Gaston Schütz, Generaldirektor des « Rehazenter »
« Es gibt auch Menschen, die einen sehr schweren Verlauf hatten und nach drei Monaten wieder eine voll funktionsfähige Lunge hatten », sagt Dr. Thérèse Staub. Demnach sei es schwer vorauszusagen, wie stark ehemalige Covid-Patienten auch nach der Erkrankung auf weitere Behandlungen angewiesen sein werden. « Es ist eine Frage der Größenordnung. Wenn tatsächlich zehn Prozent betroffen sind, wären das 7.000 potentielle Patienten, die vom Gesundheitssystem aufgefangen werden müssten. Ich nehme allerdings an, dass ein Großteil bereits von einem Hausarzt behandelt werden kann », so die Leiterin der Abteilung für Infektionskrankheiten im CHL.
Die psychologische Belastung könnte jedoch auch längerfristige Folgen haben. « In Deutschland hatten wir auch vor der Krise nicht ausreichend Psychotherapeuten. Dieses Problem könnte sich nun verschärfen », sagt Dr. Andreas Ragoschke-Schumm vom Universitätsklinikum in Homburg. Die Lage dürfte in Luxemburg nicht deutlich besser sein. Nun besteht allerdings die Hoffnung, dass durch die Impfungen weniger Menschen Langzeitschäden davontragen.
Wie lange das Rehazenter also noch einen eigenen Post-Covid-Behandlungsraum benötigt, ist nicht vorauszusehen. Die medizinischen Fachleute bereiten sich zur Sicherheit aber auf einen längeren Zeitraum vor. « Auch wenn die akuten Infektionen zurückgehen, rechne ich damit, dass die Langzeitfolgen uns noch länger beschäftigen », so Dr. Gaston Schütz.