Zum fünften und womöglich letzten Mal hielt Xavier Bettel am Dienstag seine « Rede zur Lage der Nation ». Nüchtern und ohne Polemik zeichnete der Premier ein positives Bild des Landes und der Regierungsarbeit. Damit lässt er sich und seiner Partei für den Wahlkampf alle Optionen offen.

Man könnte es sich ja leicht machen. Man könnte sagen, dass die « Rede zur Lage der Nation » wenig Neues enthielt. Dass viele Passagen des Textes Allgemeinplätze waren. Dass zwar viele Politikbereiche angesprochen, aber wichtige komplett außer Acht gelassen wurden. All das mag wohl stimmen, aber die gefühlte Enttäuschung ist bei der Veranstaltung des « Etat de la Nation » genauso Tradition wie die absehbare Fundamentalkritik seitens der Opposition in der folgenden Debatte. Besonders in einem Wahljahr durfte man sich im Vorhinein dieser parlamentarischen Pflichtübung inhaltlich nicht allzu viel erwarten.

Was man dem Amtsinhaber allerdings vorhalten kann, ist der Mangel an Visionen. Die Bilanz der Regierung ist eine Sache. Die Frage, welchen Zukunftsentwurf man dem Land nach einer Legislaturperiode noch anzubieten hat, eine andere. Bettel sagte es selbst: « Unser Land muss mit einer Vision verbunden sein, mit einer Strategie, mit Zukunft und mit Courage. Der Anfang ist gemacht. » Was genau diese Vision und Zukunftsstrategie dieser Regierung ist, was nach dem Anfang kommen soll, hielten die Redenschreiber in Bettels Manuskript jedoch nicht fest.

Die neue Gelassenheit des Premiers

Und doch lassen sich daraus einige neue Erkenntnisse ziehen. Xavier Bettel ist reifer, ruhiger und besonnener geworden. Anders als noch in den ersten Jahren der blau-rot-grünen Amtszeit hat er es offenbar nicht mehr nötig, latenten Kulturkampf zu betreiben und in Richtung Opposition auszuteilen. Das überlässt er mittlerweile anderen. Auch der bei solchen Reden in der Regel erhöhte Grad des Eigenlobs hielt sich dieses Mal in Grenzen. Entweder der Premier hatte keine Lust mehr darauf oder er hat aus den vier vorherigen Malen gelernt.

Xavier Bettel hätte ein flammendes Plädoyer für die Fortsetzung der Dreierkoalition halten können. Er entschied sich offenbar dagegen. »

Die neue Gelassenheit des Premiers schimmerte an mehreren Stellen seiner Rede durch. Sie äußert sich vor allem in einer neuen Art von Selbstzufriedenheit. Vieles von dem, was diese Regierung angekündigt hatte, wurde umgesetzt. Das Land ist in der Tat, um bei Bettels Worten zu bleiben, heute ein anderes als noch vor vier Jahren. Nicht alles hat dabei zwar geklappt, manches wurde auch gehörig versäumt. In vielen Bereichen steht man aber in der Tat besser da als noch 2013. Dass man dies so nüchtern feststellen kann, ohne gleich in parteipolitische Rechtfertigungsmuster zu verfallen, ist auch für Bettel eine neue Seite.

Nicht nur bei den Staatsfinanzen ist das Resultat « objektiv positiv », wie Bettel sagte. Welchen Anteil dabei jeweils die Konjunktur, die Maßnahmen der Vorgängerregierung und die Akzente der aktuellen Koalition haben, lässt sich jedoch nicht konkret belegen. Ebenso ließe sich fragen, ob die Koalition mit etwas mehr Mut und Ausdauer in der Haushalts- und Schuldenpolitik nicht sogar noch mehr hätte erreichen können.

Auch in anderen Bereichen kann die Bilanz von Blau-Rot-Grün indes nicht abgekoppelt von dem betrachtet werden, was vorher war. Im Gegensatz zu ihrem von Beginn an unrealistischen Erneuerungsanspruch handelt die Dreierkoalition in der Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik faktisch in weitgehender Kontinuität zu ihren Vorgängern. Und auch in der Bildungs-, Umwelt- und Infrastrukturpolitik, den weiteren Kernpunkten von Bettels diesjähriger Rede, baute man in den allermeisten Dossiers auf bereits Geleistetem auf. Wie sollte es auch anders sein?

Keine Koalitionsaussage, oder doch?

Anders als früher ließ der Premier ebendies auch in seiner Rede durchblicken. « Es wäre zu kurz gegriffen, zu behaupten, dass die Politik in der Vergangenheit versagt hätte », sagte der Premier etwa. Und: « Es wurden auch schon vor 2013 richtige Entscheidungen getroffen. » Wer Bettels Diskurs in den vergangenen Jahren aufmerksam verfolgte, weiß, dass solche Sätze bisher rar gesät waren. In seiner diesjährigen Rede fielen gleich mehrere davon.

Im Kontext des bereits begonnenen Wahlkampfs kann man die neue Versöhnlichkeit des Staatsministers durchaus als Öffnung verstehen. Die DP geht in ihrer aktuellen Aufstellung zwar mit einer klaren Präferenz für eine zweite blau-rot-grüne Amtszeit in die Wahlen. Eine Zusammenarbeit mit der CSV wird sie perspektivisch allerdings auch nicht ausschließen wollen. Die Hürden für eine konservativ-liberale Koalition wurden im Laufe der vergangenen vier Jahre bereits abgeräumt. Programmatisch lagen Liberale und Christsoziale in ihrer Geschichte auch schon einmal weiter auseinander.

In der Rede fehlte jedenfalls jede Form von Koalitionsaussage. Xavier Bettel hätte ein flammendes Plädoyer für die Fortsetzung der Dreierkoalition halten können. Er entschied sich offenbar dagegen. Vielleicht, weil ihm genau bewusst war, dass es womöglich seine letzte « Rede zur Lage der Nation » als Premier war. Vielleicht aber auch, weil er sich die Hintertür offen lassen wollte, diese Rede in Zukunft zumindest von der Regierungsbank aus mitzuverfolgen.