Die zweite Auflage der Dreierkoalition hat nicht viel mit der ersten zu tun. Seit der Wiederwahl regiert Blau-Rot-Grün unaufgeregter, aber auch unnahbarer. Der neue radikale Pragmatismus droht allerdings, die ganze politische Debatte zu lähmen. Ein Kommentar.

2013 war eine kleine Revolution. Manche Vertreter der Dreierkoalition verhielten sich in den ersten Jahren ihrer Amtszeit auch entsprechend wie Politiker, die eine ganz neue Ära einleiten wollten. Alles sollte anders und besser werden. Wer nicht für sie war, wurde schnell zum politischen Gegner oder Hindernis des unaufhaltsamen politischen Fortschritts erklärt. Auch wenn der latente Kulturkampf gegen den konservativen « CSV-Staat » nicht allzu lange anhielt, ist die Erinnerung an die damalige blau-rot-grüne Umsturz-Rhetorik noch nicht völlig verblasst.

2018 war die Revolution dagegen längst vorbei. Bei den Wahlen im vergangenen Oktober wurde das Bündnis aus DP, LSAP und Déi Gréng denkbar knapp bestätigt. Das zweite Mandat von den Wählern kam selbst für den einen oder anderen Koalitionspolitiker überraschend. Bei den folgenden Koalitionsverhandlungen konnte man förmlich spüren, dass nur die wenigsten Beteiligten damit gerechnet hatten, dass sie nun noch einmal fünf Jahre die Geschicke des Landes lenken sollten.

Die neue blau-rot-grüne Normalität

Das Koalitionsabkommen liest sich dementsprechend auch nicht wie eine Fortführung der blau-rot-grünen Revolutionsjahre, sondern wie ein ganz gewöhnliches Regierungsprogramm. Entsprechend niedrig war die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit. Niemand erwartete von Blau-Rot-Grün mehr bahnbrechende Reformen, übermäßige Transparenz oder einen offeneren Umgang mit Kritik als dies bei einer anderen Regierungskonstellation der Fall wäre. Der Zauber der fortschrittlichen Regierung, die das Land in eine « demokratische Erneuerung » führen wollte, war längst passé.

Die Art und Weise, wie Blau-Rot-Grün mit Kritik umgeht und ihre Politik nach außen rechtfertigt, kommt einer Missachtung der Öffentlichkeit gleich. »

Und auch vom Stil her waren die Koalitionäre in der Normalität angekommen. Bettel, Schneider, Braz und Co. sind nicht mehr die frischen, frechen Erneuerer der luxemburgischen Politik, als die sie sich anfangs noch inszenierten. Sie sind jetzt selbst der Status quo, den es aus regierungspolitischer Perspektive zu bewahren gilt. So normal die neue Ausgangsposition nach den Wahlen war, so überaus schnell fanden sich die Koalitionäre darin zurecht. Unaufgeregt, nüchtern und höchst pragmatisch machten sie sich ans Werk.

Doch in den vergangenen Monaten zeigt sich, dass der blau-rot-grüne Pragmatismus selbst exzessive Züge annehmen kann. Dabei wäre es weder fair noch sinnvoll, jetzt schon eine Bilanz der Regierungspolitik von Blau-Rot-Grün II zu ziehen. Das Problem ist auch nicht unbedingt, dass die Amtsgeschäfte « auf Sparflamme » geführt werden, wie das « Luxemburger Wort » jüngst kommentierte. Auffällig ist vielmehr, wie die einstige Erneuerungskoalition mit Kritik umgeht – nämlich im Zweifel gar nicht.

Die Einschläferungstaktik der Regierung

Für die neue Leitlinie der Regierung, nur dann auf Kritik zu antworten, wenn es gar nicht anders geht, gibt es mehrere rezente Beispiele. So etwa in der Angelegenheit um einen fragwürdigen Brief des Ministers Francois Bausch an die Generalstaatsanwältin. Der Minister und mit ihm die ganze Regierungsmehrheit entschied sich bewusst dazu, die Sache auszusitzen. Kommuniziert wurde nur häppchenweise und ohne wirklichen Willen zur Aufklärung. Grundsätzliche Fragen, die sich im Zuge der « Affäre Bausch » stellten und sich nicht nur auf Parteipolitik beschränkten, sind bis heute nicht beantwortet. Die Koalition trägt dafür die Hauptverantwortung.

Die meisten Spitzenpolitiker von DP, LSAP und Grünen haben es sich in ihren Machtzentralen bequem gemacht und wollen nur äußerst ungern von externen Ruhestörern belästigt werden. »

Ein weiteres Beispiel ist die Frage des sogenannten « Fichier central » der Polizei, die in den vergangenen Wochen medial hohe Wellen geschlagen hat. Auch hier entschloss sich die Regierung nicht dazu, die in der Öffentlichkeit aufgeworfenen Fragen und Unklarheiten aufzuklären. Die zuständigen Minister meldeten sich kaum bzw. erst sehr spät zu Wort. Bis dahin durfte sich die Opposition ihre Finger mit parlamentarischen Anfragen wund schreiben. Bis heute bleibt die Regierung der interessierten Öffentlichkeit in dieser Sache Rechenschaft schuldig. Stattdessen hofft sie – bisher oft mit Erfolg – darauf, dass sich die Aufregung schon wieder legen wird.

Meilenweit vom eigenen Anspruch entfernt

Andererseits: Die Koalitionäre haben wohl aus ihren Anfängerfehlern gelernt. In den ersten Monaten nach dem Regierungswechsel von 2013 agierten manche Minister und Neu-Beamten multimedial fast schon hyperaktiv auf Kritik. Jetzt schlägt man aber offensichtlich in das andere Extrem um. Die meisten Spitzenpolitiker von DP, LSAP und Grünen haben es sich in ihren Machtzentralen bequem gemacht und wollen nur äußerst ungern von externen Ruhestörern belästigt werden.

Durch das jetzt vorherrschende zynische Politikverständnis wird letztlich die ganze politische Debatte gelähmt, ja geradezu eingeschläfert. Die Art und Weise, wie Blau-Rot-Grün mit Kritik umgeht und ihre Politik nach außen rechtfertigt, kommt einer Missachtung der Öffentlichkeit gleich.

Das wäre für eine demokratisch gewählte Regierung eigentlich schon schlimm genug. Zu der Missachtung kommt aber der dauerhafte Verlust an Glaubwürdigkeit. Denn die heutigen Regierenden sind einst mit dem großspurigen Versprechen, einer Politik der Öffnung und Transparenz, überhaupt erst an die Macht gekommen. « Dans un esprit d’ouverture le Gouvernement s’engage à renforcer la démocratie et avancer vers plus de transparence et de dialogue dans notre société pluriculturelle », hieß es noch in der Präambel des Koalitionsabkommens von 2013. Heute sind die drei Regierungsparteien von diesem Anspruch meilenweit entfernt.

Die Opposition ist zahlreich, aber schwach

Zur Wahrheit gehört allerdings, dass auch die Kritik, mit der die Regierung konfrontiert wird, oft zu wünschen übrig lässt. Die 29 Abgeordneten der Opposition tragen letztlich einen Teil der Verantwortung für das Niveau der politischen Debatte. Eine ebenso aufmerksame wie wirkungsvolle Opposition, die ihrem ersten und wohl wichtigsten Auftrag der Kontrolle der Regierung gerecht wird, sucht man zur Zeit vergebens.

So wurde in beiden besagten Beispielen fast ausschließlich per parlamentarische Anfrage kommuniziert. Dabei ist dieses in den Medien oft auftauchende Instrument wohl die schwächste Waffe im politischen Arsenal der Opposition. Eine schriftliche Frage muss in der Regel spätestens innerhalb eines Monats beantwortet werden. Diese Zeit nehmen sich die meisten Minister denn auch, selbst wenn sich die Antwort auf Banalitäten beschränkt. Vier Wochen später sieht die Faktenlage aber oft schon wieder anders aus. Es ist jedoch dieser fragwürdige Rhythmus, an dem sich die politische (und mediale) Debatte in Luxemburg oft orientiert und der letztlich nur den Interessen der Regierungsmehrheit nutzt.

Gute Opposition erfordert Erfahrung, inhaltliche Detailarbeit und Personalressourcen, die viele Parteien in Luxemburg nicht stemmen können oder wollen. »

Die Opposition könnte denn auch viel kreativer mit ihrem Kontrollauftrag umgehen. Allein im Parlament stehen neben der schriftlichen Anfrage viele weitere Mittel (Motion, Interpellation, Orientierungsdebatte, Untersuchungsausschuss, etc.) zur Verfügung, um die Regierung zu einem Mindestmaß an Rechenschaft zu verpflichten. Das Problem: Gute Opposition erfordert Erfahrung, inhaltliche Detailarbeit und Personalressourcen, die viele Parteien in Luxemburg nicht stemmen können oder wollen.

Darüber hinaus nutzen die Oppositionsparteien auch die außerparlamentarischen Möglichkeiten der Aufklärung nicht optimal. Oppositionsbriefings, bei denen man die Regierungsparteien in der Sache stellt, können auch außerhalb von Wahlkampfzeiten sinnvoll sein. Die Parteien der Minderheit könnten sich etwa ein Beispiel an der hartnäckigen, medienwirksamen blau-grünen Opposition vor 2013 nehmen. Nur so könnten sie eventuell dazu beitragen, dass die politische Klasse irgendwann wieder aus der Narkose erwacht.


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