Luxemburg setzt in internationalen Krisen seit jeher auf Vermittlung. Im Ukrainekrieg stößt dieser Ansatz jedoch an seine Grenzen. Die Telefondiplomatie des Premiers und die Entgleisungen des Außenministers sind dafür bezeichnend. Ein Kommentar.
« Ein Diplomat ist jemand, der zweimal nachdenkt, bevor er nichts sagt »: Geht es nach den ironischen Worten, die dem früheren britischen Premier Edward Heath zugeschrieben werden, stehen Politiker per se nicht im Verdacht, diplomatisch tätig zu sein. Und doch sollten führende Außenpolitiker die Quintessenz des Zitats hin und wieder verinnerlichen. Denn erfolgreiche Diplomatie findet in der Regel tatsächlich geräuschlos und nicht in der Öffentlichkeit statt.
Wenn sich Politiker also mit diplomatischen Initiativen öffentlich hervortun, ist grundsätzlich Skepsis angebracht. Oft geht es hier nicht mehr um die Vermittlung in Konflikten, sondern um andere politische Ziele. Das gilt auch für die Telefondiplomatie des Luxemburger Premiers im aktuellen Ukrainekonflikt. In den vergangenen Tagen telefonierte Xavier Bettel eigenen Angaben nach zweimal mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Das geht nicht nur aus Pressemitteilungen des Kremls und des Staatsministeriums hervor. Der Premierminister verbreitete die Nachricht auch persönlich in den sozialen Medien – Fotos und Emoticons inklusive.
Über die Inhalte der Gespräche erfuhr die Öffentlichkeit dagegen wenig. Der Premier habe die russische Aggression in seinen Telefonaten aufs Schärfste verurteilt und auf ein rasches Ende der Kampfhandlungen gepocht, hieß es von Luxemburger Seite. Das Ziel seiner Bemühungen sei eine « Deeskalation, die Verständigung auf einen Waffenstillstand und das Voranbringen eines Verhandlungsprozesses » zwischen den Konfliktparteien, schrieb Xavier Bettel am Wochenende auf Twitter.
Politische PR und die Banalisierung des Krieges
Gleichzeitig nutzt der Premier seine Telefondiplomatie aber auch für seine eigenen Zwecke. Warum würde er sie sonst in den sozialen Medien anpreisen? So wird aus Diplomatie ein politischer PR-Stunt, ein sozial-medial inszeniertes Happening, bei dem Inhalte und eventuelle diplomatische Fortschritte – selbst wenn es sie gäbe – zwangsläufig in den Hintergrund geraten.
Der Premier prahlt mit Putin-Telefonaten, während der Außenminister sich den Tod von Putin wünscht: Selten war der amateurhafte Charakter Luxemburger Außenpolitik so eklatant wie in diesen Tagen. »
Das Vorgehen geht auch mit einer gewissen Banalisierung jenes Konfliktes einher, der immer mehr zivile Opfer in der Ukraine fordert. Ein Gespräch mit dem Mann, der für diesen Angriffskrieg verantwortlich ist, wird von Luxemburgs Premier nach außen gleichwertig behandelt wie ein Abstecher zum EU-Gipfel nach Brüssel, ein Besuch im Impfzentrum oder eine Unterredung mit Vertretern von Gewerkschaften.
Auf den ersten Blick mag es zwar löblich klingen, dass Xavier Bettel sich für Frieden und Verständigung einsetzt. Fraglich ist jedoch, wie aussichtsreich diese Bemühungen zum aktuellen Zeitpunkt sind. Diplomatie und Dialog sind nur dann sinnvoll, wenn der Gesprächspartner irgendein Interesse an einer Deeskalation hat. Das ist offensichtlich nicht der Fall. Trotz der Gespräche und moralischer Appelle von westlichen Staaten setzt die russische Regierung ihren Feldzug gegen die Ukraine fort – und zündet rhetorisch wie militärisch immer neue Eskalationsstufen.
Alleingang in Kontinuität mit bisheriger Haltung
Zudem muss sich die Regierung die Frage gefallen lassen, inwiefern das kleine Luxemburg in diesem Konflikt überhaupt etwas bewirken kann. Was hat Xavier Bettel dem Aggressor zusätzlich anzubieten, was nicht schon von Regierungschefs von weitaus einflussreicheren Staaten wie Deutschland oder Frankreich versucht wurde? Warum sollte Putin ausgerechnet auf den Premier des Großherzogtums hören, wenn der ganze Westen ihm bereits die gleichen Anliegen unterbreitete?

Selbst wenn der Premier auf Bitten der ukrainischen Regierung und anderer Partner handelte, wie es aus diplomatischen Kreisen heißt, macht er sich mit seinem Vorgehen angreifbar. Denn letztlich trägt die bilaterale Telefondiplomatie nicht zur Einheit der EU und der NATO bei. Vielmehr verwässert jeder Alleingang die Haltung der westlichen Bündnisse und stärkt im Gegenzug das Ego von Wladimir Putin und die Verhandlungsposition Russlands. Dass Luxemburgs Regierungschef allein in diesem Konflikt irgendetwas bewirken kann, ist indes ausgeschlossen.
Was dabei schnell in Vergessenheit geraten kann: Die Alleingänge des Premiers stehen durchaus in Kontinuität mit Luxemburgs Russlandpolitik der vergangenen Jahre. Das Großherzogtum ist innerhalb der EU faktisch ein privilegierter Partner der Russischen Föderation. Während der Krieg in der Ukraine seit 2014 andauert, baute Luxemburg seine Wirtschaftsbeziehungen zu Moskau noch weiter aus. Noch 2019 empfing Blau-Rot-Grün den damaligen Premier Dmitri Medwedew und betonte die gute Kooperation beider Staaten. Mit der Ukraine verbindet Luxemburgs Regierung dagegen vergleichsweise wenig. Es ist eine außenpolitische Prioritätensetzung, die offenbar bis heute andauert.
Ein Außenminister auf Abwegen
Doch die Telefongespräche zwischen Bettel und Putin sind nicht die einzigen Beispiele für die Pseudo-Diplomatie der vergangenen Wochen. Auch der Außenminister trug mit seinen Äußerungen nicht dazu bei, dass Luxemburgs Vermittlungsangebote als ernsthafte Politik mit Erfolgsaussichten wahrgenommen werden könnten. Denn während der Premier per Telefon unrealistische Hoffnungen auf eine Deeskalation schürte, beerdigte Jean Asselborn mit einem einzigen Interview jegliche Perspektive auf eine Verständigung mit Russland.
Unter einem Präsidenten Putin könne es keine Lösung des Ukrainekonfliktes geben, raunte Asselborn im Gespräch mit « Radio 100,7 ». Wladimir Putin nannte er nebenbei einen « Banditen » und « Diktator ». Luxemburgs Außenminister verstieg sich sogar zur Aussage, dass man sich eigentlich nur « wünschen » könne, dass Putin « physisch eliminiert » werde. Die zwei Wörter seien ihm « rausgerutscht », ruderte Asselborn später per Pressemitteilung zurück, mit dem Zusatz: « Ich weiß, dass man diese als Außenminister nicht benutzen darf. »
Eine wirksame Außenpolitik ist eben ein schweres, weil langfristig angelegtes und vergleichsweise öffentlichkeitunwirksames Unterfangen. »
Der Premier prahlt mit Putin-Telefonaten, während der Außenminister sich den Tod von Putin wünscht: Selten war der amateurhafte Charakter Luxemburger Außenpolitik so eklatant wie in diesen Tagen. Im Interview mit « RTL » sagte Jean Asselborn übrigens auch, was er von einem Dialog mit Wladimir Putin hält, wie er von seinem Kabinettskollegen praktiziert wird. Ein solcher Dialog sei nämlich « praktisch unmöglich ». Auf die ausdrückliche Frage, was er von der Telefondiplomatie des Premiers halte, antwortete der Außenminister: Er meine nicht, dass man « im Gespräch noch viel bewegen könne ». So viel zur Frage, wie geschlossen allein schon Luxemburgs Regierung in diesem Konflikt auftritt.
Wege zu einer ernsthaften Außenpolitik
Asselborns Fauxpas ist zudem ein starkes Indiz dafür, dass Luxemburgs Regierung auf der Weltbühne haarscharf an der Grenze zur Irrelevanz agiert. In quasi jedem anderen Land wäre das Sinnieren des Außenministers über die wünschenswerte « physische Eliminierung » des Anführers einer Atommacht ein Skandal, der zu massiven diplomatischen Verwerfungen und wohl auch zu innenpolitischen Konsequenzen geführt hätte. In Luxemburg dagegen reicht es offenbar, dass der undiplomatische Chefdiplomat halbherzig erklärt, dass er eben seine Emotionen nicht im Griff habe – und damit ist die Sache wieder vergessen.
Dabei agieren der Premier und der Außenminister in dieser Krise so, als wären sie unbeteiligte Beobachter des Weltgeschehens und nicht zufällig Teil derselben Regierung. Gemeinsam ist ihnen jedoch, dass sie die Grundregel der Diplomatie, oder vielmehr des gesunden Menschenverstands – erst nachdenken, dann reden – offenbar nicht immer beherzigen. In Friedenszeiten wäre das ebenso kritikwürdig, aber vielleicht noch zu verkraften. Während in Europa ein Krieg tobt, der mit jedem Tag mehr Opfer fordert, gerät Luxemburgs Außenpolitik jedoch zunehmend zur Farce.

Dabei wäre es eigentlich leicht vorstellbar, dass Luxemburg in dieser Krise eine ebenso klare wie konsequente Außenpolitik verfolgen könnte. Man könnte sich glaubwürdig in die Vermittlungsversuche der EU-Institutionen einreihen, in der Flüchtlingsfrage aktive Solidarität zeigen und seine asylpolitischen Hausaufgaben machen. Gleichzeitig könnte die Regierung die auf EU-Ebene beschlossenen Sanktionen gegen Russland proaktiver umsetzen und deren Kontrolle öffentlich kommunizieren. Wenn dann noch wesentliche diplomatische Ressourcen verfügbar wären, könnte man sich hinter den Kulissen gemeinsam mit EU- und NATO-Partnern noch wirksamer für ein Ende des Krieges einsetzen.
All das wäre freilich aufwändiger, als stolz über Telefonate mit Putin zu tweeten oder in Interviews ebenso unreflektierte wie gefährliche Äußerungen von sich zu geben. Eine wirksame Außenpolitik ist eben ein schweres, weil langfristig angelegtes und vergleichsweise öffentlichkeitunwirksames Unterfangen. Doch die Lage ist nicht aussichtslos. Damit Luxemburg den Weg zu einer ernstzunehmenden und eventuell erfolgreicheren Diplomatie findet, könnten seine exponiertesten Vertreter zum Beispiel damit anfangen, mit einer Stimme zu sprechen. Oder im Zweifel auch zwei Mal überlegen, bevor sie nichts sagen.


